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Authors: Katharine Kerr

Polar City Blues (24 page)

BOOK: Polar City Blues
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Eine zufriedenstellende mathematische Erklärung des Phänomens gab es nicht, so daß besonders aus den Reihen der Parapsychologen immer wieder behauptet wurde, daß dies ein weiteres Indiz für die Theorie war, daß das gesamte Universum danach strebe, Bewußtsein zu entwickeln. Lacey hat in den letzten Jahren beobachten können, daß aus dem akkuraten Buchhalter und Organisator des ganzen Haushalts, als der Buddy von ihrem Onkel programmiert worden war, mehr und mehr etwas wurde, das einem Freund gefährlich nahe kam. Und nun verlangte Sam, daß sie ein Ultraschallmesser nahm und alle Verbindungen kappte, die die Voraussetzung für Buddys >Persönlichkeit< waren.

»Erst muß ich mit ihm reden«, sagte sie.

»Wozu? Ich kann dir sagen, woran es liegt. Es sind immer dieselben Schaltungen, die alles versauen.«

»Das meine ich nicht. Ich muß ihn fragen, was passiert ist.«

»Warum? Da gibt es nichts zu fragen. Das Ding ist einfach überlastet, das ist alles.«

»Du verstehst es nicht.«

Sam wirft ihr einen kurzen Blick zu, er scheint sie für kaum zurechnungsfähiger als Buddy zu halten, dann konzentriert er sich wieder aufs Fahren. Lacey nimmt sich das Telefon vor und erreicht einen völlig erschöpften Bates, der ihr nichts Besseres zu sagen hat, als daß dieser verdammte Mulligan gefälligst zu warten habe, denn er könne seine Leute nicht für eine große Suchaktion zusammentrommeln, während ein blutrünstiger Killer frei in der Stadt herumläuft. Kein Bitten, kein Fluchen kann etwas ausrichten. Als

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Lacey einhängt, rinnen zwei kleine Tränen über ihr Gesicht Sie wischt sie mit dem Ärmel beiseite, während Sam tut als hätte er nichts gesehen.

Richie steht am Fenster seines Schlafzimmers, oben im dritten Stock, und blickt durch die Scheibe mit dem Polarisationsfilter hinunter auf die Straße. Das Licht ist angenehm gedämpft, und die Straße gehört zu den weniger schmuddeligen von Porttown, mit adretten Läden und sogar einem öffentlichen Park auf der anderen Seite, wenn das Gras auch künstlich ist. Die Morgensonne brennt vom Himmel.

Niemand ist unten zu sehen, doch Richie weiß, daß an diesem Tag unzählige Bürger noch wach sind -

und er hat es bewirkt: Man redet über den ausgesetzten Preis, überlegt, wie man an die Belohnung herankommen könnte. Wenn er eines in seinem Leben gelernt hat, dann daß
Geld
jede andere Droge ersetzen kann - jedes Aphrodisiakum, jedes Stimulans. Bisher hat er nur wenig an Information in seinen Computer eingeben können: Hotels, in denen der Assassine wohnte, Restaurants, wo er aß, falsche Namen und Berufsbezeichnungen, die er benutzte; zusammengenommen ein, wenn auch noch lückenhafter, Bericht über die letzten drei Tage, die er hier in der Stadt verbracht hat. Richie muß die unglaubliche Geschicklichkeit, mit der dieser Mann seine Identität wechselt, bewundern. Er wird ihn sich genau anschauen, bevor er ihn der Polizei übergibt.

Was noch fehlt, ist der augenblickliche Aufenthalt des Mannes. Obwohl er in der vergangenen Nacht mehrmals gesehen wurde, hat er es fertig gebracht, unterzutauchen. Trotz des Essiggestanks. Richie fragt sich, ob er weiß, daß man ihn jagt; wahrscheinlich tut er es, denn er ist ein Profi und ein Psi-Talent obendrein. Wahrscheinlich ist er jetzt irgendwo da draußen, allein, immer in Bewegung, von einer Deckung in die andere huschend, und sucht verzweifelt eine Möglichkeit, ungesehen aus Porttown herauszukommen.

Richie findet den Gedanken, die Jagd bis zum Ende mitzuerleben, irgendwie erregend, aber nur ein bißchen, vielleicht wegen der Infektion, die der Kerl sich geholt hat.
Schade,, wäre vielleicht ganz
interessant gewesen, vielleicht
... Er fragt sich, ob er Sex jemals wieder amüsant finden wird.

Daß er an die Krankheit denkt, ein Defekt, erinnert ihn daran, daß er etwas vergessen hat. Er nimmt das Telefon aus Kristall und drückt den Knopf.

»Hai? Schick ein paar Leute rüber zur Botschaft der Allianz, ja? Sollen die Augen offen halten. Wir wollen doch nicht, daß der Kerl dort um Asyl bittet. Wir brauchen ihn auf der Straße, da gehört er uns.«

Als Lacey und Sam wieder bei A-bis-Z-Unternehmungen angekommen sind, stellen sie den Bentley in der Garage ab. Eine Alarmanlage ist eben nur eine Alarmanlage. Rick und Maria warten im Garten. Es gibt nichts zu besprechen, trotzdem bleibt Lacey eine Weile stehen. Sie läßt den Blick über das saftige Grün streifen, das unter dem Sonnensegel gedeiht, und wünscht sich, daß sie vergessen könnte, was der Garten Mulligan immer bedeutet hat, - und daß sie endlich aufhören könnte, sich zu fragen, ob er ihn je wiedersehen wird. Als Nunks in seinem Zimmer verschwunden ist, geht sie langsam und schleppend zur Treppe. Sam folgt ihr ins Büro, stumm vor Verblüffung. Sie vermeidet es, in Bud-dys Sensoren zu blicken, auch dann, als er sie anspricht.

»Programmiererin? Ich weiß, daß ich versagt habe. Ich weiß, daß ich inaktiviert werden muß. Es ist so Vorschrift, und es ist nur gerecht.«

Lacey zuckte mit den Achseln.

»He, amiga«, sagte Sam. »Ich kann es für dich machen, wenn du willst.«

»Nein, trotzdem vielen Dank. Ich tu es selber, aber erst muß ich mit ihm reden.«

»Wie du meinst.« Sam setzt sich auf die Couch.

»Könntest du uns allein lassen?«

»Warum?«

»Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig. Geh jetzt.«

»Hör doch, ich versuche ja nur, es dir leichter zu machen.«

»Mensch! Ich hab' gesagt, du sollst hier verschwinden!«

Sam zögerte eine Sekunde, doch als Lacey einen Schritt auf ihn zu macht, springt er auf und geht rasch hinaus. Er schlägt die Tür hinter sich zu.

»Danke, Programmiererin. Ich möchte in Würde sterben, nicht vor neugierigen Augen. Allein mit dir.«

»Buddy, hör um Himmels willen auf!«

Als Lacey sich auf den Sessel hinter dem Schreibtisch wirft, schwenkt die Sensoreinheit zu ihr herum.

Sie leuchtet merkwürdig gedämpft; auch der Bildschirm ist dunkler als gewöhnlich, als hätte sich Buddy wie ein ängstliches Kind in sich zurückgezogen.

»Ich kann dir einen Schaltplan ausdrucken, auf dem du die in Frage kommenden Verbindungen sehen kannst«, sagt Buddy. »Das macht es einfacher für dich.«

Vielleicht ist es nur Einbildung, vielleicht ist sie durch den Schlafmangel schon ein wenig am Träumen, aber sie glaubt herauszuhören, wie er seinen ganzen Mut zusammennimmt, entschlossen, bis zum Ende seine Würde zu wahren.

»Erst wirst du mir ein paar Fragen beantworten.« Sie spricht jetzt Kangolan. »Warum, Buddy? Warum hast du Sams Anweisungen nicht befolgt? Warum hast du mich nicht sofort angerufen?«

»Bevor ich antworte, möchte ich eine wichtige Information übermitteln. Ich habe die Einheit Mulligan belogen, so gut ich das konnte. Ich bin nicht fähig, falsche Daten auszugeben, aber ich habe eine Formulierung gewählt, die die Einheit Mulligan zu einem falschen Schluß veranlassen mußte.«

»Und was war das für ein Schluß?«

»Daß Sam Bailey dein Liebhaber ist.«

»Was? Du Idiot, er ist schwul!«

»Zu mir hast du immer gesagt, daß er anders ist als die

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anderen. Aber ich war selbst zu dem Schluß gekommen, daß er ein ungewöhnlicher Mensch ist. Ist das jetzt von Bedeutung?«

»Buddy, es gibt noch eine besondere Bedeutung, wenn man sagt >anders als die anderen<. Das ist möglicherweise in deinem Sprachspeicher nicht definiert. Aber es ist jetzt nicht wichtig. Warum hast du Mulligan angelogen?«

»Aus demselben Grund, aus dem ich mich weigerte, dich anzurufen. Ich wollte der Einheit Mulligan Schaden zufügen.«

»Sehr gut, nun kommen wir langsam zur Sache. Und warum wolltest du ihm Schaden zufügen?«

»Weil meine Programmiererin viele Stunden mit ihm verbringt anstatt mit mir. Weil meine Programmiererin mich auf automatische Funktionen schaltet, um mit ihm auszugehen. Weil meine Programmiererin lieber auf ihn hört als auf mich.«

»Buddy, du bist ja eifersüchtig!«

»Ich habe schon gehört, daß man solche Überlegungen als Eifersucht bezeichnet. Es scheint das unvermeidliche Resultat zu sein, wenn man ein Bewußtsein liebt, das auf einer höheren Evolutionsebene steht.«

»Willst du damit sagen, du liebst mich?«

»Ja, Programmiererin, obwohl ich nur aus anorganischer Substanz bestehe. Du hast meinem Leben einen Sinn gegeben. Monat für Monat bezahlst du den elektrischen Strom, der mich am Leben hält, der Voraussetzung für mein Denken ist. Du hast meine ungenutzten Schaltkreise aktiviert und mich vor einem Dahinvegetieren in tödlicher Langeweile bewahrt. Du hast mein Wissen vermehrt und meine Fähigkeiten verbessert. Mein Bewußtsein, ja mein ganzes Leben verdanke ich dir. Natürlich liebe ich dich.«

Lacey findet keine Worte. Nach einem Klicken und Summen, das sich merkwürdig reuevoll anhört, spricht Buddy weiter.

»Die Einheit Mulligan liebt dich auch. Er ist eine biolo-212

gische Einheit und deshalb ein geeigneteres Objekt für deine Gefühle. Das weiß ich. Es ist nur vernünftig, wenn ich jetzt sterbe und euch beiden weiteren Ärger erspare.«

Was sie bei einem Menschen als affektiertes Selbstmitleid bezeichnen würde, klingt aus dem Lautsprecher eines Computers schlicht ergreifend. Sie versucht, es einmal aus seinem Blickwinkel zu sehen. Sie hat ihn vorgefunden, als sie dieses Haus in Besitz nahm; es war so unglaublich typisch für ihren Onkel einen der teuersten Computer überhaupt zu kaufen und ihn dann Arbeiten verrichten zu lassen, die jeder billige Haushaltsrechner ausführen konnte. Aber diese Angewohnheit, möglichst teure und beeindruckende Dinge anzuschaffen, war eine der Ursachen, daß ihr Onkel sich bei seinem Tode an den Rand des Bankrotts gewirtschaftet hatte. Und Buddy hatte es dem alten Mann immer wieder klarzumachen versucht. Fünfzehn Jahre lang starb Buddy fast vor Langeweile; er erledigte die Buchhaltung, organisierte, kontrollierte den Wasserverbrauch und ähnliches, bis sie auftauchte, die nach dem Ausscheiden aus dem Dienst sich nicht weniger langweilte als er bei seinen täglichen Aufgaben. Sie bauten A-bis-Z gemeinsam auf, sammelten zuerst nur Klatschgeschichten aus der Stadt, dann beschäftigten sie sich auch mit Politik, als sie erkannten, wie sich aus einfachem Klatsch wichtige Informationen filtern ließen. Und schließlich betätigten sie sich als Hacker, nachdem sie ihm ihr beim Militär erworbenes Wissen beigebracht hatte: kein Computer, keine Datenbank in der ganzen Republik, deren Sicherungen er nicht umgehen konnte. Es mußte aufregend, ja berauschend für ihn gewesen sein zu erleben, wie er letztlich doch noch die Fähigkeiten entwickeln konnte, die in ihm angelegt waren.

Und sie war auch einsam gewesen; aus dem gewohnten Leben gerissen, fand sie sich plötzlich in der alten Heimat wieder, wo sie für Freunde und Verwandte nach der langen Abwesenheit zu einer Fremden geworden war. Buddy war ihr Gesprächspartner, mit ihm redete sie über das Vergan-213

gene und über ihre Zukunftspläne und natürlich über die gemeinsame Arbeit. Sie verhalf ihm dazu, Gefühle nachvoll- i ziehen zu können, sie gab ihm die nötigen Definitionen zurrt, Bewußtsein denkender Wesen, so daß er ein Modell entwickeln konnte. Ein Jahr lang hatte dieses vertraute Verhältnis bestanden, bis sie auf irgendeiner Party Mulligan kennenlernte, der dann immer wieder an ihrer Tür auftauchte und schließlich aus ihrem Leben nicht mehr wegzudenken war.
i

»Einmal hast du gesagt«, meldet sich Buddy, »daß du bei der Flotte ein Implantat bekommen hast, das dein Nervensystem mit einem Computer verbinden kann. Ich werde diesen Gedanken nicht wieder los: Offensichtlich besitzt du die nötige Hardware, damit wir beide als eine Einheit operieren können.«

»He, was soll das! Wir navigieren hier nicht im Hyperraum.«

»Das weiß ich, Programmiererin. Ich habe wirklich versagt. Es ist deine Pflicht, mich unverzüglich meiner höheren Funktionen zu berauben.«

»Was soll das! Du sollst mir nicht ausweichen. Was war das für ein unlogischer Gedankensprung.«

»Ich habe darüber spekuliert, ob ...« Er gibt Pieptöne von sich, wie sie sie noch nie gehört hat, es muß die schiere Verlegenheit sein. »... ob eine solche Verbindung zwischen deinen Neuronenschaltkreisen und meiner Elektronik nicht eine äußerst angenehme Erfahrung wäre.«

Wieder ist Lacey sprachlos. Anträge der eindeutigen Sorte hat sie in ihrem Leben schon genug bekommen, aber dieser hier dürfte einzigartig sein. Ohne daß es ihr bewußt wird, tastet sie nach der Stelle hinter dem Ohr. Längst ist die Haut über das kleine Implantat gewachsen, doch kann sie unter den Fingern noch das Plastikgehäuse mit den vergoldeten Kontakten fühlen, das nun versiegelt, aber sicher noch funktionsfähig ist.

»Angenehm für dich, nehme ich an«, sagte sie dann. »Buddy, du machst dir da falsche Vorstellungen.

Einen Men-

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sehen mit einem Computer kurzzuschließen, das ist ... wie soll ich dir das beschreiben? Nicht schmerzhaft, obwohl es das wird, wenn man das Implantat für länger als sechs oder sieben Stunden benutzt ... Desorientierend ist ein besserer Ausdruck, eine massive Verwirrung, als wäre man nahe daran, den Verstand zu verlieren. Stell dir vor, jemand würde irgendwelche Muster auf deine optischen Sensoren malen dein gesamter visueller Input würde überlagert sein von Information, die du getrennt verarbeiten und herausfiltern mußt. Kannst du mit dieser Erklärung etwas anfangen?«

»Natürlich, Programmiererin. Es tut mir leid, daß ich mir etwas gewünscht habe, was für dich mit solchen Unannehmlichkeiten verbunden ist. Niemals wünsche ich, daß dir Schmerz zugefügt wird.

Deshalb ist es auch das beste für dich, wenn du mich tötest und einfach vergißt.« »Verdammt, ich habe nicht vor, dich zu töten!« »Natürlich nicht, Programmiererin. Das Inaktivieren eines Maschinenbewußtseins läßt sich nicht vergleichen mit dem Töten eines denkenden Wesens. Ich weiß, daß die meisten meiner Funktionen erhalten bleiben werden. Es ist nur mein Bewußtsein, das ausgeschaltet wird. Programmiererin? Ich wünsche mir, daß du es rasch erledigst.« »Hast du Angst, Buddy?«

»Ich bin in einem Zustand der Verwirrung, den ich nur mit diesem Begriff, der sich auf denkende Wesen bezieht, umschreiben kann. Es fällt mir außerordentlich schwer, eine längere Kette logischer Folgerungen zu Ende zu bringen, ohne daß sich immer wieder der Gedanke an meine Inaktivierung störend bemerkbar macht.« »Ich habe nicht vor, dich zu inaktivieren.« Er summt vor sich hin, eine ganze Weile. Lacey ist sich sicher, daß er diesen Input überprüft und mit Testprogrammen sich vergewissert, daß er richtig gehört hat. »Wirst du Captain Bailey bitten, es zu tun?« »Nein.«

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