Meat (47 page)

Read Meat Online

Authors: Joseph D'Lacey

Tags: #Fiction, #Horror, #Thrillers, #Suspense, #Science Fiction, #General, #General Fiction

BOOK: Meat
11.16Mb size Format: txt, pdf, ePub

Hinter ein paar Weiden führte die Straße entlang, welche Fabrik und Stadt miteinander verband, und auf der sie ― in unterschiedlichen Abständen ― drei verschiedene Gruppen ausmachen konnte. Diejenige, die Collins am nächsten kam, war ein Trupp Schwarzmäntel. Hinter ihnen ― noch so weit entfernt, dass die Gruppe vor ihnen sie möglicherweise noch nicht bemerkt hatte ― wurde eine große Schar Pastoren von einem Mann angeführt, den sie selbst aus dieser Entfernung ohne Schwierigkeiten erkannte. Die Art, wie er lief, sein geneigter Kopf, die Schulterhaltung. Sie kannte seine Eigenarten nur zu gut. Und doch längst nicht gut genug.

Die letzte Gruppe war die mit Abstand größte und immer noch ziemlich weit entfernt. So weit sie es erkennen konnte, handelte es sich schlicht um einen gewaltigen Pulk Städter. Die Spitze kam langsam näher, aber das Ende der Kolonne schien nicht in Sicht. Sie erstreckte bis hinein nach Abyrne. Es war unmöglich zu sagen, wie viele es waren.

Sie alle strebten zur MFP-Fabrik.

Sie alle wollten Blut sehen.

Sie war es satt. In dieser Stadt war weiß Gott genug Blut geflossen. Genug, um einen Fluss damit zu füllen, dessen Lauf sich von hier bis zur Unendlichkeit hinzog. Mit einem Mal entpuppte sich all das, was sie zu sehen vermochte und was sie zu verstehen begann, als falsch. Nicht bloß mit Makeln behaftet, sondern so vollständig verdreht, so dass es keinen Sinn mehr ergab.

Sie widmete ihre Aufmerksamkeit wieder dem kleinen Trupp, der aus Collins und seinen Anhängern bestand und empfand plötzlich das starke Bedürfnis, sie zu beschützen. Jedem Einzelnen von ihnen musste von Anfang an klar gewesen sein, dass sie hier ihren Tod finden würden. Den
noch standen sie unerschütterlich ihren Mann. Nur noch ein einziges Wesen war derart nobel.

Vielleicht hatten sie doch noch eine Chance.

Sie wandte sich ab, ging zur Leiter und stolperte über die Säume ihrer Robe. Sie fiel unglücklich. Sie war nicht mehr in der Lage, sich schnell genug zu schützen, und schlug mit dem Kopf gegen die gegenüberliegende Wand des Turmes. Ihr wurde schwarz vor Augen. Noch mehr Schmerz, aber es fiel ihr inzwischen leichter, ihn zu ignorieren. Schmerz war die Essenz ihres Daseins, vom Aufwachen bis zum Einschlafen. Etwas trieb sie zur Eile. Dann erinnerte sie sich an Collins.

Sie musste sich beeilen. Sie schenkte dem Blutgerinnsel in ihrem rechten Auge keine Beachtung, stieg auf die Streben und begann herunterzuklettern. Drei Stufen über dem Boden trat sie ins Leere und konnte sich nicht mehr halten. Sie stürzte und landete auf dem Rücken im aufgewühlten Morast der Weide.

Sie rollte sich auf die Seite, griff nach einem der Pfeiler des Turms und zog sich daran wieder auf die Füße. Ein paar Schritte weiter befand sich ein hohes, verriegeltes Gatter. Eines von vielen, das die Auserwählten daran hinderte, ihre Weiden zu verlassen. Sie humpelte hinüber. Es erforderte ihre volle Konzentration, den Riegel zu öffnen. Dann zog sie es auf ― unter Einsatz ihres schwindenden Körpergewichts an die Planken des Gatters gehängt. Weiter hinten in der dichten Hecke befand sich ein weiteres Gatter.

Sie taumelte zu ihm herunter.

 

Mit eiligen Schritten gab der Großbischof den Pastoren das Tempo vor, aber sie waren nicht schnell genug. Die Kolonne der Städter kam rasch näher.

Der Mob, der sich aus den Türen von ganz Abyrne ergos
sen hatten, wurde getrieben von Angst und Wut. Ihre Anzahl verlieh den Menschen unermessliche Kraft. Kurz nachdem sie das Anwesen verlassen hatten, waren diejenigen an der Spitze in einen Laufschritt gefallen. Wer mithalten konnte, schloss sich ihnen an. Als sie die rasch vorwärtsstrebenden Pastoren erblickten, trug das nicht gerade dazu bei, dass sie langsamer wurden. Die Städter waren sich ihrer Übermacht bewusst und begannen die Verfolgung aufzunehmen. Sie waren hungrig, gierten nach Fleisch und waren bereit, darum zu kämpfen.

Als der Großbischof realisierte, dass der panische Mob Hatz auf sie machte, wusste er, dass er eine Entscheidung zu treffen hatte. Es war schlicht unmöglich, den Abstand zu halten. Die aufgebrachte Menge war drauf und dran, sie einfach niederzurennen. Ihre letzte Chance war, sich den Städtern zu stellen und mit ihnen zu sprechen. So wie er es so oft in den Straßen, auf den Plätzen und in der Zentralkathedrale getan hatte. Er würde ihnen Gottes Wort darauf geben, dass sie alles bekämen, wonach sie verlangten. Er hob die Hände und stoppte den Pulk der Pastoren hinter sich. Er brauchte Zeit, um zu Atem zu kommen, bevor die Städter sie einholten.

Atwell war direkt hinter ihm.

»Was tut Ihr, Eure Exzellenz?«

»Ich versuche, das Ende der Welt zu verhindern. Wenn wir uns den Städtern nicht stellen, dann sind wir verloren. Und wenn wir nicht mehr sind, wird die Stadt sich selbst zerstören.«

»Aber wäre es nicht sicherer, ihnen auszuweichen und Schutz in der Fabrik zu suchen? Dann können wir von dort zu ihnen sprechen.«

»Nein, wenn sie uns erst einmal bis dorthin gejagt haben, werden sie keinen Grund mehr haben uns zuzuhören. Sie
werden jeglichen Respekt verlieren. Wir müssen ihnen entgegentreten.«

Der Großbischof bahnte sich einen Weg durch die nach Luft schnappenden Pastoren. Mit dem Rücken zu dem schnell näher kommenden Mob, sprach er: »Haltet die Reihen. Weicht nicht einen Meter zurück und zeigt keinerlei Emotionen. Die Fürsorge ist die höchste Autorität in dieser Stadt, durch uns spricht Gottes Stimme zum Volk. Lasst uns dementsprechend auftreten.«

Er drehte sich herum und wartete darauf, dass der Tross herankam. Als die Spitze der Kolonne noch etwa zweihundert Meter entfernt war, hob er mit versteinertem Gesichtsausdruck abermals die Hände und wartete.

Die ersten Reihen waren aufgrund ihres Tempos noch dünn besetzt, aber sie waren nur die Vorhut. Die Horden folgten auf dem Fuß. Selbst als sie den Großbischof erblickten, hörten sie nicht auf zu rennen. In ihren Gesichtern spiegelte sich die Verachtung und Empörung, die sie empfanden. Sie waren verzerrt vor Wut und Entrüstung, Ausdruck einer enthemmten Hybris, erfüllt von dem Wissen, dass nun alles geschehen konnte. Und, wenn es erst einmal so weit war, konnte es niemand mehr aufhalten. Der Großbischof sah, dass sich viele mit Eisenstangen, Ziegelsteinen und Geröllbrocken bewaffnet hatten.

Er atmete tief durch und bemühte sich dann, so vielen Männern und Frauen wie möglich, direkt in die Augen zu sehen. Sein Gesichtsausdruck blieb streng und gebieterisch. Die Menge wurde langsamer. Die vorderen Reihen verdichteten sich, je mehr Menschen von hinten nachrückten. Sie versteinerten zu einer Mauer von Gesichtern.

Ihm fiel auf, wie dünn und hohlgesichtig viele von ihnen ihm Vergleich zu den wohlgenährten, kräftigen und rotwangigen Pastoren aussahen. Er wusste, dass seine Stimme
nur die ersten hundert, vielleicht tausend Städter erreichen würde. Danach würde sich sein Wort von allein unter ihnen verbreiten müssen. Er wartete, bis er sich sicher war, dass die Kolonne zum Stehen gekommen war und dass ihm genügend Städter zuhörten.

»Bürger von Abyrne, ihr seid Gottes Kinder, in Gottes Stadt. Als sein Bevollmächtigter, der Bewahrer eurer Fürsorge, habe ich euch Folgendes mitzuteilen: Der Herr hat uns heute eine große Gnade gewährt. Rory Magnus, der Mann, der die Stadt mit seiner Gier an den Rand einer Hungersnot getrieben hat, Rory Magnus ist tot. Er ist tot, weil Gott will, dass seine Stadt rechtschaffen ist, dass dort jeder zu essen hat und niemand Hunger leidet. Er will eine Stadt, in der die Ordnung und Gottesfurcht vom Mitgefühl und nicht von Gewalt gespeist wird. Er verfügt ...«

»Was ist mit dem Fleisch?«, brüllte eine Stimme. Er konnte nicht sehen, wer es war.

»Ihr sollt es bekommen. Die ganze Stadt soll Fleisch bekommen. Geht zurück in eure Häuser. Erlaubt meinen Pastoren und mir, uns zur Fabrik zu begeben und die Kontrolle über die Produktion zurückzuerlangen. Dann können wir Gottes heiliges Geschenk gerecht und im Überfluss verteilen.«

»Aber wir haben jetzt Hunger«, rief jemand anderes. »Was sollen wir jetzt essen?«

Er wusste, er hätte der Frage keine Beachtung schenken sollen. Er hätte einfach weitermachen und sie ignorieren sollen.

»Genau«, begehrte die nächste Stimme auf. »Wir wollen heute noch Fleisch. Jetzt. Und nicht warten, bis ihr endlich etwas verteilt.«

Weitere Stimmen fielen ein.

»Er hat Recht.«

»Wir wollen nicht warten.«

»Gebt uns Fleisch.«

»Wir hungern.«

»Wir brauchen es jetzt.«

Der Großbischof hob erneut die Hände, um die aufgebrachte Menge zu besänftigen.

»Bitte, bitte. Es reicht. Ihr werdet alle volle Mägen haben, so wahr Gott mein Zeuge ist.«

Einige Pastoren rechts von ihm wichen vor der Menge zurück. Nicht einmal einen Meter, es war mehr ein Zurückschrecken. Aber die Städter bemerkten es, auch wenn sie es kaum hatten sehen können.

»Haltet die Reihen«, zischte der Großbischof durch den Mundwinkel.

»Wir wollen Fleisch.«

»Ich sagte doch bereits ...«

»Wir wollen Fleisch.«

Ein Sprechchor hob an.

»Wir wollen Fleisch.«

»Gute Leute, ich beschwöre euch ...«

Ihm entglitt die Kontrolle.

Der Chor wurde lauter, und immer mehr Menschen stimmten ein. Erneut flammte die Wut in ihren Augen auf. »WIR WOLLEN FLEISCH.«

Jemand warf einen zerbrochenen Ziegel. Mit einem lauten, klatschenden Geräusch traf er Atwell zwischen die Augen und zertrümmerte seinen Schädel.

Der Chor verstummte.

Nicht begreifend, was geschehen war, taumelte Atwell einen halben Schritt zurück. Ein Sturzbach von Blut sprudelte aus der Wunde, über sein Gesicht und auf seine Soutane, die sich in einem noch tieferen Rot färbte. Er sank auf die Knie und fiel auf sein Gesicht.

Der Sprechchor setzte wieder ein, leiser diesmal, gedämpfter.

»Wir wollen Fleisch ... wir wollen Fleisch.«

Stiefel und Eisenstangen trommelten im Takt der Silben auf dem Straßenbelag.

»Wir wollen Fleisch ... wir wollen Fleisch.«

Der Chor wurde kräftiger. Nun stimmten auch die Leute von weiter hinten mit ein.

Jemand warf noch einen Stein. Der Großbischof sah ihn kommen und duckte sich. Er konnte nicht sehen, welcher seiner Pastoren getroffen wurde, aber er hörte den Schmerzensschrei.

Dann war da dieser Moment. Er schien sich zwischen den Sprechchören auszudehnen. In diesem Augenblick wussten beide Seiten, dass etwas passieren würde. Gleich einer unsichtbaren Welle wuchs er an. Am Ende dieses Moments drehte sich jeder der Pastoren um und begann zu rennen. Im gleichen Augenblick kamen die Wurfgeschosse aus der Menge geflogen. Steine krachten auf Köpfe, Ziegel krachten in Beine und Rücken. Die Pastoren begannen zu fallen und der vorwärtsstürmende Mob trat sie mit Tausenden stampfender Füße in den Asphalt.

Der Großbischof hob den Saum seiner Robe und ergriff die Flucht.

 

Der Graben war gerade tief genug, dass niemand sie von der Straße oder der Fabrik aus sehen konnte, solange sie die Köpfe unten hielten. Von Zeit zu Zeit hielt Shanti inne und lugte über das hohe Gras und Unkraut, das entlang der Böschung wucherte.

Collins und seine Anhänger hatten sich in zwei Reihen aufgeteilt. Die eine hatte den Blick auf Brunos Männer, die andere aufs Werkstor gerichtet. Brunos Ankunft hatte Tor
rance und die Fleischhauer mit neuem Kampfgeist erfüllt ―ihre Feinde waren nun nicht nur deutlich in der Unterzahl, sondern waren zudem umzingelt. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis der Erste auf sie losgehen würde. Shanti wollte ganz bestimmt nicht erleben, dass sie niedergemetzelt würden. Wenn er jedoch zu ihnen zurückgehen würde, wäre damit auch niemandem geholfen. Wie Collins gesagt hatte: Er hatte seinen Teil zu erfüllen. Eine andere Möglichkeit blieb ihm nicht mehr.

Auf der anderen Straßenseite lag der äußere Sicherungszaun, der die Fleischfabrik umgab. Shanti wusste, dass er marode und nur mangelhaft gewartet war. Ihn zu durchbrechen sollte einfach sein. Er kniete sich hin.

»Kinder, ich will, dass ihr hierbleibt. Legt euch in den Graben oder versteckt euch tief in der Hecke. Ganz gleich, was auch geschieht, kommt nicht heraus, um nach mir zu suchen. Niemand darf euch sehen. Habt ihr das verstanden?«

Sie nickten. Dann brachen sie still in Tränen aus.

Er schloss sie fest in die Arme.

»Wenn es einen anderen Weg gäbe, dies zu tun, einen, der uns erlauben würde, zusammenzubleiben, würde ich nicht zögern, mich für ihn zu entscheiden. Aber es gibt keinen.«

Und in Gedanken ergänzte er:
Wenn wir das hier überleben, dürft ihr niemals gesehen haben, wie es in der Fabrik aussieht. Niemand soll jemals wieder einen solchen Ort sehen.

»So, und nun versteckt euch, meine Süßen, und ich komme zurück, sobald ich kann, um euch zu holen.«

Er gab beiden einen weiteren Kuss und versicherte sich selbst, dass dies nicht der letzte gewesen sei.

Dann kroch er weiter den Graben entlang. Weit genug, damit keiner der Kämpfer am Tor ihn sehen konnte. Schließlich sprintete er die Böschung herauf und über die
Straße. An einer Stelle war der Zaun komplett zusammengebrochen. Er sprang darüber hinweg und rannte geradewegs zur Wand des nächsten Gebäudes. Es war eine Holzwand. Er zog die neun Fingerhüte aus der Tasche, die er sich wohlweislich von seinen Töchtern geborgt hatte, und presste seine acht Finger und seinen Daumen hinein.

Dann begann er, laut und kräftig ― wie ein Wahnsinniger, der auf einem lautlosen Klavier spielt ― gegen die hölzerne Wand zu klopfen.

 

Collins stand neben Staith und mit dem Rücken zu Vigors.

Hinter ihnen auf der Straße hatte Bruno mit seinen Leuten Stellung bezogen ― bereit loszuschlagen. Die Männer vor ihnen waren zu viele, um sie zählen zu können. Collins und seine Anhänger standen Rücken an Rücken und hielten beide Fraktionen im Auge. Dies war eine gute Art zu sterben, und Collins war mehr als bereit dazu. Sein Leben hatte bereits länger angedauert, als er es geplant hatte. Wäre er nicht rechtzeitig zu der Einsicht gelangt, dass es für ihn noch mehr zu tun gab, wäre er vermutlich schon in Magnus' Arbeitszimmer gestorben.

Aber er wollte seinen Gegnern den Sieg alles andere als einfach machen. Er und seine Leute würden so viele von ihnen erledigen, wie sie konnten. Den Rest würden sie so lange wie möglich aufhalten. Doch das Licht in ihrem Inneren reichte nicht für ewig. Früher oder später würde die Energie verbraucht und damit ihre Tage gezählt sein.

Other books

Trail of Dead by Olson, Melissa F.
The Target by L.J. Sellers
Imperial Traitor by Mark Robson
Wicked Plants by Amy Stewart
The Decadent Cookbook by Gray, Durian, Lucan, Medlar, Martin, Alex, Fletcher, Jerome
Nessa's Two Shifters by Marla Monroe
The Equations of Love by Ethel Wilson
Mortal Mischief by Frank Tallis