The Selected Poetry of Rainer Maria Rilke (24 page)

BOOK: The Selected Poetry of Rainer Maria Rilke
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Was wußten sie, wer er war. Er war jetzt furchtbar schwer zu lieben, und er fühlte, daß nur Einer dazu imstande sei. Der aber wollte noch nicht.

NICHT GESAMMELTE GEDICHTE

1913–1918

Notes
DIE SPANISCHE TRILOGIE
[I]

Aus dieser Wolke, siehe: die den Stern

so wild verdeckt, der eben war—(und mir),

aus diesem Bergland drüben, das jetzt Nacht,

Nachtwinde hat für eine Zeit—(und mir),

aus diesem Fluß im Talgrund, der den Schein

zerrissner Himmels-Lichtung fängt—(und mir);

aus mir und alledem ein einzig Ding

zu machen, Herr: aus mir und dem Gefühl,

mit dem die Herde, eingekehrt im Pferch,

das große dunkle Nichtmehrsein der Welt

ausatmend hinnimmt—, mir und jedem Licht

im Finstersein der vielen Häuser, Herr:

ein Ding zu machen; aus den Fremden, denn

nicht Einen kenn ich, Herr, und mir und mir

ein
Ding zu machen; aus den Schlafenden,

den fremden alten Männern im Hospiz,

die wichtig in den Betten husten, aus

schlaftrunknen Kindern an so fremder Brust,

aus vielen Ungenaun und immer mir,

aus nichts als mir und dem, was ich nicht kenn,

das Ding zu machen, Herr Herr Herr, das Ding,

das welthaft-irdisch wie ein Meteor

in seiner Schwere nur die Summe Flugs

zusammennimmt: nichts wiegend als die Ankunft.

[II]

Warum muß einer gehn und fremde Dinge

so auf sich nehmen, wie vielleicht der Träger

den fremdlings mehr und mehr gefüllten Marktkorb

von Stand zu Stand hebt und beladen nachgeht

und kann nicht sagen: Herr, wozu das Gastmahl?

Warum muß einer dastehn wie ein Hirt,

so ausgesetzt dem Übermaß von Einfluß,

beteiligt so an diesem Raum voll Vorgang,

daß er gelehnt an einen Baum der Landschaft

sein Schicksal hätte, ohne mehr zu handeln.

Und hat doch nicht im viel zu großen Blick

die stille Milderung der Herde. Hat

nichts als Welt, hat Welt in jedem Aufschaun,

in jeder Neigung Welt. Ihm dringt, was andern

gerne gehört, unwirtlich wie Musik

und blind ins Blut und wandelt sich vorüber.

Da steht er nächtens auf und hat den Ruf

des Vogels draußen schon in seinem Dasein

und fühlt sich kühn, weil er die ganzen Sterne

in sein Gesicht nimmt, schwer—, o nicht wie einer,

der der Geliebten diese Nacht bereitet

und sie verwöhnt mit den gefühlten Himmeln.

[III]

Daß mir doch, wenn ich wieder der Städte Gedräng

und verwickelten Lärmknäul und die

Wirrsal des Fahrzeugs um mich habe, einzeln,

daß mir doch über das dichte Getrieb

Himmel erinnerte und der erdige Bergrand,

den von drüben heimwärts die Herde betrat.

Steinig sei mir zu Mut

und das Tagwerk des Hirten scheine mir möglich,

wie er einhergeht und bräunt und mit messendem Steinwurf

seine Herde besäumt, wo sie sich ausfranst.

Langsamen Schrittes, nicht leicht, nachdenklichen Körpers,

aber im Stehn ist er herrlich. Noch immer dürfte ein Gott

heimlich in diese Gestalt und würde nicht minder.

Abwechselnd weilt er und zieht, wie selber der Tag,

und Schatten der Wolken

durchgehn ihn, als dächte der Raum

langsam Gedanken für ihn.

Sei er wer immer für euch. Wie das wehende Nachtlicht

in den Mantel der Lampe stell ich mich innen in ihn.

Ein Schein wird ruhig. Der Tod

fände sich reiner zurecht.

DER GEIST ARIEL

(Nach der Lesung von Shakespeares Sturm)

Man hat ihn einmal irgendwo befreit

mit jenem Ruck, mit dem man sich als Jüngling

ans Große hinriß, weg von jeder Rücksicht.

Da ward er willens, sieh: und seither dient er,

nach jeder Tat gefaßt auf seine Freiheit.

Und halb sehr herrisch, halb beinah verschämt,

bringt mans ihm vor, daß man für dies und dies

ihn weiter brauche, ach, und muß es sagen,

was
man ihm half. Und dennoch fühlt man selbst,

wie alles das, was man mit ihm zurückhält,

fehlt in der Luft. Verführend fast und süß:

ihn hinzulassen—, um dann, nicht mehr zaubernd,

ins Schicksal eingelassen wie die andern,

zu wissen, daß sich seine leichte Freundschaft,

jetzt ohne Spannung, nirgends mehr verpflichtet,

ein Überschuß zu dieses Atmens Raum,

gedankenlos im Element beschäftigt.

Abhängig fürder, länger nicht begabt,

den dumpfen Mund zu jenem Ruf zu formen,

auf den er stürzte. Machtlos, alternd, arm

und doch
ihn
atmend wie unfaßlich weit

verteilten Duft, der erst das Unsichtbare

vollzählig macht. Auflächelnd, daß man dem

so winken durfte, in so großen Umgang

so leicht gewöhnt. Aufweinend vielleicht auch,

wenn man bedenkt, wie’s einen liebte und

fortwollte, beides, immer ganz in Einem.

(Ließ ich es schon? Nun schreckt mich dieser Mann,

der wieder Herzog wird. Wie er sich sanft

den Draht ins Haupt zieht und sich zu den andern

Figuren hängt und künftighin das Spiel

um Milde bittet.… Welcher Epilog

vollbrachter Herrschaft. Abtun, bloßes Dastehn

mit nichts als eigner Kraft: »und das ist wenig.«)

[So angestrengt wider die starke Nacht]

So angestrengt wider die starke Nacht

werfen sie ihre Stimmen ins Gelächter,

das schlecht verbrennt. O aufgelehnte Welt

voll Weigerung. Und atmet doch den Raum,

in dem die Sterne gehen. Siehe, dies

bedürfte nicht und könnte, der Entfernung

fremd hingegeben, in dem Übermaß

von Fernen sich ergehen, fort von uns.

Und nun geruhts und reicht uns ans Gesicht

wie der Geliebten Aufblick; schlägt sich auf

uns gegenüber und zerstreut vielleicht

an uns sein Dasein. Und wir sinds nicht wert.

Vielleicht entziehts den Engeln etwas Kraft,

daß nach uns her der Sternenhimmel nachgiebt

und uns hereinhängt ins getrübte Schicksal.

Umsonst. Denn wer gewahrts? Und wo es einer

gewärtig wird: wer darf noch an den Nacht-Raum

die Stirne lehnen wie ans eigne Fenster?

Wer hat dies nicht verleugnet? Wer hat nicht

in dieses eingeborne Element

gefälschte, schlechte, nachgemachte Nächte

hereingeschleppt und sich daran begnügt?

Wir lassen Götter stehn um gohren Abfall,

denn Götter locken nicht. Sie haben Dasein

und nichts als Dasein, Überfluß von Dasein,

doch nicht Geruch, nicht Wink. Nichts ist so stumm

wie eines Gottes Mund. Schön wie ein Schwan

auf seiner Ewigkeit grundlosen Fläche:

so zieht der Gott und taucht und schont sein Weiß.

Alles verführt. Der kleine Vogel selbst

tut Zwang an uns aus seinem reinen Laubwerk,

die Blume hat nicht Raum und drängt herüber;

was will der Wind nicht alles? Nur der Gott,

wie eine Säule, läßt vorbei, verteilend

hoch oben, wo er trägt, nach beiden Seiten

die leichte Wölbung seines Gleichmuts.

DIE GROSSE NACHT

Oft anstaunt ich dich, stand an gestern begonnenem Fenster,

stand und staunte dich an. Noch war mir die neue

Stadt wie verwehrt, und die unüberredete Landschaft

finsterte hin, als wäre ich nicht. Nicht gaben die nächsten

Dinge sich Müh, mir verständlich zu sein. An der Laterne

drängte die Gasse herauf: ich sah, daß sie fremd war.

Drüben—ein Zimmer, mitfühlbar, geklärt in der Lampe—,

schon nahm ich teil; sie empfandens, schlossen die Läden.

Stand. Und dann weinte ein Kind. Ich wußte die Mütter

rings in den Häusern, was sie vermögen—, und wußte

alles Weinens zugleich die untröstlichen Gründe.

Oder es sang eine Stimme und reichte ein Stück weit

aus der Erwartung heraus, oder es hustete unten

voller Vorwurf ein Alter, als ob sein Körper im Recht sei

wider die mildere Welt. Dann schlug eine Stunde—,

aber ich zählte zu spät, sie fiel mir vorüber.—

Wie ein Knabe, ein fremder, wenn man endlich ihn zuläßt,

doch den Ball nicht fängt und keines der Spiele

kann, die die andern so leicht an einander betreiben,

dasteht und wegschaut,—wohin—?: stand ich und plötzlich,

daß
du
umgehst mit mir, spielest, begriff ich, erwachsene

Nacht, und staunte dich an. Wo die Türme

zürnten, wo abgewendeten Schicksals

eine Stadt mich umstand und nicht zu erratende Berge

wider mich lagen, und im genäherten Umkreis

hungernde Fremdheit umzog das zufällige Flackern

meiner Gefühle—: da war es, du Hohe,

keine Schande für dich, daß du mich kanntest. Dein Atem

ging über mich. Dein auf weite Ernste verteiltes

Lächeln trat in mich ein.

[Du im Voraus]

Du im Voraus

verlorne Geliebte, Nimmergekommene,

nicht weiß ich, welche Töne dir lieb sind.

Nicht mehr versuch ich, dich, wenn das Kommende wogt,

zu erkennen. Alle die großen

Bilder in mir, im Fernen erfahrene Landschaft,

Städte und Türme und Brücken und un-vermutete

Wendung der Wege

und das Gewaltige jener von Göttern

einst durchwachsenen Länder:

steigt zur Bedeutung in mir

deiner, Entgehende, an.

Ach, die Gärten bist du,

ach, ich sah sie mit solcher

Hoffnung. Ein offenes Fenster

im Landhaus—, und du tratest beinahe

mir nachdenklich heran. Gassen fand ich,—

du warst sie gerade gegangen,

und die Spiegel manchmal der Läden der Händler

waren noch schwindlich von dir und gaben erschrocken

mein zu plötzliches Bild.—Wer weiß, ob derselbe

Vogel nicht hinklang durch uns

gestern, einzeln, im Abend?

WENDUNG

Der Weg von der Innigkeit zur Größe geht durch das Opfer.

Kassner

Lange errang ers im Anschaun.

Sterne brachen ins Knie

unter dem ringenden Aufblick.

Oder er anschaute knieend,

und seines Instands Duft

machte ein Göttliches müd,

daß es ihm lächelte schlafend.

Türme schaute er so,

daß sie erschraken:

wieder sie bauend, hinan, plötzlich, in Einem!

Aber wie oft, die vom Tag

überladene Landschaft

ruhete hin in sein stilles Gewahren, abends.

Tiere traten getrost

in den offenen Blick, weidende,

und die gefangenen Löwen

starrten hinein wie in unbegreifliche Freiheit;

Vögel durchflogen ihn grad,

den gemütigen; Blumen

wiederschauten in ihn

groß wie in Kinder.

Und das Gerücht, daß ein Schauender sei,

rührte die minder,

fraglicher Sichtbaren,

rührte die Frauen.

Schauend wie lang?

Seit wie lange schon innig entbehrend,

flehend im Grunde des Blicks?

Wenn er, ein Wartender, saß in der Fremde; des Gasthofs

zerstreutes, abgewendetes Zimmer

mürrisch um sich, und im vermiedenen Spiegel

wieder das Zimmer

und später vom quälenden Bett aus

wieder:

da beriets in der Luft,

unfaßbar beriet es

über sein fühlbares Herz,

über sein durch den schmerzhaft verschütteten Körper

dennoch fühlbares Herz

beriet es und richtete:

daß es der Liebe nicht habe.

(Und verwehrte ihm weitere Weihen.)

Denn des Anschauns, siehe, ist eine Grenze.

Und die geschautere Welt

will in der Liebe gedeihn.

Werk des Gesichts ist getan,

tue nun Herz-Werk

an den Bildern in dir, jenen gefangenen; denn du

überwältigtest sie: aber nun kennst du sie nicht.

Siehe, innerer Mann, dein inneres Mädchen,

dieses errungene aus

tausend Naturen, dieses

erst nur errungene, nie

noch geliebte Geschöpf.

KLAGE

Wem willst du klagen, Herz? Immer gemiedener

ringt sich dein Weg durch die unbegreiflichen

Menschen. Mehr noch vergebens vielleicht,

da er die Richtung behält,

Richtung zur Zukunft behält,

zu der verlorenen.

Früher. Klagtest? Was wars? Eine gefallene

Beere des Jubels, unreife.

Jetzt aber bricht mir mein Jubel-Baum,

bricht mir im Sturme mein langsamer

Jubel-Baum.

Schönster in meiner unsichtbaren

Landschaft, der du mich kenntlicher

machtest Engeln, unsichtbaren.

>MAN MUSS STERBEN WEIL MAN SIE KENNT<

(>
Papyrus Prisse
<.
Aus den Sprüchen des Ptah-hotep, Handschrift um 2000 v. Ch.)

> Man muß sterben weil man sie kennt. < Sterben

an der unsäglichen Blüte des Lächelns. Sterben

an ihren leichten Händen. Sterben

an Frauen.

Singe der Jüngling die tödlichen,

wenn sie ihm hoch durch den Herzraum

wandeln. Aus seiner blühenden Brust

sing er sie an:

unerreichbare! Ach, wie sie fremd sind.

Über den Gipfeln

seines Gefühls gehn sie hervor und ergießen

süß verwandelte Nacht ins verlassene

Tal seiner Arme. Es rauscht

Wind ihres Aufgangs im Laub seines Leibes. Es glänzen

seine Bäche dahin.

Aber der Mann

schweige erschütterter. Er, der

pfadlos die Nacht im Gebirg

seiner Gefühle geirrt hat:

schweige.

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