Von oben nach unten sind vier Tötungsarten angegeben: Mit Feuer, mit der Pistole, mit dem Messer und mit dem Strick.
Als Toschi und Armstrong die Karte endlich von Avery bekamen, richtete sich ihre Aufmerksamkeit vor allem auf das Skelett, das im Inneren der Karte aufgeklebt war. Vorsichtig lösten sie es von der Unterlage, um nachzusehen, ob dahinter vielleicht eine Botschaft verborgen war - doch da war nichts.
Dafür fand sich auf der Innenseite des Umschlags eine kurze Nachricht in der Form eines X. Da stand zweimal: »Sorry, kein Geheimtext.«
»Wir haben alle Grußkarten, die Zodiac abgeschickt hat, überprüft, um zu sehen, wie geläufig sie waren und wie leicht oder schwer sie für den Mörder zu bekommen waren«, erzählte mir Toschi später. »Alle Karten, die er verschickt hat, konnte man in vielen Läden kaufen. Das habe ich in meiner Freizeit überprüft, meistens am Wochenende. Ich wollte einfach sichergehen, dass wir auch wirklich nichts übersahen und dass wir uns von Zodiac nicht übertölpeln ließen.«
Ich kaufte mir ein Exemplar der Halloween-Karte und stellte fest, dass Zodiac den orangen Kürbis genau auf den Beckenbereich des Skeletts aufgeklebt hatte. Ein Hinweis auf unterdrückte Sexualität?
Auf der Karte war ursprünglich nur ein Augenpaar mit dem »bösen Blick«. Zodiac hatte zwölf weitere hinzugefügt und auch dem Skelett Augen verpasst. Das ausgeschnittene Skelett, das er an der Innenseite hinzugefügt hatte, war so dargestellt, dass es wie gekreuzigt aussah.
Was das neue Zodiac-Symbol betraf, so meinten verschiedene Leser, dass dieses Zeichen an einen so genannten Breitflanschträger erinnere, wie er im Bauwesen Verwendung findet. Manche vermuteten, dass Zodiac vielleicht von Beruf Bauingenieur sein könnte. Das Symbol sah so aus:
Auf der Karte an Avery standen außerdem die Worte: »PEEK-A-BOO - YOU ARE DOOMED!« (»Guck-Guck - Du bist dran«) und »4-TEEN«. Er wollte auf diese Weise entweder damit prahlen, dass er bereits sein vierzehntes Opfer erledigt hatte, oder Avery drohen, dass er der Nächste sein würde.
Der
Chronicle
brachte die Geschichte zu Halloween auf der Titelseite, und sie erregte weltweit Aufmerksamkeit. Die Stadtredaktion war voll mit Fernsehkameras, und es war zur Abwechslung einmal der schlaksige Avery, der von den Medien interviewt wurde.
Es kam eine Fülle von Hinweisen herein, was natürlich ganz im Sinne der Polizei war. Als ihn die Reporter fragten, ob er wegen der Morddrohung auf der Karte beunruhigt sei, meinte Avery, dass man wohl nicht jedes Wort, das da stand, hundertprozentig ernst nehmen müsse.
Als ehemaliger Kriegsberichterstatter in Vietnam und lizensierter Privatdetektiv konnte Avery sehr gut auf sich aufpassen. Doch Chief Nelder wollte dennoch kein Risiko eingehen; er erteilte ihm die Erlaubnis, einen Revolver Kaliber 38 zu tragen, und ließ ihn auf dem Schießstand der Polizei damit üben.
»
Chronicle
-Journalist Paul Avery lebt gefährlich«, schrieb Herb Caen. »Seine ausführlichen Berichte über die Taten des Zodiac-Killers haben ihm eine ganz persönliche Botschaft von Zodiac eingebracht, versehen mit der Drohung ›Du bist dran‹. Als Folge davon tragen nun mehrere Mitarbeiter des
Chronicle
- einschließlich Avery selbst - Buttons mit der Aufschrift ›Ich bin nicht Paul Avery‹. Inzwischen hat Avery um ein persönliches Nummernschild mit der Aufschrift ›Zodiac‹ angesucht, und das ist wohl nicht die klügste Maßnahme aller Zeiten …«
»Es sieht so aus, als wäre Zodiac sauer wegen ein paar Dingen, die ich über ihn geschrieben habe«, sagte Avery.
Als Reaktion auf eine Geschichte, die über Nachrichtendienste verschickt wurde über die Morddrohung an Avery bekam der
Chronicle
einen anonymen Brief aus Südkalifornien. Der Schreiber äußerte darin die Vermutung, dass Zodiac seine Mordserie bereits in Riverside, Kalifornien, begonnen haben könnte. Er führte weiter aus, dass er mit seiner Theorie zur Polizei von Riverside gegangen wäre, wo man ihn jedoch nicht ernst genommen habe. Er bat nun Avery, sich mit dieser Möglichkeit zu beschäftigen:
Bitte geben Sie den Inhalt dieses Briefes an den Ermittlungsbeamten weiter, der für den Zodiac-Fall zuständig ist.
Ich hoffe, diese Information hilft Ihnen weiter, da wir ja alle den Fall gern so schnell wie möglich geklärt sehen würden. Ich selbst ziehe es vor, anonym zu bleiben, und ich bin überzeugt, Sie verstehen auch, warum!
Vor einigen Jahren wurde in Riverside, Kalifornien, ein junges Mädchen ermordet; der Mord wurde, wenn ich mich recht erinnere, am Halloween-Abend verübt! Ich könnte noch so manches über die Parallelen zwischen diesem Mord und den Zodiac-Verbrechen schreiben, aber die Polizei scheint das bisher leider nicht so zu sehen. Ich finde, dass sich die Ermittler angesichts der Faktenlage, falls sie es nicht ohnehin schon getan haben, etwas näher mit dem »Riverside-Fall« beschäftigen sollten …
In beiden Fällen gab es Briefe an Zeitungen, und auch die Handschrift zeigt große Ähnlichkeiten. Rufen Sie Captain Cross an, der weiß, wovon ich rede.
Mr. Avery, ich werde Sie demnächst einmal anrufen, aber bitte sehen Sie sich diesen Fall einmal näher an. Die Polizei von Riverside hat eine Fülle von Material, und auch in San Francisco ist man bestens informiert. Wir können nur hoffen, dass sie nicht zu stolz sind, um zusammenzuarbeiten, und falls sie es bereits tun, so findet hoffentlich ein reger Informationsaustausch statt …
Avery rief Captain Irvy Cross von der Riverside Police an und erfuhr so den Namen des anonymen Schreibers, von dem lediglich Postlagernd-Adressen in verschiedenen Städten bekannt waren. Der Mann hatte übrigens auch an Sergeant Lynch geschrieben. Seine Handschrift stimmte jedenfalls nicht mit der von Zodiac überein. Cross bestätigte, dass der Mann eine Zeit lang versucht hatte, die Polizei in Riverside davon zu überzeugen, dass Zodiac im Jahr 1966 ein College-Mädchen ermordet hätte. Cross schilderte dem Journalisten den Fall und versprach, ihm so bald wie möglich Material dazu zu schicken.
Avery glaubte zunächst nicht an einen Zusammenhang zwischen den Fällen; es bestanden zwar tatsächlich gewisse Ähnlichkeiten, aber keine tatsächliche Verbindung.
Dieser Brief war nur einer von hunderten, die Avery bereits von Leuten bekommen hatte, die entweder »wussten«, wer Zodiac sei, oder zumindest »wussten«, wie man ihn fassen könne.
1
Cheri Jo Bates
Montag, 9. November 1970
Avery erhielt schließlich das Material über den Mord von Riverside, den einzigen ungelösten Mordfall in der Geschichte der Stadt. Unter den Berichten über das Verbrechen befand sich auch eine fotografische Abbildung eines handgeschriebenen Briefes, der fünf Monate nach der Tat eingegangen war. Die Polizei hatte ihn als eine der üblichen Wortmeldungen abgetan, die in solchen Fällen von irgendwelchen Spinnern kamen. Die Signatur unter dem Brief, ein einfaches Z, hatte ihnen damals absolut nichts gesagt.
Zwei Stunden, nachdem er den Brief gelesen hatte, war Avery unterwegs nach Riverside, hundert Kilometer südöstlich von Los Angeles. Avery traf mit Detective Sergeant Dave Bonine zusammen, der als Chefermittler mit dem Fall beschäftigt war, und bekam Einsicht in die Akten. Das Opfer hieß Cheri Jo Bates. Seit ihrer Ermordung vor über vier Jahren war eine Menge Material zusammengekommen. Zusammen mit Bonine und Captain Cross begann Avery, den letzten Tag im Leben des toten Mädchens zu rekonstruieren. Avery hatte das sichere Gefühl, dass Zodiac die Nachricht geschrieben hatte und somit wahrscheinlich Cheri Jos Mörder war.
Aus den Unterlagen ging hervor, dass Cheri Jo eine achtzehn Jahre alte College-Studentin war, die später als Stewardess bei einer Fluglinie arbeiten wollte. Sie war Cheerleader in der Ramona Highschool und danach auch am Riverside City College gewesen. Das Opfer war einen Meter sechzig groß und fünfzig Kilo schwer, hatte blaue Augen, blondes Haar und einen hellen Teint, wenngleich sie zur Zeit ihres Todes gerade tief gebräunt war. Ihre Brille trug sie nur zum Schreiben und Lesen. Cheri Jo lebte bei ihrem Vater Joseph in der Via San Jose in Riverside. Joseph war als Maschinenschlosser im Corona Naval Ordnance Laboratory, dem Labor der Marine-Waffenbehörde, beschäftigt. Ihre Mutter hatte die Familie im Jahr 1965 verlassen, und ihr Bruder diente in der Navy in Florida.
Am Tag ihrer Ermordung, dem 30. Oktober 1966, besuchten Joseph und seine Tochter den Gottesdienst in der St. Catherine’s Church. Um neun Uhr frühstückten sie zusammen in Sandy’s Restaurant im Hardman Center. Um zehn Uhr brach Joseph auf, um den Tag am Strand zu verbringen. Am Nachmittag, um etwa drei Uhr nachmittags, rief Cheri Jo ihre Freundin Stephanie an, die sich jedoch nicht meldete. Um Viertel vor vier versuchte sie es noch einmal; diesmal war Stephanie zu Hause. Cheri Jo fragte, ob sie in die College-Bibliothek mitkommen wolle, um ein paar Bücher abzuholen und ein wenig zu arbeiten. Stephanie hatte keine Lust, und so verließ Cheri Jo vermutlich irgendwann zwischen halb fünf und fünf Uhr das Haus. Um halb fünf waren Freunde von ihr an ihrem Haus vorbeigekommen, die ihren grünen VW noch vor dem Haus stehen sahen. Um fünf Uhr kehrte Joseph Bates nach Hause zurück.
Als Cheri Jo von zu Hause wegging, trug sie eine ausgeblichene rote Caprihose und eine langärmlige blassgelbe Bluse. Außerdem hatte sie eine große rot-braune geflochtene Tasche bei sich. An den Füßen trug sie weiße Riemchensandalen.
»Um fünf Uhr fand Joseph Bates folgende Nachricht, an den Kühlschrank geklebt, vor«, berichtete Captain Cross und reichte Avery die in Plastik gehüllte Botschaft. Sie hatte folgenden Wortlaut: »Dad - bin in der RCC-Bibliothek.«
»Joseph nahm eine telefonische Nachricht für Cheri Jo von Stephanie entgegen und verließ gleich wieder das Haus«, erzählte Cross weiter. »Gegen halb sechs stellte Cheri Jo fest, dass sie die Bibliografie für ihre Seminararbeit verlegt hatte und rief eine Kommillitonin in der Riverside National Bank an. Donna konnte ihr nicht weiterhelfen, doch die beiden plauderten noch eine Weile.«
»Wir haben eine Zeugenaussage«, fügte Bonine hinzu. »Eine Freundin von Cheri Jo hat sie um 18.10 Uhr mit ihrem VW vorbeifahren sehen, und zwar auf der Magnolia Avenue in Richtung College. Die Freundin winkte ihr zu, doch Cheri Jo sah sie nicht.
»Eine andere Aussage kam von einem Angehörigen der Air Force, der in der Nähe der Bibliothek wohnt. Er sah einen hellgrünen VW vorbeifahren, der von einer blonden jungen Frau gelenkt wurde - in einer Gasse, die parallel zur Magnolia Avenue verläuft. Der Mann erinnerte sich, dass ein bronzefarbener Oldsmobile dicht hinter dem VW herfuhr.
Wir nehmen an, dass Cheri Jo gegen sechs Uhr in der Bibliothek ankam und hineinging. Es erinnert sich niemand in der Bibliothek, sie dort gesehen zu haben, aber sie muss drei Bücher über das Wahlmännergremium der Präsidentschaftswahl ausgeliehen haben, die wir später in ihrem Wagen fanden; von daher wissen wir, dass sie drin war. Während sie in der Bibliothek war, muss sich der Fremde an ihrem Motor zu schaffen gemacht und eines der Zündverteilerkabel herausgezogen haben. Möglicherweise ist er sogar in die Bibliothek gegangen und hat gewartet, während sie versucht hat, den Wagen zu starten.
Wahrscheinlich ist er zu ihr gekommen, um ihr seine Hilfe anzubieten und sie vielleicht in seinem Wagen mitzunehmen … Dann muss er mit ihr über die unbeleuchtete Schotterstraße zu dem Parkplatz gefahren sein, ungefähr siebzig Meter von ihrem Wagen entfernt. Der Mörder drückte ihr eine Hand auf den Mund und setzte ihr mit der anderen ein Messer an den Hals. Er muss begonnen haben, sie zu würgen«, erläuterte Bonine, »aber sie war ein sehr kräftiges Mädchen und wehrte sich so vehement, dass wir am Tatort seine Armbanduhr fanden, die sie ihm heruntergerissen haben muss.
Sie zerkratzte ihm das Gesicht und muss auch geschrien haben. Wir haben da eine Aussage: Ein Nachbar hörte irgendwann zwischen 22.15 und 22.45 Uhr einen ›furchtbaren Schrei‹, dann war etwa zwei Minuten Stille und danach das Geräusch eines alten Autos, das gestartet wird. Ein anderer Mann, der um 22.30 Uhr in die Gegend kam, berichtete, zwei Schreie gehört zu haben.«
Der medizinische Bericht sagt aus, dass Cheri Jo einen Tritt gegen den Kopf bekommen haben muss. Außerdem wurde ihr ein kurzes Messer zweimal in die Brust gestoßen. Sie hatte Schnittwunden an der linken Wange und der Oberlippe. Zudem hatte der Mörder ihr den Hals aufgeschlitzt und dabei die Drosselvene und den Kehlkopf durchtrennt, sodass sie fast enthauptet war. Sie lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden, als ihr der Mörder das Messer in das linke Schulterblatt stieß. »Die Stelle, wo sie sich gegen den Mann gewehrt hat, als er versuchte, auf sie einzustechen, sah aus wie ein frisch gepflügter Acker«, war in dem Bericht zu lesen.
Die Polizei vermutete, dass der Mörder noch kurz nach seiner Uhr gesucht hatte, bevor er zu seinem Wagen eilte.
»Es war schon Mitternacht, als Joseph Bates nach Hause kam und die Nachricht, die er für Cheri Jo hinterlassen hatte, unberührt vorfand. Er nahm an, dass seine Tochter mit ihren Freundinnen ausgegangen wäre, und ging zu Bett. Als sie am nächsten Morgen immer noch nicht zu Hause war, rief er Stephanie an, um zu fragen, ob sie bei ihr sei. Um genau 5.43 Uhr meldete er seine Tochter schließlich als vermisst. Als der Hausmeister des Colleges eine Dreiviertelstunde später, am Morgen von Halloween, mit seiner Kehrmaschine auf dem Terracina Drive unterwegs war, sah er die Tote mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden liegen und rief uns sofort an. Wir fuhren hin und sperrten das Gelände ab.