Read Sebastian Online

Authors: Anne Bishop

Tags: #Fiction, #Fantasy, #General

Sebastian (38 page)

BOOK: Sebastian
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Philo rieb sich das Kinn. »Es ist wahr, dass sich die Landschaften, die eine Landschafferin hält, alle gleich anfühlen, egal ob gut oder schlecht. Wenn man an einem Ort hängen bleibt, an dem das Herz sich nicht wohl fühlt, wird einem das Leben niemals leicht vorkommen, ob man nun reich wird oder nicht.«
Sebastian nickte. »Und wenn man den Ort gefunden hat, an den man gehört, kann man schlechte Zeiten eben so leicht durchstehen wie die guten - denn das Leben wird beides für einen bereithalten.«
»Was ist dann das hier?« Teaser deutete mit der Hand auf das Wirrwarr, das er geschaffen hatte. »Es kann doch keine solchen Landschaften geben?«
Wieder spürte Sebastian einen Ruck. »Doch, die gibt es. Das sind Belladonnas Landschaften.«
Die Leute hatten begonnen, miteinander zu flüstern, aber diese Aussage bewirkte, dass sich erneut Schweigen herabsenkte.
Sebastian, der die Dinge, die Lee ihm erzählt hatte, jetzt endlich völlig verstand, legte seinen Daumen auf eines der dunklen Teile des Puzzles. »Sie hat einige der dunklen Landschaften Ephemeras zusammengefügt« - er spreizte seine Hand und legte einen Finger auf den hellblauen Himmel des anderen Teils - »und sie hat Orte des Lichts zusammengefügt. Dazwischen liegen die Landschaften, die ein wenig von beidem sind. Weder dunkel noch licht, einfach nur … menschlich. Die menschlichen Landschaften stehen zwischen uns, aber der Pfuhl und die Heiligen Stätten sind miteinander verbunden. Durch sie. Was bedeutet, dass wir beide der Welt etwas zu geben haben. Und geht eines verloren, kann das andere nicht überleben.«
»Genug Geschichten«, sagte er dann plötzlich und schritt durch die Menge, um zu Lynnea zu kommen. Als sie aufstehen wollte, legte er ihr eine Hand auf die Schulter. »Nein, bleib sitzen. Mach das Puzzle zu Ende. Ich würde es gerne fertig sehen.«
»Das reicht«, sagte Philo und scheuchte die Menge mit ein paar Handbewegungen auseinander. »Holt Sebastian einen Stuhl, damit er sich zu seiner Dame setzen und etwas essen kann.« Jemand brachte einen Stuhl, die Menge löste sich auf, um die anderen Tische zu bevölkern, und Philo brachte dem Inkubus eine Schüssel mit Eintopf und ein paar Stücke Brot.
Als er Lynnea, Teaser und Mr Finch dabei zusah, wie sie das Puzzle zusammensetzten, konnte Sebastian das Gefühl nicht abschütteln, dass er sah, wie ein Versprechen gegeben wurde - das Versprechen, dass Ephemera eines Tages wieder geeint werden würde.
Kapitel Fünfzehn
Es reicht«, sagte Glorianna. Als sie nach den Aufzeichnungen griff, die ihr Bruder festhielt, bemerkte sie, dass seine Hände vor Erschöpfung zitterten. »Lee, es reicht jetzt.«
Seine Finger umklammerten krampfhaft das Papier, als er es an sich zog. »Es sind so viele«, murmelte er, als er die Aufzeichnungen anstarrte, in denen sorgfältig alle Brücken verzeichnet waren, die er über die Jahre hinweg geschaffen hatte. Seine Brücken und auch die Standorte der Brücken anderer Brückenbauer, die einen Zugang zu einer von Gloriannas oder Nadias Landschaften darstellten. »Wenn die anderen Landschaften ungeschützt sind, gibt es so viele Wege, auf denen der Weltenfresser -«
»Es reicht.« Sie bedeckte seine Hände mit den ihren. Zweifel konnte schwere Ketten um den Verstand legen und jede Entscheidung so schwierig werden lassen, dass man nichts mehr unternahm, weil man Angst hatte, es könne das Falsche sein. Sie konnte sehen, wie die Verantwortung auf ihm lastete, die er jetzt trug. Sie befürchtete, dass er der Belastung nicht standhalten könnte, käme zu dieser Last auch noch das Gewicht des Zweifels hinzu. »Du hast doch die festen Brücken zwischen den Heiligen Stätten und den Landschaften in diesem Teil Ephemeras abgerissen, oder nicht?«
Lee nickte. »Bis auf die zwischen den Landschaften, die von dir oder Mutter gehalten werden.«
»Und hast du nicht die festen Brücken zerstört, über die man aus der Stadt der Zauberer oder der Schule der
Landschafferinnen in Mutters Landschaften kommen könnte?« Sie wartete, bis er erneut nickte. »Und du hast alle festen Brücken, die in den Pfuhl führen, zerschlagen, außer denen in meinen Landschaften.«
Er zuckte zusammen, und ihre Augen wurden zu schmalen Schlitzen.
»Es gibt eine Brücke im Wald bei Mutters Haus, die aus dem Pfuhl nach Aurora führt«, sagte er.
»Diese Brücke muss bleiben. Wenn zu Hause etwas geschieht und Mutter die Heiligen Stätten nicht erreichen kann, möchte ich, dass sie in der Lage ist, zu Sebastian zu fliehen.« Sie musterte ihren Bruder. »Was sonst?«
»Ich … habe eine von Mutters Landschaften mit dem Pfuhl verbunden. In der Landschaft stand eine feste Brücke, die in die Stadt der Zauberer führte. Als ich die Verbindung zwischen diesen beiden Landschaften durchbrach, fühlte ich ein … Loch, eine Leere, die ich füllen musste. Aber keine der Landschaften, die ich normalerweise mit dieser einen verbunden hätte, schien zu passen, also musste ich es bleiben lassen. Und dann, als ich in den Pfuhl gegangen bin, um aus der Resonanzbrücke eine feste zu machen … war die Resonanz zwischen diesen beiden Landschaften so stark, dass meine bloße Gegenwart einen Strömungskanal schuf, der mächtig genug war, eine Verbindung entstehen zu lassen. Ich musste eine gehörige Portion Starrsinn an den Tag legen, um sie lange genug auseinander zu halten, damit ich sie anständig verbinden konnte.«
»Dann war es so bestimmt«, sagte Glorianna. Bevor er ihr Vorhaben erraten konnte, zog sie ihm die Aufzeichnungen aus den Händen, klopfte sie zu einem ordentlichen Stapel und legte sie in die Dokumentenschachtel, die Jeb vor ein paar Jahren für Lee gemacht hatte. Sie trug die Schachtel zum Schreibtisch und stellte sie in die unterste Schublade. Nachdem sie die Schublade abgeschlossen hatte, legte sie sich die Kette mit dem Schlüssel
um den Hals und steckte sie sich in den Hemdkragen.
Die Zimmerflucht im Gästehaus der Heiligen Stätten war das, was für Lee einem eigenen Zuhause am nächsten kam. Oh, er hatte ein Wohn- und ein Schlafzimmer in ihrem Haus auf der Insel und sein Schlafzimmer im Haus ihrer Mutter, aber das war nicht das gleiche, wie ein eigenes Haus zu besitzen.
Er war achtundzwanzig und hatte noch nie sein Herz verschenkt. Ihretwegen. Nicht, dass er es jemals zugeben würde, aber sie wusste, dass alle seine Liebschaften zwanglos blieben, weil er den Frauen nie genug vertraut hatte, um die enge Verbindung zu seiner Schwester, der ausgestoßenen Landschafferin, zu offenbaren.
Dieser Umstand machte sie traurig. Er hätte eine Frau haben sollen, zu der er nach Hause kam, Kinder mit denen er spielen konnte. Er sehnte sich nach diesen Dingen. Sie wusste, dass er das tat. Schließlich blieb Glorianna Belladonna kein Geheimnis des Herzens verborgen.
Aber Trauer und Zweifel waren nicht das, was er im Moment von ihr brauchte, also hielt sie ihm ihre Hand entgegen und sagte: »Lass uns einen Spaziergang machen.«
Er schenkte ihr ein müdes Lächeln. »Weißt du, wie viele Meilen ich in den letzten Tagen gelaufen bin?«
»Du solltest dir ein Pferd mieten, wenn du kannst.«
Er antwortete mit einem Knurren, erhob sich schwerfällig und nahm ihre Hand. »Einen kurzen Spaziergang.«
Sie führte ihn durch die Gärten und spürte, wie er begann, sich zu entspannen, als er erkannte, wo sie ihn hinbrachte.
Lee mochte vielleicht kein Zuhause haben, aber er hatte immerhin einen Ort, der ihm gehörte.
Ein Fluss trennte die Gärten vom dahinter liegenden offenen Land. An zwei Stellen überspannten Brücken das
Wasser und dienten als Zugang zu diesem weiten Grün. Eine dritte Brücke führte zu einer kleinen Insel, geformt vom Strom, der sich um dieses grob kreisförmige Stück Land teilte. Bäume wachten über den Steinkreis, der das Herz des kleinen Ortes in sich barg.
Hier blühten keine Blumen. Hier herrschte Stille, der Frieden im Herzen eines Waldes. Im Licht, das vereinzelt durch die Blätter fiel, wuchsen Farne, und in der Mitte stand der Brunnen - eine Schüssel aus schwarzem Stein, gespeist aus einem ausgehöhlten Schilfrohr. Der Mechanismus, mit dem das Wasser vom Fluss zum Brunnen gebracht wurde, war geschickt versteckt, genauso wie das Rohr, das dem Fluss das Wasser zurückbrachte. Eine Bank lud dazu ein, sich hinzusetzen und zu verweilen, dem Gesang von Wasser und Stein zu lauschen, im Grün der Stille Atem zu schöpfen.
Die Menschen der verschiedenen Orte des Lichts hatten ihr geholfen, diesen Ort als Zufluchtsstätte zu erschaffen, aber die kleine Insel hatte von dem Moment an, in dem Lee einen Fuß in den Steinkreis gesetzt hatte, seine Resonanz getragen.
Und es war dieser Ort, den er über jede andere Landschaft legen konnte. Ein sicherer Ort, denn wenn er ihn bewegte, existierte er nirgendwo, außer auf der Brücke seines Willens, aber er war trotzdem in den Heiligen Stätten verwurzelt. Er konnte durch die Bäume schreiten und sehen, was hinter ihnen lag, aber die Augen eines anderen konnten die Insel nicht erblicken. Allein das Herz konnte sie finden, wenn sie über einer anderen Landschaft lag.
Sie ließen sich auf der Bank nieder und lauschten eine Weile dem Wasser und schöpften Atem im Grün der Stille.
Schließlich sagte Glorianna: »Heute wirst du etwas essen und dich ausruhen. Morgen gehen wir auf meine Insel und laufen durch die Gärten, und wir werden überlegen, wie wir Ephemera schützen können.«
Lee stand auf und entfernte sich ein paar Schritte von der Bank. »Und was, wenn der Weltenfresser über eine Brücke, die ich irgendwo übersehen habe, einen Weg in diese Landschaften findet? Oder über eine Resonanzbrücke an einem Ort, den ich nicht erreichen kann?«
»Dann werden wir uns ihm entgegenstellen.«
»Du meinst, du wirst dich ihm entgegenstellen. Darauf läuft es doch hinaus, oder nicht?«
Das tat es, aber er war ohnehin schon so besorgt, und sie würde nicht zulassen, dass er sich etwas vorwarf, an dem er keine Schuld trug.
Sie ging zu ihm hinüber und legte eine Hand auf seine Wange. »Wir nehmen jeden Tag, so wie er kommt, und wenn wir den Weltenfresser nicht vernichten können, werden wir einen Weg finden, ihn wieder in seinen eigenen Landschaften einzuschließen.«
Er legte ihr die Hände auf die Schultern. »Versprichst du mir, vorsichtig zu bleiben?«
»Ich gebe keine Versprechen, von denen ich nicht weiß, ob ich sie halten kann.«
Seine Augen blickten düster, als er sie in die Arme schloss. »Ich weiß. Deshalb hatte ich gehofft, dieses Versprechen könntest du mir geben.«
 
Hand in Hand verließen Lynnea und Sebastian das Bordell und liefen gemächlich zu Philos Restaurant.
Er vermisste sein Cottage, vermisste es, selbst Kaffee zu kochen, wenn er aufwachte, vermisste es, sich eine einfache Mahlzeit zuzubereiten, die er in Ruhe essen konnte.
»Wir könnten im Bordell essen, wenn du das lieber möchtest«, sagte Sebastian.
»Wenn du das wollen würdest, hättest du es früher erwähnt«, antwortete Lynnea.
Er zuckte mit den Schultern. Mahlzeiten im Bordell waren eine weitere Art der Jagd oder Teil der Verführung
gewesen. Auch bei Philo war er oft auf Frauenfang gegangen, aber an diesen Tischen hatte er auch schon gesessen, um sich im Gespräch mit ein paar Leuten ein wenig die Zeit zu vertreiben, und so fühlte er sich mit Lynnea dort wohler.
»Die Nacht ist köstlich, nicht wahr?«, fragte Lynnea lächelnd.
Er wünschte, sie würde keine Worte wie »köstlich« benutzen. Sie nur kurz anzusehen, war genug, um in ihm den Wunsch zu wecken, sich die Lippen zu lecken und anzufangen, an ihr herumzuknabbern. »Du bist heiter und fröhlich.«
»Ich hatte letzte Nacht einen Traum, der … Naja. Hmm.«
Er wusste, wovon sie sprach. Dieser Traum hatte ihn so aufgewühlt, dass er aufgestanden war, um kalt zu baden, um das Fieber, das in ihm brannte, zu lindern. Tageslicht! Warum konnte er nicht einfach aufgeben? Seiner eigenen Libido zu widerstehen, war schwer genug - vor allem, weil er noch nie zuvor das Bedürfnis dazu verspürt hatte -, aber sich ihrer zu erwehren, brachte ihn um. Mit anderen Frauen hatte er dieses Problem noch nie gehabt.
Sie ist eben nicht einfach nur eine andere Frau.
Lynnea blieb stehen und blickte in den Himmel. »Der Mond scheint gar nicht.«
»Der geht später auf.«
»Tut er das?« Sie legte den Kopf schief. »Ich frage mich, ob das bedeutet, dass in den anderen Landschaften Tag ist.«
Er zuckte mit den Schultern. »Es ist immer Nacht hier, also macht es keinen Unterschied.« Natürlich machte es doch einen Unterschied. Den Jungen, der er gewesen war, hatte die endlose Nacht erfreut - doch den Mann, der er jetzt war, ermüdete sie.
»Vielleicht doch«, sagte Lynnea. »Wenn der Mond aufund
untergeht, bedeutet das, dass er dem gleichen Rhythmus folgt, wie im Rest der Landschaften. Wenn er also nicht am Himmel steht, ist es wahrscheinlich andernorts Tag.«
»Du meinst, außerhalb des Pfuhls bricht jetzt der Morgen an?«
Lynnea atmete langsam ein und schüttelte dann den Kopf. »Die Luft ist nicht so frisch und kühl wie früh am Morgen, bevor die Sonne das Land versengt.«
Sebastian ließ Lynneas Hand los und legte ihr dann einen Arm um die Schulter, um sie zum Weitergehen zu bewegen. »Du solltest das mit dem Auf- und Untergehen des Mondes Philo erklären.«
BOOK: Sebastian
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