Robert Graysmith
Zodiac
Auf der Spur eines Serienkillers
Aus dem Amerikanischen übersetzt
Von Norbert Jakober
Zum Buch
Ein grausamer Sadist, dem das Morden Spaß bereitet. Seine ersten Opfer sind ein Teenagerpärchen, denen er auflauert und sie dann kaltblütig erschießt. Nach dem Überfall auf ein weiteres Paar schickt er der Polizei den ersten Brief, in dem er weitere Taten ankündigt. So beginnt ein grausames Katz- und Mausspiel mit den Beamten. Offiziellen Behördenangaben zufolge fielen dem Zodiac-Killer sechs junge Menschen zum Opfer, er selbst gab an, für siebenunddreißig Morde verantwortlich zu sein. Die wahre Zahl der Mordopfer könnte durchaus auch bei fünfzig liegen. Der Mörder wurde nie gefasst.
Nachdem sich bereits mehrere Kino- und Fernsehregisseure mit dem Zodiac-Killer befasst haben, nahm sich auch David Fincher, der mit
Sieben
einen der Klassiker des Serienkiller-Genres schuf, dem legendären Massenmörder an. Jake Gyllenhaal spielt Robert Graysmith, Robert Downey Jr. übernimmt die Rolle von Reporter Paul Avery, Mark Ruffalo ist Detective David Toschi, sein Partner Bill Armstrong wird von Anthony Edwards verkörpert.
Zum Autor
Robert Graysmith gehörte zur Belegschaft des
San Francisco Chronicle
, als 1969 der erste Brief des vermummten Killers in der Redaktion eintraf. In seiner Chronik der elfmonatigen Terrorherrschaft des Zodiac bringt Graysmith hunderte zuvor unveröffentlichte Fakten zum Vorschein, inklusive der Originalbriefe des Killers.
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
Zodiac
bei St. Martin’s Press, New York
Deutsche Erstausgabe 04/2007
Copyright © 1976 by Robert Graysmith Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2007
by Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Redaktion: Katy Albrecht
eISBN : 978-3-641-02892-3
www.heyne.de
www.randomhouse.de
Dem Andenken meines Vaters gewidmet.
Ebenso in Liebe meiner Mutter,
David, Aaron, Margot, Penny
und ganz besonders Pamela.
Danksagung
Besonderen Dank schulde ich Inspektor Dave Toschi, Sherwood Morrill, Paul Avery, Herb Caen, Margot St. James und den Leuten von The Owl and the Monkey. Desweiteren danke ich meinem Lektor Richard Marek, der mir klug und einfühlsam geholfen hat, den richtigen Weg zu finden.
Jemanden zu töten, das ist wie spazieren gehen. Wenn ich töten wollte, dann habe ich mir einfach ein passendes Opfer geholt. Ich habe nicht einen Moment lang daran gedacht, dass es sich um ein menschliches Wesen handelt.
Henry Lee Lucas,
Serienmörder, 1984
Wir haben genug Wahnsinnige, die nur darauf warten, in Aktion zu treten …
Der Führer einer Terrorgruppe
im Nahen Osten, 1978
Einführung
Nach Jack the Ripper und vor Son of Sam Ende der Siebzigerjahre gab es nur einen, der ebenso viel Schrecken verbreitete - den brutalen, geheimnisumwitterten Zodiac, der nie gefasst werden konnte. Seit 1968 suchte der Serienmörder die Stadt San Francisco und die Bay Area heim. In den provozierenden Briefen, die er an verschiedene Zeitungen schickte, versteckte er Hinweise auf seine Identität, die er jedoch mit ausgeklügelten Chiffren verschlüsselte, die nicht einmal die erfahrensten Experten von CIA, FBI und NSA zu knacken vermochten.
Ich war damals Karikaturist der größten Zeitung in Nordkalifornien, des
San Francisco Chronicle
, und bekam so von Anfang an mit, wie die rätselhaften Briefe, die Geheimtexte und sogar blutverschmierte Kleidungsstücke der Opfer in der Redaktion eintrafen. Zuerst war ich zugegebenermaßen fasziniert von der Symbolik, die der Zodiac verwendete. Nach und nach wuchs in mir jedoch der Drang, die Hinweise des Mörders zu enträtseln und ihn zu entlarven. Und falls mir das nicht gelingen sollte, so wollte ich zumindest so viele Teile des Puzzles wie nur möglich zusammenfügen, damit eines Tages jemand den Serienmörder enttarnen könnte.
Als ich mit der Arbeit an diesem Buch begann, wurde mir klar, dass ich vor zwei großen Problemen stand: Zum einen würde es nicht leicht werden, die verschiedenen Verdächtigen und die wenigen überlebenden Opfer ausfindig zu machen, denn viele der Zeugen scheuten sich, bei der Aufklärung mitzuhelfen. Um die fehlenden Fakten zu finden, war ich jedoch auf die Aussagen der fehlenden Zeugen angewiesen. Eine Zeugin hatte nicht weniger als sechsmal ihren Namen geändert, um unerkannt zu bleiben. Eine andere Frau, die dem Zodiac-Killer entwischt war, hatte ebenfalls im Laufe der Zeit verschiedene Namen angenommen. Ich fand sie schließlich durch den Poststempel auf einer Weihnachtskarte.
Das zweite große Problem, mit dem ich mich konfrontiert sah, war die Tatsache, dass die Morde in verschiedenen Bezirken verübt worden waren. Das stark ausgeprägte Konkurrenzdenken bewog viele der zuständigen Polizeidienststellen, Informationen für sich zu behalten, die den Kollegen in anderen Bezirken fehlten. Nachdem ich mir in mühsamer Kleinarbeit ein Dokument nach dem anderen verschafft hatte - oftmals kurz bevor es vernichtet wurde, setzte ich alle Hinweise zusammen, um so ein erstes umfassendes Bild des Zodiac-Killers zu bekommen.
Nachdem ich mich bereits einige Jahre mit dem Fall beschäftigt hatte, fand ich im Jahr 1975 heraus, dass wohl mehr Morde auf das Konto des Zodiac gingen, als man zunächst angenommen hatte. Außerdem hatte offenbar eines der frühen Opfer des Killers möglicherweise den Namen des Täters gekannt. Die Frau wurde jedoch ermordet, als sie sich gerade an die Polizei wenden wollte, um die wahre Identität des Mörders preiszugeben.
Gegen einen derart zwanghaft agierenden und scheinbar wahllos tötenden Mörder gibt es keinen echten Schutz. Verbrecher dieses Typs sind unersättlich in ihrer Mordlust, und gerade Kalifornien scheint besonders oft von Serienmördern heimgesucht zu werden (nur in New York haben noch mehr davon ihr Unwesen getrieben). Mehrfachmorde stellen ein relativ neues Phänomen dar - doch mittlerweile fallen, so das Justizministerium, jedes Jahr zwischen 500 und 1500 Amerikanerinnen und Amerikaner einem solchen Killer zum Opfer.
Die Zodiac-Morde zeichnen sich durch ein ganz bestimmtes Charakteristikum aus; sie hatten eine eindeutige sexuelle Komponente, das bedeutet, der Mörder degradierte seine Opfer zu bloßen Objekten, die ihm sexuelle Lust verschafften, indem er sie auf brutale Weise misshandelte und tötete. Die Jagd auf das Opfer war sozusagen das Vorspiel, und das Zuschlagen war ein Ersatz für den sexuellen Akt. Als Sadist empfand Zodiac sexuelle Lust, wenn er sein Opfer quälen und schließlich töten konnte. Brutale Gewalt und Liebe waren in seinem Gehirn von Anfang an hoffnungslos miteinander verwoben.
Sadisten und Serienmörder sind oftmals sehr intelligent und deshalb nur schwer zu fassen. Das Katz-und-Maus-Spiel, das sie mit der Polizei treiben, kann in manchen Fällen sogar zum Hauptmotiv für ihre Verbrechen werden. Wenn solche Killer gefasst werden, legen sie zumeist ein umfassendes Geständnis ab, dessen grausige Details fast so schaurig sind wie die Taten selbst. Niemand weiß genau, wodurch jemand zum gewalttätigen Sadisten wird; Fachleute gehen davon aus, dass entweder ein beschädigtes Sex-Chromosom oder ein Ereignis in der frühen Kindheit der Auslöser sein könnte. Wenn jemand in jungen Jahren Grausamkeit und Ablehnung von seinen Bezugspersonen erfährt, kann das dazu führen, dass der Betreffende zum Bettnässer oder Ladendieb wird; es kann aber auch sein, dass er anfängt, Tiere zu quälen und zu verstümmeln. In der Pubertät kann sich die aufgestaute Wut in immer drastischeren und gut verborgenen sadistischen Akten ausdrücken.
Wenn man die Geschichte rund um den Zodiac-Killer mit einem Wort charakterisieren müsste, so wäre dieses Wort
Besessenheit
. Im Laufe der Zeit hat der Fall dazu geführt, dass Ehen in die Brüche gingen, berufliche Laufbahnen zerstört wurden und Menschen nachhaltigen gesundheitlichen Schaden nahmen. Mehr als 2500 Verdächtige wurden überprüft, während das Rätsel rund um den Serienkiller immer mehr Menschen in seinen Bann zog und für viele von ihnen eine schwere Belastung darstellte.
Ich wollte mit diesem Buch erreichen, dass der tragische Lauf der Dinge gestoppt und der Mörder gefasst werden könnte. Nach und nach gelang es mir, den Sinn hinter den Symbolen in seinen Briefen zu erkennen, und ich lernte zu verstehen, wie der Mann seine verschlüsselten Texte verfasst hatte, warum er diesen oder jenen Mord verübt hatte und sogar, woher er sein charakteristisches Symbol, das Kreuz im Kreis, hatte.
Dies ist die wahre Geschichte der Jagd auf einen Serienkiller, die im Jahr 1968 begonnen hat und deren Ziel bis heute nicht erreicht wurde. Ich lege in diesem Buch hunderte von Fakten vor, die bisher noch nie veröffentlicht wurden. Es ist ein Bericht, dem acht Jahre Recherchieren zugrunde liegen. In all den Jahren hat die Polizei oder die Presse immer nur einzelne Passagen der Briefe des Mörders veröffentlicht. In diesem Buch lege ich erstmals jedes einzelne Wort öffentlich vor, das der Zodiac-Killer an die Polizei geschrieben hat.
In einigen wenigen Fällen war es notwendig, die Nachnamen von Zeugen wegzulassen, die der Polizei bekannt sind. Ich habe die Namen von einigen der Hauptverdächtigen ebenso geändert wie verschiedene Details bezüglich ihres Berufslebens, ihrer Ausbildung und der Wohnorte. In den Fällen, wo Änderungen notwendig waren, habe ich das im Buch angemerkt. In dem Kapitel über Andrew Todd Walker habe ich bestimmte Dialogpassagen eingefügt, die vielleicht nicht wörtlich, aber durchaus sinngemäß so stattgefunden haben dürften.
Diese Geschichte handelt unter anderem auch von Zauberei, Todesdrohungen und Geheimtexten, sie handelt von einem Serienkiller, der nie gefasst wurde, von einem geheimnisvollen Mann in einem weißen Chevy, der von vielen gesehen wurde, aber den niemand zu kennen schien. All das gehört zum Rätsel rund um den Zodiac-Killer - der beängstigendsten Geschichte, die mir je zu Ohren gekommen ist.
Robert Graysmith
San Francisco
Mai 1985
Karte mit den Tatorten von Zodiacs Opfern im nördlichen Kalifonien.
Karte von R. Graysmith
1
David Faraday und Betty Lou Jensen
Freitag, 20. Dezember 1968
Wenn er durch die hügelige Landschaft oberhalb von Vallejo wanderte, konnte David Faraday immer wieder einen Blick auf die Golden Gate Bridge erhaschen. Außerdem sah er die Fischer, die Segel- und Rennboote in der San Pablo Bay und die breiten, mit Bäumen gesäumten Stra ßen der Stadt. Auf der anderen Seite der Meerenge lag Mare Island mit seinen schwarzen Lastkränen, den Piers, Kriegsschiffen und Lagerhäusern.
Im Zweiten Weltkrieg waren tausende in die Gegend geströmt, um für die Navy zu arbeiten, sodass Vallejo sich zu einer blühenden Stadt entwickelte. Einfache Quartiere wurden in Leichtbauweise hochgezogen, die eigentlich nur als provisorische Behausungen gedacht waren. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren waren sie zu schwarzen Ghettos geworden, die zum Ausgangspunkt von Rassenhass und Bandenkriminalität wurden, welche dann selbst vor den Highschools nicht Halt machte.
Der siebzehn Jahre alte David Arthur Faraday, der die Vallejo High School besuchte, war nicht nur ein ausgezeichneter Schüler, sondern auch einer der besten Sportler seines Jahrgangs. Ende des Jahres 1968 hatte David ein hübsches sechzehnjähriges Mädchen namens Betty Lou Jensen kennen gelernt, das am anderen Ende der Stadt lebte. Seither hatte er sie fast täglich besucht. An diesem Tag plauderten David und Betty Lou um fünf Uhr nachmittags mit Freunden in der Annette Street, um ein Treffen für den Abend zu vereinbaren. Es war das erste Mal, dass sie gemeinsam ausgehen würden.
David brachte seine Schwester Debbie um 19.10 Uhr zu einem Treffen der Rainbow Girls im Pythian Castle am Sonoma Boulevard. Er erzählte Debbie, dass er und Betty Lou vielleicht später noch in die Lake Herman Road fahren würden, um sich dort mit Freunden zu treffen.