Read Meat Online

Authors: Joseph D'Lacey

Tags: #Fiction, #Horror, #Thrillers, #Suspense, #Science Fiction, #General, #General Fiction

Meat (5 page)

BOOK: Meat
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Es gab kein Licht in der Garage, und John Collins begab sich ausschließlich nachts hierhin. Versteckt zwischen Schmutz und Gefahr hatte er hier einen Ort gefunden, von dem aus er beginnen konnte. Er brachte Kerzen mit und stellte sie an der rückwärtigen Wand auf, an der er auf einem hohen Stuhl ohne Lehne saß und redete. Ungeachtet der Kälte und der Gefahr, ungeachtet des Gedränges und der Dunkelheit, kamen die Leute zu ihm in die Garage, um ihm zuzuhören.

»Als ein Fleisch, so wahr wir hier sitzen ... als ein
Volk«,
wie er zu sagen pflegte, »stammen wir alle vom selben Ort, vom selben Ursprung. Dieser Ursprung ist es, zu dem wir alle miteinander früher oder später heimkehren. Das macht uns zu Brüdern und Schwestern. Uns
alle.
Niemand vermag außerhalb dieser simplen Wahrheit zu existieren. Stimmt ihr dem so weit zu?«

War es eine neue Gruppe, allesamt zum ersten Mal dabei, herrschte daraufhin Stille. Möglicherweise murmelten ein oder zwei ein leises »Ja«.

»Ich stelle euch eine wichtige Frage«, sagte er. »Deshalb wäre ich dankbar, wenn ihr erst einmal darüber nachdenkt, bevor ihr antwortet. Stimmt ihr mir zu, dass wir alle Zweige von derselben Wurzel sind? Stimmt ihr mir zu, dass wir alle Brüder und Schwestern sind?«

Daraufhin nickten dann einige, mehr von ihnen antworteten mit »Ja«. Dies war eine simple Prämisse. Selbst die Zögernden rangen sich schulterzuckend ein lautloses »vermutlich schon« ab.

Gewöhnlich hielt John Collins dann einen Moment inne, nippte einen Schluck Wasser und zog den zerschlissenen grauen Schal zurecht, den er immer trug. Daraufhin hob er den Blick wieder, um in die Gesichter zu schauen, die vor ihm in sechs bis sieben Reihen zusammengekauert auf dem Beton saßen. Er sah in jedes einzelne Gesicht, und dort saßen sie, ohne einander zu erkennen. Fragmente eines zerschlagenen Ichs, das vergessen hatte, wer es war.

Er würde sie überzeugen, was immer es auch verlangte.

»Glaubt ihr, euer Leben wäre eine Art Unfall? Ergebnis eines Zufalls? Nichts als ein großer Fehler? Glaubt ihr, dass unsere Existenz, die Gegenwart einer intelligenten Menschheit, weiter nichts sei, als ein beliebiges Zusammenspiel von Umständen?« Er machte eine Pause. »Hebt die Hand, wenn es das ist, was ihr glaubt.«

Manchmal gab es Hände. Gemeinhin nicht. Zu den Händen sprach er: »Warum seid ihr heute Nacht hierher-gekommen? Ihr habt euren guten Ruf riskiert, falls ihr einen habt. Ihr habt die Liebe und Zuneigung eurer Familien riskiert. Ihr habt sogar euer Leben riskiert.« Eine weitere Pause. »Wisst ihr, was ich glaube? Ich glaube, euer Verstand sagt euch, dass dieses, euer Leben, weiter nichts ist, als ein bizarres Ereignis in der einsamen Leere der Ödnis. Und ich glaube, ihr habt über die Jahre gelernt, eurem Verstand zu gehorchen. Aber ich glaube auch, dass ihr heute Nacht hierhergekommen seid, weil es da noch einen anderen Teil von euch gibt. Ein leises Flüstern in eurem Herzen, das niemals verstummt. Ich glaube, dies ist der Teil eures Ichs, der euch erweckt hat. Es ist der Teil, dem ihr Glauben schenken wollt. Nennt ihn eure Seele. Nennt ihn euren Geist. Dieser Teil eures Ichs ist es, der euch zu einem der Unsrigen macht. Der Geist ist es, von dem wir kommen, und der Geist ist es, zu dem wir zurückkehren. Tief in eurem Inneren wisst ihr, dass dies die Wahrheit ist. Aber euer Verstand will in einer Welt der Sicherheiten leben. Euer Verstand möchte Beton unter den Füßen und volle Mägen und Wodka. Euer Verstand möchte sich nicht einmal vorstellen, was geschieht, wenn ihr sterbt. Oder was ihr gewesen seid, bevor ihr geboren wurdet. Aber euer Herz verzehrt sich nach diesem Wissen. Es verlangt nach Wahrheit, und dieses Verlangen quält euch.« Ein tiefer Atemzug. Eine sichtbare Wolke kondensierten Atems in der kalten Luft. »Du kannst frei sprechen, mein Freund. Und du musst überhaupt nicht sprechen, wenn du es nicht wünschst. Die Tür steht offen für dich, um zu gehen, so wie sie es für dich tat, um einzutreten. Sprich frei heraus, bitte. Sag mir, warum du gekommen bist.«

Es schien, als wären sie allein in der Garage. Ein Zuhörer, ein Redner. John Collins gelang es, ihnen das Gefühl zu vermitteln, sie seien frei. Allein durch seine Worte, durch sein Lächeln, durch einen Blick seiner verletzten, verständnisvollen Augen. Und sie sprachen:

»Etwas stimmt nicht mit dieser Stadt. Etwas stimmt nicht mit mir.«

»Ich bin gekommen, weil ich mich gefangen fühle.« »Ich möchte mich ändern. Zum Besseren.«

»Ich bin krank. Ich habe gehört, Sie wären ein Heiler.«

Es amüsierte ihn, wie wenige sich dazu bekannten, dass sie kein Fleisch mehr essen wollen. Gelegentlich hörte er es von den Entschlosseneren. Aber diejenigen, die unsicher waren, dachten beim ersten Treffen niemals so weit. Sie waren immer noch nicht in der Lage, sich einzugestehen, was es tatsächlich war, das sie zum Propheten John Collins getrieben hatte.

»Wenn ihr geglaubt habt, diese Welt und euer Leben sei ein Unfall, sie seien bedeutungslos, hättet ihr euch wohl kaum darum geschert, hierherzukommen, nicht wahr?«

Niemand widersprach ihm.

»Denn
dieses Leben
ist nicht
bedeutungslos. Weil wir alle aus einem bestimmten Grund hier sind, der uns zu Brüdern und Schwestern macht. Und es ist ganz natürlich, dass, wenn wir sterben, dieser besondere Teil von uns dorthin zurückkehrt, von wo wir einst kamen. Einem Ort, an dem wir uns alle näher und freier sein werden, als wir es hier jemals waren.«

Er ließ die Idee einige Momente wirken. Dann stellte er seine Frage erneut.

»Stimmt ihr mir zu, dass wir alle Brüder und Schwestern sind? Stimmt ihr mir so weit zu?«

Alle sagten »ja«. Sie lächelten verhalten, als wäre das Lächeln ein unbeholfener Besucher auf ihren Gesichtern. Sie sahen sich um, sahen sich gegenseitig an, und ihr Lächeln wurde breiter und fühlte sich nach viel zu langer, einsamer Wanderung endlich zu Hause. Der Boden konnte in einer kalten Winternacht klaftertief gefroren sein, der Atem die Luft über ihren Köpfen vernebeln. John Collins würde die Wärme, die von ihnen ausging, trotzdem deutlich spüren.

Das war, wo es begann.

Einmal in der Woche teilten die Gangmitglieder die Beute ihrer Raubzüge nicht auf der von Unrat und Glasscherben übersäten Brache vor der Garage auf, wurde niemand in den angrenzenden Betonkästen vergewaltigt, niemand in ihrem Schatten ermordet, gab es keine Selbstmorde in den Ruinen dahinter. Einmal in der Woche, wenn John Collins davon sprach, herrschte Frieden bei den Garagen.

Nachtschwarzer Dezemberfrieden.

Mastitis hatte diverse Ursachen.

Löste man einen Melkbecher von der Zitze, bevor das Vakuum aufgehoben war, konnte das zum Platzen oberflächlicher Kapillargefäße und schließlich zu einer Staphylokokkeninfektion führen. Ein plötzlicher Rückfluss in die Milchkanäle hatte denselben Effekt. Oder etwas so Simples, wie fehlerhaftes Sterilisieren oder gerissene Dichtungen. Diese Probleme waren an der Tagesordnung, bevor Greville Snipe zum Aufseher befördert wurde.

Seitdem hatte sich das Auftreten von Mastitis halbiert.

Mastitis war ein häufiges Problem bei den Milchkühen. Einige erholten sich davon, andere nicht. Es zählte nur, dass die Milch floss. Wenn einige Zitzen sich mit Eiter verunreinigten, war es dank Pasteurisation und Homogenisation keine große Sache. Die Milch war vollkommen ungefährlich, und niemand würde bemerken, dass es sich nicht um die hundertprozentig gesündeste und nahrhafteste Flüssigkeit handelte, die man zu sich nehmen konnte. Die Städter hüteten sich, Fragen zur Produktion zu stellen, solange die Milch ihnen schmeckte. Hin und wieder verirrten sich also abgestorbene weiße Blutkörperchen in die Mägen der Bevölkerung. Aber die Milch war ungefährlich. Und sie schmeckte hervorragend. Das war alles, was zählte.

Das erste Anzeichen von Mastitis war das Anschwellen von Euter und Zitzen. Der Milchfluss wurde dann von stärkeren Schmerzen begleitet, als die Vakuumpumpen im Normalfall verursachten. Im Laufe der Tage, wenn die Infektion sich verschlimmerte, trat ein Ausfluss aus der betroffenen Zitze. In der Regel bestand dieser Ausfluss aus Milch, Blut und etwas Eiter. Der Melkvorgang wurde ungeachtet der Kontaminierung fortgesetzt. Die wachsenden Schmerzen, die das bei der Milchkuh verursachte, wurden in Kauf genommen.

Gelegentlich verhärteten sich die Zitzen und brachen auf ― wie getrockneter Schlamm. Blut und Eiter flossen dann ungehindert. Da der Milchfluss durch die Infektion zurückging, wurden die betroffenen Kühe in der Regel ein oder zwei Tage geschont. Dies war ihre einzige Chance, sich zu erholen. Einigen gelang es. Den meisten nicht.

Für Magnus war es weniger kostenintensiv, die Milchkühe zu Fleisch zu verarbeiten, als ihre Infektion zu behandeln. Milchkühe, deren Mastitis sich so weit verschlimmert hatte, dass sie Fieber bekamen, wurden geschlachtet und ihr Fleisch als einfaches Burger- und Wurst-Hack verkauft. Früher oder später landeten sämtliche Milchkühe im Fleischwolf, aber jene, die eine Mastitiserkrankung überstanden, durften noch ein paar Jahre in den Melkstand, bevor sie der Bolzenschusspistole begegneten.

 

Richard Shanti sah zu, wie die Lastwagen aus der Verpackungshalle tuckerten.

Was einmal gelebt hatte, was als geheiligt galt, würde nun Tausenden Bürgern der Stadt als Nahrung dienen. Hälften, Hinterviertel und Vorderviertel wurden der Weiterverarbeitung zugeführt. Blutleere rosafarbene Filets, Steaks, Koteletts, Rippchen und Bratenstücke wurden in die Metzgereien transportiert, wo man sie hinter Glas in Auslagen drapierte. Hackfleisch und Ausschusswürstchen bekamen die Pastetenmacher. Dieses Fleisch hatte keinen Lebenshauch, keine Seele mehr. Soweit es Shanti betraf, war das Geheiligte darin mit jenen gestorben, denen man es von den Knochen geschnitten hatte.

Wohin war das ihnen innewohnende Wunder verschwunden? Nicht in die Lastwagen mit dem Fleisch. Und auch nicht auf die Tische der Bürger.

Von Zeit zu Zeit verirrte sich eine Ahnung jener unermesslichen Gräueltaten, an denen er teilhatte, und seine beständige Abscheu dagegen aus dem toten Winkel seines Bewusstseins in die abgelegenen Gassen und Seitenpfade seines Gewissens. Wie konnte ein Blutvergießen solchen Ausmaßes überhaupt möglich sein? In diesen raren Augenblicken vermochte er beinahe zu begreifen, welch unermessliches Leid er mitverschuldete und wie schwer es wog gegen das wenige Gute, das er tat.

An solchen Tagen packte er extra viel Ballast in seinen Rucksack.

 

Greville Snipe lebte für die Arbeit. Seiner Mutter bereitete das Sorgen.

»Ich habe keine Freunde, keine Hobbys, keine Laster«, rühmte er sich gerne vor Ida Snipe, während er ihr ein wenig Geld und eine Handvoll Zwei-Liter-Kartons Milch zusteckte. Er besuchte seine Mutter einmal die Woche. Sonntags zum Tee brachte er ihr immer einige der »Segnungen seines Jobs« mit, um sie bei Laune zu halten.

»Du solltest dir ein Mädchen suchen, das dich am Boden hält«, pflegte sie ihm mitzuteilen, während sie mit gichtigen, zitternden Fingern an einem schmierigen Taschentuch nestelte. Ihr runzeliges Gesicht war ein Atlas der Sorge.

»Noch bodenständiger zu sein, als ich es bin, ist wohl kaum möglich«, erwiderte er dann, verärgert, dass all die guten Sachen niemals gut genug für sie zu sein schienen. »Ich habe einen anständigen Job, genug Geld. Ich habe meine Gesundheit«,
was mehr ist, als du hast,
hätte er gerne hinzugefügt. »Und ich fühle mich wohl, so wie ich bin.«

Ida wusste, dass ihr Junge hart arbeitete.

»Ich bin stolz auf dich«, sagte sie mit kleinen Tränen in den Augenwinkeln. »Du warst immer ein guter Junge. Gut zu mir.« Aber wer würde sich um ihn kümmern? Ihm blieb keine Zeit, sich die richtige Frau zu suchen. Ein Mann brauchte jemanden, der auf ihn aufpasste. Das hatte sie an der Seite von Grevilles Vater, Anderton Snipe, gelernt.

»Eines dieser ärmeren Mädchen aus den nördlichen Stadtteilen wäre genau richtig für dich. Ruhig, folgsam. Gute Köchinnen habe ich gehört. Und sie verstehen es, das Haus in Ordnung zu halten, weißt du?« Sie seufzte leise in sich hinein, aber laut genug, dass er die Wehmut darin zu hören vermochte. »Ich habe nichts gegen arme Menschen, Greville. Das weißt du hoffentlich.«

Die wöchentlichen Besuche machten es Greville nicht unbedingt leichter, die Nachsicht seiner Mutter in Klassenfragen zu vergessen. Er versprach ihr, einen Ausflug in die Nordstadt zu machen und sich dort umzusehen.

Es gab Dinge, die würde seine Mutter niemals verstehen. Dinge, die er ihr niemals mitteilen könnte.

Greville Snipe lebte für die Arbeit. Seine Mutter würde sich noch sehr viel mehr sorgen, wenn sie wüsste, warum.

 

Die Zahl der Auserwählten war enorm, sie ging in die Zehntausende. Aber sie fluktuierte in Zusammenhang mit den Krankheiten, die sie hin und wieder heimsuchten sowie der Nachfrage seitens der Stadt.

Bei warmem Wetter durchstreiften sie die Felder bis in den äußersten Südwesten der Stadt in Herden, deren Stückzahl oft viele hundert Köpfe überstieg. Ihre Körper bewegten sich in bleichen Schwaden durch das Gras und den Schlamm. War es kalt oder regnerisch, drängten sie sich in die gewaltigen, schiffsrumpfgleichen Stallungen, die bereits existierten, als die Stadt noch in ihren Anfängen lag. Die Ställe waren uralt und morsch, ihre Dächer und Wände voller Löcher. Der wenige Schutz, den diese Ruinen boten, war alles, was die Auserwählten hatten. Sie pressten sich eng aneinander, um sich gegenseitig zu wärmen.

Rund um die Weidegründe herum waren hölzerne Türme postiert, von denen die Treiber sie überwachen, zählen und die Herden unter Kontrolle halten konnten. Undurchdringliche Schlehenhecken fassten die einzelnen Weiden ein. Die Gatter waren hoch und von Stacheldrahtrollen gekrönt. Im Prinzip waren die Sicherheitsmaßnahmen überflüssig. Noch nie in der Geschichte Abyrnes hatte einer der Auserwählten versucht, ein Gatter oder eine Hecke zu durchbrechen.

Da die Milchkühe zweimal am Tag in den Melkstand mussten, wurden sie in nächster Nähe zur Fabrik gehalten. Um sie im Laufe des Tages zweimal melken zu können, trieb man sie in ein Gehege innerhalb des Betriebs. Abends wurden sie wieder auf die Weide gelassen.

Die Mastkühe verbrachten den größten Teil ihrer Zeit auf den Feldern und im Stall. Herden aus schwangeren oder säugenden Müttern und ihren Kälbern blieben länger in ihrem Gehege auf dem Fabrikgelände. Wenn ihre Kälber alt genug und die Rituale abgeschlossen waren, wurden sie den Hauptherden als Färsen oder Stiere wieder zugeführt. Die Auserwählten, welche die Weidegründe am seltensten zu Gesicht bekamen, waren die Bullen. Sie wurden, um Handgreiflichkeiten untereinander zu vermeiden, isoliert in Pferchen gehalten, und blieben den Großteil ihres Lebens innerhalb der Fabrik. Mastkälber bekamen, waren sie erst einmal in ihren Verschlägen, nie mehr die Weiden oder anderes Vieh zu Gesicht.

BOOK: Meat
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