Jedes Drittel des chiffrierten Textes bestand aus acht Zeilen mit je siebzehn Symbolen: griechische Zeichen, Morsezeichen, Wettersymbole, Buchstaben des Alphabets, Navy-Zeichen und astrologische Symbole.
Die Zeitungen kopierten die Briefe und übergaben dann das Original sowie den verschlüsselten Text an Detective Lynch. Die Polizei in Vallejo fertigte ihrerseits Kopien des Geheimtextes an und schickte sie an die Naval Intelligence im Mare Island Naval Shipyard, um die Chiffre dort entschlüsseln zu lassen.
Der
Times-Herald
und der
Chronicle
druckten ihr Drittel des Geheimtextes am folgenden Tag ab. Am Samstag brachte der
Chronicle
auf Seite vier folgende Schlagzeile:
Verschlüsselter Hinweis auf Morde. Dieser Geheimtext birgt möglicherweise die Identität des Mörders von Vallejo in sich.
Dies ist der Teil des Textes, den der
Chronicle
erhalten hat:
Weiter unten folgt der Teil des Geheimtextes, den
der Times-Herald
erhalten hat. Der
Examiner
beschloss, seinen Teil des Textes nicht zu drucken - möglicherweise, weil man dort Zweifel hatte, dass der Brief tatsächlich vom Mörder stammte.
In der Naval Intelligence schaffte man es nicht, den Code zu knacken, worauf auch die entsprechenden Bundesbehörden, die National Security Agency und die Central Intelligence Agency, um Mithilfe ersucht wurden.
Der Polizeichef von Vallejo Jack E. Stiltz war nicht ganz davon überzeugt, dass der Brief tatsächlich vom Mörder stammte, und forderte den Autor öffentlich auf, »einen zweiten Brief mit mehr beweiskräftigen Fakten« zu schicken. Stiltz räumte ein, dass der Brief Fakten enthielt, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich waren, meinte aber, dass sie auch ein Zeuge vom Tatort aufgeschnappt haben könnte.
Sonntag, 3. August 1969
Der
Examiner
druckte schließlich in seiner Sonntagsausgabe sein Drittel des verschlüsselten Textes (siehe unten).
Zusätzlich brachte die Zeitung auch die beiden anderen Drittel der Chiffre, sodass erstmals der gesamte Geheimtext präsentiert wurde.
Donald Gene Harden, ein einundvierzig Jahre alter Lehrer für Geschichte und Wirtschaftskunde an der North Salinas High School, hundertfünfzig Kilometer südlich von San Francisco, hatte schon in seiner Jugend ein Interesse für die Chiffrierung von Texten entwickelt - deshalb las er die Geheimtexte mit besonderem Interesse.
Nachdem er an diesem Sonntagvormittag ohnehin nichts Besseres zu tun hatte, beschloss er, sich den chiffrierten Text etwas näher anzusehen. Er nahm sein altes Handbuch zum Entschlüsseln von Geheimtexten zur Hand (»Secret and Urgent« von Fletcher Pratt), räumte den Esszimmertisch ab, holte sich ein paar gut gespitzte Bleistifte, Lineal und Radiergummi und begann erst einmal damit, herauszufinden, um welches Verschlüsselungsverfahren es sich
nicht
handeln konnte.
Das Wort
Kryptografie,
mit dem man die Gesamtheit der Methoden zur Verschlüsselung von Information bezeichnet, leitet sich von den griechischen Wörtern
kryptos
(»verborgen«) und
graphein
(»schreiben«) ab. Zum Zwecke der Verschlüsselung eines Textes wird entweder die Reihenfolge der Buchstaben im Klartext systematisch verändert, oder es werden die Buchstaben durch andere Zeichen, Buchstaben oder Symbole ersetzt.
Harden überprüfte zuerst die Häufigkeit, mit der die verschiedenen Symbole im Text auftauchten. Er wusste, dass der Buchstabe E in der englischen Sprache am häufigsten vorkommt, gefolgt von T, A, O, N, I, R und S. Die häufigsten Buchstabenkombinationen im Englischen sind TH, HE und AN. Mehr als die Hälfte aller Wörter enden mit E und mehr als die Hälfte aller Wörter beginnen mit T, A, O, S oder W. Des Weiteren berücksichtigte Harden die Tatsache, dass die häufigsten Kombinationen aus drei Buchstaben THE, ING, CON und ENT sind. So kam er dann zu dem Schluss, dass es sich im vorliegenden Fall um eine Chiffre handelte, bei der jeder Buchstabe des Alphabets durch ein Symbol oder einen anderen Buchstaben ersetzt wurde. Der Mörder hatte so viele verschiedene Symbole verwendet, dass eine Eins-zu-eins-Ersetzung nicht infrage kam. Der Lehrer musste sich seine eigene Strategie zurechtlegen; er begann nach Übereinstimmungen und sich wiederholenden Symbolmustern zu suchen. Harden saß stundenlang an seinem Tisch und suchte in dem Gewirr von Symbolen nach irgendwelchen Mustern. Wenn er es nur nicht mit so vielen Unbekannten zu tun gehabt hätte!
Was das Entziffern des Textes zusätzlich erschwerte, war die Tatsache, dass Harden nicht einmal wusste, welcher der drei Blöcke der erste war. In diesem Zusammenhang fiel mir übrigens später auf, dass der Mörder die Reihenfolge der drei Textteile sehr wohl markiert hatte - entweder als Merkhilfe für sich selbst oder als weiteren Hinweis für die Polizei. Er tat dies, indem er den Brief an den
Examiner
mit zwei Briefmarken frankierte, während er den Brief an den
Chronicle
mit drei und den an den
Times-Herald
mit vier Marken versah.
Nach drei Stunden harter Arbeit schloss sich Hardens Frau ihrem Mann an, um ihm zu helfen. Bettye June Harden gehört zu jenen Menschen, die niemals locker lassen, wenn sie sich erst einmal in ein Problem verbissen haben. »Sie hat eine enorme Zähigkeit und Ausdauer«, erzählte mir Harden. Obwohl sie nie zuvor mit einem Geheimtext zu tun gehabt hatte, stürzte sie sich in die Arbeit. Schließlich muss, zumindest theoretisch, alles, was verschlüsselt wurde, auch wieder zu entschlüsseln sein.
Die beiden intensivierten ihre Bemühungen und verbrachten den ganzen Tag und auch den Abend mit ihrer mühsamen Arbeit. Und als sie sich endlich zur Nachtruhe zurückzogen, knobelten sie in ihren Träumen weiter an einer Lösung des Problems.
Montag, 4. August 1969
Harden wollte am nächsten Morgen schon aufgeben, aber Bettye ließ sich nicht davon abhalten, weiterzumachen. Obwohl sie zwischendurch keine Ahnung mehr hatte, was sie eigentlich tat, arbeitete sie weiter - und schließlich schloss Harden sich ihr wieder an.
Bettye war der Meinung, dass der Mörder ein solcher Egomane sein musste, dass er bestimmt mit »Ich« begonnen hatte. Ihre Intuition sagte ihr, dass er vom Töten sprechen würde, und obwohl sie immer noch nicht wussten, welcher Teil der erste war, ging sie davon aus, dass der Text mit einem Satz wie »Ich töte gerne …« begann.
Die Lösung kam ihnen wie eine plötzliche Erleuchtung. Das Kryptogramm enthielt eine bestimmte Anzahl von doppelt vorkommenden Zeichen. Der am häufigsten doppelt vorkommende Buchstabe im Englischen ist das L. Es ist praktisch unmöglich, eine Nachricht zu verfassen, ohne Wörter zu wiederholen - also suchten die Hardens nach Zeichenfolgen aus vier Zeichen, die für das Wort »kill« stehen konnten. Immerhin bestand die Möglichkeit, dass »kill« öfter als einmal im Text auftauchte. Dementsprechend suchen übrigens jene Experten, die in Kriegszeiten für das Entschlüsseln von feindlichen Codes zuständig sind, nach Zeichenfolgen, die für das Wort »Angriff« stehen könnten.
Es ist irgendwie unheimlich und aufregend, mitzuerleben, wie ein verschlüsselter Text anfängt, seine Bedeutung preiszugeben. Die Hardens fanden schließlich heraus, dass der Mörder das Wort »kill« nur einmal verwendet hatte; zweimal kam »killing« im Text vor und je einmal die Wörter »killed« und »thrilling«. Auf dieser Basis suchten die beiden nach anderen Wörtern mit Doppel-L und entdeckten, dass etwa »will« viermal und »collecting« einmal vorkam.
Während die Botschaft vor ihren Augen nach und nach zutage trat, entdeckten sie auch die raffinierten Fallen, die der Mörder eingebaut hatte, um die Entschlüsselung schwieriger zu gestalten. So hatte er fünfzehn Mal ein verkehrt geschriebenes Q verwendet, um den Schluss nahe zu legen, dass sich dahinter der häufigste Buchstabe, das E, verbarg. In Wirklichkeit hatte er den Buchstaben E durch sieben verschiedene Zeichen ersetzt.
Der Mörder verwendete die Ersatzzeichen in einer genau festgelegten Reihenfolge, obwohl es offensichtlich zwei Zeichen im Geheimtext gab, die sowohl für das A als auch für das S stehen konnten. Die Rechtschreibung des Mörders war ziemlich fehlerhaft, wenngleich das natürlich auch Absicht sein konnte - und in einigen Fällen hatte er auch Fehler in der Anwendung seines Verschlüsselungssystems gemacht. Am Ende waren die Hardens jedoch überzeugt, dass ihre Lösung die einzig mögliche darstellte. Sie hatten zwanzig Stunden Arbeit investiert, um den Code zu knacken.
Der entschlüsselte Text lautete folgendermaßen:
ICH TÖTE GERNE MENSCHEN
WEIL ES SO VIEL SPASS MACHT
VIEL MEHR SPASS ALS
TIERE IM WALD ZU TÖTEN
WEIL MENSCHEN ZU JAGEN
VIEL GEFÄHRLICHEO IST ALS
DIE JAGD AUF IRGENDEIN WILDTIR
ES IST DAS AUFFREGENDSTE
WAS ICH JE ERLEBT HABE
VIEL BESSER ALS EIN
MÄDCHEN ZU BUMSEN
UND DAS ALLERBESTE IS
WENN ICH STERBE WERDE ICH
IM PARADIS WIEDERGEBOREN UND
DIE ICH GETÖTET HABE SIND DANN
MEINE SKLAVEN.
ICH WERDE EUCH NICHT MEINEN NAMEN
VERRATEN WEIL IHR DANN VERSUCHT
MICH ZU HINDERN NOCH MER
SKLAVEN FÜR DAS LEBEN NACH
DEM TOD ZU SAMMLEN
EBEORIETEMETHHPITI
Harden rief beim
Chronicle
an und meldete, dass er das Rätsel gelöst hatte. Er stieß mit seiner Meldung auf keine allzu große Begeisterung, denn sein Anruf war nur einer von hunderten, die die Zeitung seit der Veröffentlichung des Geheimtexts bekommen hatte. Man sagte ihm, dass er die Lösung an den
Chronicle
schicken solle, damit man sie an Sergeant Lynch weitergeben könne.
Wie sich herausstellte, hatte das Ehepaar in Salinas tatsächlich den Code geknackt, der CIA, FBI und National Security Agency vor unlösbare Probleme gestellt hatte. Die Naval Intelligence forderte die Arbeitsunterlagen der Hardens von Lynch an, überprüfte sie und stellte fest, dass die Lösung hundertprozentig korrekt war.
Donnerstag, 7. August 1969
Auf die Aufforderung von Polizeichef Stiltz hin schrieb der Mörder einen weiteren Brief. Diesmal gab er mehr Details zu seinen Morden in Vallejo preis. Der Brief umfasste drei Seiten.
Zum ersten Mal gab er nun auch einen Namen für sich an: Zodiac.
Sehr geehrter Herr Chefredakteur
Hier spricht der Zodiac.
Ihrem Wunsch entsprechend, mehr
über die unterhaltsamen Stunden mitzuteilen,
die ich in Vallejo schon erlebt habe,
schildere ich Ihnen gerne weitere Details.
Ach ja, ich hoffe, die Polizei hat
viel Spaß beim Entschlüsseln meinen
Geheimtextes. Wenn nicht, dann muntern Sie
sie bitte auf; wenn sie den Code knacken,
haben sie mich.
Zum 4. Juli:
Ich habe die Autotür nicht geöffnet, Das
Fenster war schon offen
Der Junge saß zuerst auf dem
Beifahrersitz, als ich zu schießen
begann. Als ich die erste Kugel auf
seinen Kopf abfeuerte, sprang er zurück,
sodass ich ihn nicht richtig traf. Er lag
auf dem Rücksitz und trat mit den Beinen
um sich; da schoss ich ihn ins Knie.
Ich habe den Tatot übrigens nicht mit
quietschenden Reifen verlassen wie die
Zeitungen in Vallejo geschrieben haben.
Ich fuhr langsam weg, um nicht aufzufallen.
Der Mann, der der Polizei erzählt hat, mein
Auto wäre braun, war ein Schwarzer zwischen
40 und 45 Jahren ziemlich schäbig gekleidet.
Ich stand in der Telefonzelle und amüsierte
mich ein wenig über die Bullen von Vallejo,
als der Typ vorbeiging. Als ich auflegte,
begann das verdamte Ding zu klingeln &
dadurch wurde er auf mich und meinen
Wagen aufmerksam.