Meat (49 page)

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Authors: Joseph D'Lacey

Tags: #Fiction, #Horror, #Thrillers, #Suspense, #Science Fiction, #General, #General Fiction

BOOK: Meat
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»Siehst du, Shanti? Wirst du jetzt endlich begreifen, was ich dir sagen will? Es ist vorbei. Schick die Auserwählten zurück auf die Weiden. Dann werden wir den anderen, vielleicht, aber auch nur vielleicht, einen humaneren Tod zugestehen. Vielleicht lasse ich sie sogar von dir niedermetzeln. Immerhin bist du der Experte.«

Shanti brach in Tränen aus, sein Entsetzen und seine Abscheu übertrafen alles, was er in all den Jahren im Schlachthaus verspürt hatte. Er durfte nicht zulassen, dass Torrance den Rest von Collins' Gefolgschaft auf die gleiche Art massakrierte. Er konnte ihre Gesichter sehen. Sie waren aschfahl im Bewusstsein dessen, was sie nun erwartete. Aber er vermochte die Auserwählten auch nicht in ihr menschenunwürdiges Leben in Knechtschaft und damit letztlich in den sicheren Tod zurückschicken.

Er würde die Herden in den Kampf schicken. Es war an der Zeit.

Er legte die Hände auf die Wand des Schlachthauses, um den Auserwählten das Kommando zu geben, die Schwarzmäntel und die Arbeiter anzugreifen. Er war überzeugt, dass Torrance annahm, dass er aufgab und sie zurück auf die Felder schickte.

Seine Finger kamen nicht mehr dazu, den ersten Takt zu klopfen, der erste Seufzer blieb ihm im Halse stecken. Seine Hände sanken nieder.

Bruno bahnte sich seinen Weg durch den nach Luft schnappenden Mob.

An ihren Haaren zerrte er Shantis Töchter ins Blickfeld. Er grinste.

»Schau her, wen ich gefunden habe.«

Torrance war entzückt.

»Perfekt«, sagte er, als er die Mädchen betrachtete. »Sieht aus, als hätten sie ein wenig zugelegt, findest du nicht auch, Shanti? Muss an all dem Fleisch liegen, dass sie in letzter Zeit bekommen haben. Zwei propere kleine Mädchen, nicht wahr?« Er zwickte Hema in ihre rosige Wange. Sie war tränenüberströmt. »Deine Mama hat auch ganz gerne mal ein bisschen Fleisch gemocht, stimmt's?« Er warf einen Blick über die Schulter auf die Auserwählten. Unruhig scharrten sie mit den Füßen. Diese Ungeduld war ihm schon früher gelegentlich aufgefallen. In der Regel in den Massenpferchen, wenn sie auf den Tod warteten und ungeduldig darauf harrten, dass es endlich vorüber war. »Du solltest dich lieber beeilen, und ihnen endlich den Befehl geben, Shanti. Oder ich muss mich entscheiden, welches der Mädchen ich zuerst umbringe. Sollte mir nicht allzu schwerfallen, sind ja schließlich eine wie die andere, oder?«

Resigniert gab Shanti es auf, über einen möglichen Ausweg nachzudenken. Alles, was er jetzt noch tun konnte, war seine Mädchen zu retten. In einem solchen Fall blieb
einem Mann keine Wahl. Er legte seine Hände wieder auf die Wand. Im Hof herrschte jetzt völlige Stille. Der Rest der Herden hatte, während die Parteien miteinander verhandelten, aufgehört, einander Botschaften zuzusenden. Die Blicke sämtlicher Auserwählter ruhten auf Shanti. Er war sich dessen bewusst, und er konnte sich denken, worauf sie warteten. Worauf sie seit Generationen gewartet hatten. Auf die Freiheit, wieder als Menschen leben zu dürfen. So wie sie es getan hatten, bevor das eintrat, was die Fürsorge »Schöpfung« nannte und was, wie Shanti und viele andere glaubten, das exakte Gegenteil war: eine verheerende Umwälzung, die einer sehr viel größeren Welt ein Ende setzte und weiter nichts zurückließ, als diesen trostlosen Ort, den sie Abyrne nannten.

Seine ersten Klopfsignale wurden vom Krawall Hunderter Füße und dem Lärm einer nach Blut dürstenden Menge geschluckt. Das Getöse kam rasch näher und wurde immer lauter. Die Arbeiter und Schwarzmäntel drehten sich zum Tor und blickten auf die Straße hinaus. Sie sahen, wie die letzten Pastoren, angeführt von ihrem Großbischof, stolpernd und taumelnd, auf der Flucht vor den Städtern, auf das Tor zuliefen. Tausenden von Städtern. Die Schnellsten waren bereits mit den Pastoren gleichauf, und immer mehr von ihnen schlossen zu ihnen auf. Die Kolonne zog sich bis über den Horizont Richtung Abyrne.

Die Pastoren und ihr Großbischof waren bereits mehrfach von den improvisierten Wurfgeschossen des Mobs getroffen worden. Einige von ihnen konnten sich kaum noch auf den Beinen halten. Einen Moment schienen sie erleichtert zu sein, das Tor der Fabrik zu erreichen. Dann registrierten sie, dass der Hof bevölkert war von Schwarzmänteln und Fleischhauern, und ihre Mienen verfinsterten sich.

Doch sie rannten weiter, denn der Tod saß ihnen im Nacken. Um Abstand zu dem rasenden Mob zu gewinnen, umgingen sie ― wie Collins es getan hatte ― die Arbeiter und Wachen an den Flanken. Erst dann hielten sie inne und drehten sich um.

Torrance und Bruno sahen fassungslos zu, wie die ersten Reihen der grölenden Menge am Tor zum Halten kamen. Ihre Zahl wuchs rapide an.

»Was, zur Hölle, geht hier vor?«, rief Torrance in den Tumult.

Der Chor setzte aufs Neue ein.

»Wir wollen Fleisch, wir wollen Fleisch.«

Immer mehr fielen mit ein.

Immer schneller.

»WIR WOLLEN FLEISCH! WIR WOLLEN FLEISCH!«

Während Torrance und Bruno ihr den Rücken zudrehten, stolperte Mary Simonson durch die Herden der Auserwählten auf Shantis Zwillinge zu. Auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck verzweifelter Entschlossenheit. Der Ausdruck eines Menschen, der weiß, dass er die Grenzen seiner körperlichen Leistungsfähigkeit überschreitet.

»Nein«, sagte Shanti leise. »Wenn sie nicht stehen bleibt, werden sie die Zwillinge umbringen.«

Er hatte nicht bemerkt, dass sich jemand hinter ihm vorbeigeschoben hatte. Dann sah er, dass Parfitt losgerannt war, um Pastorin Mary Simonson zu stoppen. Er war jünger und schneller, aber ihr Vorsprung auf ihn war zu groß. Sie erreichte die Mädchen und versuchte, sie Bruno zu entreißen. Ein Unterfangen, das in ihrer Verfassung zum Scheitern verurteilt war. Doch obwohl ihr Körper kurz vorm Zusammenbruch stand, schien ihre Willenskraft unerschütterlich. Sie ergriff jeweils eine Hand der Mädchen und zerrte daran. Bruno, der in die andere Richtung gese
hen hatte, drehte sich herum und zog die Kinder näher an sich. Pastorin Mary Simonson fiel auf die Knie, aber sie ließ nicht los.

Als Parfitt sie erreichte, krallte er sich eine fallen gelassene Kette. Er hob sie auf und schwang sie geradewegs auf Brunos Kopf herab. Der Griff, mit dem der Anführer der Schwarzmäntel die Zwillinge umklammerte, löste sich. Pastorin Mary Simonson fiel auf den Rücken und ließ ebenfalls los. Bruno griff sich an den Kopf und torkelte. Torrance drehte sich um und erhob sein Messer. Andere Männer drehten sich ebenfalls um. Parfitt fasste die Hände der Mädchen und zog sie weg, zurück in Richtung ihres Vaters und der Auserwählten. Torrance stieß zu, doch die Attacke ging ins Leere.

Außerhalb der Fabrik wurde der Sprechchor immer wütender. Die Menge konnte die Auserwählten sehen, die sich in großer Zahl auf dem Hof versammelten. Sie sahen das Fleisch, wegen dem sie gekommen waren. Und sie nahmen an, dass die Fleischhauer sie davon abhalten wollten, es sich zu holen. Sie begannen, auf das Tor loszustürmen.

Parfitt hatte etwas Abstand zwischen sich und die Männer gebracht. Er lächelte, während er mit Hema und Harsha der Sicherheit der riesigen Herde Auserwählter und dem Schutz ihres Vaters zustrebte. Das Lächeln wurde schlagartig ersetzt durch den Ausdruck der Verwirrung und schließlich der Enttäuschung. Parfitts Hände ließen die Mädchen los, die weiter ihrem Papa entgegenrannten. Parfitt konnte nicht mehr rennen. Er stoppte, schwankte und stürzte nach vorne. Hinter ihm stand ein grinsender Fleischhauer, der sein Schlachtbeil mit voller Wucht nach ihm geschleudert hatte. Die schwere Klinge wirbelte durch die Luft und bohrte sich sauber in Parfitts Hinterkopf.

Der Schock raubte ihm den Atem. Doch Shanti verdrängte ihn, als er seine Mädchen in die Arme schließen konnte. Allzu rasch musste er sie wieder loslassen.

»Bringt euch hinter dieser Wand in Sicherheit. Niemand wird es wagen, euch anzurühren, solange ihr bei den Auserwählten bleibt.«

Die Mädchen sprachen kein Wort. Zitternd pressten sie sich an die Wand des Schlachthauses, wo sie zum ersten Mal leibhaftigen Kühen und Bullen von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden. Und Kälbern, die sich ängstlich an ihre Mütter schmiegten. Einige der Kälber waren nicht größer als die Zwillinge. Ihre Blicke trafen sich. Die Mädchen erkannten die Kälber sofort als das, was sie wirklich waren.

Kinder.

 

Pastorin Mary Simonson spürte, wie in ihrem Inneren etwas riss, als sie zu Boden stürzte.

Ihr wurde kalt.

Sie sah, wie Bruno unter dem Kettenhieb zusammenbrach und sich im blutdurchtränkten Morast zu ihr gesellte. Sie sah auch Parfitt fallen, und wie sich die Mädchen in Sicherheit brachten. Jeden Moment würden die Fleischhauer sich mit ihren Waffen auf sie stürzen. Es spielte keine Rolle mehr. Was immer da in ihrem Unterleib gebrochen war, es würde sie töten. Da war sie sich ziemlich sicher. Details waren nicht mehr länger von Bedeutung. Der Schmerz war nicht schlimmer, als der Schmerz, mit dem sie die letzten Wochen gelebt hatte. Und als es ihr Inneres zerriss, kam es geradezu einer Erlösung gleich.

Wenn sie aufsah, konnte sie die rasenden, tobenden Männer über sich sehen. Aber sie hörte sie nicht mehr. Sie sah die Messer und Knüppel auf ihren Körper einstechen
und -schlagen, aber sie spürte sie nicht im Geringsten. Nun würde sie in die Dunkelheit eingehen. Und dort würde sie auf ewig verweilen. Aber auch das war nicht mehr wichtig. Ihre Fragen waren durch das Martyrium des Propheten zur Genüge beantwortet.

Sie lag da, von Angesicht zu Angesicht mit seinem abgetrennten Kopf, und blickte ihm in die Augen, während die lautlosen Hiebe auf sie einprasselten. Collins hatte eine Narbe an der Kehle. Shanti fehlte ein Daumen. Arnold Shanti hatte ein Verbrechen begangen, so schwerwiegend, dass niemand je davon erfahren durfte. Er hatte zwei männliche Zwillingskälber befreit. Nur eines hatte er selbst an Kindes statt großgezogen, aber beide waren als Bürger der Stadt herangewachsen, ohne jemals von der Existenz des anderen zu erfahren.

»Brüder ...«, flüsterte sie John Collins zu.

»... Auserwählte.«

Dann ergab sie sich dem Nichts, das kam, um sie zu holen.

 

»Ha, Suu. HAH SSUUUUH.«

Angeführt von BLAU-792 verbreiteten zehntausend Paar Hände klopfend ihre Botschaft. Sie klopften sie auf ihren eigenen Schenkeln, auf den Rücken der anderen, sie trommelten sie auf Wänden und Zaunpfählen, sie hämmerten sie auf dem Boden. Ihr Atmen zischte und seufzte, als wären sie eins.

Der Lärm war größer und eindringlicher als das Geschrei der Städter und die gebrüllten Erwiderungen der Fleischhauer und Schwarzkittel, die versuchten, die Menge zurückzuhalten. Es klang wie sanftes Donnergrollen und ein auffrischender Wind. Der Mob verstummte. Die bewaffneten Parteien unterbrachen ihre Händel.

 

Alle hörten zu.

Aber nur Richard Shanti verstand.

 

»Seid versichert, eure Zeit ist gekommen. Möget ihr voller Würde vorwärtsgehen, eingehen in eure Zeit. Wir, die wir gaben, werden nicht länger geben. Wir haben das Morgen gesehen. Wir haben das Land gesehen, in dem der Schmerz nicht einmal mehr eine Erinnerung ist. Ein Land, in dem, was wir gaben, niemals mehr erbeten wird. Wir folgen dem Friedensmann in dieses Land. Er ist einer von uns. Er hat gegeben. Wir, die wir gaben, grüßen euch. Ha Suuuh! Denn euer aller Zeit ist nun gekommen.«

 

Die Herden setzten sich in Bewegung. Shanti führte sie an.

Anfangs stellte Torrance sich ihnen noch entgegen. Er hielt das Ausbeinmesser in der einen und eine Brechstange in der anderen Hand. Neben und hinter ihm wichen die Fleischhauer und Schwarzmäntel den Auserwählten aus, wichen vor den Herden zurück. Panisch blickte er nach rechts und links.

»Stellt euch nicht so an, ihr verdammten Feiglinge. Ihr werdet euch doch nicht von eurem Essen herumschubsen lassen, oder? Hey, du da, bleib gefälligst bei mir. Wir werden sie scheibchenweise zurück auf die Weiden schicken. Wir zerstückeln sie und verteilen die Steaks hier und jetzt an die Bürger von Abyrne.«

Niemand stand ihm zur Seite.

Sie liefen in Richtung der Pastoren und des Großbischofs davon, die sich ihrerseits weiter in den Hof zurückzogen. Vor den Toren erkannten nun auch die Städter die gewaltigen Ausmaße der näher kommenden Herden. Die meisten von ihnen hatten die Auserwählten noch nie aus der Nähe gesehen. Ihre haarlosen Körper und ihre Stum
melfinger. Die bleichen Gliedmaßen. Sie standen aufrecht wie Menschen. Und von ihren verkrüppelten Füßen abgesehen, bewegten sie sich wie Menschen. Eine Welle des Unbehagens ging durch die Menge. Sie begannen, ihrerseits zurückzuweichen. Weiter hinten kamen die Leute ins Stolpern, fielen oder wurden in die Gräben und Dornenhecken gestoßen.

Shanti zischte und trommelte mit den Fingern auf seinem Kopf. BLAU-792 löste sich mit ein paar Hundert Bullen von den Herden. Sie erreichten die blutüberströmten Pastoren und den Großbischof, der sie voller Abscheu und Empörung musterte. Er konnte den Mund einfach nicht halten.

»Das ist grotesk. Eine abscheuliche Perversion ist das. Häresie. Die schlimmste Form der Ketzerei, die Abyrne jemals ertragen musste.«

»Diese Stadt ist Perversion«, erwiderte Shanti. »Die Verbrechen, die hier über Generationen begangen wurden, sind unentschuldbar.«

Der Großbischof brach in ungläubiges Gelächter aus. »Mann, das sind Tiere. Sie sind Gottes Geschenk an uns. Sein Opfer, Sinnbild seiner Liebe für uns.«

»Das Buch des Gebens wurde von Menschenhand geschrieben. Es enthält keinerlei Wahrheiten. Nicht über Gott noch sonst irgendetwas. Es dient ausschließlich jenen, die darüber gebieten.«

Der Großbischof sah die Chance, sich noch einmal vor den Städtern zu profilieren. Ihnen seine Überlegenheit zu demonstrieren.

»Wie kannst du es wagen, solche Blasphemien auszusprechen? Ich werde verfügen, dass dir auf der Stelle dein Status aberkannt wird. Du, Richard Shanti, bist nicht mehr länger ein Bürger dieser Stadt. Von nun an bist du Fleisch.«

Hinter den erschöpften Pastoren tauchten die Bullen wieder auf. Sie kamen von den Kälberstallungen, und auf ihren Rücken trugen sie die schwachen, blinden Mastkälber.

Der Großbischof explodierte.

»Was in Gottes Namen glaubst du, was du da tust, Shanti?«

»Das wirst du noch früh genug sehen.«

Als sich sämtliche Bullen wieder zur Herde gesellt hatten, trat Shanti zum Fabriktor hinaus.

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