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Authors: Katharine Kerr

Polar City Blues (21 page)

BOOK: Polar City Blues
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Nichts als Neugier, höchstwahrscheinlich, während sie warteten, bis sie an der Reihe waren.

Während er wartet, daß sie verschwinden, meldet sich sein Magen, knurrt und windet sich; mit einem Mal ist er hungrig wie ein wildes Tier. Der Gedanke an Essen ist so mächtig, daß der Geruch von billigen Sojaburgern und Lizzie-Chips ihm das Wasser im Munde zusammenlaufen läßt. Er kauft an einem Kiosk zwei Sojaburger mit Sauerkraut und Senf, schlingt sie hinunter, dann bestellt er eine doppelte Portion Lizzie-Chips, mit viel Essig, um seinen eigenen Geruch zu überdecken. Er ißt die knusprigen Stäbchen aus Proteinflocken und Eierfrucht langsam, während er weitergeht; den Helm der Pelerine hat er abgenommen.

Er geht zu dem billigen Hotel, das zweite Hotel, in dem er ein Zimmer genommen und einiges seiner Ausrüstung verstaut hat. Zwar läßt er sich nichts anmerken, aber er ist sich wohl bewußt, daß man ihn anstarrt; kaum einer der Passanten, der nicht aufmerkt und irgend etwas zu flüstern hat.

Erst als er in eine Nebenstraße einbiegt, fällt sein Blick auf den Plastikkarton mit dem Essen; fast hätte er laut aufgeschrien: Das wasserfeste Plastik hat sich aufgelöst, da, wo seine Finger es berühren. Er wirft das Ganze in den nächsten Recyclingbehälter, den er findet. Als er wieder gehen will, hört er hinter sich das Rascheln eines Sonnenschutzes

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und schießt herum. Hinter ihm steht ein kleines Kind, in einer ebenso kleinen Pelerine, über und über schmutzig und zerrissen. Er kann durch die Helmscheibe das Gesicht erkennen: ernste Augen, ein enttäuschter Blick.

»Du wolltest das nicht essen?« fragt das Kind.

»»Warum? Hättest du es gern gehabt? Tut mir leid, es war verdorben. Du wärst davon krank geworden.«

»Ach so. Okay, dann natürlich nicht.«

Während Tomaso geht, überlegt er, ob er dem Kind nicht einige Münzen geben soll, aber er fürchtet, daß es sich daran anstecken könnte, was immer für eine Krankheit das auch war. Aber die enttäuschten Augen des hungrigen Kindes gehen ihm nicht aus dem Sinn, bedrängen ihn, bohren sich in sein Innerstes, bis die Erinnerung an die Schreie des kleinen Jungen wieder auftaucht, der mit blutigen Händen an die Tür hämmert. Er dreht sich um, aber das Kind ist verschwunden. Als er sich mit der Hand über die Stirn fährt, fühlt er kalten Schweißperlen.

Im Hotel hat er Glück. Die Hintertür ist offen, niemand ist da außer einem Roboter, der Kisten mit Papierservietten auf einen Rollwagen lädt. Er huscht vorbei, gelangt auf die Feuertreppe und erreicht sein Zimmer, ohne daß ihn jemand sieht. Zwar hat er die Codekarte für das Türschloß beim Portier gelassen, als er das Hotel verließ, doch hat er ein Duplikat zur Hand, das er sich verbotenerweise mit einem ebenso verbotenen Maschinchen angefertigt hat; so kann er jederzeit sein Zimmer betreten, ohne sich beim Portier zu melden. Er schließt die Tür hinter sich ab, dreht sich um ... und bemerkt, daß das Zimmer durchsucht worden ist. Fast schon professionell, alles ist wieder an seinem Ort, und auch für eine gleichmäßige dünne Staubschicht über allem wurde gesorgt. Aber er hat ein zerknittertes Stückchen Transparentfolie oben auf seine Reisetasche gelegt, wie ein vergessenes Stückchen Abfall -

und nun liegt es auf dem Fußboden. Das haben diese cleveren Amateure übersehen. Er überprüft seine Sachen, nichts fehlt, und ohnehin läßt

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er nie etwas Verräterisches wie Waffen oder falsche Papiere in seinem Hotelgepäck. Gut möglich, daß die Eindringlinge zu dem Schluß kamen, daß der Gast in diesem Zimmer keineswegs der Mann war, den sie suchten - wenn sie überhaupt nach
ihm
gesucht haben und nicht nach irgendeinem
Dealer, der mit dem Stoff oder dem Geld abgehauen war, oder einem Trickbetrüger, der sich außerhalb seines Reviers zu schaffen machte. Inzwischen ist der Geruch nach Essig in dem kleinen Raum so stark geworden, daß er wieder duschen muß. Als er die Seife abspült, lösen sich auch alle Körperhaare unter dem Wasserstrahl. Er sieht das dicke Büschel im Abfluß und würde am liebsten aufschreien.

Wieder zieht er sich um; unauffällige Jeans, ein weites ; Hemd. Das richtige für die Stadt, wenn er sich nach Mulligan umschauen wird, denn er muß die einzige Person, die ihn noch identifizieren könnte, töten - wenn dieser Psi-Amateur überhaupt die Sperre durchdringen kann, die Tomaso in seinem Bewußtsein errichtet hat. Er zweifelt daran, aber er will es nicht darauf ankommen lassen. Dann wird er zum Rattennest zurückehren, um dieses weibliche Alien zu erledigen, und seine Arbeit hier war getan. Er überlegt, ob er seine drei zahmen Irren auf die Fremde hetzen kann - er könnte ihnen sagen, sie sei die Frau des Teufels ,aber sicherer wäre es, wenn er die Sache selber zu Ende brächte.

Gerade hat er die Stiefel angezogen und das Messer in die Scheide geschoben, innen im Schaft des linken Stiefels, als es an die Tür klopft. »Mister Svensen«, ruft es laut, das ist? der Name, unter dem er sich eingetragen hat. Ohne jedes Geräusch steht Tomaso auf, stellt sich hinter die Tür, zieht den linken Fuß kurz an und holt das Messer hervor, während es zum zweiten Mal klopft. Einen Augenblick bleibt es still, dann hört man, wie eine Codekarte in das Schloß gesteckt wird. Tomaso wartet, wie zu Stein geworden, bis die Tür aufschwingt und ein junger Schwarzer wie selbstverständlich hereinspaziert, gefolgt von einem Putzroboter.

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Von hinten schiebt sich Tomaso heran, reißt ihn mit dem rechten Arm an sich und durchschneidet mit der linken die Kehle, von rechts nach links. Der Mann fällt zu Boden, und der Roboter rollt eifrig herbei, um sich ans Aufwischen zu machen. Tomaso drückt den Ausschaltknopf.

Einen winzigen Augenblick lang drängt es ihn, die Hände in das Blut des Mannes zu tauchen und sich damit zu beschmieren. Der Zwang ist so stark, der Gedanke so abstoßend, daß er zu würgen beginnt.

Rasch dreht er sich um, um die Leiche nicht mehr ansehen zu müssen. Er steht da, atmet schwer, der Herzschlag dröhnt in seinen Ohren, und nun empfängt er wieder dieses Signal: Der Fresser ist es, der das Blut möchte. Nicht nur darin suhlen will sich das unersättliche Wesen, es scheint auch zu glauben, daß das Blut ihm zusteht, daß Tomaso es ihm böswillig vorenthalten möchte. Die Sojaburger und Lizziechips, die er auf dem Weg hierher gegessen hat, drohen wieder ans Tageslicht zu kommen. Er atmet tief, ganz ruhig, zwingt sich, an nichts sonst als das friedliche Bild des Nachthimmels über Arden, seinem Heimatplaneten, zu denken. Der Magen beruhigt sich wieder. Er hat sich nun in der Gewalt, aber er muß dieses Zimmer schnell verlassen.

In dem kleinen Spiegel über der Kommode überprüft er sorgfältig seine Kleidung: nur ein kleiner Blutspritzer am linken Hosenaufschlag. Unter dem Sonnenschutz wird es nicht zu sehen sein. Als Linkshänder ist man in seinem Gewerbe im Vorteil; und wenn er von hinten zuschlägt, dann ergibt das für die Polizei ein völlig falsches Bild vom Tathergang. Und wenn sie genug irrigen Annahmen über den Täter nachgehen muß, dann kann sie nur langsam zum Ziel kommen, zu langsam und zu spät. Er wischt das Messer am Bettüberwurf sauber, nimmt die Sonnenpelerine, vergewissert sich, daß die Laserpistole in dem versteckten Halfter ist, und geht. Das Gepäck läßt er zurück, er wird nicht wiederkommen. Er hat noch einiges an Kleidung in einem Schließfach am Hauptbahnhof, wo die Schwebezüge abfahren, zusam-187

men mit einem zerlegten Lasergewehr, das als Holofilmausrüstung getarnt ist. Und auch genug Geld, um sich neu einkleiden zu können, wenn es nötig sein sollte.

Doch als er die fast menschenleeren Gehwege entlangeilt, wird ihm allmählich bewußt, daß es zu gefährlich ist, in einen Laden zu treten und einen Verkäufer anzusprechen. Zwar ertappt er niemanden dabei, aber nicht nur seine Psi-Wahrnehmungen, auch sein gesunder Menschenverstand sagen ihm, daß jedermann ihn heimlich anstarrt, wo immer er geht: aus dem einfachen Grund, daß die Morgenhitze ihn stinken läßt wie ein ganzes Faß verdorbenen Essigs.

Das Verjüngungsmittel hält den >Bürgermeister< von Porttown im Körper eines Zwanzigjährigen gefangen ein gutaussehender Zwanzigjähriger, trotz der weißen Haut, mit blondem Haar und blauen Augen, die so unschuldig blicken wie die eines jungen Tiers. Er ist auch sehr schlank und beweglich wie ein Junge. Mit übergeschlagenen Beinen sitzt er auf einem riesigen blaßblauen Diwan zwischen Stapeln von grauen und violetten Seidenkissen. Alles in diesem >Amtszimmer<, das Büro seiner Suite über dem Bordell, dessen Besitzer er ist, zeugt von seinem Geschmack - davon, daß Geld wirklich keine Rolle spielt. Ölbilder, die von der guten alten« Erde stammten (ein Matisse, unter anderem, dazu der letzte erhaltene Frank Stella in Privatbesitz), blaue und grüne Teppiche vom Heimatplaneten der Carli aus der Zeit, bevor sie überhaupt Raumfahrt betrieben. Er hat darauf bestanden, Lacey in ein Glas aus geschliffenem Bleikristall einen Brandy einzugießen, und hält selbst ein Glas in der Hand.

Sein Lächeln ist eine seltsame Mischung aus Stolz und Trotzigkeit, als wolle er sie dazu herausfordern, eine Bemerkung zu seinem Reichtum oder der Art und Weise, wie er erworben wurde, zu machen. Sie kennt dieses Spiel inzwischen gut genug, sie nimmt einen kräftigen Schluck, als wäre es einfaches Bier: Es funktioniert, er bricht das Schweigen als erster.

»Wieviel haben meine Wachen dir abgeknöpft, um dich vorzulassen?«

. »Ach, vielleicht hundert Gramm Sarah-Haschisch, ein wenig hier, ein bißchen dort.«

»Willst du es wiederhaben?«

»Nein. Ein guter Witz: Ich hab's von der Polizei, ganz umsonst; hab' ihnen gesagt, ich brauchte es, um Informanten zu bezahlen.«

Ein unglaubliches Lächeln, so bemessen, daß sich die

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Haut um die Augen haargenau in die richtigen Fältchen legt. Ein Lächeln, so daß man sich leicht vorstellen kann, wie reihe alte Männer ihm Bündel von Scheinen in den Schoß werfen, damit er nicht aufhört.

»Also gut«, sagt er. »Ich habe schon gehört, daß du neuerdings für die Polizei arbeitest.«

»Mit
der Polizei, mein Bester, nicht
für
sie, vergiß das bloß nicht.«

»Ach so? Dann muß hier wirklich etwas am Kochen sein.«

»Sag
mir, Richie, was hältst du davon, wenn Porttown unter Kriegsrecht gestellt wird, an jeder Ecke Soldaten herumstehen und ein Aufklärungssatellit im Orbit alles aufnimmt bis hin zum Rauschen der Klospülung?«

Die Augen des Jungen weiten sich, die weichen Lippen schürzen sich zu einem »Oh«.

»Spar dir deine Ironie«, schimpft Lacey. »Glaubst du, daß ich dir was vormache?«

Richie nimmt einen Schluck. Lacey tut es ihm nach und I wartet. Wenn sie wartet, kann sie ihn immer aus seiner
Reserve
locken. Aber es tut weh, ihn so anschauen zu müssen, so jung, wie er zu sein scheint, denn das erinnert sie an eine Zeit, als er noch jünger war, neun Jahre genau ... das Kind, das sich bemüht, nicht zu weinen, und doch kommen ihm die Tränen, als sie an Bord des Flottenschiffes geht. Bald komme ich wieder, Richie<, ein leeres Versprechen,
denn
natürlich gab es wenig später den nächsten Krieg, um Übergriffe an den Grenzen der Republik abzuwehren. Und es dauerte fünf lange Jahre, bis sie den jüngeren Bruder wiedersah, ihren kleinen Bruder, der er immer noch für sie ist.

Noch heute fragt sie sich, nach all den Jahren, ob sein Leben vielleicht ganz anders verlaufen wäre, wenn sie zu Hause geblieben wäre, anstatt zur Flotte zu gehen, denn sie war immer die einzige in der Familie gewesen, die mit ihm umgehen konnte, der er Vertrauen und Respekt entgegenbrachte. Das Versagen des Vaters, seine mangelnde Fürsorge, sein schlechtes Vorbild als ewig schäbiger Ganove, das hatte ihr

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Selbstbewußtsein tief verletzt; es konnte nicht anders sein, als daß es den einzigen Sohn noch viel härter treffen mußte. Vielleicht hätte sie das damals erkennen müssen, aber schließlich war sie erst siebzehn - und immer noch nur zweiundzwanzig, als sie zurückkehrte, um ihn schließlich in der hintersten Ecke des Basars zu finden, wo er sich prostituierte. Das junge, ungezähmte Tier ohne Moral, dessen unschuldige Augen sie nun anstarren.

»Okay«, sagt er schließlich. »Und sagst du auch, warum die Regierung das Kriegsrecht verhängen will?«

»Eine lange Geschichte. Hast du gehört, was mit Sally Pharis passiert ist?«

Ein lässiges Achselzucken als Antwort, aber die unruhigen Augenlider sind verräterisch. Er ist neugierig.

»Du willst mir doch nicht erzählen wollen, daß eine Sado-Nutte draufgegangen ist und so etwas von Bedeutung wäre? Kommt immer wieder vor. Wo gehobelt wird, da fallen Späne ...« Eine wohlkalkulierte Pause. »Wird in der Regel gutbezahlt, tatsächlich.«

»Ja, hat Sally auch immer gesagt.« Sie versucht es ebenfalls mit einer Pause. »Sie starb nicht daran, daß ein Freier sich etwas über die Maßen erregte.«

»Ja? Woran denn?«

»Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, aber es scheint fast, als hätten wir hier einen Profi unter uns, ein Killer, der für die Allianz arbeitet. Er hat einen Carli namens Ka Gren getötet. Hast du die Nachrichten gehört?«

»Sicher.« Die Maske hält nicht stand, Richie beugt sich ein wenig vor. »Und Sally war zur falschen Zeit am falschen Ort, nicht wahr?«

»Ja, hat ihn unmittelbar danach gesehen. Little Joe Walker hat der Polizei gesagt, daß sie ziemlich nah am Tatort war.«

»Tatort. Du redest schon wie die Polizei.«

»Paß auf, was du sagst.«

»Und du wirst mir eine kleben, wenn ich's nicht tue? Wie gewohnt? Das würdest du tun ... mit oder ohne Leibwäch-191

ter.« Sein Blick streift die Tür zum Flur. »Sie würden niemals wagen, dich anzurühren.«

»Danke.«

Dieses Mal ist das Lächeln echt, mit einem Hauch von Melancholie.

»So weit, so gut, Bobbie. Dieser Kerl hat Sally umgelegt, um sie zum Schweigen zu bringen. Was hat das mit mir zu tun?«

»Er versteckt sich wahrscheinlich im Basar. Bates muß ihn innerhalb drei Tagen finden, sonst wird die Armee hier landen. Hast du vor, dich mit ihnen anzulegen, nur um die Haut eines Dreckskerls zu retten?«

Richie lächelte, voll feiner Ironie, dann schaut er beiseite und schüttelt den Kopf. Der Gedanke amüsiert ihn.

»Nein«, sagt er schließlich. »Du hast es geschafft, gut. Also, was soll ich tun? Dir den Kopf dieses Kerls auf einem Tablett servieren?«

»Nein, lebend und in einem Stück. Bates hat ein paar Fragen an ihn, beispielsweise, wer ihn bezahlt.

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