Read Sebastian Online

Authors: Anne Bishop

Tags: #Fiction, #Fantasy, #General

Sebastian (31 page)

BOOK: Sebastian
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»Ich gehe, wenn du mit mir kommst.«
Nadia schüttelte den Kopf. »Ich kann die Landschaften in meiner Obhut nicht im Stich lassen. Nicht jetzt.«
»Mutter -«
Nadia legte ihre Hand auf Gloriannas. »Wir sind nicht die ganze Welt. Vielleicht gibt es andere Landschafferinnen in fernen Ländern, auch wenn man sie dort unter anderem Namen kennt. Ephemera ist an diesen abgelegenen Orten nicht so stark zersplittert wie hier, wo der Kampf der Dunkelheit gegen das Licht ausgefochten wurde. Wir sind nicht die ganze Welt. Sonst hätten Lee und du nicht das Land im Süden entdeckt, in dem die Kaffeebohnen wachsen.«
»Handelsschiffe bringen bereits seit vielen Jahren Kaffeebohnen in die Häfen, die sie anlaufen«, sagte Glorianna.
»Und trotzdem waren diese Bohnen in vielen Landschaften hier unbekannt. Unsere Welt ist groß, und sie ist gleichzeitig sehr klein. Wir sehen nur, was unsere Herzen aushalten können, ob wir nun in ferne Länder segeln oder unser ganzes Leben in dem Dorf verbringen, in dem wir geboren wurden. Aber die Menschen hier leben auf den Knochen des Schlachtfeldes, und die Landschafferinnen, die sich um diesen Teil Ephemeras kümmern, sind vielleicht die Einzigen, die wissen, dass die Schlacht
stattgefunden hat - und sie sind die Einzigen, die mit eigenen Augen sehen können, dass unsere Welt wieder zu einem Schlachtfeld werden wird.«
»Also wird der größte Teil Ephemeras es nie erfahren, wenn wir gewinnen. Und wenn wir verlieren …«
»Wird der Weltenfresser in der Lage sein, die Schrecken, die Er geschaffen hat, zu entfesseln und die Welt in ein dunkles Jagdgebiet verwandeln?« Nadia lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und ließ die Hände in den Schoß sinken. »Verzweiflung schuf die Wüsten.«
»Und Hoffnung die Oase. Ich kenne das Sprichwort.«
»Unsere Oase bist du, Glorianna. Ich werde auf mich aufpassen. Und du passt auf Ephemera auf.«
Unglaublich erschöpft nickte Glorianna und schob ihren Stuhl zurück. »Ich gehe.«
»Mögen die Wahrer des Lichts mit dir sein, Tochter.«
Nachdem Nadia die Küchentür aufgeschlossen hatte, schlang Glorianna die Arme um ihre Mutter und drückte sie fest an sich.
»Wir werden uns wiedersehen«, flüsterte sie.
»Du wirst immer in meinem Herzen sein. Du und Lee … und Sebastian.«
Ich bin einfach nur müde
, sagte Glorianna sich, als sie über die vertrauten Gartenwege lief und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Nur müde. Und verängstigt. So verängstigt.
Deshalb hatte sie kehrtgemacht, war zu einem bestimmten Ort in Nadias Garten zurückgelaufen und hatte eine kleine Statue in Gestalt einer sitzenden Frau mitgenommen. Sie, Lee und Sebastian hatten einmal den ganzen Sommer über Gelegenheitsarbeiten angenommen, um das Geld für die Statue zu verdienen, die sie Nadia zum Geburtstag schenken wollten. Aus diesem Grund lag die Statue ihrer Mutter am Herzen. Und weil sie ihr am Herzen lag, war sie ein machtvoller Ankerpunkt dieses Ortes.
Nadia würde nicht damit einverstanden sein, dass sie diese zusätzliche Bürde auf sich nahm. Die meisten Landschafferinnen hielten eine Hand voll Landschaften unter ihrer Obhut. Sie kümmerte sich um dreimal so viele. Und sie war dabei, diesen noch ein Dutzend hinzuzufügen. Denn wenn sie die Landschaften einmal verändert und die Grenzen und Grenzlinien verschoben hatte, wären alle Landschaften in Nadias Garten zu einer einzigen in ihrem eigenen geworden. Bis Lee noch mehr Brücken schaffen könnte, wären die Menschen an diesen Orten vom Rest Ephemeras abgeschnitten.
Aber ihre Mutter wäre in Sicherheit.
Kapitel Zwölf
Sebastian und Lynnea überquerten die Brücke, welche die Heiligen Stätten mit Nadias Heimatlandschaft verband, und traten hinaus auf eine vom Sonnenlicht überflutete Lichtung.
Sebastian riss einen Arm nach oben und blinzelte die Tränen zurück, die ihm die unerwartete Helligkeit in die Augen trieb.
»Tageslicht«, murmelte er und senkte den Arm ein wenig, damit er mit zusammengekniffenen Augen die Landschaft um sich herum betrachten konnte.
»Ja«, sagte Lynnea und blickte in den Himmel. »Es ist ein schöner Tag, auch wenn es ein wenig bewölkt ist.«
Bewölkt? Das war gar nicht hell?
Das Gesicht noch immer sicher hinter seinem Arm verborgen, schnitt er eine Grimasse. Sie klang schon so, seit sie aufgewacht waren - als ob sie beide auf verschiedenen Seiten des Bettes geschlafen hätten, anstatt einander umschlungen zu halten.
Und würdigte sie die Tatsache, dass er sich von ihr gelöst hatte, anstatt sich auf sie zu legen und den Hunger zu stillen, den sie in ihm weckte? Nein, offensichtlich tat sie das nicht.
Und wie sie seine Unterwäsche aus dem Bündel gezogen hatte, zwischen Daumen und Zeigefinger, als ob sie nicht sauber, sondern mit wer weiß was überzogen wäre - und seine Slips dann seine »Unaussprechlichen« genannt hatte. Als er sie darauf hingewiesen hatte, wie seine Unterwäsche hieß, hatte sie ihm gesagt, sie bestehe
nicht aus genug Stoff, um einen Namen zu verdienen.
Es hatte sich noch nie jemand bei ihm beschwert. Die meisten Frauen mochten den Hauch von Nichts sogar, den er unter der Hose trug.
Und sie hätte auch nichts gesagt, wenn du letzte Nacht mit ihr geschlafen hättest, anstatt dich so zimperlich und tugendhaft aufzuführen wie ein Mensch. »Ich kann nicht«, hast du gesagt. Als ob ihre Jungfräulichkeit bedeuten würde, dass sie nicht wusste, woher die Beule in deiner Hose kam. Und du hast zugelassen, dass sie sich auf ihrer Seite des Bettes zusammenrollt, ohne ihr zu erklären, dass es nicht dein Körper war, der ein Problem hat. Nicht, dass du jemals vorhättest, es zu erklären - um eurer beider willen.
Sie hatte es ihm heimgezahlt, auch wenn sie sich dessen nicht bewusst war. Nachdem sie eingeschlafen war, und er sich an sie gekuschelt hatte, entwickelten ihre Träume eine süße Erotik, die nicht annähernd weit genug ging, um den Hunger in seinem Innern zu stillen - und es hatte ihn große Anstrengung gekostet, passiver Teilnehmer zu bleiben, anstatt tiefer in den Traum einzudringen, wie er es bei so vielen anderen Frauen getan hatte, um sie an die Grenzen seiner Erfahrung zu führen, anstatt sich von den Grenzen ihrer eigenen einschränken zu lassen.
Aber er hatte es nicht getan. Weil er ihr körperlich so nahe war, konnte er dem Lockruf ihrer Träume nicht widerstehen, aber er hielt sich ganz am Rand. Weil sie unschuldig war. Weil sie in eine Landschaft gehörte, in der man die Sonne auf- und untergehen sah.
Weil der Gedanke, dass er sie nicht mehr gehen lassen würde, wenn er sie einmal gehabt hatte, ihn zu Tode ängstigte.
»Bist du noch böse auf mich?«, fragte er und ließ, jetzt da er ins Sonnenlicht blinzeln konnte, ohne das Gefühl
zu haben, dass seine Augäpfel verdampfen würden, seinen Arm ganz sinken.
»Ich bin nicht böse auf dich.«
Ihre Worte sagten das eine; ihr Tonfall etwas anderes. Sie war definitiv noch böse auf ihn. Und auf eine Art und Weise war das lustig. Trotz all seiner Erfahrung mit Frauen hatte er sich nie mit ihren Launen herumschlagen müssen. Wenn eine Frau launisch wurde, war es Zeit zu gehen und der Traumliebhaber einer anderen zu werden.
Aber menschliche Männer mussten mit den Launen der Frauen leben, und das Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr.
Sie waren verrückt.
Und er beneidete jeden Einzelnen von ihnen.
Er sah sich auf der Lichtung um. In den Heiligen Stätten war die Brücke, die in diese Landschaft führte, eine einfache Holzbrücke, die sich über den Teil eines Wassergartens spannte. Lee hatte sie als feste Einwegbrücke bezeichnet, was er zu diesem Zeitpunkt nicht verstanden hatte. Jetzt verstand er es.
In dieser Landschaft bestand die Brücke nur aus dem Raum zwischen zwei riesigen Steinen, die in der Mitte einer Lichtung standen - gerade breit genug für einen Handwagen, aber nicht für etwas Größeres. Und auf dieser Seite war sie eine Resonanzbrücke.
Weil Sebastian noch nie von einer Brücke gehört hatte, deren eine Seite fest war, während die andere eine Resonanzbrücke bildete, fragte er sich, ob dies vielleicht noch ein einzigartiger Aspekt des Talents seines Cousins war.
»Lee hat gesagt, wir sollen an der Gabelung den rechten Weg nehmen«, sagte er und führte Lynnea, die sich widerwillig an der Hand nehmen ließ, auf den Rand der Lichtung zu. »Er führt zu Tante Nadias Haus. Sie ist bestimmt schon wach.« Hoffte er zumindest.
Der Weg, der von der Lichtung fort führte, war gut zu
erkennen, aber er war sich nicht sicher, ob er die Weggabelung gefunden hätte, wäre da nicht ein Schild gewesen, das jemand an einen Baum genagelt hatte - ein einfaches Stück Holz mit einem eingeritzten Vogel.
»Besuchst du deine Tante nie?«, fragte Lynnea, in derem spröden Tonfall Tadel mitschwang.
»Drei- oder viermal im Jahr«, antwortete Sebastian gereizt, während er dem kaum erkennbaren Pfad folgte. »Aber ich bin noch nie von dieser Brücke aus zu ihr gekommen.«
Schweigend liefen sie weiter, bis der Pfad an einem Loch in der Steinmauer endete, die das Waldgebiet von Nadias Rasen und ihren Gärten trennte. Sebastian stieg über das kniehohe Mauerstück und achtete dann darauf, dass Lynnea nicht stolperte, als sie durch die Bruchstelle trat.
»Hat etwas die Mauer beschädigt?«, fragte sie besorgt.
»Soweit ich weiß nicht«, antwortete Sebastian und nahm sie wieder bei der Hand, während sie auf das Haus zuliefen. »In meiner Erinnerung hat es hier schon immer so ausgesehen.«
»Und du hast nie angeboten, die Einfassung für sie zu reparieren? Sie ist immerhin deine Tante.«
Noch ein Vergehen, das ihm vorgeworfen wurde - als ob er etwas davon verstünde, wie man Mauerwerk reparierte. Vielleicht würde Tante Nadia wissen, wie man mit beleidigten Frauen umging. Schließlich hatte sie eine Tochter, und weil sie älter und vernünftiger war, würde sie verstehen, dass er wenigstens einmal in seinem Leben das Richtige tat, wenn er nicht Lynneas Liebhaber wurde.
Die Holztür der Küche stand offen, um die frische Sommerluft hineinzulassen. Auch die Fenster waren geöffnet. Im Vergleich zum Tageslicht sah es im Haus dunkel aus, aber durch die Fliegengittertür meinte er, zwei Menschen zu erkennen, die dicht beieinander standen.
Und etwas an der Art, wie sie da standen …
»Hey-a!«, rief er. »Tante Nadia!«
Die Gestalten fuhren auseinander. Eine verschwand eilig in einen anderen Teil des Hauses.
Sebastian lief zur Küchentür und griff gerade nach dem Türknauf, als Nadia von der anderen Seite zur Tür eilte.
»Oh«, sagte sie. In ihrem Blick lag Nervosität. »Sebastian. Was für eine schöne Überraschung.«
Zumindest eine Überraschung.
»Lässt du mich rein?«, fragte Sebastian.
»Oh. Ja. Natürlich.«
Als sie den Türriegel zurückschob und aufstieß, hielt er den Blick auf ihr Gesicht gerichtet. Aber verdammt noch mal, er war eben ein Inkubus, und sie trug eben ein Sommerkleid, und es war nicht seine Schuld, dass ihre Brustwarzen keck genug waren, um sich unter dem dünnen Material so deutlich abzuzeichnen - und sie beide würden dieses Treffen durchstehen, indem sie so taten, als wüsste er nicht, dass sie nichts unter ihrem Kleid trug.
»Das ist Lynnea«, sagte Sebastian und zog sein kleines Häschen in die Küche. Vielleicht könnte sie vorschlagen, dass Nadia sich einen Mantel über das Kleid zog, schließlich war sie auch eine Frau.
»Schön dich kennen zu lernen«, sagte Nadia.
»Es ist etwas früh, um so plötzlich hereinzuplatzen...«, stammelte Lynnea.
»Unsinn. Ich war gerade dabei, das Frühstück vorzubereiten. Setzt euch. Fühlt euch wie zu Hause.«
»Kann ich helfen?«
»Du könntest -«
Ein kleiner blau-weißer Vogel flog gegen die mit einem Vorhang versehene Tür zwischen Küche und dem Nebenraum und begann zu schimpfen.
»- Sparky beschäftigen«, vollendete Nadia ihren Satz
und ging zur Tür hinüber. »Sebastian, schau nach, ob die Tür richtig zu ist.«
»Du könntest ihn immer hier drinnen lassen«, sagte Sebastian, während er sich versicherte, dass die Fliegengittertür geschlossen war.
»Wenn ich das mache, schimpft er einfach weiter, und dann steckt er die anderen an, und wir müssen schreien, damit wir einander hören können.«
»Komm«, sagte Sebastian und umfasste Lynneas Ellbogen. »Es ist sicherer, wenn du dich hinsetzt.«
»Was? Warum?« Lynnea hielt die Augen auf die Tür zum Nebenraum gerichtet, während Sebastian sie zu einem Stuhl am Küchentisch führte.
Er ließ sich auf einen anderen Stuhl fallen und sah zu, wie Nadia die Tür gerade weit genug öffnete, um dem Vogel eine Hand anzubieten, auf die er sich setzen konnte. Das Gezeter verwandelte sich in aufgeregtes Gezwitscher.
Blieb das kleine Plappermaul einfach auf Nadias Finger sitzen und sah niedlich aus? Natürlich nicht. Im selben Moment, in dem der Vogel ihn erblickte, schoss Sparky durch die Küche und landete auf Sebastians Kopf.
»Hübscher Junge«, sagte Sparky und grub seine scharfen kleinen Krallen in Sebastians Kopfhaut, während er vor- und zurücklief. Dann blieb er stehen und gab Kussgeräusche von sich.
BOOK: Sebastian
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