Meat (21 page)

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Authors: Joseph D'Lacey

Tags: #Fiction, #Horror, #Thrillers, #Suspense, #Science Fiction, #General, #General Fiction

BOOK: Meat
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»Es sind nicht die Lehren eines Buches, die die Existenz einer höheren Macht beweisen oder widerlegen. Es ist unsere existenzielle Auseinandersetzung mit der Welt, die uns solche Dinge lehrt. In dieser Stadt gibt es Gläubige und Ungläubige, die keinerlei Interesse an den Lehren des Buches haben.«

»Glaubst du an eine höhere Macht?«

»Ist das nicht offensichtlich?«

Magnus musste darüber nachdenken.

»Es ist keineswegs so offensichtlich, wie du annimmst. Du hast hier so viel Schwachsinn abgelassen, dass es verdammt schwierig ist, daraus halbwegs sinnvolle Schlüsse zu ziehen. Mal abgesehen davon, dass du, erstens, hoch motiviert und, zweitens, nicht ganz richtig im Kopf bist. Du sagst, dass du Gott isst. Also nehme ich an, dass du daran glaubst, dass es einen gibt. Wobei man das wohl kaum als ein Zeichen für deinen Respekt vor so einem Wesen betrachten kann.«

»Ich entschuldige mich dafür, mich nicht klarer ausgedrückt zu haben. Manchmal ist man so überwältigt von der Wahrheit, dass man vergisst, sie auch auszusprechen. Um deine Frage zu beantworten: Ja, ich glaube an eine höhere Macht und respektiere sie mehr als alles andere. Sie gibt mir zu essen, sie ernährt mich, sie unterstützt mich. Sie weist mir jeden Tag aufs Neue den richtigen Weg.«

»Du sagtest, der alte Mann lebte von nichts als Licht und Luft. Aber du behauptest, dass du von Gott lebst. Wie ist das möglich? Was soll das bedeuten?«

»Vielleicht stellen Sie sich gerade vor, wie ich mich durch ein Stück Göttlichkeit fresse. Aber so ist es nicht. Wissen Sie, zuerst müssen Sie sich Gott voll und ganz hingeben. Eine Handlung, die ― wenn sie aufrichtig geschieht ― ein
großes Opfer ist. Sie mögen momentan vielleicht noch keinen Begriff davon haben, was das bedeutet, Mr. Magnus, aber es ist uns allen gegeben, es zu verstehen und dieses Opfer zu bringen ― für uns selbst und für alle anderen. Zum Dank wird Gott uns alles geben, was wir jemals zum Leben brauchen. So einfach ist das. Ich ernähre mich mittels einer täglich ausgeführten Kombination aus Gebet, Entspannungsübungen und etwas körperlicher Bewegung, aber ―im Gegensatz zu dem alten Mann ― bin ich den nächsten Schritt gegangen. Ich habe mich selbst dem Schöpfer geopfert und im Gegenzug hat der Schöpfer mir alles gegeben. Absolut alles.«

Mit vor Skepsis verzogenen Lippen kramte Magnus einen weiteren Zigarillo heraus.

»Die Freiheit hat er dir allerdings nicht gegeben, oder?«, sagte Magnus. »Er hat dich nicht aus der Hand deines Feindes befreit und dich auch nicht von deiner Schlachtung errettet. Entschuldige meine Ignoranz, aber ich sehe dich nicht gerade von seinen Geschenken überladen.«

»Der Stellenwert der Dinge verändert sich, wenn du dich in die Obhut des Schöpfers begibst. Die Dinge, von denen du redest, haben keinen Wert für mich. Vielleicht hält der Schöpfer sie für mich bereit, vielleicht auch nicht. Es tut nichts zur Sache, denn er hat mein Leben bereits gesegnet. Es ist reicher und erfüllter, als du es dir jemals vorzustellen vermagst.«

Magnus nickte und erhob sich. Er streckte seine gewaltigen Arme hinter seinem Rücken und ließ knackend einige Gelenke einrasten, bevor er zu Collins herüberschritt.

»Weißt du was? Ich bin wirklich überrascht«, sagte er betont sachlich. »Durch dich habe ich tatsächlich ein paar Dinge in einem neuen Licht gesehen. Ich dachte, du wärest bloß ein Irrer, der gerade genug Energie hatte, die
dummen Bürger dieser Stadt zu verarschen. Aber du bist deutlich mehr als das, Collins. Du bist intelligent. Du bist hingebungsvoll. Und du bist gefährlich. Du hast mir eine Lektion über mich selbst erteilt, und du hast es ― wider besseres Wissen ― geschafft, dass ich mir etwas anderes überlegt habe, was ich mit dir anstelle.«

Er blickte Collins ins Gesicht, das immer noch ruhig und offen war. Der Mann hörte zwar zu, aber er schien nicht registriert zu haben, dass Magnus gerade möglicherweise andeutete, Nachsicht walten zu lassen oder einen Kompromiss einzugehen. Das hatte er zwar nicht vor, trotzdem ärgerte es ihn, dass es Collins ohnehin gleichgültig zu sein schien. Das hagere Gesicht des Mannes war heiter und gelassen. Magnus hämmerte seine rechte Faust mitten hinein und fühlte, wie die Nase unter seinen Fingerknochen brach und nachgab. Der Stuhl flog nach hinten weg und schleuderte Collins ― der dabei das alte Laken verlor ― zu Boden. Magnus nahm an, dass er dort liegen bleiben, seinen Körper auf Verletzungen überprüfen und dann darum betteln würde, nicht weiter geschlagen zu werden.

Collins' nackter Körper bog sich durch, als der Schwung ihn hintenüberwarf. Dann spannte er sich sofort wieder an. Noch bevor Magnus seine Fingerknöchel inspiziert hatte, war Collins wieder auf den Beinen und lauerte geduckt darauf, sich zu verteidigen.

 

Vom Archiv aus war es nur ein Spaziergang zurück dorthin, wo sich die Hauptgebäude der Fürsorge befanden. Aber in ihrem Zustand verlangte die kurze Strecke ihr alles ab. Es war ihr völlig unverständlich, warum man das Archiv nicht näher zu den restlichen Fürsorgeeinrichtungen und der Zentralkathedrale angesiedelt hatte. Nach Stunden mühsamer Recherche in den zugigen Gängen zwischen den Aktenre
galen, zog sie den Umhang ihres Talars fröstelnd enger. Es war schwer zu sagen, ob sie aufgrund von Kälte oder Krankheit zitterte. Die bohrenden Magenkrämpfe hatten nicht nachgelassen, sondern sich ― wie sie frustriert feststellte ― eher verschlimmert.

Sie hatte nichts in den Akten gefunden, was ihre Nachforschungen vorangebracht hätte. In jenem Jahr, in welchem der Säugling Richard Shanti verstorben war, hatte es zweihundert Geburten gegeben. Dreißig waren Totgeburten gewesen. Zwölf Mütter starben während der Geburt. Von den Überlebenden, waren gerade mal acht durch Mangel, Elend oder Vernachlässigung verwaist. Für die Bevölkerung war es ein gutes Jahr gewesen. Jede Waise war registriert worden, nicht eine Unregelmäßigkeit war aktenkundig. Es gab definitiv keinerlei Verbindung zwischen einem Waisenkind und der Shanti-Familie.

Pastorin Mary Simonson plante, acht Bevollmächtigungen zu beantragen, für jedes der Waisen eine, und jedes aufzusuchen, um sicherzugehen, dass alles seine Richtigkeit hatte.

Doch die Audienz beim Großbischof der Fürsorge hatte Vorrang.

Die Stufen, die zur Zentralkathedrale heraufführten, maßen an der Basis fünfzig Yards in der Breite und verengten sich, je näher man dem schmalen Eingang kam. Sie harrte am Fuß der Treppe einen Moment aus, um sich zu sammeln, atmete tief durch und begann mit dem Aufstieg. Ihre Muskeln rebellierten, ihr Brustkorb arbeitete heftig, und die Kälteschübe wurden von kribbelnden Schweißausbrüchen abgelöst. Sie legte drei Pausen ein. Rechts und links von ihr passierten Pastoren ihren Weg. Niemand half ihr.

Als sie das höhlenartige Hauptportal erreicht hatte, verschnaufte sie erneut, mit dem Rücken gegen die Reliefs des spitz zulaufenden Torbogens gelehnt, der über ihr aufragte.

Die gewaltigen hölzernen Türen waren bereits vor langer Zeit bis zur Unbrauchbarkeit verrottet und längst entfernt worden. Jetzt gähnte das Portal gleich einem riesigen, zahnlosen Mund in der Westfassade, dessen düsterer Schlund ohne Unterlass Pastoren schluckte und wieder ausspuckte.

Vor den Gemächern des Großbischofs reihte sie sich mit zahlreichen Pastoren unterschiedlichen Ranges in eine Schlange ein. Die meisten verbrachten kaum mehr als ein paar Minuten innerhalb der Räumlichkeiten, weshalb die Schlange sich rasch vorwärtsbewegte. Kurz bevor sie an der Reihe war, verkrampfte und knotete sich ihr Magen um das dornige Knäuel in ihrem Uterus. Sie presste sich die Faust in den Magen, um die Schmerzen unter Kontrolle zu bekommen. Erneut brach ihr der Schweiß aus ― der von ihrem Aufstieg über die Treppen war kaum getrocknet.

Als die Türe des Großbischofs geöffnet wurde und aus dem Inneren ihr Name erklang, hatte sie die Krämpfe halbwegs unter Kontrolle.

Sie kaschierte ihr Leiden so gut sie konnte, kniete vor ihm nieder und küsste seine Hand.

»Mary«, sagte er. »Ich freue mich, dich zu sehen.«

Auch ihr tat es gut, ihn zu sehen, aber der Grund, warum sie hier war, versprach alles andere, als diesen Besuch zu einem Vergnügen werden zu lassen.

»Auch ich bin dankbar, Euch sehen zu dürfen«, presste sie hervor.

Sie hob den Kopf und erblickte den Mann, der sie Jahre zuvor ermutigt hatte, sich der Fürsorge anzuschließen. »Erhebe dich, Mary.«

Er betrachtete sie mit Besorgnis. Sie musste länger dort gekniet haben, als ihr bewusst war. Sie bemühte sich aufzustehen und begriff auf der Stelle, warum sie es nicht bereits versucht hatte. Selbst ihr eigenes Körpergewicht zu heben,
kostete sie unendliche Mühen. Angesichts ihrer offensichtlichen Schwierigkeiten, bot der Bischof ihr seine Hand an, die sie dankbar ergriff, um sich an ihr auf die Füße zu ziehen. Sie wusste, dass er hinter ihr Lächeln blicken konnte.

»Warum setzen wir uns nicht einen Moment?«, sagte er.

»Aber was ist mit all den anderen?«

»Sie können warten. Dafür sind Schlangen da.«

Statt hinter seinem Schreibtisch sitzen zu bleiben und ihr einen Platz auf der anderen Seite des Pults anzubieten, geleitete er sie hinüber zum Kamin, in dem ein paar heruntergebrannte Scheite glühten. Die Wärme tat ihr gut, sie verschaffte ihr ein wenig Erleichterung. Sie saßen einander in hölzernen Lehnstühlen gegenüber, deren geflochtene Strohsitze durch rohe Bretter ersetzt worden waren.

»Ich habe auf meine Art über dich wachen lassen«, sagte er, nachdem er sie einige Augenblicke lang still angesehen hatte. »Mir wurde zugetragen, du wärest nicht mehr du selbst in den letzten Wochen.«

Es waren Monate, aber sie wollte ihn nicht korrigieren. »Ich brauche Eure Anleitung«, antwortete sie.

»Was auch immer ich tun kann, ich tue es von ganzem Herzen.«

»Es geht um ein, nun, nicht direkt um ein Problem, aber eine Angelegenheit, die jemanden betrifft, der dieser Stadt große Dienste erweist. Ich bin mir nicht sicher, wie ich darin verfahren soll. Wenn ich dieser Angelegenheit nachgehe, werde ich möglicherweise eine Regelwidrigkeit aufdecken.«

»Wie ernst ist diese Regelwidrigkeit?«

»Ernst genug, ihm den Status abzuerkennen.«

»Ich verstehe.«

»Eingedenk seiner außerordentlichen Dienste für die Öffentlichkeit ist es meine Überzeugung, dass das fragliche Individuum sich der Existenz dieses Regelverstoßes nicht
im Geringsten bewusst ist. Selbst wenn sich mein Verdacht als berechtigt herausstellt, hat dieses Individuum möglicherweise keinerlei Kenntnis davon, dass bereits seine pure Existenz blasphemisch ist. Meine Frage lautet: Kann ich zulassen, dass diese Situation besteht und darauf hoffen, dass niemand sonst sie entdeckt. Oder führe ich meine Nachforschungen fort und riskiere damit, diesen Mann, der sich keinerlei Schuld bewusst ist, zugrunde zu richten?«

Dem Gesicht des Großbischofs war ― rein äußerlich ― keinerlei Veränderung anzumerken, aber sie konnte erkennen, dass ihre Frage ihn veranlasst hatte, tiefere Bewusstseinsebenen zu konsultieren. Sein Blick erwiderte weiterhin den ihren, war aber zugleich auf etwas gerichtet, das weit hinter den Mauern dieser Gemächer lag.

»Was sagt dir dein Herz?«

»Mein Herz sagt mir, dass, sollte tatsächlich ein Verstoß vorliegen, vermutlich jemand anderes als dieses Individuum die Verantwortung dafür trägt. Und wenn er kein Wissen darüber besitzt, was mit ihm geschehen ist, ist er so unschuldig, wie er es zu sein glaubt.«

»Und was sagt dir dein Gott?«

»Mein Gott sagt mir, dass nur die Bürger dieser Stadt von den Auserwählten leben sollen. Und nur den Bürgern dieser Stadt soll der Umgang mit den Auserwählten erlaubt sein. Mein Gott sagt mir, dass wir diesem Individuum, wenn es ―unabhängig von dem Eindruck, das es von sich selbst hat ―keiner von uns ist, seinen Status aberkennen müssen. Er muss der Wahrheit und ihren Folgen ins Gesicht sehen.«

Der Großbischof nickte sanft und lächelte still in sich hinein. Dann kehrte sein Blick zurück in den Raum. Er blieb einige Zeit stumm.

»Manchmal stimmen Gott und das Herz überein, und manchmal tun sie es nicht.« Während er das sagte, sah er
sie nicht an, aber sie wusste, auf was er sich bezog. »Wie du weißt, habe ich meine Entscheidung immer nach dem Diktat Gottes gerichtet. Deshalb vermag ich, frei von Reue auf mein Leben zurückzublicken.« Sein Blick suchte den ihren. Irgendwie quälten ihn seine ganz eigenen inneren Dornen. Für einen Moment lang meinte sie sehen zu können, wie seine Augen feucht wurden. »Frei von Reue, Mary. Und ich hege nicht den geringsten Zweifel, dass ich errettet bin. Dass ich in die Herrlichkeit eingehen werde. Sich an den Willen Gottes zu binden, macht das Leben um vieles einfacher. Es befreit uns von seiner Komplexität. Es erspart uns das Leiden.«

»Ich danke euch, Eure Heiligkeit.«

Plötzlich schien er sich an die lange Schlange wartender Pastoren vor der Tür zu erinnern. Er stand auf und half ihr auf die Füße. Sie wollte ihn in der anderen Angelegenheit um Hilfe bitten, wollte ihn auf ihre Krankheit ansprechen, aber sie wusste, dass seine Antwort sich um die Idee des selbstlosen Dienstes auf Kosten des eigenen Wohls drehen würde. Das war der Sinn dahinter, ein Pastor der Fürsorge zu sein. Vielleicht wusste er, dass sie noch etwas auf dem Herzen hatte, vielleicht hatte er auch einfach nur Mitleid mit ihr. Oder war es möglich, dass ungeachtet dessen, was er gesagt hatte, ein Teil von ihm die Komplexität und das Leid, welche aus dem Handeln gegen den Willen Gottes resultierten, sogar gerne ertragen hätte? Wie auch immer, mit dem, was folgte, hatte sie nicht gerechnet.

»Ich werde dafür Sorge tragen, dass deine Pflichtrationen von jetzt an um eine besonders nahrhafte und heilige Zutat ergänzt werden. Ich bin mir sicher, es wird dir schon bald sehr viel besser gehen.«

Sie wollte erneut auf die Knie fallen und seine Hand küssen, aber er hielt sie davon ab.

»Das ist wirklich nicht nötig, Mary. Gehe nun und ruhe dich aus. Mach morgen weiter.«

Sie lächelte und ging.

 

Während er an die rückwärtige Wand des Schlachthauses gelehnt eine Zigarette rauchte, beobachtete Torrance, wie die Gruppe von vier Arbeitern den Milchhof verließ.

Neben ihm hatte ein Lastwagen mit laufendem Motor in der Ladebucht geparkt. Er konnte das feuchte Klatschen hören, als die Loren in die stählernen Fächer des Lkws entleert und die leeren Behälter rumpelnd mit wertvollem Fleisch aufgefüllt wurden.

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