The Selected Poetry of Rainer Maria Rilke (30 page)

BOOK: The Selected Poetry of Rainer Maria Rilke
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Stiller Freund der vielen Fernen, fühle,

wie dein Atem noch den Raum vermehrt.

Im Gebälk der finstern Glockenstühle

laß dich läuten. Das, was an dir zehrt,

wird ein Starkes über dieser Nahrung.

Geh in der Verwandlung aus und ein.

Was ist deine leidendste Erfahrung?

Ist dir Trinken bitter, werde Wein.

Sei in dieser Nacht aus Übermaß

Zauberkraft am Kreuzweg deiner Sinne,

ihrer seltsamen Begegnung Sinn.

Und wenn dich das Irdische vergaß,

zu der stillen Erde sag: Ich rinne.

Zu dem raschen Wasser sprich: Ich bin.

NICHT GESAMMELTE GEDICHTE

1923–1926

Notes
IMAGINÄRER LEBENSLAUF

Erst eine Kindheit, grenzenlos und ohne

Verzicht und Ziel. O unbewußte Lust.

Auf einmal Schrecken, Schranke, Schule, Frohne

und Absturz in Versuchung und Verlust.

Trotz. Der Gebogene wird selber Bieger

und rächt an anderen, daß er erlag.

Geliebt, gefürchtet, Retter, Ringer, Sieger

und Überwinder, Schlag auf Schlag.

Und dann allein im Weiten, Leichten, Kalten.

Doch tief in der errichteten Gestalt

ein Atemholen nach dem Ersten, Alten …

Da stürzte Gott aus seinem Hinterhalt.

[Da dich das geflügelte Entzücken]

Da dich das geflügelte Entzücken

über manchen frühen Abgrund trug,

baue jetzt der unerhörten Brücken

kühn berechenbaren Bug.

Wunder ist nicht nur im unerklärten

Überstehen der Gefahr;

erst in einer klaren reingewährten

Leistung wird das Wunder wunderbar.

Mitzuwirken ist nicht Überhebung

an dem unbeschreiblichen Bezug,

immer inniger wird die Verwebung,

nur Getragensein ist nicht genug.

Deine ausgeübten Kräfte spanne,

bis sie reichen, zwischen zwein

Widersprüchen … Denn im Manne

will der Gott beraten sein.

[Durch den sich Vögel werfen, ist nicht der]

Durch den sich Vögel werfen, ist nicht der

vertraute Raum, der die Gestalt dir steigert.

(Im Freien, dorten, bist du dir verweigert

und schwindest weiter ohne Wiederkehr.)

Raum greift aus uns und übersetzt die Dinge:

daß dir das Dasein eines Baums gelinge,

wirf Innenraum um ihn, aus jenem Raum,

der in dir west. Umgieb ihn mit Verhaltung.

Er grenzt sich nicht. Erst in der Eingestaltung

in dein Verzichten wird er wirklich Baum.

DAUER DER KINDHEIT

(Für E.M.)

Lange Nachmittage der Kindheit.…, immer noch nicht

Leben; immer noch Wachstum,

das in den Knien zieht—, wehrlose Wartezeit.

Und zwischen dem, was man sein wird, vielleicht,

und diesem randlosen Dasein—: Tode,

unzählige. Liebe umkreist, die besitzende,

das immer heimlich verratene Kind

und verspricht es der Zukunft; nicht seiner.

Nachmittage, da es allein blieb, von einem Spiegel zum andern

starrend; anfragend beim Rätsel des eigenen

Namens: Wer? Wer?—Aber die Andern

kehren nachhause und überwältigens.

Was ihm das Fenster, was ihm der Weg,

was ihm der dumpfe Geruch einer Lade

gestern vertraut hat: sie übertönens, vereitelns.

Wieder wird es ein Ihriges.

Ranken werfen sich so manchmal aus dichteren

Büschen heraus, wie sich sein Wunsch auswirft

aus dem Gewirr der Familie, schwankend in Klarheit.

Aber sie stumpfen ihm täglich den Blick an ihren gewohnteren

Wänden, jenen, den Aufblick, der den Hunden begegnet

und höhere Blumen

immer noch fast gegenüber hat.

Oh wie weit ists von diesem

überwachten Geschöpf zu allem, was einmal

sein Wunder sein wird, oder sein Untergang.

Seine unmündige

Kraft lernt List zwischen den Fallen.

Und das Gestirn seiner künftigen Liebe

geht doch schon längst unter den Sternen,

gültig. Welches Erschrecken

wird ihm das Herz einmal reißen dorthin,

daß es abkommt vom Weg seiner Flucht

und gerät in Gehorsam und heiteren Einfluß?

[Welt war in dem Antlitz der Geliebten]

Welt war in dem Antlitz der Geliebten—,

aber plötzlich ist sie ausgegossen:

Welt ist draußen, Welt ist nicht zu fassen.

Warum trank ich nicht, da ich es aufhob,

aus dem vollen, dem geliebten Antlitz

Welt, die nah war, duftend meinem Munde?

Ach, ich trank. Wie trank ich unerschöpflich.

Doch auch ich war angefüllt mit zuviel

Welt, und trinkend ging ich selber über.

HANDINNERES

Innres der Hand. Sohle, die nicht mehr geht

als auf Gefühl. Die sich nach oben hält

und im Spiegel

himmlische Straßen empfängt, die selber

wandelnden.

Die gelernt hat, auf Wasser zu gehn,

wenn sie schöpft,

die auf den Brunnen geht,

aller Wege Verwandlerin.

Die auftritt in anderen Händen,

die ihresgleichen

zur Landschaft macht:

wandert und ankommt in ihnen,

sie anfüllt mit Ankunft.

SCHWERKRAFT

Mitte, wie du aus allen

dich ziehst, auch noch aus Fliegenden dich

wiedergewinnst, Mitte, du Stärkste.

Stehender: wie ein Trank den Durst

durchstürzt ihn die Schwerkraft.

Doch aus dem Schlafenden fällt,

wie aus lagernder Wolke,

reichlicher Regen der Schwere.

Ô LACRIMOSA

(Trilogie, zu einer künftigen Musik von Ernst Křenek)

I

Oh Träncnvolle, die, verhaltner Himmel,

über der Landschaft ihres Schmerzes schwer wird.

Und wenn sie weint, so weht ein weicher Schauer

schräglichen Regens an des Herzens Sandschicht.

Oh Tränenschwere. Waage aller Tränen!

Die sich nicht Himmel fühlte, da sie klar war,

und Himmel sein muß um der Wolken willen.

Wie wird es deutlich und wie nah, dein Schmerzland,

unter des strengen Himmels Einheit. Wie ein

in seinem Liegen langsam waches Antlitz,

das waagrecht denkt, Welttiefe gegenüber.

II

Nichts als ein Atemzug ist das Leere, und jenes

grüne Gefülltsein der schönen

Bäume: ein Atemzug!

Wir, die Angeatmeten noch,

heute noch Angeatmeten, zählen

diese, der Erde, langsame Atmung,

deren Eile wir sind.

III

Aber die Winter! Oh diese heimliche

Einkehr der Erde. Da um die Toten

in dem reinen Rückfall der Säfte

Kühnheit sich sammelt,

künftiger Frühlinge Kühnheit.

Wo das Erdenken geschieht

unter der Starre; wo das von den großen

Sommern abgetragene Grün

wieder zum neuen

Einfall wird und zum Spiegel des Vorgefühls;

wo die Farbe der Blumen

jenes Verweilen unserer Augen vergißt.

[Jetzt wär es Zeit, daß Götter träten aus]

Jetzt wär es Zeit, daß Götter träten aus

bewohnten Dingen …

Und daß sie jede Wand in meinem Haus

umschlügen. Neue Seite. Nur der Wind,

den solches Blatt im Wenden würfe, reichte hin,

die Luft, wie eine Scholle, umzuschaufeln:

ein neues Atemfeld. Oh Götter, Götter!

Ihr Oftgekommnen, Schläfer in den Dingen,

die heiter aufstehn, die sich an den Brunnen,

die wir vermuten, Hals und Antlitz waschen

und die ihr Ausgeruhtsein leicht hinzutun

zu dem, was voll scheint, unserm vollen Leben.

Noch einmal sei es euer Morgen, Götter.

Wir wiederholen. Ihr allein seid Ursprung.

Die Welt steht auf mit euch, und Anfang glänzt

an allen Bruchstelln unseres Mißlingens …

[Rose, oh reiner Widerspruch]

Rose, oh reiner Widerspruch, Lust,

Niemandes Schlaf zu sein unter soviel

Lidern.

IDOL

Gott oder Göttin des Katzenschlafs,

kostende Gottheit, die in dem dunkeln

Mund reife Augen-Beeren zerdrückt,

süßgewordnen Schauns Traubensaft,

ewiges Licht in der Krypta des Gaumens.

Schlaf-Lied nicht,—Gong! Gong!

Was die anderen Götter beschwört,

entläßt diesen verlisteten Gott

an seine einwärts fallende Macht.

GONG

Nicht mehr für Ohren … : Klang,

der, wie ein tieferes Ohr,

uns, scheinbar Hörende, hört.

Umkehr der Räume. Entwurf

innerer Welten im Frein …,

Tempel vor ihrer Geburt,

Lösung, gesättigt mit schwer

löslichen Göttern … : Gong!

Summe des Schweigenden, das

sich zu sich selber bekennt,

brausende Einkehr in sich

dessen, das an sich verstummt,

Dauer, aus Ablauf gepreßt,

um-gegossener Stern … : Gong!

Du, die man niemals vergißt,

die sich gebar im Verlust,

nichtmehr begriffenes Fest,

Wein an unsichtbarem Mund,

Sturm in der Säule, die trägt,

Wanderers Sturz in den Weg,

unser, an Alles, Verrat … : Gong!

À Monique:

un petit recueillement de ma gratitude

L’Heure du Thé

Buvant dans cette tasse sur laquelle, dans une langue inconnue, sont peut-ětre inscrits des signes de bénédiction et de bonheur, je la tiens dans cette main pleine de lignes à son tour que je ne saurais expliquer. Sont-elles d’accord ces deux écritures, et puisqu’elles sont seules entre elles et toujours secrètes sous la coupole de mon regard, vont-elles dialoguer à leur façon et se concilier, ces deux textes millénaires qu’un geste de buveur rapproche?

Chapelle Rustique

Comme la maison est calme: écoute! Mais, là-haut, dans la blanche chapelle, d’où vient ce surcroît de silence?—De tous ceux qui depuis plus d’un siècle y sont entrés pour ne pas ětre dehors, et qui, en s’agenouillant, se sont effrayés de leur bruit? De cet argent qui, en tombant dans le tronc, a perdu sa voix et qui n’aura qu’un petit bruissement de grillon quand il sera recueilli? Ou de cette douce absence de Sainte-Anne, patronne du sanctuaire, qui n’ose pas approcher, pour ne pas abîmer cette pure distance que suppose un appel?

»Farfallettina«

Toute agitée elle arrive vers la lampe, et son vertige lui donne un dernier répit confus avant d’ětre brûlée. Elle s’est abattue sur le vert tapis de la table, et sur ce fond avantageux s’étale pour un instant (pour une durée à elle que nous ne saurions mesurer) le luxe de son inconcevable splendeur. On dirait, en trop petit, une dame qui avait une panne en se rendant au Théâtre. Elle n’y arrivera point. Et d’ailleurs où est le Théâtre pour de si frěles spectateurs? … Ses ailes dont on aperçoit les minuscules baguettes d’or remuent comme un double éventail devant nulle figure; et, entre elles, ce corps mince, bilboquet où sont retombés deux yeux en boule d’émeraude …

C’est en toi, ma belle, que Dieu s’est épuisé. Il te lance à la flamme pour regagner un peu de sa force. (Comme un enfant qui casse sa tirelire.)

Le Mangeur de Mandarines

Oh quelle prévoyance! Ce lapin entre les fruits. Pense! trente sept petits noyaux dans un seul exemplaire prěts à tomber un peu partout et à faire progéniture. Il a fallu que nous corrigions ça. Elle eût été capable de peupler la terre cette petite Mandarine entětée qui porte une robe si large comme si elle devait encore grandir. Mal habillée en somme; plus occupée de multiplication que de mode. Montre-lui la grenade dans son armure de cuir de Cordoue: elle éclate d’avenir, se retient, dédaigne.… Et laissant entrevoir sa lignée possible, elle l’étouffe dans un berceau de pourpre. La terre lui semble trop évasive pour faire avec elle un pacte d’abondance.

ELEGIE

an Marina Zwetajewa-Efron

O die Verluste ins All, Marina, die stürzenden Sterne!

Wir vermehren es nicht, wohin wir uns werfen, zu welchem

Sterne hinzu! Im Ganzen ist immer schon alles gezählt.

So auch, wer fällt, vermindert die heilige Zahl nicht.

Jeder verzichtende Sturz stürzt in den Ursprung und heilt.

Wäre denn alles ein Spiel, Wechsel des Gleichen, Verschiebung,

nirgends ein Name und kaum irgendwo heimisch Gewinn?

Wellen, Marina, wir Meer! Tiefen, Marina, wir Himmel.

Erde, Marina, wir Erde, wir tausendmal Frühling, wie Lerchen,

die ein ausbrechendes Lied in die Unsichtbarkeit wirft.

Wir beginnens als Jubel, schon übertrifft es uns völlig;

plötzlich, unser Gewicht dreht zur Klage abwärts den Sang.

Aber auch so: Klage? Wäre sie nicht: jüngerer Jubel nach unten.

Auch die unteren Götter wollen gelobt sein, Marina.

So unschuldig sind Götter, sie warten auf Lob wie die Schüler.

Loben, du Liebe, laß uns verschwenden mit Lob.

Nichts gehört uns. Wir legen ein wenig die Hand um die Hälse

ungebrochener Blumen. Ich sah es am Nil in Kôm-Ombo.

So, Marina, die Spende, selber verzichtend, opfern die Könige.

Wie die Engel gehen und die Türen bezeichnen jener zu Rettenden,

also rühren wir dieses und dies, scheinbar Zärtliche, an.

Ach wie weit schon Entrückte, ach, wie Zerstreute, Marina,

auch noch beim innigsten Vorwand. Zeichengeber, sonst nichts.

Dieses leise Geschäft, wo es der Unsrigen einer

nicht mehr erträgt und sich zum Zugriff entschließt,

rächt sich und tötet. Denn daß es tödliche Macht hat,

merkten wir alle an seiner Verhaltung und Zartheit

und an der seltsamen Kraft, die uns aus Lebenden zu

Überlebenden macht. Nicht-Sein. Weißt du’s, wie oft

trug uns ein blinder Befehl durch den eisigen Vorraum

neuer Geburt.… Trug:
uns
? Einen Körper aus Augen

unter zahllosen Lidern sich weigernd. Trug das in uns

niedergeworfene Herz eines ganzen Geschlechts. An ein Zugvogelziel

trug er die Gruppe, das Bild unserer schwebenden Wandlung.

Liebende dürften, Marina, dürfen soviel nicht

von dem Untergang wissen. Müssen wie neu sein.

Erst ihr Grab is alt, erst ihr Grab besinnt sich, verdunkelt

unter dem schluchzenden Baum, besinnt sich auf Jeher.

Erst ihr Grab bricht ein; sie selber sind biegsam wie Ruten;

was übermäßig sie biegt, ründet sie reichlich zum Kranz.

Wie sie verwehen im Maiwind! Von der Mitte des Immer,

drin du atmest und ahnst, schließt sie der Augenblick aus.

(O wie begreif ich dich, weibliche Blüte am gleichen

unvergänglichen Strauch. Wie streu ich mich stark in die Nachtluft,

die dich nächstens bestreift.) Frühe erlernten die Götter

Hälften zu heucheln. Wir in das Kreisen bezogen

füllten zum Ganzen uns an wie die Scheibe des Monds.

Auch in abnehmender Frist, auch in den Wochen der Wendung

niemand verhülfe uns je wieder zum Vollsein, als der

einsame eigene Gang über der schlaflosen Landschaft.

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