Read Ahead of All Parting Online
Authors: Rainer Maria Rilke
So wie dem Meister manchmal das eilig
nähere Blatt den
wirklichen
Strich
abnimmt: so nehmen oft Spiegel das heilig
einzige Lächeln der Mädchen in sich,
wenn sie den Morgen erproben, allein,—
oder im Glänze der dienenden Lichter.
Und in das Atmen der echten Gesichter,
später, fällt nur ein Widerschein.
Was
haben Augen einst ins umrußte
lange Verglühn der Kamine geschaut:
Blicke des Lebens, für immer verlorne.
Ach, der Erde, wer kennt die Verluste?
Nur, wer mit dennoch preisendem Laut
sänge das Herz, das ins Ganze geborne.
Just as the master’s
genuine
brushstroke
is sometimes caught by a hurried page
that happens to be there: so mirrors will take
into themselves the pure smiling image
of girls as they test the morning, alone—
or under the gleam of devoted candles.
And into their faces, one by one,
later, just a reflection falls.
How much
was once gazed into the charred
slow-dying glow of a fireplace:
glances of life, irretrievable.
Who knows what losses the earth has suffered?
One who, with sounds that nonetheless praise,
can sing the heart born into the whole.
Spiegel: noch nie hat man wissend beschrieben,
was ihr in euerem Wesen seid.
Ihr, wie mit lauter Löchern von Sieben
erfüllten Zwischenräume der Zeit.
Ihr, noch des leeren Saales Verschwender—,
wenn es dämmert, wie Wälder weit …
Und der Lüster geht wie ein Sechzehn-Ender
durch eure Unbetretbarkeit.
Manchmal seid ihr voll Malerei.
Einige scheinen
in
euch gegangen—,
andere schicktet ihr scheu vorbei.
Aber die Schönste wird bleiben—, bis
drüben in ihre enthaltenen Wangen
eindrang der klare gelöste Narziß.
Mirrors: no one has ever known how
to describe what you are in your inmost realm.
As if filled with nothing but sieve-holes, you
fathomless in-between spaces of time.
You prodigals of the empty chamber—
vast as forests, at the close of day …
And the chandelier strides like a sixteen-pointer
through your unenterability.
Sometimes you are full of painting. A few
seem to have walked straight into your depths—
others, shyly, you sent on past you.
But the loveliest will stay—until, beyond,
into her all-absorbed cheeks she lets
Narcissus penetrate, bright and unbound.
O dieses ist das Tier, das es nicht giebt.
Sie wußtens nicht und habens jeden Falls
—sein Wandeln, seine Haltung, seinen Hals,
bis in des stillen Blickes Licht—geliebt.
Zwar
war
es nicht. Doch weil sie’s liebten, ward
ein reines Tier. Sie ließen immer Raum.
Und in dem Raume, klar und ausgespart,
erhob es leicht sein Haupt und brauchte kaum
zu sein. Sie nährten es mit keinem Korn,
nur immer mit der Möglichkeit, es sei.
Und die gab solche Stärke an das Tier,
daß es aus sich ein Stirnhorn trieb. Ein Horn.
Zu einer Jungfrau kam es weiß herbei—
und war im Silber-Spiegel und in ihr.
Oh this beast is the one that never was.
They didn’t know that; unconcerned, they had
loved its grace, its walk, and how it stood
looking at them calmly, with clear eyes.
It hadn’t
been.
But from their love, a pure
beast arose. They always left it room.
And in that heart-space, radiant and bare,
it raised its head and hardly needed to
exist. They fed it, not with any grain,
but always just with the thought that it might be.
And this assurance gave the beast so much power,
it grew a horn upon its brow. One horn.
Afterward it approached a virgin, whitely—
and was, inside the mirror and in her.
Blumenmuskel, der der Anemone
Wiesenmorgen nach und nach erschließt,
bis in ihren Schooß das polyphone
Licht der lauten Himmel sich ergießt,
in den stillen Blütenstern gespannter
Muskel des unendlichen Empfangs,
manchmal
so
von Fülle übermannter,
daß der Ruhewink des Untergangs
kaum vermag die weitzurückgeschnellten
Blätterränder dir zurückzugeben:
du, Entschluß und Kraft von
wie
viel Welten!
Wir, Gewaltsamen, wir währen länger.
Aber
wann
, in welchem aller Leben,
sind wir endlich offen und Empfänger?
Flower-muscle that slowly opens back
the anemone to another meadow-dawn,
until her womb can feel the polyphonic
light of the sonorous heavens pouring down;
muscle of an infinite acceptance,
stretched within the silent blossom-star,
at times
so
overpowered with abundance
that sunset’s signal for repose is bare-
ly able to return your too far hurled-
back petals for the darkness to revive:
you, strength and purpose of how many worlds!
We violent ones remain a little longer.
Ah but
when
, in which of all our lives,
shall we at last be open and receivers?
Rose, du thronende, denen im Altertume
warst du ein Kelch mit einfachem Rand.
Uns
aber bist du die volle zahllose Blume,
der unerschöpfliche Gegenstand.
In deinem Reichtum scheinst du wie Kleidung um Kleidung
um einen Leib aus nichts als Glanz;
aber dein einzelnes Blatt ist zugleich die Vermeidung
und die Verleugnung jedes Gewands.
Seit Jahrhunderten ruft uns dein Duft
seine süßesten Namen herüber;
plötzlich liegt er wie Ruhm in der Luft.
Dennoch, wir wissen ihn nicht zu nennen, wir raten …
Und Erinnerung geht zu ihm über,
die wir von rufbaren Stunden erbaten.
Rose, you majesty—once, to the ancients, you were
just a calyx with the simplest of rims.
But for us, you are the full, the numberless flower,
the inexhaustible countenance.
In your wealth you seem to be wearing gown upon gown
upon a body of nothing but light;
yet each separate petal is at the same time the negation
of all clothing and the refusal of it.
Your fragrance has been calling its sweetest names
in our direction, for hundreds of years;
suddenly it hangs in the air like fame.
Even so, we have never known what to call it; we guess …
And memory is filled with it unawares
which we prayed for from hours that belong to us.
Blumen, ihr schließlich den ordnenden Händen verwandte,
(Händen der Mädchen von einst und jetzt),
die auf dem Gartentisch oft von Kante zu Kante
lagen, ermattet und sanft verletzt,
wartend des Wassers, das sie noch einmal erhole
aus dem begonnenen Tod—, und nun
wieder erhobene zwischen die strömenden Pole
fühlender Finger, die wohlzutun
mehr noch vermögen, als ihr ahntet, ihr leichten,
wenn ihr euch wiederfandet im Krug,
langsam erkühlend und Warmes der Mädchen, wie Beichten,
von euch gebend, wie trübe ermüdende Sünden,
die das Gepflücktsein beging, als Bezug
wieder zu ihnen, die sich euch blühend verbünden.
Flowers, you who are kin to the hands that arrange
(gentle girls’ hands of present and past),
who often lay on the garden table, from edge
to edge, exhausted and slightly bruised,
waiting for the water once more to bring you back whole
from the death that had just begun—and now
lifted again between the fast-streaming poles
of sensitive fingers that are able to do
even more good than you guessed, as you lightly uncurled,
coming to yourselves again in the pitcher,
slowly cooling, and exhaling the warmth of girls
like long confessions, like dreary wearying sins
committed by being plucked, which once more
relate you to those who in blossoming are your cousins.
Wenige ihr, der einstigen Kindheit Gespielen
in den zerstreuten Gärten der Stadt:
wie wir uns fanden und uns zögernd gefielen
und, wie das Lamm mit dem redenden Blatt,
sprachen als Schweigende. Wenn wir uns einmal freuten,
keinem gehörte es. Wessen wars?
Und wie zergings unter allen den gehenden Leuten
und im Bangen des langen Jahrs.
Wagen umrollten uns fremd, vorübergezogen,
Häuser umstanden uns stark, aber unwahr,—und keines
kannte uns je.
Was
war wirklich im All?
Nichts. Nur die Bälle. Ihre herrlichen Bogen.
Auch nicht die Kinder … Aber manchmal trat eines,
ach ein vergehendes, unter den fallenden Ball.
(In memoriam Egon von Rilke)
You playmates of mine in the scattered parks of the city,
small friends from a childhood of long ago:
how we found and liked one another, hesitantly,
and, like the lamb with the talking scroll,
spoke with our silence. When we were filled with joy,
it belonged to no one: it was simply there.
And how it dissolved among all the adults who passed by
and in the fears of the endless year.
Wheels rolled past us, we stood and stared at the carriages;
houses surrounded us, solid but untrue—and none
of them ever knew us.
What
in that world was real?
Nothing. Only the balls. Their magnificent arches.
Not even the children … But sometimes one,
oh a vanishing one, stepped under the plummeting ball.
(In memoriam Egon von Rilke)
Rühmt euch, ihr Richtenden, nicht der entbehrlichen Folter
und daß das Eisen nicht länger an Hälsen sperrt.
Keins ist gesteigert, kein Herz—, weil ein gewollter
Krampf der Milde euch zarter verzerrt.
Was es durch Zeiten bekam, das schenkt das Schafott
wieder zurück, wie Kinder ihr Spielzeug vom vorig
alten Geburtstag. Ins reine, ins hohe, ins thorig
offene Herz träte er anders, der Gott
wirklicher Milde. Er käme gewaltig und griffe
strahlender um sich, wie Göttliche sind.
Mehr
als ein Wind für die großen gesicherten Schiffe.
Weniger nicht, als die heimliche leise Gewahrung,
die uns im Innern schweigend gewinnt
wie ein still spielendes Kind aus unendlicher Paarung.
Don’t boast, you judges, that you have dispensed with torture
and that convicts are no longer shackled by the neck or heel.
No heart is enhanced, not one is—because a tender
spasm of mercy twists your mouths into a smile.
What the scaffold received through the ages, it has given back
again, as children give back their battered old
birthday toys. Into the pure and lofty and gatelike
open heart he would differently enter, the god
of true mercy. Sudden, huge, he would stride through and grip
us dazzled with radiance all around.
More
than a wind for the massive confident ships.
And not any less transforming than the deep intuition
that wins us over without a sound
like a quietly playing child of an infinite union.
Alles Erworbne bedroht die Maschine, solange
sie sich erdreistet, im Geist, statt im Gehorchen, zu sein.
Daß nicht der herrlichen Hand schöneres Zögern mehr prange,
zu dem entschlossenem Bau schneidet sie steifer den Stein.
Nirgends bleibt sie zurück, daß wir ihr
ein
Mal entrönnen
und sie in stiller Fabrik ölend sich selber gehört.
Sie ist das Leben,—sie meint es am besten zu können,
die mit dem gleichen Entschluß ordnet und schafft und zerstört.
Aber noch ist uns das Dasein verzaubert; an hundert
Stellen ist es noch Ursprung. Ein Spielen von reinen
Kräften, die keiner berührt, der nicht kniet und bewundert.
Worte gehen noch zart am Unsäglichen aus …
Und die Musik, immer neu, aus den bebendsten Steinen,
baut im unbrauchbaren Raum ihr vergöttlichtes Haus.
All we have gained the machine threatens, as long
as it dares to exist in the mind and not in obedience.
To dim the masterful hand’s more glorious lingering,
for the determined structure it more rigidly cuts the stones.
Nowhere does it stay behind; we cannot escape it at last
as it rules, self-guided, self-oiled, from its silent factory.
It thinks it is life: thinks it does everything best,
though with equal determination it can create or destroy.