Polar City Blues (14 page)

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Authors: Katharine Kerr

BOOK: Polar City Blues
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»Werde ich machen.«

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Lacey winkt und eilt davon. Warum nur geht es ihr so auf die Nerven, daß jemand aus ihrer großen Verwandtschaft sie >Bobbie< nennt, was schließlich ihr richtiger Vorname ist. Aber immerhin fängt Maureen nie mit dem alten Familienkram an, was die Lieblingsbeschäftigung des ganzen übrigen Clans ist und auch der Grund, warum Lacey sich von ihnen fernhält. Die ganzen Jahre hat sie ihre Kindheit so gut es ging verdrängt. Obwohl es in Porttown nicht gerade ein Nachteil war, einen Vater zu haben, der die meiste Zeit im Gefängnis saß - sie haßte es, und sie haßte ihn dafür. Und auch für sein Gerede, diese endlose Großtuerei, diese Pläne, die immer so kläglich endeten: An der Wohnungstür standen Polizisten, um ihn zu holen, oder um seiner Frau Bescheid zu sagen, daß sie ihn schon hatten. Zweimal sogar hatte die Rehabilitationsbehörde ihn für geheilt erklärt; in einer anderen Stadt der Polarregion sollte er, mit einem richtigen Job, ein neues Leben beginnen - und beide Male endete es damit, daß die Familie nach Polar City zurückkehrte, um bei Verwandten Zuflucht zu finden, während er wieder im Knast saß. Als die Mutter endgültig genug hatte, war Lacey erst dreizehn, aber sie kann sich noch gut an das Gefühl der Erleichterung erinnern, als sie wußte, daß Daddy nie wieder nach Haus kommen würde. Damals hatte Tante Maureen sie in ein Restaurant geführt, wo es Hamburger mit echtem Rindfleisch gab, um die Scheidung zu feiern.

Sie bleibt einen Augenblick stehen, vor dem Schaufenster eines Gebrauchtkleiderladens der Wohlfahrt: Kleidung, die die wohlhabenden Schwarzen nicht mehr tragen wollten, die weit ab vom Lärm des Hafens mit seinen Abgasen wohnten. Ihre Mutter hatte die Kleidung für die Kinder hier besorgen müssen, wie so viele andere Mütter in Porttown. Auch das war etwas, was Lacey haßte. Die Flotte war die Möglichkeit, dem weißen Ghetto zu entkommen: Am besten meldete man sich, sobald man das Mindestalter erreicht hatte, dann bemühte man sich um musterhafte Führung, danach war der Platz in der Kadettenschule zum Greifen nahe. Sie

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sieht sich um: die schmutzigen Straßen, die Kinder mit dem Ball, die um den Betrunkenen herumturnen müssen, der der Länge nach vor dem Postamt liegt; dieser müde Blick der Frauen, die an einer Ecke stehen und tratschen. Und sie wundert sich, warum sie nach ihrem Ausscheiden aus dem Dienst nach Porttown zurückgekommen ist, wo ihr doch jeder andere Planet der Republik offengestanden hätte. Vielleicht, denkt sie, hätte sie sich einfach nicht wohl gefühlt, dort, wo das Leben angenehmer war - immer die Angst, ihren gutsituierten Nachbarn nicht fein genug zu sein. Aber vielleicht war Bates der Wahrheit viel näher gewesen, als er dachte: Vielleicht hätte sie sich in einer ruhigen, gepflegten Stadt, deren Bürger sich an die Gesetze hielten, ganz schlicht zu Tode gelangweilt.

Und als sie zum Nachthimmel aufschaut, über den Nordlichter unaufhörlich ihre Bonbonfarben Flickern lassen, wird ihr bewußt, daß Polar City einer der wenigen Orte im erforschten Raumsektor ist, an dem man auch bei Nacht die Sterne nicht sehen kann. Vielleicht war es das. Sie mußte nie in einen sternenübersäten Himmel starren und wehmütig an die Weite, die erhabene Großartigkeit des endlosen Alls denken.

Mit einem Achselzucken verscheucht sie die trüben Gedanken und geht weiter. Nun ist es ein anderes Schaufenster, ein winziges Lädchen, in dem es Kaukraut, Kekse und ein kunterbuntes Allerlei zu kaufen gibt - alles, was Mister Chen billig hat auftreiben können. Kindersocken (heute besonders günstig), Schreibpapier und Kugelschreiber für die Leute, die sich nie im Leben einen Computer leisten können. Dann kommt sie zu dem Spirituosengeschäft, wo man im Hinterzimmer die Wohlfahrtsschecks gegen eine Provision von zehn Prozent ohne Umweg in Alkohol umsetzen kann.

Wieder eine winzige Ladenfront, hinter der sich eine Moschee verbirgt - für die wenigen Jünger Allahs in diesem Morast von Ungläubigen. All das scheint sich seit ihren Kindertagen kaum verändert zu haben, dreißig lange Jahre ist das her. Scheint es nur so, oder änderte sich hier nie etwas?

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Oder sind die Möglichkeiten der Veränderung jenen vorbehalten, die genug Geld haben, um neue Geschäfte zu eröffnen, neue Läden zu beziehen - nichts für jene, die über die Jahre hinweg die alte Ladentheke, dieselben Waren und auch die Schulden in der Familie weiterreichen.

Die Erfolgreicheren konnten sich natürlich auch das Verjüngungsmittel leisten, und so sehen sie noch immer aus wie damals, so wie auch sie noch Gesicht und Körper jenes Mädchens hat, das sich bei der Flotte einschrieb. Niemand sieht ihr an, daß sie auf die Fünfzig zugeht. Einige winken ihr zu, als sie vorbeigeht: He, ist das nicht Bobbie Lacey? Das ist ja ein Ding ... Schön, dich zu sehen. Hast du immer noch Onkel Mels alten Schuppen? Und die Antwort heißt natürlich: Ja, sicher habe ich das, während sie lächelnd weitergeht und sich fragt, ob jemand von diesen Männern und Frauen, oder auch Lizzies, irgend etwas getan oder gesehen hat, das die Aufmerksamkeit von Ka Grens Mörder erregte.

Wie Bates ist auch Lacey in großer Sorge, nicht ihretwegen, nein, sie fürchtet für die ganze Stadt. Ein unglaublich geschickter Killer ist entschlossen, seine Spur zu verwischen - koste es so viele Leben, wie es wolle.

Das >Knusperhäuschen< ist gleich das dritte Haus in der Fünfzehnten; für ein Lizzie-Restaurant ist es ziemlich groß, mit einer blitzblanken gläsernen Fassade. Lacey bleibt stehen und schaut zu, wie die Leute, die zum Frühstücken hierhergekommen sind, sich in einer langen Schlange an der Theke vorbeischieben. Auf den Tabletts sieht man Sojagulasch, Zwiebelscheiben und Gläser mit Fruchtsaft, Sandwürmer, Klöße aus Insektenmehl, importierte Fischpasteten; damit geht man zu den runden Tischchen mit dem Topf aus siedendem Öl, der in der Mitte eingelassen ist. Das Lizzie-Personal huscht geschäftig umher, ihre Schuppen glitzern im Licht, während sie Brotkörbe und die kleinen Essigkrüge auffüllen, Servietten verteilen und kleine, sparsame Becher mit Wasser auf die Tische stellen. Niemand bemerkt den Zaungast vor dem großen Fenster. Und sicher hätten sie 125

auch nicht bemerkt, wenn irgendein anderer hier gestanden hätte, der Sally auf den Fersen war, um sie zu töten.

Zur Treppe nach oben führt ein Durchgang an der Seite des Restaurants, die Eingangstür liegt in einer dunklen Nische; auch hier riecht es nach Gebratenem. Als Lacey klingelt, kann sie das Aufleuchten des Abtaststrahls erkennen, mit dem der Hauscomputer den Besucher registriert. Doch niemand antwortet auf ihr Klingeln. Sie klopft kräftig an die Tür, möglicherweise funktioniert der Computer dieses heruntergekommenen Hauses nicht richtig. Nichts. Sie wartet unschlüssig einige Minuten, möchte am liebsten gehen, aber der Gedanke, daß Sally tot da drinnen liegen könnte, hält sie zurück.

Sie nimmt ihr Terminal vom Gürtel und schaltet ein.

»He, Buddy?«

»Bin schon da, Programmiererin.« Buddys Stimme klingt aus dem winzigen Lautsprecher dünn und spitz.

»Gut. Ich muß hier durch eine Tür, aber der Hauscomputer will mich nicht einlassen.«

»Dann laß mich mit ihm Kontakt aufnehmen, Programmiererin, und wir werden sehen.«

Lacey wirft einen raschen Blick hinter sich; zum Glück ist niemand zu sehen. Dann drückt sie ein winziges Sendemodul gegen den Türbeschlag. Sie hört ein leichtes Summen, als Buddy die Elektronik der Tür aktiviert, am Optiksensor blitzen ein paar Lichter auf.

»Ich habe dafür gesorgt, daß der Hauscomputer die Daten über deinen Besuch nicht speichern kann.

Du kannst eintreten, Programmiererin.«

Auf einen leichten Druck hin geht die Tür auf. Als Lacey in den engen Flur getreten ist, schließt sie sich wieder. Ein warmes, gelbliches Licht leuchtet auf, und die Klimaanlage beginnt zu arbeiten.

Sallys Wohnung ist so unaufgeräumt wie immer. Lila Plüschmöbel, leere Flaschen, Porzellannippes, Kartons und Pappteller mit Essensresten. Im Wohnzimmer summt ein 126

staubsaugender Roboter vor sich hin, vergebliche Mühe inmitten dieser Unordnung. Sonst ist es still, zu still.

»Sieht aus, als ob sie den ganzen Tag noch nicht hiergewesen ist, Buddy.«

»Meine Sensoren geben mir Hinweise auf undisziplinierte Zustände in diesem Haushalt. Würdest du mich mit ihrem Computer verbinden? Vielleicht findet sich dort eine wichtige Information.«

»Über das Ende des Universums?«

»Habe ich richtig verstanden?«

»War bloß ein Witz, Buddy. Entschuldige.«

Sallys hellrosa Computer steht in der Küche auf der Anrichte, zwischen Bergen von schmutzigem Geschirr. Lacey schließt ihr kleines Terminal an, dann nimmt sie all ihren Mut zusammen und geht durch den Flur zur Schlafzimmertür. Sie bleibt kurz stehen, um einen flüchtigen Blick ins Bad zu werfen - es riecht nach Parfüm und ist makellos sauber, trotz der achtlos herumliegenden leeren Kosmetikflakons. Die Tür zum Schlafzimmer ist offen; mit ein paar großen, mutigen Schritten ist sie drinnen und seufzt erleichtert auf. Weder auf dem herzförmigen Bett mit dem dunkelroten Satinbezug noch auf dem lavendelfarbigen Teppichboden liegt eine Leiche. Nur schmutzige Jeans und eine plissierte Bluse liegen herum und vor dem Kleiderschrank einige Plastikbeutel mit Haschisch von Sarah. Das beweist, daß Sally noch einmal hier war, nachdem sie im Rattennest war.

Ein Beweis. Etwas arbeitet in ihr, was ist es nur? Es hat mit Bates' Bericht zu tun ... Spontan geht sie in die Küche und holt ihr Terminal.

»Buddy, aktiviere deine Sensoren und mach eine optische Aufzeichnung dieses Zimmers hier. Wieviel kannst du auf einmal überblicken?«

»Nur fünfundvierzig Grad. Du brauchst das Terminal nur ein wenig hin- und herzudrehen.«

Während sie so Schlafzimmer und Bad fotografieren,

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berichtet Buddy ihr, was er von Sallys Computer erfahren hat: nichts von Bedeutung, bis auf jenen anonymen Anruf; jemand hat ihre Nummer gewählt, ohne jedoch auch nur ein Wort zu sagen, nur eine dreiviertel Stunde zuvor. Das konnte natürlich ein Kunde sein, der nicht wollte, daß irgend jemand seinen Namen erfuhr, doch Lacey gefällt das gar nicht. Denn, wie sie Buddy erzählt, sie beginnt langsam zu glauben, daß Sally tot ist.

»Das ist zwar ein zulässiger Schluß, Programmiererin, doch haben wir keinerlei Beweis. Und zwischen einem möglichen Schluß und dem Beweis liegt das, was ihr Menschen >Hoffnung< nennt.«

»Da hast du recht, Buddy. Okay, ich werde jetzt gehen.«

»Dann werde ich abschalten. Ach, Programmiererin?«

»Ja?«

»Vergiß nicht, deine Fingerabdrücke abzuwischen, und sei vorsichtig.«

»Ich werde sehen, was ich machen kann. Als nächstes werde ich zu Carol in die Praxis gehen. Wenn ich mich von dort nicht melde, dann benachrichtige die Polizei.«

Es dauert einige Stunden, bis Bates alles für den Trip zum Rattennest zusammen hat: ein zehnköpfiges Kommando auf offenen Einmanngleitern, zwei bewaffnete Transporter (einen für die Gerichtsmediziner, der mit einem Roboter für die Erdarbeiten ausgestattet ist, und sein eigener mit Sergeant Parsons, zwei Technikern und der ganzen Ausrüstung) und schließlich den Exhuminierungsbeschluß, den ein Richter fast unleserlich beim Frühstück unterzeichnet hat. Er möchte mit dem Papier in der Hand gerade aus seinem Büro gehen, als ihm einfällt, noch rasch Akeli zu benachrichtigen. Er macht es so geheimnisvoll wie möglich: Er würde erst später zu ihrem Treffen kommen, einer ganz unerwarteten Entwicklung der Dinge wegen. Und wieder ist er an der Tür, als Buddy ihn anruft, um ihm mitzuteilen,

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daß Sally Pharis ihre Wohnung vielleicht fünf Stunden nach Mitternacht verlassen hat und seitdem nicht zurückgekommen ist.

»Meine Programmiererin befürchtet, daß sie von diesem Killer oder Assassinen getötet wurde.«

»Das befürchte ich auch. He, Buddy, warte noch: Erklär mir mal das Wort Assassine.«

»Ein Profikiller, der im Dienste einer bestimmten Sache oder einer Regierung steht und der nicht etwa für beliebige kriminelle Auftraggeber arbeitet. Gewisse schwer zugängliche Datenbanken haben Hinweise darauf, daß die Allianz schon seit längerem über ein Korps von Assassinen verfügt, obwohl es nicht bewiesen werden konnte.«

»Gewisse schwer zugängliche Datenbanken?«

»Ich darf die Quelle nicht nennen. Jeder Versuch, mich dazu zu zwingen, würde zu einer ernsten Störung führen.«

»Okay. Besteht die Möglichkeit, daß solche Assassinen Paras sind?«

»Die meisten Quellen stimmen darin überein, daß im Herrschaftsbereich der Allianz alle Psi-Talente getötet werden, sobald man sie entdeckt.«

»Das wußte ich. Was mich interessiert, ist diese schwer zugängliche Datenbank. Ist sie eventuell anderer Meinung?«

»Nicht, daß ich wüßte. Haben Sie einen bestimmten Verdacht, oder folgen Sie Ihrem Riecher, wie meine Programmiererin zu sagen pflegt?«

»Genau das tu ich, und da gibt es etwas, was mir keine Ruhe läßt. Irgendeine alte Geschichte, die ich nicht mehr zusammenbringe. Ich habe versucht, meinen Computer darauf anzusetzen, aber er konnte nichts herausfinden.« Bates unterbricht sich und schaltet die Spracheingabe seines Geräts aus. Er wollte es nicht kränken. »Buddy, hör mal ich glaube, du bist ein schönes Stückchen gerissener als so ein Standard-Polizeicomputer.«

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»Die allgemein bekannten technischen Daten sprechen dafür.«

»Hätte deine Programmiererin etwas dagegen, wenn du für mich etwas erledigst?«

»Sie hat mir aufgetragen, mit Ihnen zu kooperieren, so weit es möglich ist.«

»Prima. Dann suche mir jede Information, die du kriegen kannst, über psi-begabte Assassinen auch in Romanen und im Film. Trag alles zusammen und versuche, herauszufinden, woher dieses Wissen kommt, ob es vielleicht einen wahren Hintergrund gibt.«

»Das werde ich tun. Es wird aber einige Zeit dauern.« »Natürlich. Ich werde mich später wieder melden.« Bates schaltet seinen Computer wieder ein, dann eilt er die Treppen hinunter, wo sein Expeditionsteam wartet. Aufgereiht steht der Konvoi in der grauen Höhle der Garage. Sergeant Parsons sitzt schon auf dem Fahrersitz des ersten Transporters, dahinter die Techniker. Bates hievt sich auf den Beifahrersitz und schließt die Tür.

»Okay, Sergeant, fahren Sie los, wenn Sie soweit sind.« Die Kompressoren beginnen zu dröhnen, der Transporter hebt vom Boden ab und nimmt Fahrt auf. Die Garagentore gleiten auf, schon sind sie draußen und gewinnen rasch an Höhe. Bates lehnt sich zurück und versucht nachzudenken, aber inzwischen ist die Wirkung der Hyperpillen so stark, daß das Blut in seinen Schläfen nur so dröhnt. Er kann sich nicht konzentrieren. Als ob dieser verzwickte Fall nicht schon schwierig genug wäre! Es ist eines, diese Idee mit dem Psi-Killer aufzubringen, sich ein Motiv und den Tathergang auszudenken, und etwas anderes, einem Täter Gesicht und Namen zu geben, wie man ihn für einen Haftbefehl braucht. Im Augenblick konnte jeder in Polar City dieser Assassine sein, jeder Bürger der Republik, der Allianz oder der Konföderation - eine gute Million, auch wenn man die Kinder und Lizzies nicht mitzählte. Das ist das Problem mit den Profikillern, denkt er, daß sie kein persönliches Motiv für die Tat

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