Zodiac (13 page)

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Authors: Robert Graysmith

Tags: #True Crime, #Murder, #Serial Killers

BOOK: Zodiac
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»Ich habe den Kerl damals als richtig dick beschrieben«, erzählte mir Bryan Hartnell später. »Ich weiß nicht, er könnte ja auch nur eine dick gefütterte Jacke getragen haben. Und es ist auch nicht ausgeschlossen, dass er eine Perücke aufhatte und in Wirklichkeit viel hellere Haare hatte, als ich damals sagte.«

Narlow kniete sich auf den sandigen Steinboden und betrachtete die Fußspuren eingehend. Zwischen Absatz und Sohle war ein kleiner Kreis mit irgendeinem Aufdruck zu erkennen. »Der Kreis war klar zu erkennen, nicht aber, was drinstand. Trotzdem fanden wir den Hersteller dieser Schuhe«, berichtete Narlow. Er fand heraus, dass es sich um einen Schuh handelte, der die Bezeichnung »Wing Walker« trug. »Das Obermaterial wird von der Weinbrenner Shoe Company hergestellt, die in Merrill, Wisconsin, daheim ist, ungefähr dreißig Kilometer von meiner Heimatstadt entfernt. Die Sohle wird von Avon in Massachusetts hergestellt - darauf bezieht sich das Zeichen in dem kleinen Kreis.« Über eine Million Paar dieser Schuhe wurden im Zuge eines staatlichen Auftrags produziert. Nicht weniger als 103 700 Paar dieser »Wing Walkers« wurden nach Ogden, Utah, geliefert und an verschiedene Einrichtungen von Air Force und Navy an der Westküste verteilt. All das deutete darauf hin, dass der Mörder in irgendeiner Weise etwas mit dem Militär zu tun haben könnte.

»Ich glaube nicht, dass der Mörder den beiden gefolgt ist«, meinte Narlow, »und zwar deshalb, weil sie ganz spontan beschlossen haben, zum See zu fahren. Das war absolut nicht geplant - ja, sie hatten eigentlich sogar vorgehabt, am Abend in die Stadt zu fahren. Entgegen verschiedenen Zeitungsberichten wiesen die Wunden keinerlei sadistisches Muster auf; da war auch keinerlei Zodiac-Zeichen in die Brüste eingeritzt, wie man lesen konnte.

Manche Mörder benutzen eben bestimmte Waffen, weil sie damit ihrem Opfer näher sind. Wenn es jemandem nur um das Töten als solches geht, nimmt er wahrscheinlich ein leistungsstarkes Gewehr und ein Zielfernrohr und erschießt sein Opfer aus dreihundert Metern Entfernung - aber das hat keinerlei sexuellen Effekt. Wenn man aber jemandem ein Messer in den Körper rammt, dann ist das in gewisser Weise ein sehr intimer Kontakt - und es besteht wohl kein Zweifel, dass es diesem Zodiac genau darum geht.« Narlow betonte auch, dass das Messer ein lautloses Mordwerkzeug sei.

Der Detective fand heraus, dass sich in den Stunden vor dem Verbrechen ein Mann in der Umgebung des Sees ziemlich auffällig benommen habe. Anhand von Zeugenaussagen ließ Narlow ein Phantombild des Verdächtigen anfertigen. »Diese Zeichnung«, erzählte mir der Detective später, »wurde mithilfe der drei jungen Mädchen vom Pacific Union College gemacht, die diesen Mann gesehen hatten, wie er sich in einem Auto ziemlich auffällig benommen hatte. Das war zwar relativ weit vom Tatort entfernt - es könnte aber trotzdem der Mann gewesen sein, den wir suchen.«

»Es kann sich durchaus herausstellen, dass das nicht der Mörder ist«, stellte Captain Don Townsend vom Sheriff’s Office von Napa County klar, »wir würden uns aber trotzdem gern mit dem Mann unterhalten.«

Die Wäscheleine wurde ebenso im Labor untersucht wie die Wagentür - nicht zuletzt, um die Handschrift des Mörders zu analysieren.

 
 

Ich fuhr zusammen mit einem Freund zum Lake Berryessa, um mit Ranger Land zu sprechen und mich am Tatort umzusehen.

Zu dieser Jahreszeit war die Gegend rund um den See ziemlich einsam, und ich hatte keine Mühe, die Parkverwaltung zu finden. Sie verständigten Land per Funk, und eine Viertelstunde später waren wir schon im Wagen zu der Stelle unterwegs, wo Bryan und Cecelia angegriffen worden waren.

»Ich sage Ihnen, Robert«, berichtete Land, »es war wirklich eigenartig. Dass jemand hier in der Gegend mit dem Messer angegriffen wird, ist nicht mal so ungewöhnlich. In den Sommermonaten wurden sogar mehrere Messerattacken gemeldet. Das war der zweite Mordfall hier in der Gegend, wobei der andere Fall etwas unsicher ist; da könnte es auch Selbstmord gewesen sein.«

Die staubige Straße war mit einer Kette abgesperrt, doch Land stieg aus und öffnete das Schloss, sodass wir auf die Halbinsel hinausfahren konnten.

»Passen Sie auf, hier gibt es Klapperschlangen«, warnte er mich.

Am Tag nach dem Verbrechen hatte Land den Tatort von einem Flugzeug aus fotografiert. Die Halbinsel ragte kerzengerade in den See hinaus. Ich sah mir die Luftaufnahmen an. Es war schwer vorstellbar, dass sich jemand über eine so große freie Fläche hinweg an jemanden anpirschen konnte, zumal nur an der äußersten Spitze der Halbinsel zwei Bäume standen. Erst als ich an dem Platz saß, wo sich Bryan und Cecelia aufgehalten hatten, wurde mir klar, wie es dem Mörder gelungen war, unbemerkt an seine Opfer heranzukommen:

Zu meiner Linken verlief entlang des Ufers eine Senke, die die leichte Erhebung der Insel umschloss. An einem bestimmten Punkt konnte ich meinen Freund, der auf mich zukam, nicht mehr sehen. Die knapp zwei Meter tiefe Mulde, die die Halbinsel umrahmte, hatte es dem stämmigen Mann ermöglicht, sich an seine Opfer heranzupirschen, bis er hinter einer der beiden Eichen stand, wo er die Kapuze aufsetzte.

Ich sah auf den friedlichen See hinaus. In einem Monat würde der Regen, der in dieser Jahreszeit immer reichlich fiel, den See anschwellen lassen und den Boden überfluten, auf dem ich stand. Es wurde mir bewusst, dass Zodiac alle seine Morde in der Nähe irgendeines Gewässers begangen hatte. Was mochte der Grund dafür sein?

 

Montag, 29. September 1969

 

Um 15.45 Uhr starb Cecelia Ann Shepard im Beisein ihrer Eltern an den schweren Verletzungen, die sie von den zahlreichen Messerstichen in Rücken, Brust und Unterleib erlitten hatte.

Townsend ließ Bryan rund um die Uhr bewachen. »Da dieser Psychopath immer noch frei herumläuft, ist der einzige lebende Zeuge natürlich besonders gefährdet«, meinte er.

Bryan beklagte vor allem, dass es eine Stunde gedauert hatte, bis der Krankenwagen da war, und dann noch einmal eine Stunde, bis sie im Krankenhaus ankamen. »Wenn Cecelia sofort behandelt worden wäre, nachdem uns die Rangers gefunden hatten, würde sie vielleicht noch leben. Es hat so ewig lang gedauert, bis Hilfe kam.«

 

Donnerstag, 2. Oktober 1969

 

Während die trauernde Adventistengemeinde am Tag von Cecelias Beerdigung in der College-Kirche zusammenkam, um sich von der Toten zu verabschieden, teilte Townsend den Medien mit: »Es gibt einige Details, die wir für uns behalten, damit wir den Mann identifizieren können, falls er noch einmal anruft. Es muss sich um einen schwer geisteskranken Menschen handeln, dem das Töten sexuelle Befriedigung verschafft.«

Townsend teilte weiter mit, dass das Fadenkreuz-Symbol an der Autotür dem Symbol entsprach, dass Zodiac in den Briefen an die Zeitungen verwendet hatte. Er legte den Bewohnern von Napa nahe, keine abgelegenen Plätze aufzusuchen, und sich, solange der Mörder nicht gefasst war, niemals allein in der Dunkelheit aufzuhalten. Die Fastfood-Läden und Drive-in-Restaurants waren daraufhin wie ausgestorben, sobald es dunkel wurde. In Vallejo versicherten Eltern ihren Kindern im Teenager-Alter, dass sie ungestört mit ihrer Freundin oder ihrem Freund zusammen sein könnten, wenn sie nur in den sicheren vier Wänden blieben.

An Narlows Ermittlungen waren auch Lundblad und Lynch sowie Mel Nicolai vom Bureau of Criminal Identification and Investigation (CI&I) beteiligt. Die vier arbeiteten eng zusammen und tauschten regelmäßig ihre Informationen und Theorien aus.

Die Detectives trugen zusammen, was die Zodiac-Verbrechen gemeinsam hatten:

1. Die Opfer waren junge Studentinnen und Studenten, die zu zweit unterwegs waren.
2. Die Verbrechen passierten entweder am Wochenende oder vor Feiertagen.
3. Die Morde wurden in der Abenddämmerung oder in der Nacht verübt.
4. Es schien dem Täter nicht um Raub oder sexuellen Missbrauch zu gehen.
5. Es wurde jedes Mal eine andere Waffe verwendet.
6. Der Mörder prahlte am Telefon oder in Briefen mit seinen Taten.
7. Zodiac schlug an abgelegenen Plätzen zu, die gerne von Liebespärchen aufgesucht wurden.
8. Die Morde passierten entweder in oder in der Nähe von Autos.
9. Die Opfer hielten sich immer an irgendeinem Gewässer auf.

 

Townsend vertrat die Ansicht, dass der Mörder vor allem einen tiefen Hass auf weibliche Opfer hegte; immerhin hatte in zwei Fällen der Mann überlebt, die Frau jedoch nie. Dieser geisteskranke Mörder schien stets Orte aufzusuchen, an die sich junge Liebende an Wochenend-Abenden zurückzogen, um für sich zu sein; zu diesen Zeiten fühlte sich der Mörder wahrscheinlich besonders einsam.

Besonders beängstigend war, dass die Morde in immer kürzeren Abständen aufeinander zu folgen schienen.

 

5

 

Paul Lee Stine

 

Samstag, 11. Oktober 1969

 

Es ist nicht ganz einfach, seinen Wagen am Fuße eines der steilen Hügel von San Francisco zu parken. Der stämmige Mann lenkte die Räder an den Straßenrand, zog die Handbremse an, schloss den Wagen ab und stieg schnaufend den Hügel hinauf, um einen Bus ins Theaterviertel zu erwischen.

An der Ecke Post und Powell Street stieg er aus und stand eine Weile am Union Square, wo er die Reihen der kanariengelben Taxis beobachtete, die zu dem eleganten alten St. Francis Hotel kamen und wieder abfuhren. An diesem Abend trug er einen blauschwarzen Parka, um sich gegen den kalten Wind zu schützen.

Der Mann überquerte die Powell Street und spazierte die Geary Street bis zur Mason Street hinauf. Ganze Schwärme von roten Rücklichtern rauschten an ihm vorüber, und er sah einen Block entfernt die dunklen Gestalten der Paare, die in das helle Licht des Theaterviertels traten. Es war halb zehn, und die Zuschauer der ersten Vorstellung von »Hair« strömten aus dem Geary Theatre. Daneben stand das noch imposantere Curran Theatre. Der untersetzte Mann trat unter die Markise von Harold’s Books and Magazines und beobachtete die Taxis, die aus allen Richtungen zu den Theatern strömten.

Paul Lee Stine stand mit seinem Taxi vor dem St. Francis Hotel, als er in die Ninth Avenue gerufen wurde. Stine fuhr los und bog in die Geary Street ein. An seinem Wagen stand in großen Buchstaben »Call 626-2345 Radio Dispatched«. Die Tür an der Fahrerseite war nach einem Unfall einige Tage zuvor ein wenig eingedrückt.

Stine kam in dem dichten Verkehr nur langsam voran. Als er am Pinecrest Restaurant vorbeikam, trat ein stämmiger Mann unter einer gestreiften Markise hervor, legte auf der Fahrerseite hinter dem Rückspiegel eine Hand an den Wagen und blickte ins Taxi. Die Lichter hinter ihm hoben seinen militärischen Bürstenschnitt hervor. Der Mann setzte sich auf den Rücksitz und gab eine Adresse im Wohnviertel Presidio Heights an. Stine trug das Fahrziel »Washington Street und Maple« in die Fahrtenliste ein und schaltete das Taxameter ein.

Etwa eine Viertelstunde später erreichten sie die gut beleuchtete Washington Street mit ihren stattlichen teuren Häusern, die in der Feuchtigkeit des Nebels glänzten. Als das Taxi vor der Ecke Maple und Washington Street, dem Ziel der Fahrt, langsamer wurde, konnte der stämmige Mann bereits seinen eigenen Wagen erkennen, der am Fuße des steilen Hügels geparkt war. Wenn er seinen Job im Taxi erledigt hatte, würde er hinunterlaufen und mit seinem Wagen in der Dunkelheit verschwinden.

Plötzlich tauchte im Licht von Stines Taxi ein Mann auf, der mit seinem Hund spazieren ging. Der stämmige Fahrgast beugte sich vor und sagte zu dem Taxifahrer: »Fahren Sie noch einen Block weiter.«

Es wehte ein leichter Wind, und der untersetzte Mann hörte ein Windspiel an einem der Häuser in der Nähe klingeln. Das Taxi hielt zwischen zwei Bäumen an der Ecke Washington und Cherry an, direkt vor dem Haus 3898 Washington Street.

Plötzlich drückte der Fremde dem Taxifahrer eine Pistole an die Wange, direkt vor dem rechten Ohr, und umklammerte ihn mit dem linken Arm am Hals. Vergeblich versuchte Stine mit der linken Hand über die rechte Schulter hinaufzugreifen. Der stämmige Mann drückte den Abzug: Ein Schuss ging los.

Da die Waffe fest an die Haut gedrückt worden war, hörte man keinen allzu lauten Knall. Die Kugel drang in das Gewebe ein, und Pulverteilchen fielen auf den Handschuh des Täters herab. Das Projektil bohrte ein kegelförmiges Loch in den Schädel und jagte mit einer Geschwindigkeit von vierhundert Metern pro Sekunde durch den Kopf des Opfers. Die Bleikugel wurde in vier Teile aufgespalten und blieb schließlich im linken Schläfenmuskel stecken.

Nachdem die Kugel abgefeuert war, schob der Rückstoß den Schlitten der Pistole samt Lauf nach hinten. Nach wenigen Millimetern kam der Lauf zum Stillstand, und der Schlitten glitt allein weiter und spannte den Hahn der Waffe. Die leere Patronenhülse wurde vom Auswerfermechanismus ausgestoßen und landete auf dem Boden des Wagens, worauf der Schlitten von der Verschlussfeder wieder nach vorne geschoben wurde und dabei eine neue Patrone aus dem Magazin abstreifte, die ins Patronenlager geschoben wurde. Die Pistole war wieder feuerbereit.

Der Mörder sprang aus dem Wagen und stieg vorne auf der Beifahrerseite wieder ein. Er hielt Stines Kopf in seinem Schoß, während er die Brieftasche des Toten an sich nahm und ein Stück von seinem Hemd abriss.

Um 21.55 Uhr blickte in dem Haus auf der anderen Straßenseite, dem Taxi gegenüber, ein vierzehnjähriges Mädchen aus einem Fenster im ersten Stock. In dem Zimmer war gerade eine Party im Gang, doch sie beugte sich vor und blickte aufmerksam auf die feuchte Straße hinunter. Plötzlich rief sie ihre beiden Brüder zu sich ans Fenster. Das Taxi war ungefähr fünfzehn Meter von ihnen entfernt, und sie hatten freie Sicht darauf.

Ein stämmiger Mann hielt den Kopf des Taxifahrers in seinem Schoß. Er schien entweder mit dem Fahrer zu kämpfen oder ihn zu durchsuchen. Schließlich beugte er sich über den Fahrer hinweg auf die Fahrerseite und begann, so sah es zumindest aus, das Innere des Wagens mit einem Lappen zu säubern.

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