Polar City Blues (32 page)

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Authors: Katharine Kerr

BOOK: Polar City Blues
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Das Bild, das sein Unbewußtes für diesen Schmerz findet, ist Feuer. Ein loderndes, sengendes Flammenmeer, das mehr Qual bereitet als jedes wirkliche Feuer. Mulligan weicht zurück, sein Atem geht keuchend, es ist seine physische Reaktion, hier und jetzt, und er öffnet die Augen. Noch immer liegt er auf der Plattform, und natürlich hat sein Körper an dem Feuer keinen Schaden genommen, wie hartnäc-270

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kig auch immer sein Gehirn die brennenden Schmerzen vorspiegelt.
Der Schmerz ist in deinem Kopf.

Er kann dich nicht umbringen. Es kann nur weh tun, das ist alles.
Wieder schließt er die Augen, wieder steht er auf der Plaza, aber diesmal kann er die Wand aus Flammen erkennen, sie trennt ihn von Chief Bates. Da taucht Tomaso neben ihm auf, aber sein Bild ist merkwürdig verschwommen und blaß.

Hör auf damit!
Mörderische Wut.
Hör auf oder ich töte dich auf der Stelle!

Du kannst mich nicht töten. Du brauchst mich, mehr denn je. Wäre ich nicht hier, hätten sie längst
eine Granate hier hochgeworfen. Es wäre aus mit dir!

Tomasos Bild verblaßte. Eine lange Weile steht Mulligan da und kämpft mit sich selbst. Er möchte durch das Feuer gehen, ganz zweifellos, doch ein Teil seines Geistes weigert sich schlicht. Feigheit ist es nicht, denn sie ist die bewußte Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten; aber dieser hartnäckige Teil seines Ichs hat nur das eine Bestreben, diese Qual meiden, die das vor ihm auflodernde Feuer bedeutet. Das übrige Bewußtsein kann noch so viel argumentieren, bitten, schmeicheln, an die Ehre appellieren der Überlebensinstinkt hört nicht zu. Dann fällt ihm ein, daß, wenn er durch die Feuerwand geht, Lacey einen Grund haben wird, auf ihn stolz zu sein. Das genügt; schon ist er auf dem Weg, ohne eine bewußte Anstrengung taucht er in die Flammen ein.

Von weit her hört er einen Mann schreien; er bemerkt, daß er selbst das ist. Er zwingt sich, weiterzugehen, obwohl jeder einzelne Nerv seines Körpers vor Schmerz tobt und um Schonung bittet.

Es
kann dich nicht umbringen, es kann nur weh tun.
Nur der Wille zählt noch, eine blinde Rücksichtslosigkeit, die jeden Fuß zum Gehen zwingt, einen nach dem anderen. Es gibt nichts anderes mehr auf der Welt; das Leben besteht im Aufsetzen der Füße, noch ein Schritt, wieder einer, während die Flammen auf seiner Haut brennen.
Er kann dich nicht umbringen, es kann nur weh tun.

Tomaso ist wieder da; er sieht seinen Mund Worte formen, doch er hört ihn nicht. Er schwenkt wild seine Arme, wie ein Gärtner, der einen Hund aus seinen Beeten scheucht. Mulligan lächelt nur.

Das muß man dir schon lassen. Du bist große Klasse, mein Lieber. Wie du das in mein Gehirn
gekriegt hast ...

Tomaso stampft und tanzt vor Wut, aber sein Bild wird blasser und blasser, als er seine Aufmerksamkeit wieder den Polizisten zuwenden muß. Mulligan winkt ihm zu und geht weiter, noch einen Schritt; er macht eine Pause, schreit, dann der nächste Schritt und mit einem Mal ist der Schmerz verschwunden. Von dem Feuer keine Spur mehr. So groß wie der Schmerz, so groß ist nun der Schock über sein Aufhören fast kann er seine Vision nicht aufrechterhalten. Er bleibt ruhig liegen, genießt das Gefühl des Nicht Schmerzes. Und nun geht er wieder über die Plaza. Chief Bates dreht sich um, um mit ihm zu reden, und im Brunnenbecken liegt das tote Carli. Er hat gewonnen, und er hört, das ist keine Vision, wie Tomaso vor ihm auf der Plattform wütend aufheult.

Als Mulligans erster Schrei von oben ertönt, etwas dünn gegen die Megaphonstimme von Bates, ist Lacey schon halb aufgesprungen, bevor Sam sie packen und herunterzerren kann. Der grelle Laserstrahl zischt nur wenige Zentimeter an ihr vorbei.

»Arschloch!« schimpft Sam. »Du tust Mulligan keinen Gefallen, wenn du dich umbringen läßt.«

»Ja, sicher. Aber sag mir um Himmels willen, was der Kerl mit ihm macht!«

»Denk nicht daran. Du willst es gar nicht wissen.«

Da meldet sich Sergeant Nagura im Kopfhörer, und sie kann sehen, daß auch Bates das Megaphon sinken läßt, um zuzuhören.

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»Sir, jemand klettert an der Rückseite des Turms hoch.« Die Frau hört sich erschrocken an. »Sir! Es ist kein Mensch!«

Mit einem Fluch klappt Lacey das Visier herunter und späht in die Nacht hinaus. Es ist nichts zu erkennen.

»Wie ist er durch unsere Linien gekommen?« knurrt Bates. »Ich kann nichts sehen.«

»Er ist genau auf der anderen Seite, Sir. Hab' keine Ahnung, wie er dort hingekommen ist. Vielleicht hat er sich unsichtbar gemacht?«

»Und vielleicht ist das gär kein Witz«, mischt sich Lacey ein. »Wenn ich richtig vermute, dann haben wir es mit einem Para allererster Klasse zu tun, und außerdem ist es eine Sie.«

»Großer Gott.« Bates hört sich furchtbar müde an. »Okay, aber sie wird es nicht überleben, wer immer sie ist. Der Killer muß sie bemerken, klar. Haben Sie vergessen, daß er auch ein Para ist?«

Als Mulligan wieder schreit, beißt Lacey die Zähne zusammen wie in einem Krampf. Sie würde die Hälfte ihres Lebens geben, würde sogar schwören, nie wieder einen Fuß in ein Schiff zu setzen, wenn er nur wohlbehalten von der Plattform herunter käme. Plötzlich streckt sich der knieende Bates, holt mit dem Arm aus und schleudert etwas gegen den Turm - eine Leuchtgranate. Strahlend weißes Licht ergießt sich über das Areal vor dem Turm. Einen Augenblick lang ist sie geblendet, der Killer heult vor Wut auf. Als sie wieder sehen kann, sieht sie ihn am Rand der Plattform stehen; die Scharfschützen unten hat er vergessen, das Gewehr baumelt in seiner Hand.

»Nicht schießen!« hört sie Bates im Kopfhörer schreien. »An alle, nicht schießen!«

Jemand klettert auf die Plattform, richtet sich zu voller Größe auf und steht jetzt Tomaso gegenüber.

Eine drei Meter hohe Gestalt; ein ganzer Kranz von grün schimmernden Augen rankt sich um den Körper, der ebenso metallisch glänzt, von den mit einem Tuch umwickelten Hüften bis zu 274

den nackten Schultern. Darauf ein riesiger, ovaler Kopf mit drei großen goldenen, wie aufgesetzten Augen. Sie beugt sich vor, streckt das oberste Armpaar aus, als wollte sie dem Killer etwas zeigen.

Der Killer starrt, schreit auf und macht einen Schritt nach hinten ins Leere. Noch ein Schrei, der anhält, bis er hart auf dem Boden aufschlägt. Reglos bleibt er liegen. Im Licht der Leuchtgranate macht das Wesen auf der Plattform eine Geste, ein kurioses Nachahmen eines menschlichen Winkens.

Ihr Körper leuchtet grün und golden. Dann wendet sie sich ab, kniet nieder und macht sich an etwas zu schaffen.

»Mulligan!« Lacey schreit, so laut sie nur kann. Schon ist sie auf den Beinen und rennt hinüber zum Turm. »Ist er okay?«

Auf der Plattform wendet sich ihr der glitzernde Kopf zu. Man erkennt einen feinen, fedrigen Saum, der vom Hinterkopf zum Nacken läuft. Der Mund ist eine zierliche Ausstülpung, von zahlreichen dünnen Lippen gebildet, die sich wie Blütenblätter überlappen. Er öffnet sich kräuselnd und vibrierend, und was sie sagt, ist durchaus zu verstehen.

»Okay, Freund. Wir sind Freunde?«

»Das will ich meinen, verdammt.«

Als Lacey keuchend oben angekommen ist, hat die Insektenfrau Mulligan schon losgebunden. Er sitzt im Kontrollraum gegen die Wand gelehnt und reibt sich die Gelenke. Am liebsten wäre sie neben ihn gesunken, um ihn in die Arme zu nehmen und zu küssen. Statt dessen klappt sie nur das Visier hoch und schmollt.

»Altes Miststück, die halbe Polizei mußten wir deinetwegen zusammentrommeln .«

Mulligan schaut verblüfft zu ihr auf, dann bringt er ein dünnes Lächeln zustande.

»Sorry, war nicht meine Absicht, mich von den Verrückten einfangen zu lassen. Wird nicht wieder vorkommen, das verspreche ich dir.«

»Gut, das will ich hoffen.« Sie wendet sich der Insektenfrau zu. »He, danke auch.«

Der Blütenmund kräuselt sich wieder.

»Gern geschehen.«

Und Lacey hat das merkwürdige Gefühl, daß sie sich glänzend verstehen.

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Sobald Tomaso den Schritt ins Leere tat, war Bates auf den Beinen und rannte. Doch als er ihn erreichte, war er schon tot - das Genick war gebrochen, die Brust zerschmettert, und kein Arzt in ganz Polar City hätte eine Chance gehabt, ihn wiederzubeleben. Bates war sicher, daß es auch die Möglichkeiten der besten Kliniken im ganzen erforschten Sektor überstieg. Und er war froh darüber.

Es ersparte der Stadt die Mühe eines endlosen Prozesses und die sonst unvermeidlichen politischen Verwicklungen. Wäre der Killer am Leben und würde aussagen, dann würde die Allianz mit der üblichen Selbstgerechtigkeit alle Anschuldigungen zurückweisen und rücksichtslos alle Spuren zu verwischen suchen. Doch blieb noch die Frage offen,
wie
der Mann gestorben war. In dem langsam schwächer werdenden Schein der Leuchtgranate konnte Bates deutlich genug sehen, daß diese geheimnisvolle Fremde ihn weder gestoßen noch sonstwie berührt hatte. Wenn diese neue Spezies tatsächlich die Möglichkeit besaß, aus der Distanz zu töten, dann verhieß das nichts Gutes für die Zukunft.

Er steht auf, wischt sich einigermaßen erleichtert die Hände und entdeckt Sergeant Nagura hinter seinem Rücken, das Funktelefon in der Hand. Ein Teil der Leute ist um den Turm herum ausgeschwärmt. Sie fotografieren die

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Szene; auch der Gerichtsmediziner mit seinen Gehilfen steht schon bereit, um sich der Leiche anzunehmen.

»Schaut euch sein Gesicht an«, sagt Bates. »Ihr habt doch Handschuhe dabei? Ja? Dann benutzt sie auch.«

Von dort, wo Sergeant Nagura steht, hört man ein Würgen.

»Sie Ärmste.« Bates nimmt ihr das Telefon ab. »Bleiben Sie in der Nähe, ja? Aber gucken Sie nicht so genau hin.«

»Ja, Sir. Danke. Einer der Männer kümmert sich um die Zivilisten. Sieht nicht so aus, als ob die Geisel eine Ambulanz benötigt.«

»Gut so. Mulligan hat uns schon genug Arbeit gemacht.«

Sobald Bates die Zentrale erreicht hat, schaltet sich Parsons ein.

»Himmel, Chief, hier wimmelt es von Reportern. Was, zum Teufel, ist das für ein Quatsch mit dieser Epidemie? Wann werden Sie zurück sein?«

»Wenn ich, verdammt noch mal, so weit bin. Hören Sie, Sergeant. Sagen Sie ihnen, daß ich, wenn ich zurückkomme, die Story des Jahrhunderts für sie habe. Sagen Sie, daß ich ihnen nur das eine gesagt hätte - und sagen Sie es wörtlich: Wir haben möglicherweise einen Erstkontakt hier, aber es sind gewisse Probleme damit verbunden.«

Parsons gibt eine gurgelndes Geräusch von sich, das Bild auf dem Schirm zeigt einen Mann, dessen Augen groß und größer werden.

»Haben Sie das soweit?« sagt Bates. »Ich sage Ihnen nicht, wo ich jetzt hingehe, aber ich werde mich melden, sobald ich eine abhörsichere Verbindung habe.« Er schaltet aus, bevor Parsons noch etwas sagen kann. »He, Lacey ... am besten fahren wir alle zusammen zu A-bis-Z. Es wird eine Weile dauern, bis uns dort jemand aufgespürt hat. Nagura, Sie übernehmen das hier. Sie brechen nicht eher als in einer Stunde auf, ja? Wir brauchen etwas Vorsprung. Ach ja, eines noch: Rufen Sie Dr. Carol an und sagen Sie, daß sie uns bei

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Lacey treffen soll. Und sie soll ihre Fotos von dieser verdammten Krankheit mitbringen. Verstanden?«

Nagura ruft einige Befehle, dann nickt sie Bates zu und geht hinüber zum nächsten Transporter. Bates wendet sich der Insektenfrau zu, die etwas unschlüssig bei Nunks und Mulligan steht. Der riesige Kopf neigt sich, eine geradezu königliche Geste, wie Bates sie noch nie gesehen hat.

»Das Wesen Mulligan hat mir erlaubt, auf seine gespeicherten Erinnerungen zurückzugreifen. Ich verfüge nun über den nötigen Wortschatz Ihrer Sprache. Sicher haben Sie Fragen an mich.«

»Sicher. Am besten fangen wir mit Ihrem Namen an.«

»Ich habe keinen Namen in Ihrem Sinne. Nennen Sie mich einfach >Insektenfrau<, wie die andern auch.«

Obwohl Bates zusammenzuckt bei diesem Wort, das nach menschlicher Überheblichkeit klingt, scheint sie es ganz amüsant zu finden.

»Also gut, Madam. Wie, zum Teufel, haben Sie den Mörder da oben getötet?«

»Ich habe ihn nicht getötet. Ich habe ihm nichts anderes als ein Bild seiner Seele gezeigt, telepathisch natürlich. Er sah es, erkannte, was mit ihm los war, und tötete sich selbst aus Entsetzen darüber.«

Die Insektenfrau neigt den Kopf nach einer Seite und mustert ihn kurz mit dem dritten Auge, dann nickt sie; sie beherrscht die menschliche Gestik schon vollkommen.

»Der Name dieser Gottheit ist von Bedeutung, so weit ich das aus Mulligans Gedächtnisspeicher erfahren konnte. Er scheint als Kind dem Einfluß einer Religion ausgesetzt gewesen zu sein, die >Neo-Katholizismus< heißt, und dieser Jesus symbolisiert das Unsterbliche in jedem Menschen. Diese Gottheit kämpfte gegen das Übel an sich - Sünde, glaube ich, nennt man es , und es opferte dafür sogar sein Leben. Entschuldigen Sie, natürlich nicht es, sondern
er.
Aber bei meinem Volk ist es nicht üblich, Gottheiten ein Geschlecht zuzuordnen.«

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»Ich verstehe. Nun, Sie dürfen mich jetzt nicht mißverstehen: Ich bin verdammt froh, daß der Kerl tot ist, und es gibt überhaupt keinen Verdacht auf eine Straftat, doch müssen wir eine Art Anhörung über diesen Todesfall durchführen. Es muß jede Unklarheit ausgeräumt sein.«

Sie nickt nachdenklich, dann wendet sie sich Nunks und Mulligan zu. Alle drei stecken sie die Köpfe zusammen; unbeweglich stehen sie da, schweigend, doch findet zweifellos ein intensiver geistiger Austausch statt.

»Die Form des Körpers scheint nicht viel zu bedeuten, hab' ich recht, Chief?« Es klingt fast feierlich, wie Lacey das sagt. »Scheint, daß mir das noch nie aufgefallen ist. Vielleicht haben die Anbeter des Galaktischen Bewußtseins gar nicht so unrecht?«

»Mag sein, aber sie könnten verdammt noch mal aufhören, die Wände zu beschmieren und Bomben zu werfen, um sich zu beweisen. Aber kommen Sie, wir müssen endlich die Sache ins Rollen bringen.«

Um in Porttown keine Aufmerksamkeit zu erregen, überläßt Bates seinen Dienstgleiter Sergeant Nagura und zwängt sich in den Fond des Bentley der glücklicherweise die üblichen Maße eines Luxusgefährts bietet - neben Mulligan und die Insektenfrau. Nunks quetscht sich vorne zwischen Lacey und Sam. Bates versucht, es zu ignorieren, so gut er nur kann, aber der Essiggeruch hängt schwer in der Luft; nicht nur die Fremde riecht danach, auch auf Mulligan haben die Bakterien offensichtlich übergegriffen, schließlich muß ihn der Assassine oft genug berührt haben. Lacey scheint nicht zu befürchten, daß sie die Gefühle der Insektenfrau verletzt; sie dreht sich um und beugt sich über die Lehne des Sitzes.

»Lady, was sind das für Bakterien, die Sie da mitgebracht haben? Sie scheinen Ihnen nicht zu schaden, aber uns richten sie übel zu.«

»Das habe ich bemerkt.« Es scheint sie fast zu amüsieren. »Machen Sie sich keine Sorgen, man kann die Bakterien

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leicht wieder loswerden, und ich werde nach Kräften dabei helfen.«

»Gott sei Dank.«

Gott sei Dank, wiederholt Bates im stillen, während Sarrt meckert, daß Lacey sich endlich hinsetzen und anschnallen solle, damit er losfahren kann. Als der Gletscher aufsteigt, sitzt die Insektenfrau schweigend da; ihre vielen Arme winden sich in Spiralen eng um den Körper, den Mund mit den zahllosen Lippen hat sie geschürzt, wie es ein konzentriert nachdenkender Mensch nicht anders tun würde. Als das Rattennest schon ein gutes Stück hinter ihnen liegt, wendet sie sich an Bates.

»Sie sehen nicht wie ein Mann aus, der andere Wesen unnötig sterben läßt.«

»Na, hören Sie, es ist mein Job, dafür zu sorgen, daß es dazu nicht kommt.«

»Ich habe keine andere Wahl, als Ihnen zu vertrauen.« Sie zögert, denkt nach. »Ich bin nicht allein hierhergekommen. Sie wissen natürlich von dem Tode meines ...« Eine lange Pause tritt ein. »... der andere, der mit mir auf diesen Planeten kam. Aber wir sind mit einem Schiff gekommen - sie würden es als Kolonistenschiff bezeichnen , lange bevor Ihr Volk diesen Planeten besiedelt hat.«

»So etwas habe ich vermutet. Gibt es noch mehr Überlebende?«

»Ich weiß nicht, wie viele jetzt noch am Leben sind. Sie befinden sich im Kälteschlaf.«

»Was!? Soll das heißen, daß sie noch im Schiff sind?«

»Ja, und das Schiff ist noch immer auf einer Kometenbahn um Ihre Sonne. Es gab einen Unfall, ich weiß nicht, was es war, denn damals waren mein ... Begleiter und ich noch in unserem Kokon, könnte man es nennen. Bei dem Unfall wurde das ganze Schiff in Kälteschlaf versetzt. Es waren über vierhundert meiner Artgenossen an Bord. Sicher wurden viele von ihnen getötet, bevor die Sicherungen des Schiffs reagierten. Aber wenn wir überlebten, dann gibt es sicher noch mehr Überlebende.« Ihre Arme wickeln sich noch enger um den Leib. »Ich fürchte um ihr Leben. Warum sprengen Ihre Ingenieure Kometen in Stücke?«

»Um sie hier runterzubringen, um das Wasser zu gewinnen. Aber da ist etwas, was Sie wissen sollten: Das ist nicht die eigentliche Gefahr, die Ihren Leuten droht. Wenn ich alles richtig zusammenbringe, dann wurde dieser Killer von seiner Regierung hergeschickt, um Sie und jeden andern zu töten, der aus dem Schiff auf diesen Planeten gelangt ist. Ich möchte wetten, daß ihr nächster Schritt sein sollte, das Schiff zu übernehmen.«

»Was?« Die Insektenfrau ist völlig verwirrt. »Warum?«

»Um herauszufinden, woher es kommt. Wenn sie seinen Kurs zurückverfolgen, könnten sie Ihre Heimatwelt erobern, bevor irgend jemand im erforschten Sektor überhaupt weiß, daß es sie gibt.«

Lacey pfeift durch die Zähne, als sie sich auf dem Sitz umdreht.

»Das hört sich aber ganz nach Allianz an, Chief? Werden Sie das je beweisen können?«

»Verdammt noch mal nein, aber vielleicht können wir sie daran hindern, die Sache zu Ende zu bringen. Jetzt seid mal alle still und laßt mich nachdenken, es wird nicht einfach sein.«

Und Bates verbringt den Rest der Fahrt in die Stadt damit, einige der gefährlichsten Entscheidungen seiner Karriere zu treffen.

Als Sam den Gleiter parkt, sieht Lacey schon den roten Transporter von Carol mit Kurs auf A-bis-Z

heranstürmen. Die Landung ist sogar für ihre Verhältnisse ziemlich hart; schaukelnd kommt die Maschine vor der Laderampe zum Stehen. Mit wehenden Locken springt Carol heraus.

»Himmel, Lacey - so, wie das im Fernsehen aussah, dachte ich, daß ihr drauf gehen würdet!«

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»O verflucht«, sagt Bates. »Was war denn im Fernsehen zu sehen?«

»Eine ganze Menge. Kanal Neunzehn brachte gegen Sonnenuntergang eines seiner Magazine; das meiste natürlich Spekulationen über diese Seuche, aber das neueste Gerücht ist so ein Unsinn über einen Erstkontakt. Großer Gott, ich möchte wissen, wie sie bloß auf solches Zeug kommen!« Carol macht ein paar Schritte zu Mulligan, der auf der Kante seines Sitzes hockt, die Beine aus der offenen Tür gestreckt, als wage er nicht herauszukommen, solange Carol vor ihm steht. »Sie haben dich also gerettet? Schrecklich.«

»Irgendwie wußte ich, daß du so etwas sagen wirst.« Es hört sich ziemlich erschöpft an. »Aber würdest du mal aus dem Weg gehen? Wir haben hier jemanden, der ins Haus muß, und zwar möglichst schnell.«

Als Carol zurückweicht, schlüpft Mulligan heraus. Auf der anderen Seite hält Bates galant die Tür für die Insektenfrau auf, die sich aus der Enge herauswindet und langsam aufrichtet, bis sie alles überragt: Bates, den Gleiter. Ein Schimmern und Glänzen geht von ihr aus. Zum ersten Mal in ihrer langjährigen Freundschaft erlebt Lacey Carol sprachlos; der Unterkiefer hängt schlaff herunter, während sie den Kopf in den Nacken legt und hinauf zu den goldenen Augen der Insektenfrau blickt.

»Hallo«, flötet die Insektenfrau. »Sie sind die Ärztin? Wissen Sie, ich durfte auf Mulligans Gedächtnisspeicher zurückgreifen. Seine Eindrücke von Ihnen sind besonders lebhaft.«

»Lassen wir das lieber«, unterbricht Lacey. »Carol! Frag sie nach den Bakterien. Sie sagt, sie könnte uns helfen.«

»Gott sei Dank.« Nach einem energischen Kopf schütteln ist Carol wieder ganz die alte. »Sie können uns sagen, wie man diese Krankheit heilt?«

»Für uns ist es keine Krankheit, obwohl ich mir vorstellen kann, daß es auf andere so wirkt. Es ist ein Symbiont, mit dem wir von Geburt an zusammenleben. Er reinigt unseren 282

Körper und hilft, uns zu ernähren; dafür erhält er einen Anteil an unserer Nahrung, und wenn wir sterben, gehören wir ihm.«

»Du lieber Himmel«, flüstert Carol, »kein Wunder, daß ich nichts herausgefunden habe.«

»Nun macht schon, wir müssen ins Haus!« Lacey blickt nervös die Gasse hinunter. »Sonst werden wir noch gesehen, ein Glück, daß hier noch niemand aufgetaucht ist.«

Als sie den Garten durchqueren, öffnet sich oben die Tür zu Laceys Büro, und Rick kommt heraus, den Laser im Anschlag. Dann erkennt er sie.

»Lacey, was bin ich froh, euch zu sehen. Dieser Killer ist vor ein paar Stunden ums Haus geschlichen, Maria hat es gespürt.«

»Tatsächlich? Nun, der Mistkerl ist tot. Du kannst deine Kanone wegstecken. Es macht mich nervös, wie du da herumwedelst.«

Erst als sie die Treppe hochsteigen, bemerkt Rick die Insektenfrau. Aber er beschränkt sich auf ein höfliches Nicken und macht Platz, um sie vorbeizulassen. Im Büro wartet Maria an der Bar; sie trinkt von dem selbstgebrauten Bier. Buddys Sensoreinheit schwenkt zu ihnen herum, der Monitor leuchtet zur Begrüßung auf.

»Meine Haushaltsuntereinheit hat eine größere Menge Kaffee bereitet, und Maria hat Milch geholt und für etwas zu essen gesorgt.«

»Kekse«, sagt Maria. »Das einzige, was ich machen kann. Und Rick hat Karotten und einiges andere aus dem Garten geholt.«

Lacey ist viel zu aufgeregt, um zu essen, aber die anderen wissen das improvisierte Büffet zu schätzen und machen sich mit Appetit darüber her. Der Insektenfrau beim Essen zuzusehen sagt mehr über diesen Symbionten, als jede wissenschaftliche Abhandlung es könnte: Sie nimmt sich einen der krümeligen Kekse und hält ihn an ihren viellippigen Mund. Fast sofort bilden sich lange Fäden von grauen Zuk-283

kerkristallen, die sie mit der Mundröhre graziös einsaugt. Carol läßt sie nicht aus den Augen, die Kaffeetasse in der Hand ist vergessen.

»Ich wüßte gerne, wie wir es von den Leuten wieder wegkriegen, die es nicht brauchen können.«

»Sehr einfach«, sagt die Insektenfrau. Sie hat mit einem der unteren Arme eine Serviette genommen und sie von Arm zu Arm weitergereicht, bis sie sich anmutig und dezent den Mund abtupfen kann.

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