Read Meat Online

Authors: Joseph D'Lacey

Tags: #Fiction, #Horror, #Thrillers, #Suspense, #Science Fiction, #General, #General Fiction

Meat (45 page)

BOOK: Meat
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Und wenn er all das tun konnte, sah er keinen Grund, warum er nicht auch weiterhin die Geschicke dieser Stadt leiten sollte und auch in Zukunft jedes einzelne Stückchen Fleisch kontrollierte, das jemals auf den Tischen der Bürger landete.

Doch sein Magen wurde von Krämpfen traktiert, als er versuchte, die Qualen in den Griff zu bekommen, die alles unterhalb davon beherrschten. Die Intensität des Schmerzes variierte, von unerträglich bis in den Wahnsinn treibend. Sein Urteilsvermögen stand und fiel damit. Am meisten erstaunte ihn, dass es ihm schlussendlich gelungen war, seinen Geist von all den belastenden Marginalitäten zu befreien. So klar wie jetzt, waren seine Gedanken seit Monaten nicht mehr gewesen.

Sein Plan war simpel, aber effektiv. Bruno würde sich auf der Stelle mit allen überlebenden Wachen zu MFP begeben. Dort würden sie sich mit sämtlichen Fleischhauern, Viehtreibern und sonstigen Angestellten des Werks zusammentun. Alle miteinander dürften sie gut dreihundert Männer zählen. Das Verhältnis zu der Truppe von Collins und Shanti stand damit zehn zu eins. Selbst Collins würde gegen eine solche Übermacht nichts ausrichten können. Und schließlich würde Magnus unter Einsatz ebenjener Gewalt und Brutalität, mit welcher die Stadt immer schon gelenkt wurde, die Macht in Abyrne wieder an sich reißen. Aber das war noch nicht das Ende des Plans. Waren die Wahnsinnigen erst einmal ausgeschaltet, würde Magnus alle seine Männer um sich versammeln und die Zentralkathedrale
stürmen. Als Erstes würden sie den Großbischof, als Faustpfand und um den Willen der Pastoren zu brechen, gefangen nehmen. Dann würde er ein Pogrom anordnen, mit dem Magnus dem Einfluss der Religion auf die Stadt über Nacht ein Ende setzen würde. Sie würden jedes einzelne Buch des Gehens und jeden Abdominalpsalter verbrennen, den es in Abyrne gab. Und auf der Spitze dieses Scheiterhaufens würden sie die Körper der Fürsorgehandlanger rösten. Er zog sogar in Betracht, sie in aller Öffentlichkeit zu verzehren. Dies würde seinen Effekt auf die Gemüter der Bürger sicherlich nicht verfehlen. In der Tat, das war ganz genau das, was er tun würde: Er würde vor der versammelten Bürgerschaft der Stadt das geröstete Herz des Erzbischofs vertilgen. Das Bild, wie er im Schein der Flammen den Sitz der Seele seines Feindes verschlingt, würden sie ihren Lebtag lang nicht mehr vergessen.

Bruno hatte sich unlängst auf den Weg gemacht. Magnus' Plan wurde also bereits in die Tat umgesetzt. Nur noch die Zeit lag zwischen ihm und der neuen Zukunft von Abyrne. Weiter nichts als Warten und Leiden. Und die schlimmsten jener Schmerzen, die er Shantis dämonischen Zwillingen zu verdanken hatte, waren bereits überstanden. Diese Mädchen und ihr Vater würden ein Leben in Tantalusqualen zu erdulden haben, bevor er ihnen schließlich die Gnade des Todes gewährte. Er wusste, wie sehr ihre Pein seine Genesung beschleunigen würde.

Er sah an seinen Beinen herab. Die Bandagen waren schon wieder mit frischem Blut durchtränkt. An manchen Stellen bildeten sich bereits Flecken auf den weißen Bettlaken. Er hatte eine Menge Blut verloren. Obwohl es Magnus nicht an Zorn mangelte, der ihn eigentlich mit genügend Energie für die folgenden Wochen und Monate seiner Rekonvaleszenz versorgen sollte, hatte Doktor Fel
lows ernsthafte Sorgen bezüglich des Blutverlustes geäußert. »Wenn Sie jetzt noch etwas umbringen kann«, hatte er gesagt, »ist es das Blut, das Sie verlieren. Alles hängt davon ab, wie schnell Ihr Körper den Blutverlust ausgleichen kann. Da Sie mit dem Kopf nach unten hingen, hat die Wunde nicht so sehr geblutet, wie sie es normalerweise tut. Sie können sich glücklich schätzen, überhaupt noch am Leben zu sein.«

Glücklich
war nicht gerade das Wort, das Magnus benutzt hätte, um seine Situation zu beschreiben. Aber er wusste diese zweite Chance, die er Fellows und Bruno zu verdanken hatte, durchaus zu schätzen.

Eine Symphonie der Agonie strömte von seinen Beinen aufwärts, und er schloss die Augen. Er versuchte sich vor dieser erneuten Welle des Schmerzes hinter seinen Lidern zu verstecken. So ging das jetzt, seit sie ihn hier hingelegt hatten. Es hatte etwas damit zu tun, dass das Blut versuchte, sich seinen Weg an Orte zu bahnen, die es nicht mehr erreichte. So hatte es ihm der Doktor erklärt. Magnus kniff die Augen fest zusammen, aber er konnte nicht verhindern, dass einige Tränen entwichen. Seine gelben Zähne schimmerten durch den dichten Pelz seines Bartes, während er das Gesicht zu einer Grimasse verzog. Das Tosen des Schmerzes war so laut, dass er nicht hörte, wie die Türe geöffnet wurde.

Als er die Augen wieder öffnete, erblickte er den Großbischof. Hinter ihm hatte sich die komplette Belegschaft und seine zehn Hausmädchen versammelt. Magnus war zu geschockt, um zu sprechen. Der Großbischof näherte sich ihm. Hin und wieder zuckte ein Knochenknüppel in seiner Rechten, wenn er die Faust ballte.

»Ich werde jetzt einen gottesfürchtigen Mann aus dir machen, Rory.«

Der Großbischof strich sich die Robe am Gesäß glatt und setzte sich auf die Bettkante. Die Bewegung ließ Magnus vor Schmerz aufschreien.

»Deine Hausangestellten haben mir von ihren Misshandlungen durch dich berichtet. Offenbar scheint die Hand, mit der du deine Dienstmädchen geführt hast, mehr als bloß hart gewesen zu sein. Sie sagen, dass du sie willentlich und in vollem Bewusstsein deiner Taten zu den unaussprechlichsten, um nicht zu sagen
bestialischsten
Erniedrigungen zwingst. Sodomie könnte man es auch nennen.«

Der Großbischof hob den Knochenknüppel und schlug damit ein paarmal sanft auf seine linke Handfläche. Er beugte sich ganz zu Magnus hinunter. So nah, dass Magnus seinen fauligen Atem riechen konnte.

»Wie dir bekannt sein dürfte, haben wir gegen derlei Verhalten Gesetze in dieser Stadt.«

»Wann hast du dich jemals auch nur an ein einziges Gesetz gehalten?«, zischte Magnus durch seine Zähne.

»Du wärest überrascht, was für ein rechtschaffener Mann ich all diese Jahre gewesen bin.«

Der Großbischof näherte sich mit der Spitze des Knochenknüppels Magnus' Knien. Die Bewegung ließ Magnus erstarren. Sie allein reichte aus, eine neue Welle des Schmerzes über ihn hinwegrollen zu lassen. Sein Atem wurde angesichts der Bedrohung flach.

»Geschuldet der Tatsache, dass du dieses Haus geführt hast, ohne auch nur einen Gedanken an Anstand und Gesetz zu verschwenden, werde ich ihnen gestatten, nun mit dir in exakt der gleichen Weise zu verfahren. Ich werde dich in deinen Keller begleiten, wo es deinen weiblichen Angestellten freistehen wird, mit dir zu tun, was immer sie für angemessen halten. Und damit meine ich: ganz gleich, was. Ich werde dort bloß anwesend sein, um dir Gottes Bei
stand anzubieten und dich als Konvertiten zu begrüßen, bevor dein Leben zu Ende geht.«

Der Großbischof tippte mit der Spitze des Knüppels auf Magnus' Kniescheibe. Magnus schrie auf.

»Ich kann nicht umhin, Rory, zu gestehen, dass ich mich darauf freue.«

Die Dienstmädchen drängten vor. Der Großbischof machte ihnen Platz. Magnus sah den Ausdruck auf ihren Gesichtern. Da war immer noch Angst, aber die hatten sie nahezu überwunden. Wenn sie erst einmal in Wut umschlug, war er verloren.

»Nur zu, meine Damen«, sagte der Großbischof.

Die Mädchen tauschten Blicke aus und schritten vorwärts. Hände wurden ausgestreckt und griffen in Magnus' Haare und Bart. Sie begannen daran zu zerren, und er schrie erneut. Mehr Hände griffen zu. Sie zogen ihn zur Bettkante. Mit vereinten Kräften zerrten sie ihn herunter. Seine aufgerissenen Beine schlugen schwer auf dem Boden auf, und seine Stimme überschlug sich vor Schmerz. Magnus versuchte, sich verständlich zu machen, aber die Pein machte es ihm unmöglich, Wörter zu formen. Sie schleiften ihn den oberen Flur entlang, durch sein Arbeitszimmer, und stießen ihn schließlich die Treppe herunter. Die Frauen griffen nach dem Werkzeug an den Wänden und in den Schubladen.

Jede von ihnen versuchte, die Erste zu sein.

 

In ihrer Verfassung hätte sie überall schlecht geschlafen, aber der Wind auf der Plattform des Beobachtungsturmes ließ sie die ganze Nacht lang nicht zur Ruhe kommen. Hartnäckig hatte er durch Ritzen zwischen den Planken geheult und ihr, ganz gleich, wie sie sich bettete, kalt in den Rücken geblasen. Dankbar begrüßte sie die Ankunft des grauen Morgens: Wach zu bleiben, würde weniger an die Substanz
gehen, als es der vergebliche Versuch, etwas Schlaf zu finden, getan hatte.

Der Schmerz und das Zittern in jedem einzelnen Teil ihres Körpers waren inzwischen zu ständigen Begleitern geworden. Sie beschloss, dass es sicherer wäre, oben im Turm zu verweilen als herabzusteigen. Die Türme wurden so gut wie nicht mehr genutzt und gewartet und an der Leiter fehlten bereits einige Sprossen. Sie hatte den Aufstieg bloß riskiert, weil es ihr nicht möglich war, näher an einen der Unterstände heranzukommen, in denen die Auserwählten die Nacht verbrachten.

Sobald sie spürten, dass sie sich näherte, ging eine Welle angespannter Nervosität durch die Herden. Sie griff von einer Weide auf die nächste, von einem Stall zum anderen über, bis sie sich schließlich eingestehen musste, dass inzwischen auch der letzte Auserwählte mitbekommen hatte, dass sie da war. Zehntausende von ihnen waren durch ihre Anwesenheit beunruhigt. Anfangs vermutete sie, dass sie ihre Krankheit witterten. Mit der Zeit holte die Realität sie ein und überzeugte sie, dass diese Annahme vermutlich bestenfalls naiv gewesen war.

Die Lösung war deutlich einfacher. Sie konnten den Duft der toten Artgenossen an ihrer Kleidung und vermutlich auch auf ihrer Haut riechen. Sie wussten, dass sie eine von denen war, die ihr Fleisch verzehrten. Eine von denen, für die sie in den Tod gingen. Warum sollten sie ihre Nähe tolerieren? Warum sollten sie ihr Schutz gewähren?

Es war jetzt nicht mehr lange hin, das war ihr klar. Sie hatte in den letzten paar Tagen begonnen, die Dinge mit anderen Augen zu betrachten. Sie hatte reichlich Zeit zum Nachdenken gehabt. Zeit, eine schreckliche Furcht vor dem zu entwickeln, was ihrem physischen Ende folgen würde. Sie hatte sich abgewendet von einem Gott, der nicht mit ihr
sprach. Deshalb war sie abgeschnitten von jedem anderen Pastor der Fürsorge, ja, selbst vom Großbischof: Ihre Gedanken waren nicht von der Art, die man mit irgendeinem von ihnen hätte teilen können. Als Repräsentantin der religiösen Macht war sie der natürliche Feind von Magnus und eines jeden MFP-Arbeiters. Und selbst die Städter würden sie als ihren Feind betrachten, da sie ein Verteidiger und Bewahrer der Autorität der Fürsorge war.

Zumindest jetzt, wo ihr Leben zu Ende ging, wollte sie aufrichtig sich selbst gegenüber sein.

Als das Licht stark genug war, um etwas zu sehen, stand sie auf und wagte einen Blick über die Lattenwände des Turmes. Über den Weiden lag ein dünner Nebel zwischen den Hecken. Daraus erhoben sich scharf umrissen die Umhegungen der Weiden und die Mauern der Ställe. Auf den umliegenden Weiden begannen die Auserwählten nun ihre Stallungen zu verlassen. Ihr Gang war verkrüppelt, sie rollten ihre Füße leicht zur Seite ab. Als sie ins Freie kamen, streckten sie sich und gähnten. Auf jeder der Weiden standen die Auserwählten beieinander und berührten sich. Einige lehnten ihre Köpfe aneinander. Einige streichelten mit den Stümpfen ihrer Finger Nacken und Rücken der anderen. Eine Form der Berührung, der Zärtlichkeit, die sie niemals erfahren hatte.

Aber sie empfand keinen Neid.

Diese Wesen fristeten ihr kurzes Leben bewacht und kontrolliert von den Viehtreibern. Nackt und unterdrückt verbrachten sie jeden Tag, egal, zu welcher Jahreszeit, im Freien oder in ihren zugigen Ställen. Den Lehren des Buches des Gebens und des Abdominalpsalters entsprechend, wurden sie nach der Geburt verstümmelt, um fortan den Bedürfnissen der Städter zu genügen. Schließlich wurden sie systematisch gemeuchelt, um die hungrigen Mäuler von
Abyrne zu stopfen. Und der Mäuler gab es reichlich. So geschah es seit Generationen.

Von ihrem Turm aus betrachtete sie sie still, während die Sonne sich über den Horizont schob. Beobachtete, wie sie sich dem Licht zuwandten ― jeder Einzelne von ihnen ― und es zu absorbieren schienen. Minuten danach, kurz bevor die Treiber kamen, zerstreuten sie sich in einzelne Gruppen oder begaben sich zurück in die Unterstände. Dann verhielten sie sich wieder wie Tiere.

Als die Viehtreiber kamen, legte sich Pastorin Mary Simonson wieder auf den Boden der Plattform. Sie zog es vor, nicht gesehen zu werden, und wollte die Konfrontation vermeiden. Sie rollte sich auf den feuchten, langsam verrottenden Brettern zusammen und weinte.

Denn sie wusste, die Wahrheit der Fürsorge, die Wahrheit der Stadt, war nicht mehr länger ihre Wahrheit ― war überhaupt keine Wahrheit. Kein Gott würde ihr Rufen jemals erhören. Wie könnte er auch?

 

Zu Teilen war es sicherlich dem Verlust von hundert Pastoren zuzuschreiben, aber selbst ihre Unterstützung hätte vermutlich kaum noch etwas ändern können. Die Bürger der Stadt waren wütend und aufgebracht. Die Explosionen im Gaswerk waren ein Schock für sie gewesen. Die Erkenntnis, dass es keinen Strom in der Stadt mehr gab ― selbst in den wohlhabenden Gegenden nicht mehr ―, hatte sie hart getroffen. Gerüchte, dass der Fleischbaron und die Fürsorge miteinander um die Macht in der Stadt rangen, verbreiteten sich von Haus zu Haus.

Weitere Geschichten machten die Runde. Prophet John hatte eine Schar von Kriegern rekrutiert und plante, die Stadt so lange auszuhungern, bis die Bürger sich zu seinen irrsinnigen Lehren bekannten. Der Bestand an Auserwählten ging
zurück. Prophet John hatte Verbündete bei MFP, die alles daransetzten, einer Hungersnot Vorschub zu leisten, indem sie das Fleisch lastwagenweise entsorgten. Andere Legenden berichteten von Massenschlachtungen, um die Auserwählten zu dezimieren und die Preise für Fleisch noch weiter hochzutreiben. Abyrne wäre dann endgültig gespalten in Reich und Arm. Zwar hatte ein nicht geringer Teil der Bürger schon hin und wieder mal etwas Hunger gelitten: ein oder zwei Wochen im Jahr, wenn es Engpässe in der Fleischversorgung gab. Und es stimmte: Einige Leute lebten am Rande zum Verhungern. Aber niemals hatte sich Abyrne mit einer Bedrohung dieses Ausmaßes konfrontiert gesehen. Sicher, die Herden waren gewaltig, aber wenn die Zahl der Auserwählten ―Gottes Kinder, geopfert, damit die Menschen keine Not zu leiden hatten ― zu stark dezimiert würde, stand womöglich der ganzen Stadt eine Hungersnot bevor.

BOOK: Meat
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