Zodiac (8 page)

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Authors: Robert Graysmith

Tags: #True Crime, #Murder, #Serial Killers

BOOK: Zodiac
10.9Mb size Format: txt, pdf, ePub

 

Montag, 7. Juli 1969

 

Der Corvair wurde an den Besitzer zurückgegeben, und Linda und ihr Vater übernahmen die unangenehme Arbeit, ihn zu säubern. »Überall im Wagen war Blut«, erzählte Linda, »und Dena weinte, weil sie zu ihrer Mama wollte. Es hat einem fast das Herz zerrissen.«

Dean brachte Lynch Darlenes Tagebücher, Adressbücher und Zeitungen. Der Ermittler fand einen gelben Umschlag mit einer merkwürdigen Aufschrift, deren Bedeutung sich Dean auch nicht zu erklären vermochte. Am Rand des Umschlags standen in Darlenes Handschrift die Worte »hacked«, »stuck«, »testified« und »seen«. Außerdem entdeckte Lynch einige Wortteile, die absolut sinnlos waren - »acrqu«, »acci«, »calc« und »icio«. Außerdem hatte Darlene die Wörter »on«, »by« und »at« eingekreist und das Wort »highly« durchgestrichen. Auf der Rückseite des Umschlags stand eine Telefonnummer, die, wie sich herausstellte die Nummer von Mr. Ed’s Restaurant and Drive-in war.

Es gab aber noch einige merkwürdige Details, die Lynch zu denken gaben. Darlene war noch einmal losgefahren, um Raketen zu besorgen. Als man sie fand, hatte sie weder Raketen noch Geld bei sich, um welche zu kaufen; es wurden lediglich 13 Cent in ihrer Handtasche gefunden. »Ich kann mir das nur so erklären«, erinnerte sich Lynch später, »dass sie zu Mike gefahren ist, damit er Raketen für sie kauft … Es waren ja überall Verkaufsstände aufgebaut.«

Die Polizei bekam einige Hinweise, denen zufolge es bei dem Mord an Darlene um Drogen gegangen sei; möglicherweise sei auch irgendein Hexenkult von den Virgin Islands oder eine satanische Sekte aus Vallejo im Spiel gewesen.

Ich fragte Linda, ob an diesen Vermutungen etwas dran sein könnte.

»Mit siebzehn hat sich Darlene dafür wirklich interessiert«, bestätigte sie. »Sie glaubte an Reinkarnation, Voodoo und so’n Zeug. Auf den Virgin Islands ist sie da so richtig reingeschlittert.«

»Sie war wahrscheinlich mit Leuten zusammen, die sich mit okkulten Dingen beschäftigten«, vermutete auch Carmela. »Ich denke, sie hat sich mit allerlei beknackten Leuten abgegeben, weil sie solche Dinge aufregend fand.«

»Darlene hat schon manchmal solche Sachen erwähnt«, bestätigte auch Pam. »Sie hat gemeint, dass der Kerl, der immer an der Theke saß, sich mit irgendwelchen okkulten Praktiken beschäftigen würde. Sie hat oft so merkwürdige Dinge gesagt - über Hexerei und so -, aber sie war nicht bei irgendwelchen Ritualen dabei. Wenn ihre Freunde zu ihr kamen, haben sie nur so rumgealbert - es war immer dieser Kerl mit den Paketen, der mit solchen Sachen angefangen hat. Der Typ, der auch dort war, als sie das Haus gestrichen haben.«

Ich unterhielt mich mit Bobbie Oxnam über die Zeitungsberichte, die über Darlene erschienen waren und in denen gemutmaßt wurde, dass Drogen im Spiel gewesen sein könnten.

»Diese Geschichten haben uns ziemlich wütend gemacht … Sie mag ja vielleicht hin und wieder ein bisschen Marihuana geraucht haben, aber sonst hat sie bestimmt nichts angerührt.«

»Ich glaube«, erzählte Bobbie Ramos später, »die Polizei hat mir einfach nicht die richtigen Fragen gestellt. Dieses Gerede über Drogen war doch Quatsch. Darlene war da in irgendwas reingeraten, aus dem sie nicht mehr rauskam - und darum hatte sie Angst. Ich nehme an, dass sie das alles hinter sich lassen wollte, und darum wird sich der Mörder gesagt haben: ›Ich muss sie beseitigen, sonst geht sie am Ende noch zur Polizei.‹«

Darlenes Schwester Linda hatte einen ganz konkreten Verdacht. »Das Geld für das neue Haus«, mutmaßte sie, »das ist ganz bestimmt nicht von Dean gekommen. Sie muss es für irgendwas bekommen haben, das sie mit dem Mann im weißen Auto gemacht hat. Ich fuhr sie, glaube ich, zweimal die Woche zur Bank, Crocker Citizen’s in der Georgia Street.«

Und warum trug Mike in jener Nacht drei Hosen und drei Hemden übereinander - und das in einer richtig warmen Sommernacht? Und was war mit dem fehlenden Türgriff? Dean gab an, dass der innere Türgriff an der Beifahrerseite immer da gewesen sei, und Christina bestätigte, dass der Griff noch da gewesen sei, als sie beim Haus der Familie aus dem Wagen ausstieg.

Wirklich eigenartig war jedoch, dass der fehlende Türgriff, nachdem die beiden Opfer ins Krankenhaus gebracht worden waren und die Polizei die Gegend abgeriegelt hatte, auf völlig unerklärliche Weise wieder montiert wurde.

 

 

Freitag, 11. Juli 1969

 

Mittlerweile konzentrierte sich Lynch ganz auf die Suche nach Paul, dem Barkeeper. Er besaß einen blau-weißen 56er Chevy, einen roten Pontiac und den Pick-up, den er von Dean Ferrin gekauft hatte. Paul frühstückte oft um zwei Uhr nachts, nachdem die Bars geschlossen hatten, in Terry’s Restaurant. Lynch erfuhr, dass Paul Darlene immer wieder bedrängt habe und ihr auch oft gefolgt sei. Darlene hatte angeblich »eine Höllenangst vor ihm und war nur deshalb freundlich zu ihm, damit sie ihn sich vom Leib halten konnte«, erzählte mir Lynch später. »Paul war nicht wirklich aggressiv, aber er war einer von diesen Typen, die sich nicht leicht abwimmeln lassen. Wir haben eine ganze Woche gebraucht, um ihn zu finden.« Lynch bekam schließlich den Tip, dass der Paul, den sie suchten, in einer Bar in Benicia beschäftigt sei. Sie wandten sich an Detective Sergeant Bidou in Benicia, der eine Adresse von Paul aus dem Jahr 1966 fand. Lynch und Rust suchten zuerst - ohne Erfolg - in einigen Bars in Benicia, ehe sie die alte Adresse in der »D« Street überprüften und sich mit der Hausbesitzerin unterhielten. Die Frau gab an, Paul vor etwa einem Monat gesehen zu haben. Sie beschrieb den Barkeeper als einen »rundlichen Mann mit glattem schwarzem Haar.«

Um 20 Uhr rief sie Rust im Police Department Vallejo an und berichtete ihm, dass sie ein wenig herumtelefoniert und dabei erfahren habe, dass Paul jetzt in Yountville, zwischen Napa und Lake Berryessa, lebe. Die Ermittler fuhren unverzüglich hin und trafen Paul, der inzwischen als Heizungsbauer tätig war, zu Hause an.

»Ich kenne Darlenes Freunde nicht,« betonte er ziemlich unwirsch.

»Wir wollen ja nur wissen, wo Sie am vierten Juli waren.«

»Ich war bei einem Softballspiel von einem Team, das vom Police Department in Napa gesponsert wird. Polizisten sind mir nämlich sympathisch«, fügte er schroff hinzu. »Das Spiel fing um halb elf Uhr an, und danach fuhr ich gleich nach Hause. Nach dem Mittagessen sah ich mir ein Feuerwerk der Veteranen an. Um sieben war ich wieder zu Hause, und da blieb ich dann auch.«

Pauls Frau bestätigte seine Angaben.

Lynch war ziemlich enttäuscht. Einer seiner Kollegen erzählte mir später: »Die Ermittlungen schienen sich zuerst ganz auf diesen Kerl zu konzentrieren. Wir waren praktisch alle hinter diesem Paul her. Der Mann hatte sogar einmal im Elk’s Club in Blue Rock Springs gearbeitet. Aber wir überprüften sein Alibi - es war absolut wasserdicht.«

 
 

Mike nahm sich eine kleine Wohnung, sein »Versteck«, wie er es nannte, färbte sich die Haare rot und wurde zur weiteren Behandlung seines Armes und Beines regelmäßig von seinem Vater ins Krankenhaus gefahren und wieder abgeholt. Später zog er zu seiner Mutter und seinem Bruder nach Südkalifornien.

»Wir waren uns alle einig«, erzählte mir Carmela später mit Schaudern, »dass Mike gewusst haben muss, wer der Mörder war - sonst wäre er wohl nicht so einfach abgehauen. Und
sie
wird ihn wohl auch gekannt haben.«

Lynch fragte Mike schließlich, warum er so viele Lagen Kleidung übereinander getragen hatte. »Er sagte«, erzählte mir Lynch, »dass er sich geschämt habe, weil er so dünn war. Er zog so viel an, damit er kräftiger aussah.«

»Ziemlich unbequem am vierten Juli«, sagte ich.

Aber was war mit dem fehlenden Türgriff, der plötzlich auf so eigentümliche Weise an seinen Platz zurückgekehrt war, nachdem die Polizei den Wagen in Gewahrsam genommen hatte? Es deutete einiges darauf hin, dass der Mörder Polizist war, oder zumindest jemand, der irgendwie mit der Polizei zu tun hatte, damit er in der Lage sein konnte, den Türgriff wieder zu montieren. Da fiel mir die Nachricht ein, die Rust den Kriminaltechnikern übermittelt hatte: »Sucht im Bereich des Türgriffs nach weiteren Kugeln.« Die Techniker taten das und montierten danach wahrscheinlich, ohne zu überlegen, den Griff, nachdem sie ihn vielleicht unter dem Vordersitz gefunden hatten, wo ihn der Mörder liegen gelassen haben könnte.

Später besuchte Jack Mulanax, der energische breitschultrige Polizist, der den Fall Ferrin übernehmen sollte, der viel größer wurde als sich irgendjemand hätte träumen lassen, sogar Darlenes ersten Ehemann in Santa Cruz auf, um ihm auf den Zahn zu fühlen. »Der Typ ist ziemlich klein. Ich war mir sicher, dass er nicht der Mörder sein kann«, erzählte er mir.

Rust und Lynch setzten sich mit Linda zusammen, um eine Skizze von dem Mann anzufertigen, der damals beim Streichen des Hauses dabei gewesen war. »Ich saß bei der Polizei, und der Zeichner machte die Skizze nach meinen Angaben. Das hat ein paar Stunden gedauert«, erzählte sie mir. »Danach legten sie mir eine lange Liste von Namen vor, und ich musste diejenigen einkreisen, die ich an dem Tag gesehen hatte, als sie das Haus strichen. Der Einzige, dessen Namen niemand kannte, war der Typ im Anzug. Nach diesem Tag damals in Terry’s Restaurant habe ich ihn auch nie wieder gesehen.«

 
 

Der Umschlag, der bald danach beim
San Francisco Chronicle
eintraf, trug den Poststempel von San Francisco und war mit zwei Sechs-Cent-Roosevelt-Briefmarken versehen, die übereinander aufgeklebt waren. Der Brief im Umschlag, der in einer Handschrift mit kleinen, eng aneinander gefügten Buchstaben geschrieben war, strahlte etwas Bedrohliches aus. Dem Brief beigefügt war ein Drittel eines sauber geschriebenen Geheimtextes, der sich aus merkwürdigen Symbolen zusammensetzte.

In dem Brief, der an den Chefredakteur gerichtet war, bekannte sich der Schreiber zu den Morden an David, Betty Lou und Darlene.

 

3

 

Zodiac

 

Freitag, 1. August 1969

 

In der Redaktion des
San Francisco Chronicle
setzte ich mich um 10 Uhr mit den beiden Leitartiklern Temp Peck und Al Hyman und dem Herausgeber der Zeitung Charles deYoung Theiriot zur Redaktionssitzung zusammen. Wir trafen uns jeden Vormittag, um die Nachrichten zu diskutieren und zu beschließen, womit sich die Leitartikel beschäftigen sollten. Mein Job war es, Zeitungen durchzublättern und sechs Karikaturentwürfe zu zeichnen, von denen die anderen einen auswählen würden. Diese Karikatur zeichnete ich dann mit Tusche ins Reine, sodass sie in der nächsten Ausgabe der Zeitung erscheinen konnte.

In dieser Redaktionsstube bekamen wir den ersten Brief des Mörders von Vallejo in die Hände, der nur mit einem Kreuz in einem Kreis unterzeichnet war. Der Mörder hatte außerdem einen Geheimtext beigefügt, der sich aus rätselhaften Zeichen zusammensetzte.

Schon seit 200 Jahren haben immer wieder Schriftsteller und Künstler in ihren Werken versucht, wahre Kriminalfälle zu lösen. Herausragende Beispiele dafür sind Edgar Allen Poe (»The Mystery of Marie Roget«), Mary Roberts Rhinehart (»First Mate Bram Murder Case«), Sir Arthur Conan Doyle oder Agatha Christie, die maßgeblich daran beteiligt war, dass ein Giftmord aufgeklärt werden konnte. Oscar Wilde und der britische Maler Walter Sickert behaupteten beide, die wahre Identität von Jack the Ripper zu kennen. Wilde streute in sein »Picture of Dorian Gray« verschiedene Hinweise ein und Sickert wies in einigen makabren Gemälden ebenfalls in verschiedenen verborgenen Details auf den Mörder hin. Für kurze Zeit zählte Sickert sogar selbst zu den Verdächtigen.

All das hatte ich im Hinterkopf, als ich die kleinen Buchstaben der Nachricht betrachtete. Verschiedenste Gefühle durchströmten mich, vor allem aber empfand ich Wut angesichts der Kälte, der Arroganz und des Wahnsinns dieses Mörders. Als Zeitungskarikaturist entwickelt man einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn; außerdem gehört es zu meiner täglichen Arbeit, mit Symbolen umzugehen. Deshalb machte es mich wütend, dass sich dieser Mörder die Werkzeuge meiner Arbeit aneignete und für seine Zwecke missbrauchte.

Seit Jack the Ripper hatte es kein Mörder mehr gewagt, Briefe an Zeitungen zu schicken und die Polizei mit verschlüsselten Hinweisen auf seine Identität zu verhöhnen. Augenblicklich sprang ich auf diese mysteriöse Botschaft an und war besessen von dem Drang, das Rätsel zu lösen, dessen Dimension ich damals schon ahnte.

Der Brief, der mit blauem Filzstift geschrieben war, hatte folgenden Wortlaut:

 

Sehr geehrter Herr Chefredakteur
dies ist eine Botschaft vom Mörder an den
2 Teenagern vergangene Weihennachten
in der Lake Herman Road & an dem Mädchen
am 4. Juli beim
Golfplatz in Vallejo
Als Beweis, dass ich sie umgebracht habe,
werde ich hier ein paar Fakten angeben, von
denen nur ich & die Polizei wissen können.
Weihennachten
1. Markenbezeichnung Munition
Super X
2. 10 Schüsse wurden abgegeben
3. der Junge lag auf dem Rücken
mit den Füßen zum Wagen
4. das Mädchen lag auf seiner rechten
Seite mit den Füßen nach Westen
4. Juli
1. Mädchen trug gemusterte
Hose
2. Der Junge wurde auch
ins Knie geschossen.
3. Markenbezeichnung Munition
Western

 

Hier ist ein Teil eines Geheimtextes, die
2 anderen Teile werden
an die Chefredakteure der
Vallejo times & des SF Examiners
geschickt.

 

Ich will, dass Sie diesen Geheimtext
auf der Titelseite Ihrer Zeitung
abdrucken. In dem Text ist meine
Identität verborgen.
Wenn Sie ihn nicht abdrucken,
bis Freitag Nachmittag, 1. Aug 69,
werde ich Freitag Abend eine Mordserie
starten. Ich werde das ganze Wochenende
herumfahren und Leute töten
die ich nachts allein finde dann werde ich
weiterziehen und weiter töten, bis ich
über das Wochenende ein Dutzend Leute
umgebracht habe.

 

Der
San Francisco Examiner
und der
Vallejo Times-Herald
bekamen den unheimlichen Brief ebenfalls, wenn auch mit leichten Abweichungen (»Ich bin der Mörder …«), und dazu je ein Drittel des Geheimtextes.

Die Zeitungen veröffentlichten Teile des Briefes, sahen aber auf Wunsch der Polizei davon ab, den Brief als Ganzes abzudrucken. Dies geschah zu dem Zweck, dass bestimmte Details, die nur der Mörder selbst kennen konnte, zurückgehalten wurden. Diese Vorgangsweise wird in Mordfällen sehr oft praktiziert, damit man sich die Möglichkeit offen hält, den Mörder aufgrund von unwiderlegbaren Beweisen überführen zu können.

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