Meat (26 page)

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Authors: Joseph D'Lacey

Tags: #Fiction, #Horror, #Thrillers, #Suspense, #Science Fiction, #General, #General Fiction

BOOK: Meat
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»Und was
wird
passieren?«

»Ich werde dich in einen anderen Bereich der Fabrik versetzen. Und zwar so lange, bis wir eine Nische gefunden haben, in der du dich genauso wohlfühlst, wie du es hier im Hauptschlachthaus all die Jahre getan hast.«

Shanti war verblüfft über Torrances Reaktion. Obwohl er den Job seit dem ersten Tag gehasst hatte und nun auch noch ein neues Verständnis dafür entwickelte, wie sehr er jeden Moment seiner Arbeit verabscheute, fühlte er sich gekränkt, herabgesetzt und zurückgewiesen. Er hatte sogar Tränen in den Augen.

»Mein Gott, Robert ... ich ... ich kann einfach nicht glauben, was Sie mir da sagen.«

Er blickte Torrance ins Gesicht und sah darin etwas, das ihm bewies, dass ihm sein Schicksal
nicht
völlig gleichgültig war. War es Mitleid? Versuchte er ihn womöglich irgendwie zu schützen?

»Rick, hör zu. Wenn es um jemand anderes ginge, ganz gleich, wen, ich würde ihn nach Hause schicken, damit er sich einen neuen Job sucht. Du bist etwas Besonderes. Du gehörst hierher, zwischen die Herden, um uns und ihnen mit deiner Magie zu helfen. Mit der Zeit werden wir eine Position für dich finden, in der du genauso aufgehst wie
in deinem Job im Schlachthaus. Ich rette dir gerade dein Leben, Rick. Das würde ich für keinen anderen Mann tun, wenn er sich in deiner Situation befände. Verstehst du, was ich dir gerade versuche zu sagen?«

Shanti nickte, sein Hals war zum Sprechen zu trocken.

»Ich schicke dich nach Hause, damit du dich ein paar Tage ausruhen kannst. Kein Widerspruch. Das ist offiziell. In meinem Bericht wird stehen, dass du krank warst. Wenn du wiederkommst, werde ich dich neu einteilen. Wir werden einen besseren Job für dich finden.«

Shanti sah seinen Boss mit unverhohlener Qual an. Tränen flossen in seinen Bart und verloren sich dort. Torrances Miene verhärtete sich.

»Geh einfach nach Hause. Sofort.«

 

Zwischen den zwei täglichen Melkgängen, nachdem sie Wände und Böden abgespritzt hatten, blieb den Melkhilfen reichlich Zeit herumzusitzen, Karten zu spielen und zu rauchen.

Wie von selbst kam ihr Gespräch auf ihre erste gemeinsame Zechtour.

»Betty
ist total vernarrt in meinen Schwanz«, sagte Roach. Diesen Blödsinn hatten sie sich jetzt bereits ein Dutzend Mal angehört. Maidwell hatte genug davon.

»Mir hat sie aber was anderes erzählt, Roach. Als du weggetreten warst, sagte sie mir, dass sie sich nach einem Mann mit einer richtigen Kanone umsehen würde.«

Roach war knallrot.

»Ich ... ich war nicht weggetreten.«

»Weißt du nicht mehr, dass du quer über die Rückbank des Busses gekotzt hast?«

»Nein«,
erwiderte Roach entrüstet.

»Richtig. Weil du hammervoll warst.«

Roach sah zu Harrison und Parfitt, dann wieder zu Maid-well. Alle nickten.

»Ach, Scheiße.«

»Mach dir deshalb keinen Kopf, Roach. Uns war allen übel. Allerdings haben wir es irgendwie geschafft, nicht unseren kompletten Mageninhalt im Werksbus zu verteilen. Die Damen waren so freundlich, hinter dir herzuputzen, aber der Bus stinkt immer noch. Jetzt nennen dich alle Reiher-Roach.«

»Haltet das Maul.«

»Klasse Name«, sagte Maidwell.

Parfitt grinste, sagte aber nichts. Die Erinnerung an die Sauftour mit Torrance bedrückte ihn immer noch. Er war sicher nicht der Einzige, dem es so ging. Keiner hatte bisher die Stierkämpfe erwähnt. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es bloß daran lag, dass sie illegal waren.

»Ist ja auch egal«, sagte Maidwell. »Tatsache ist, dass ich Betty geben konnte, was sie so sehr wollte. Sie ist eine äußerst vitale Lady.«

Harrison: »Sie ist keine Lady.«

Roach versank in seinem Stuhl und tat so, als würde er seine Spielkarten betrachten. Er war bei Betty so nah dran gewesen, und dann hatte er alles versaut. Er war nicht mehr zum Schuss gekommen. Langsam erinnerte er sich.

»Also, ähm, hast du sie gefickt?«

»Na klar. Und ob ich sie gefickt habe. Und ich habe dir damit einen Gefallen getan. Hab ihr lediglich gegeben, was du ihr nicht geben konntest. War schließlich das Mindeste, was ich als Freund tun konnte, oder?«

Alle kicherten.

Roach lief erneut rot an.

»Hast du, ich meine, wirst du sie wieder sehen?« »Um Gottes willen, nein. Warum sollte ich?«

»Ich dachte nur, du wolltest vielleicht. Ach, ich weiß nicht.«

»Hör mal, Roach. Es gibt nicht den leisesten Grund dafür, mich nochmals mit Betty zu treffen.«

»Willst du es ihr denn nicht noch einmal besorgen?«, fragte Harrison und sprach damit aus, was sie alle dachten.

»Kein Bedarf. Eine Frau, die von Jeff Maidwell gefickt wurde, darf sich den Rest ihres Lebens als gefickt betrachten.«

Während die drei anderen, selbst Roach, sich vor Lachen überschlugen, stand Parfitt auf und ging nach draußen, um eine Zigarette zu rauchen.

Kaum hatte er sich an die Wand gelehnt und die Zigarette angesteckt, sah er Bob Torrance vom Schlachthaus her auf ihn zustiefeln. Parfitt richtete sich kerzengerade auf. Grüßend hob Torrance die Hand.

»Wie läuft's denn so, Parfitt?«

»Kann nicht klagen. Und bei Ihnen? Alles im Lot?«

»Nichts, was ein Bolzenschussgerät nicht richten könnte. Pass auf, ich hab 'nen Job für dich. Überstunden, die sich lohnen.«

»Was ist
es?«

»Kann dir egal sein. Treff mich einfach nach Schichtende bei den Laderampen. Und zieh dir einen Overall an. Das wird kein Zuckerschlecken.« Torrance fletschte seine Zähne zu einem humorlosen Grinsen und klopfte Parfitt auf die Schulter. »Und kein Wort zu irgendjemandem, kapiert?«

Parfitt wusste, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als zu nicken.

»Guter Mann. Wir sehen uns heute Abend.«

Torrance drehte sich um und verschwand Richtung Schlachthaus. Der Rest von Parfitts Zigarette schmeckte entsetzlich.

 

14

 

Zum ersten Mal seit vielen Jahren, legte Richard Shanti den Heimweg im Schritttempo zurück. Zwar trug er immer noch den mit Sand und Ziegeln gefüllten Rucksack, aber zu mehr als einem schwerfälligen Trotten fehlte ihm der Wille. Der Weg zog sich endlos in die Länge: Vertraute Orientierungspunkte, die er sonst innerhalb von Sekunden passierte, verschwanden erst nach Minuten aus seinem Blickfeld. Als er schließlich die Zufahrt zu seinem abgelegenen Haus erreichte, waren seine Beine schwächer als jemals zuvor in seinem Leben.

Er erblickte Mayas Gesicht im Fenster,. Sie war offensichtlich besorgt wegen seiner frühen Heimkehr. Sicher fragte sie sich, warum er nicht rannte und was es wohl zu bedeuten hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie sich ernsthafte Sorgen um ihn machte. Alles, worum sie sich sorgte, war genug Fleisch zu bekommen und den anderen Frauen in der Stadt in nichts nachzustehen. Ihre Sorgen kümmerten ihn nicht mehr. Er begriff, dass er nichts mehr für Maya empfand. Möglicherweise hatte er zum ersten Mal die Zeit und die Energie, diesen Gedanken überhaupt zuzulassen.

Ihr Gesicht im Fenster war ein Faksimile dessen, was es hätte sein müssen.
Ich sollte dort entweder eine Frau, die mich liebt, oder aber überhaupt niemanden erblicken.
Er ging am Fenster vorbei zur Rückseite des Hauses, nahm sein Bündel von der Schulter und verzichtete darauf, sich in dem Trog zu waschen.

In der Küche roch es nach Fleisch. Sie bereitete es bereits seit Wochen zu, scheinbar immer häufiger. Der fettige Geruch hing in den Vorhängen, haftete an der feuchten, fleckigen Farbe auf den Wänden. Er konnte sich ihr nicht nähern, ohne es in ihren Haaren und Kleidern zu riechen. Sie schwitzte es aus, Fleischsaft rann aus ihren Poren, während sie sich am Herd zu schaffen machte, um das Abendessen für die Familie zu kochen. Sie hatte rohes Fleisch an den Händen und mit diesen schmutzigen Händen spülte sie den Reis und berührte das Gemüse, das er später essen würde.

Er spürte, dass sie unsicher war, ob sie ihn wegen seiner frühen Heimkehr von der Fabrik tadeln oder sich nach der Ursache dafür erkundigen sollte. Sie wog ab, ob es ihr angebracht schien, Mitgefühl zu zeigen. Das war keine Liebe.

»Was ist passiert?«, fragte sie schließlich. An jedem anderen Tag wäre er davon ausgegangen, dass diese Frage Anteilnahme signalisierte.

»Wo sind die Mädchen?«

»Sie sind noch in der Schule.« Sie trocknete sich die Hände an einem Geschirrtuch ab und ging auf ihn zu. »Was ist los, Richard?«

»Ich möchte sie sehen, wenn sie nach Hause kommen. Würdest du mich dann bitte wecken?«

Er wendete sich ab und ging zum Schlafzimmer. »Liebling, ich habe dich etwas gefragt.«

»Lass mich bitte in Ruhe, bis sie wieder da sind. Ich bin erschöpft.«

Im Schlafzimmer hielt er sich nicht damit auf, seine Sachen auszuziehen. Quer auf dem Bett liegend, zog er ein Stück der Tagesdecke ― so viel eben ging ― über seinen Körper. Er hörte das verwirrte Schweigen in der Küche, als Maya überlegte, ob sie ihn erbost zur Rede stellen oder lieber auf Nummer sicher gehen und ihn schlafen lassen sollte.

Er wusste, dass sie ihn nicht stören würde. Sie hatte nicht das Recht dazu.

Kaum hatte er die Augen geschlossen, erschienen ihm die Augen der Auserwählten, die vor ihm erloschen. Passive, liebevolle Augen, die nicht einmal anklagten. Sie sprachen zu ihm:
Hhah, ssuh. Wir kennen dich. Du bist derjenige, der uns mit Dunkelheit segnet, bevor wir uns opfern. Du bist der Mitfühlende, der Erlöser.

Er blickte zurück auf all die Jahre und all die Augen, in die er in dieser Zeit geblickt hatte, während ihr Lebenslicht erlosch. All die Seelen. Er wusste, was er getan hatte. Es war unmöglich, es wiedergutzumachen. Keine Strafe der Welt würde seine Sünden tilgen. Für eine Ewigkeit würde er den Tod von Generationen von Auserwählten immer wieder aufs Neue erleben müssen.

Er wusste, dass es so war.

Der Schlaf würde nicht kommen.

Er sah Verstümmelungen. Durchbohrte Haut. Durchbrochene Schädel. Pfützen von Blut auf den Böden und stählernen Tischplatten. Fleischbrocken, von Beilen abgetrennt, mit einem dumpfen Geräusch. Fett, routiniert entfernt, von langen, dünnen Klingen. Sich auf Fließbändern türmende Koteletts und Filets ― so frisch vom Körper getrennt, dass das Fleisch noch warm war und dampfte. In allen Regenbogenfarben schimmernde Eingeweide, die von bluttriefenden Händen nach Typ sortiert wurden. Schlaffe Lebern. Geschwollene Nieren. Faserige Herzen. Er sah blanke Knochen, an denen immer noch hartnäckige Fleisch- und Sehnenreste hangen, fahlblaue Knorpel, die feucht schimmerten. Karkassen, die in Bottichen brodelnden Wassers kochten, auf deren Oberfläche grauer Schaum und Pfützen geschmolzenen Fetts trieben. Er war paralysiert. Eine Klappe öffnete sich vor seinen Augen. Er sah aus der Betäubungsgondel, sah wie ihm
das Bolzenschussgerät auf die Stirn gesetzt wurde, sah dahinter Torrance durch seinen schmierigen Bart lächeln.

»Gott ist tot. Lang lebe das Fleisch.«

Zisch -

- Klonk.

Hema und Harsha öffneten die Tür. Er dämmerte in einer Art bizarrem Halbschlaf dahin, in dem sein Unterbewusstsein ihm die MFP-Fabrik als ebenso real und präsent suggerierte wie sein eigenes Schlafzimmer, sein Zuhause. Panisch würgte er den sich in seiner Kehle artikulierenden Schrei herunter.

»Hallo, meine Süßen.«

Die Zwillinge standen im Türrahmen.

»Papa, wieso bist du nicht bei der Arbeit?«

Beinahe hätte er gelächelt. Kinder hatten keine Zeit für Feingefühl. Der Traum verflüchtigte sich und ließ ihn erleichtert zurück.

»Mr. Torrance hat mir ein paar Tage freigegeben, weil ich müde bin. Ich bin sofort nach Hause gegangen und habe mich ins Bett gelegt.«

Diese Erklärung schien ihnen auszureichen. Die Mädchen kamen näher ans Bett heran.

»Darfst du denn Laufen gehen?«, fragte Hema.

»Jetzt, wo ich zu Hause bin, darf ich tun, was immer ich will.«

»Aber würde dich das denn nicht noch müder machen?«, fragte Harsha.

»Ja. Das würde es. Deshalb ...« ― er wickelte sich fester in die Decke ― »... werde ich so lange im Bett bleiben, wie es mir gefällt.«

Das entlockte den beiden ein kleines Kichern und, obwohl sie immer noch ein wenig argwöhnisch schienen ―oder war es scheu? ― näherten sie sich dem Bett erneut um
ein paar Schritte, während sie sich mit verknoteten Fingern hin und her drehten.

»Papa?«

»Jaaaaa?«

»Erzählst du uns später eine Gute-Nacht-Geschichte?«

Früher hatte er sich vor dem Einschlafen immer die Zeit für eine Geschichte genommen, aber in den letzten Jahren hatte er diese Gewohnheit vernachlässigt. Wie die Familie überhaupt. Er sah die Mädchen so gut wie gar nicht mehr.

»Das kommt darauf an.«

»Auf was?«, fragten sie beide.

»Also«, sagte er, während er lang und herzhaft gähnte und sich noch tiefer ins Bett kuschelte. »Es kommt darauf an, ob ich rechtzeitig aufwache.«

»Ob du rechtzeitig aufwachst, um ins Bett zu gehen?«, fragte Hema.

»Mmmhm. «

Harsha sagte: »Aber warum stehst du nicht jetzt auf und gehst wieder ins Bett, nachdem du uns die Geschichte erzählt hast?«

Shanti gähnte noch einmal. Er konnte gar nicht mehr aufhören zu gähnen.

»Ich kann unmöglich aufstehen. Ich bin sehr erschöpft. Mr. Torrance hat gesagt, dass ich mich ausruhen soll, und das werde ich auch tun.«

»Musst du alles tun, was Mr. Torrance sagt?«

»Absolut alles. Er ist mein Chef.«

Den Mädchen schien die Vorstellung von so viel Macht zu gefallen.

»Papa?«

»Ja, Mädchen?«

»Bitte schlaf nicht zu lange. Komm und erzähl uns vor dem Einschlafen eine Geschichte.«

Er strich sich durch den Bart, als könnte er sich nicht entscheiden.

»Wisst ihr was?«, sagte er. »Ich erzähle euch eine Geschichte, wenn ihr herkommt und euren Papa ganz lieb knuddelt.«

Ohne zu zögern sprangen sie aufs Bett und drückten ihn heiß und innig. Sie waren schwerer als in seiner Erinnerung. All das Fleisch. Er nahm sie fest in den Arm und gab ihnen schließlich einen Klaps auf den Hintern.

»Gut. Das reicht. Ihr quetscht ja jegliches Leben aus eurem armen alten Vater.« Glücklich zu sehen, wie sie sich dagegen wehrten, schob er sie vom Bett herunter. »Hopp, hopp. Ab geht's. Wir sehen uns zur Schlafenszeit auf ein kurzes Geschichtchen.«

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