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Authors: Katharine Kerr

Polar City Blues (30 page)

BOOK: Polar City Blues
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»Wirst du tun, was ich sage, Hurensohn?«

»Ja.<

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»Und es tut dir leid, daß du Streit angefangen hast?«

»Ja, es tut mir leid.«

»Na gut.«

John läßt ihn los und rollt zur Seite. Del gähnt, streichelt das Kind und starrt ins Nirgendwo. Doch scheint es dort jemanden zu geben, der ihr zuhört.

»Er gewinnt immer«, sagt sie zu dem Unsichtbaren. »Weiß nicht, warum sie sich die Mühe machen.

Er gewinnt doch immer.«

Leise winselnd humpelt wilder Mann zur Wassertonne und nimmt einen herumliegenden Lappen, um das Blut abzuwischen. Alter Veteran will ihm helfen, doch zögert er, den Blick auf den neu bestätigten Anführer gerichtet. Der zeigt mit dem Daumen auf wilder Mann.

»Wasch ihm das Gesicht. Gott will diesen Weißen so schnell wie möglich haben. Wir haben schon genug Zeit verloren.«

Nicht genug, bei weitem nicht genug, denkt Mulligan. Als er seine Antenne spielen läßt, kann er Nunks spüren, der noch immer sein Signal so schwach wie möglich hält, damit der Killer es nicht entdeckt. Er spürt, daß sein Freund rasch näher kommt, aber es ist noch ein langer, langer Weg.

»Nunks?« fragt Lacey, »bist du sicher, daß wir hier richtig sind?«

Nunks zuckt mit den Schultern und hebt die Hände, um ihr zu bedeuten, daß er es hofft. Langsam wird Lacey nervös; plötzlich ist ihr auch bewußt, daß Sam und Bates ihr und Nunks blind vertraut haben und daß dieses Vertrauen nun in Zweifel umschlägt. Es ist auch kaum vielversprechend, was sie hier sehen: eine schiefe weiße Mauer, brüchig und umgeben von windzernagten braunen Schutthaufen; ein Dutzend Felsbrocken ringsum verstreut und eine rostige Metallhülse, vielleicht zwanzig Meter hoch, die einmal der Rumpf eines Raumgleiters, vielleicht auch eines antiken Flugzeugs war. Bates kommt herüber zu ihnen, gefolgt von einer Polizistin, die einen Berg Ausrüstungsstücke in den Armen trägt.

»Okay, Lacey. Denke, wir machen es so: Ich gebe euch unsere Standardausrüstung - Helme mit Funk und Infrarotsichtgeräten, denn da unten wird es dunkel sein, und dann reflektierende Westen und Betäubungspistolen. Sollen ein paar meiner Leute mitkommen?«

Auf seine Frage blickt Nunks auf und schüttelt abwehrend den Kopf. Kein Gedanke, daß einer der Polizeihelme mehr als die Hälfte seines zweigeteilten Kopfes bedecken könnte, doch findet sich eine riesige Weste, die er über seinen Overall ziehen kann.

»Nein, Chief, aber vielen Dank. Besser, wenn Sie Ihre Leute hier oben verteilen; sie könnten sich umsehen, ob es noch einen anderen Eingang gibt. Aber lassen Sie ein paar hier und sagen Sie ihnen, sich schußbereit zu halten, falls wir überstürzt auftauchen sollten. Vielleicht verfolgt man uns.«

»Das hatte ich ohnehin vor.« Er macht eine Pause und blickt suchend über die Schuttberge. »Wo ist bloß dieser Eingang?«

Mit einem Wink seiner riesigen Hand bedeutet Nunks ihnen zu folgen; in hastigen Schritten umrundet er den zerbeulten Flugzeugrumpf bis zu einem Wall aus allerlei Trümmern und Abfall. Er zögert, dann bückt er sich rasch, fegt einen wahren Regen von Gerumpel zur Seite, und da ist es: eine runde Einstiegsluke, flach in den Boden eingelassen, darauf die unvermeidlichen Buchstaben
NASA.
Der Lukengriff ist sauber, glattpoliert - ganz offensichtlich wird er ständig benutzt.

»Himmel«, sagt Bates, »ein Tunnel? Da bin ich wirklich froh, daß ich nicht mitkommen muß.«

Lacey und Sam tauschen ein kurzes Grinsen aus. Raumfahrer waren gewohnt, durch Röhren zu kriechen, denn eine andere Verbindung zwischen den einzelnen Modulen 256

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der Schiffe gab es nicht. Aber von Nunks kommt eine Art Seufzer, den Lacey als Unbehagen oder gar Furcht versteht, obwohl sie sich nur schwer vorstellen kann, daß Nunks sich vor irgend etwas fürchtet.

»Meinst du, daß du da reinpassen wirst?« fragt sie.

Er zuckt die Achseln, dann bückt er sich und zieht an dem Lukengriff. Mit einer eleganten Bewegung, als würde er den Deckel eines Topfs abnehmen, öffnet er die schwere Luke aus massivem Metall.

Stählerne Tritte führen hinunter ins Dunkel. Lacey klappt das Infrarotvisier ihres Helms herunter und zieht die Betäubungspistole, mit der sie zumindest so lange wird vorlieb nehmen müssen, wie Bates sie sehen kann. Bald hofft sie, ihren Laser in der Hand zu haben ein tröstlicher Gedanke.

»Okay, Leute. Jetzt kann's losgehen, nicht wahr? Ich geh' voraus, dann kommt Nunks, zum Schluß Sam. Du wirst uns den Rücken freihalten, also mach die Augen auf, ja? Nunks, du legst mir eine Hand auf die Schulter, damit du mir die Richtung angeben kannst. Du bist der einzige, der Mulligan " finden kann.«

Doch als sie endlich bis zur Sohle des Tunnels hinabgeklettert sind, weiß Lacey, daß sie Mulligan auch ohne Psi-Fähigkeiten finden können: Fleißige Füße haben auf der Mitte des staubigen Tunnelbodens eine Spur freigetreten, und im I Infrarotsichtgerät leuchtet sie in einem matten Orange; sie 1 gibt noch etwas Wärme ab, vor nicht allzu langer Zeit muß
jemand
hier gegangen sein. Sie lächelt und rückt das Mikrophon des Funkgeräts zurecht.

»Okay, Chief. Wir sind auf dem richtigen Weg. Können Sie mich hören?«

»Einwandfrei.« Bates' Stimme dröhnt in ihren Ohren. »Bleiben Sie in Verbindung, ja? Viel Glück und Waidmanns Heil!«

»Glaubst du, daß er gehen kann?« fragt wilder Mann.

»Keine Ahnung.« Nachdenklich beißt sich John Hancock auf die Unterlippe, während er Mulligan mustert. »Du hast ganz schön zugeschlagen.«

»Kannst du gehen, Weißer?« Wilder Mann stößt Mulligan mit der Stiefelspitze gegen die Rippen.

»Nicht weit.« Mulligan spricht die Wahrheit. Er hat jetzt lange nicht mehr geschlafen, und sein Kopf beginnt wieder zu schmerzen; er sieht auch nur noch verschwommen. »Du hast mir beinahe den Schädel eingeschlagen.«

Wilder Mann lacht und schwingt zum Spaß seinen Arm, als würde er mit einem Rohrende ausholen.

»Besser, wir fahren ihn«, sagte John.

»Wo bringen wir ihn hin?«

»Zum Tempel. Kann mir keinen anderen Ort denken. Gott hat nicht zu Ende gesprochen, hat mir nicht gesagt, wie ich es machen soll. Vielleicht eine Prüfung. Hol die Karre!«

Das Gerät erweist sich als eine altmodische, rotlackierte Schubkarre, die man mit Muskelkraft bewegen mußte. Zweifellos stammte sie noch aus der Zeit, bevor man in der Kolonie das Supraleiternetz verlegt hatte. John und wilder Mann nehmen Mulligan an Schultern und Füßen und verstauen ihn wie einen Sack auf der Karre, daß sein Kopf zwischen den Griffen liegt und die Füße vorne in die Luft ragen.

»Vielleicht kann ich doch gehen«, sagt Mulligan, »wenigstens ein Stück.«

»Damit du uns noch wegstirbst! Nein, wir wollen unser Manna haben.«

Sie waren kaum hundert rumpelnde, nervtötende Meter gefahren, als Mulligan klar wird, daß seine Überlebenschance deutlich größer wäre, wenn er nur auf seinen Füßen stände. Aber was er auch sagt, John Hancock bleibt stur. Alter Veteran schiebt die Karre, und so eilen sie durch ein Labyrinth von Tunneln, biegen rechts und links ab, so oft und willkürlich, daß schon nach fünf Minuten Mulligan hoffnungslos verwirrt ist. Einmal, als er versucht, Nunks zu 258

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erreichen, spürt er ein anderes Bewußtsein, das nach ihm sucht: ein hungriges Suchen, dessen Berührung sich wie das Schnappen gefährlicher Zähne anfühlt. Eilends bricht er den Kontakt ab und konzentriert sich auf nichts weiter als die Windungen und Biegungen des Tunnels, der sich hin und wieder überraschend zu einem Raum öffnet. Immer weiter geht es, hüpfend und ratternd, bis er auch das nicht mehr spürt und sein Universum nur noch aus Schmerz besteht.

Schließlich gelangen sie in einen kleinen, halbrunden Raum, dessen blaugrauer Plastbetonboden sauber gefegt ist, fast schon glänzt. In der Mitte steht eine Blechtonne, ein fleckiges weißes Tuch darüber, und darauf liegt wieder ein Kristall - diesmal lang und flach. Der Heilige Altar, das mußte er sein, denkt Mulligan. Höchstwahrscheinlich ist es nichts anderes als eine Art Psi-Verstärker. Er behält recht; John macht eine Kniebeuge, dann kniet er sich vor den Altar und legt kurz die Stirn auf den Kristall, wenige Sekunden nur. Auf einer Seite des Raums ist eine Tür aus durchscheinendem Kunststoff, vor der ein Berg Schutt liegt; auf der anderen Seite sind die Eingänge, so scheint es Mulligan, zu zwei Schwebeplattformen. Doch wie sich herausstellt, sind es altertümliche Fahrstühle.

Ihre Stromversorgung scheint noch zu funktionieren, denn als John hinübergeht und auf einen Knopf drückt, gleiten die Türen auf.

»Legt ihn rein und schickt ihn nach oben«, sagt John. »Gott sagt, daß das Manna in dem anderen runterkommt.«

Nicht ohne Sorgfalt legen alter Veteran und wilder Mann Mulligan auf den Boden des Fahrstuhls.

Wenn er nicht solche Kopfschmerzen gehabt hätte, hätte er sicher laut aufgelacht. War es nicht grotesk, daß sie ihn im Fahrstuhl in den Tod schickten? Daß sie ihn buchstäblich zum Himmel ließen, während >Gott< oben auf ihn wartete? Aber so wie sein Kopf schmerzt, erscheint ihm das Messer des Killers als Erlösung. Die beiden Kerle gehen hinaus, und John legt den Finger auf den Knopf.

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»Vaya con Dios.« Kräftig drückt er den Knopf.

Schaukelnd und mit dem gequälten Quietschen einer schlechtgeölten Mechanik setzt sich der Lift in Bewegung. Mulligan konzentriert sich und lauscht auf ein Signal von oben. Dieses Mal hat er Erfolg.

Trotz seiner Benommenheit schockiert ihn die Energie dieses Bewußtseins, das mit ihm Kontakt aufnimmt.

Okay, Gott, wer bist du?

Das wirst du gleich sehen. Habe keine Angst, ich werde dich nicht töten.

Warum nicht?

Ich brauche eine Geisel. Gleich wirst du sehen, warum. Warte.

Mit einem letzten Ächzen stoppt der Lift. Als die Türen aufgleiten, dringt Essiggeruch herein, der sogar die Muffigkeit der Tunnelluft übertönt.

»Hättest nie gedacht, daß Gott wie ein Raumfahrer aussieht, oder?« Die Stimme ist überhaus freundlich, wenn auch der Humor etwas gequält wirkt. »Willkommen im Himmel, mein Freund!«

Der Mann, der den Fahrstuhl betritt, trägt einen ausgeleierten grauen Overall wie die Arbeiter im Raumhafen. Er ist blond, muskulös, mit einem gutgeschnittenen Gesicht wahrscheinlich, wenn es nicht halbseitig gelähmt wäre: Ein Mundwinkel hängt nach unten, die Augenbrauen sind auf verschiedener Höhe. Auch der Gang ist merkwürdig, breitbeinig und etwas schleppend, als würde ihm im Schritt etwas zu schaffen machen. Ein Schlaganfall, denkt Mulligan.

Kein Schlag.. Eine Hautgeschichte, Infektion vielleicht. Du bist meine Fahrkarte zum nächsten Arzt.

Werde dich eintauschen: Medizinische Vorsorgung und ein Platz im nächsten Schiff. Will diesen
verdammten Planeten nie wieder sehen!

Überraschung. Erleichterung.

Aber Mulligan sendet ein falsches Signal. Mit der letzten Energie, die ihm verblieben ist, verbirgt er seine wahren

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Gefühle. Obwohl dieser Kerl ein guter Lügner ist - ein Lügner ist er allemal. Das einzige, was er in seinem Geist
lesen
kann, ist: Blutdurst.

Ungefähr zehn Minuten sind sie nun der Wärmespur durch den langen, geraden Tunnel gefolgt.

Plötzlich packt Nunks Lacey an der Schulter und schüttelt sie. Ihr erster Gedanke ist, daß er Platzangst bekommen hat, aber mit einigen Gesten kann er ihr schließlich klarmachen, daß etwas Schreckliches passiert ist. Zwar lebt Mulligan noch, aber sie müßten sich beeilen, wenn es dabei bleiben sollte. Ohne daß sie darüber ein Wort verlieren müßten, tut Sam es ihr nach, als sie die Betäubunspistole in die Tasche der Polizeiweste steckt und ihren Laser zieht. .

»Dann also los«, sagt Lacey. »Vamos, muchachos!«

Sam rückt zu ihr auf, und Seite an Seite laufen sie los. Nunks folgt ihnen schnaufend.

Der Tunnel wendet sich nun in einer sanften Kurve nach rechts; sie passieren Schiebetüren, einige halboffen, die meisten aber geschlossen. Hin und wieder zweigt ein Seitentunnel ab, doch führt die leuchtende Spur immer geradeaus, wird heller und heller, bis sie voraus blendende Helligkeit sehen.

Sie verlangsamen, um etwas zu verschnaufen.

»Ein Lagerfeuer«, flüstert Sam, »man kann kaum hingucken mit diesem Sichtgerät.«

»Ja.« Lacey klappt das Visier hoch. Einen Augenblick lang kann sie gar nichts mehr sehen, dann zeichnet sich allmählich der Umriß der Tunnelmündung ab, und dahinter brennt ein Holzfeuer.

»Nunks, ist dort Mulligan?«

Unter Stöhnen und Fäusteballen schüttelt Nunks den Kopf.

»Ich wußte die ganze Zeit, daß es einfach zu glatt läuft«, murmelt Sam.

Lacey nickt, dann geht sie voran; sie hält sich dicht an der Wand und vermeidet jedes Geräusch.

Gleichzeitig mit Sam

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stürzt sie aus der Tunnelmündung, den Laser beidhändig im Anschlag.

»Keine Bewegung!«

Eine zu Tode erschrockene Frau hockt beim Feuer, ein Baby in den Armen; sicher Carols Patienten, denkt Lacey, diese Del und ihr namenloses Kind. Weil die Halle sonst leer ist, kommt sie sich äußerst lächerlich vor und läßt die Pistole sinken. Als Nunks aus dem Tunnel tritt, kreischt Del auf und weicht geduckt zurück.

»Also gut«, fährt Lacey sie an. »Niemand tut dir etwas, wenn du uns die Wahrheit sagst. Wo ist der blonde Weiße?«

»Sie haben ihn zu Gott gebracht, er will ihn kaufen.«

»Was?«

»Wie ich gesagt habe, Kleine.« Sie richtet sich auf den Knien auf und blickt Lacey mit dem Ausdruck beleidigter Würde in die Augen. »Und sag mir nicht, was ich tun soll, weiße Schlampe.«

»Ach ja?« Als Lacey den Laser hebt, duckt sich Del wieder. »Ich habe gefragt: Wo ist er?«

»Ich habe es doch gesagt, sie haben ihn zu Gott gebracht. Ich weiß nicht, wo Gott wohnt. Nur John weiß das.«

Nunks kommt näher; er zeigt auf Del und nickt mehrmals, sehr bestimmt.

»Du glaubst wirklich, daß sie die Wahrheit sagt?« fragt Lacey.

Wieder nickt Nunks, dann gestikuliert er; verzweifelt versucht er, etwas zu sagen. Lacey kann es nicht erraten.

»Nun kommt schon«, sagt Sam. »Wo immer er ist, hier ist es nicht.«

»Da hast du sicher recht.« Lacey stellt sich mit dem Rücken zum Feuer und klappt das Visier herunter, um sich die Ausgänge aus der Halle anzusehen. Ein deutlich stärkeres Leuchten führt in einen kleineren Seitentunnel. »Ich wette, sie sind diesen Weg gegangen.«

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