Werner war jedoch nicht der Zodiac-Killer; er war Anfang 1969 von Marlborough, Massachusetts, nach Kalifornien gekommen, um hier zu studieren - zu einer Zeit, als die Zodiac-Mordserie bereits begonnen hatte.
Mittwoch, 22. März 1972
Armstrong und Toschi hatten ihre Gründe, die Post an diesem Vormittag besonders gründlich durchzusehen; es war nämlich genau ein Jahr her, dass Zodiac ihnen das letzte Mal geschrieben hatte.
Es kam jedoch nichts. Toschi, der sich mit der Zeit immer mehr in den Zodiac-Fall verbissen hatte, erwog die Möglichkeit, dass Zodiac vielleicht bei einem Unfall oder im Zuge eines seiner Verbrechen ums Leben gekommen sein könnte. Vielleicht hatte er auch Kalifornien verlassen - oder er hatte seine aufgestauten Aggressionen so weit ausgelebt, dass er keine weiteren Morde begehen würde. Denkbar war natürlich auch, dass er im Gefängnis oder in einer Nervenheilanstalt saß. Toschi konnte sich jedoch nicht vorstellen, dass dieser eitle Prahler sich einfach so verabschieden oder zurückziehen könnte, ohne noch eine letzte höhnische Botschaft oder irgendeinen Hinweis zu hinterlassen - eine Pistole, ein Messer, einen Geheimtext oder wenigstens das restliche Stück von Paul Stines blutbeflecktem Hemd.
Toschi spürte, dass Zodiac noch lebte und abwartete.
Freitag, 7. April 1972
Gegen neun Uhr abends stieg Isobel Watson, eine dreiunddreißig Jahre alte Sekretärin in einer Anwaltskanzlei in San Francisco, in Tamalpais Valley aus dem Bus, um den Pine Hill hinaufzugehen. Plötzlich tauchte wie aus dem Nichts ein weißer Chevy neben ihr auf. Der Wagen blieb stehen, und der Fahrer stieg aus. »Verzeihen Sie«, sprach er sie an, »ich würde Sie sehr gerne nach Hause fahren.«
Der Mann war Anfang vierzig, ungefähr einen Meter achtzig groß und trug eine Lesebrille mit schwarzer Fassung.
»Nein, danke«, antwortete Mrs. Watson.
Der Mann wiederholte sein Angebot in besorgtem Ton, doch Mrs. Watson blieb bei ihrem Nein. Da wurde der Mann zornig, zog ein Messer mit kurzer Klinge hervor und begann auf den Rücken der Frau einzustechen. Sie stieß mehrere Schreie aus, worauf in den umliegenden Häusern die Lichter angingen.
Der Mann hielt inne und lief zu seinem Wagen, um rasch wegzufahren. Nachbarn riefen einen Krankenwagen und die Frau wurde ins Marin General Hospital gebracht, wo man ihre Verletzungen behandelte.
»Ich halte es für durchaus möglich, dass es der Zodiac war«, stellte Ken Narlow von der Polizei in Napa fest. »Ich denke, die Wahrscheinlichkeit liegt bei mehr als fünfzig Prozent. Ich bin jetzt seit zweieinhalb Jahren hinter dem Mistkerl her, und Mrs. Watsons Beschreibung passt eigentlich haargenau auf ihn. Außerdem war es ein Freitagabend; Zodiac hat alle seine Verbrechen an einem Freitag oder Samstag begangen. Wir werden uns intensiv mit dem Fall beschäftigen. Irgendwie hoffe ich sogar, dass es Zodiac war; wir hätten dann eine weitere Zeugin und wüssten, dass er immer noch hier in der Gegend ist.«
Mittwoch, 12. Juli 1972
»Das Police Department hat immer noch ein eigenes Zodiac-Kommando - die Inspektoren Dave Toschi und Bill Armstrong«, schrieb Herb Caen im
Chronicle
. »Aber es ist jetzt schon seit sechzehn Monaten nichts mehr passiert. Es kommen auch kaum noch Briefe von irgendwelchen Spinnern herein. Es gab Zeiten, da waren es durchschnittlich zehn pro Woche«, sagte Toschi.
In den folgenden achtzehn Monaten blieb Zodiac im Verborgenen, und es kamen auch keine Botschaften von ihm. Trotz der vielen Hinweise, die aus allen Teilen der Vereinigten Staaten und Kanadas eingelangt waren, hatten Toschi und Armstrong nie einen echten Durchbruch mit ihren Ermittlungen erzielen können.
Dann, nach fast drei Jahren, schrieb der Killer plötzlich wieder an den
Chronicle
.
Mittwoch, 30. Januar 1974
Der Poststempel auf dem neuen Zodiac-Brief lautete »940«, was bedeutete, dass er am Tag zuvor in einem Bezirk südlich von San Francisco abgeschickt worden war.
Armstrong und Toschi fuhren sofort zum
Chronicle
und lasen den Brief mit dem folgenden Wortlaut:
Ich habe »Der Exorzist« gesehen und finde
es ist die beste saterische Komedie die
ich je gesehen habe.
Gezeichnet, ich:
Er stürzte sich in
die wogenden Wellen
und ein Echo drang aus dem Grab
des Selbstmörders
Titwillo Titwillo
Titwillo
Ps. Wenn ich diese Nachricht
nicht in eurer Zeitung wiederfinde, werde
ich schlimme Dinge tun,
wozu ich, wie ihr wisst, durchaus in der
Lage bin
Ich - 37
SFPD - 0
Ganz unten auf der Seite hatte Zodiac ein seltsames Symbol angefügt, möglicherweise ein Hinweis auf seine wahre Identität, oder auch nur eine letzte Ohrfeige für die Polizei:
Toschi betrachtete die »Titwillo«-Zeile und sagte: »Eine weitere Anleihe bei Gilbert and Sullivan, und ein weiterer Seitenhieb auf unser Police Department. Herrgott, warum geht er immer auf uns los? Was hat er bloß gegen uns?« Das Zitat stammte aus dem Lied des Oberhofhenkers im zweiten Akt von »The Mikado«. Der Brief enthielt keine Begründung für Zodiacs langes Schweigen. Was ihn bewogen hatte, sich wieder zu melden, war wohl der Film »Der Exorzist«, der auf ein enormes Publikumsinteresse stieß. Der Autor und Produzent William Peter Blatty stützte sich in seiner Exorzist-Fortsetzung von 1983 übrigens auf den Fall des Zodiac-Killers, den er in seinem Film den Gemini-Killer nannte.
»Der Kerl ist offenbar ein absoluter Filmfreak«, stellte Toschi fest, »aber ich würde wetten, dass er nur auf ganz bestimmte Filme steht.«
Am Dienstagmorgen waren die Zeitungen voll mit Berichten über die so genannten Zebra-Morde von religiös motivierten Schwarzen, die offenbar wahllos auf Weiße feuerten. Die jüngste Attacke dieser Art hatte am Abend zuvor zwischen acht und zehn Uhr stattgefunden. Dies hatte zur Konsequenz, dass sich die gesamte Mordkommission auf die Suche nach den Tätern begab. Insgesamt hatten die Angehörigen eines fanatischen Kults in 179 Tagen des Terrors fünfzehn Weiße erschlagen oder erschossen; acht weitere wurden schwer verletzt. Fünf der Mörder wurden schließlich gefasst und zu lebenslanger Haft verurteilt.
Toschi war gerade krank - die Zebra-Attacken zwangen ihn jedoch trotzdem in den Dienst zurück, und jetzt hatte sich zu allem Überfluss auch noch der Zodiac zurückgemeldet. »Was für ein Timing«, stellte Toschi fest. »Aber jetzt weiß ich wenigstens, dass die ganze Arbeit, die wir in den vergangenen drei Jahren in den Fall investiert haben, nicht umsonst war.«
Was Armstrong und Toschi wirklich beunruhigte, war die Tatsache, dass Zodiac nun schon von 37 Opfern sprach. Er hatte ja einmal angekündigt, dass er seine Morde in Zukunft als Unfälle tarnen würde. Was war, wenn dieser Wahnsinnige wirklich schon 37 Menschen umgebracht hatte?
Eine Frage, die Toschi in der nächsten Zeit einiges Kopfzerbrechen bereitete.
Was Toschi und Armstrong nicht wussten, war, dass die Ermittler in der Gegend von Vallejo im Laufe der letzten vier Jahre so weit gekommen waren, dass sie zum ersten Mal einen echten Verdächtigen hatten. Nun wurde ein geheimer Bericht über den Mann ausgearbeitet.
1
Andrew Todd Walker
April 1970
Anfang 1970 wurde die Polizei zum ersten Mal auf Andy Walker aufmerksam (der Name wurde geändert).
Ein Highway-Streifenpolizist war von einem Mann in einem neuen grünen Ford in ein Katz-und-Maus-Spiel verwickelt worden: Es war ein heißer Tag. Die beiden Autos waren zu beiden Seiten einer Autobahn geparkt, und der Verkehr strömte zwischen ihnen dahin. Der Polizist bemerkte, dass der Fahrer des Ford auf dem leicht erhöht gelegenen Parkplatz ihn beobachtete. Und so beschloss er, den Mann zu überprüfen.
Er verließ den Parkplatz und fuhr durch eine Unterführung, um zur anderen Seite der Autobahn zu gelangen. Als er den anderen Parkplatz erreicht hatte, war der Wagen des Fremden verschwunden. Der Polizist blickte auf die andere Straßenseite - und da stand der Ford nun genau an dem Platz, den er selbst eben noch eingenommen hatte. Der Mann hatte offenbar die Überführung genommen, um die Straßenseite zu wechseln und so mit dem Polizisten Platz zu tauschen.
Zwei Tage später war der Mann wieder da. Dieses Spiel zog sich über mehrere Wochen dahin. Der Mann hatte nichts angestellt, doch der Streifenpolizist wollte ihn gern etwas näher unter die Lupe nehmen. An den langen heißen Tagen standen sich die beiden Autos immer wieder gegenüber, während der Verkehr zwischen ihnen hindurchströmte. Und jedes Mal, wenn der Polizist auf die andere Seite wechselte, tauschte der grüne Ford mit ihm Platz.
Eines Tages parkte der Streifenpolizist auf dem Parkplatz am Hunter Hill. Plötzlich tauchte der neue dunkelgrüne Ford LTD auf und hielt so dicht neben dem Streifenwagen an, dass sich die Autotüren nicht mehr hätten öffnen lassen. Der Polizist schätzte, dass nicht mehr als fünf Zentimeter zwischen den beiden Fahrzeugen waren. Er fand es unglaublich, dass jemand es wagte, sich mit einem Highway-Polizisten in seinem Dienstwagen anzulegen. Der Polizist spürte, dass der Mann ihn anstarrte, doch er beschloss, ihn zunächst zu ignorieren. Schließlich wandte er sich ihm zu, um sich den Mann näher anzusehen.
Die nahe beieinander liegenden Augen starrten ihn durchdringend und voller Hass an. »Ich habe so etwas noch nie erlebt«, erzählte er mir später. »Es sah fast so aus, als hätte der Mann einen epileptischen Anfall. Dieses verzerrte Gesicht. Beängstigend.«
So stieß der Polizist auf Andy Walker.
Walker war um die vierzig und hatte ein riesiges eulenartiges Gesicht und schmale Lippen. Er hatte zwar eine hohe Stirn, aber dichtes grau meliertes Haar. Er trug eine Brille mit einer dunklen Fassung, hatte einen ausgeprägten Bauch und war über neunzig Kilo schwer und einen Meter dreiundachtzig groß.
Im Jahr 1971 überprüfte ihn Sergeant Les Lundblad in Vallejo als einen Verdächtigen im Zusammenhang mit dem Mord an Darlene Ferrin.
Mittwoch, 1. Mai 1974
»Ich weiß schon lange, wer der Zodiac ist«, teilte der dunkelhäutige Mann seinen beiden erstaunten Zuhörern mit. »Er ist längst nicht so jung, wie die Polizei glaubt. Der Typ ist so zwischen vierundvierzig und vierundfünfzig, und er ist an zwei Abenden in der Woche nicht zu Hause. Er trägt übrigens immer Wing-Walker-Schuhe.«
Drei Männer standen an diesem Abend in einer dunklen Gasse in Vallejo beisammen - der Mann, der den Zodiac zu kennen glaubte, und zwei Freunde, von denen der eine in einer Bowlingbahn in Napa arbeitete und der andere der bereits erwähnte Streifenpolizist war.
Der Polizist hatte beschlossen, Walker näher unter die Lupe zu nehmen. Er fand heraus, dass der Mann in einer recht abgelegenen Gegend lebte. Dass Walker schon einmal zu den Verdächtigen im Zodiac-Fall gehört hatte und gleichzeitig einen solchen Hass auf die Polizei zu empfinden schien, war für den Streifenpolizisten Grund genug, seine Nachforschungen fortzusetzen.
Zu der Zeit erhielt eine hübsche junge Lehrerin gerade ihren vierten anonymen Anruf in ihrer Wohnung in Vacaville, südöstlich von Vallejo. Er unterschied sich nicht von den drei vorangegangenen Anrufen dieser Art: ein seltsames Geräusch, wie das Säuseln des Windes, war das Einzige, was man vom anderen Ende der Leitung hörte. Die junge Frau bekam es mit der Angst zu tun und beschloss, ihren Freund zu besuchen, der in der Silveyville Road in Dixon bei Sacramento lebte. Sie blieb drei Tage bei ihm und als sie wieder zu Hause, nahm sie den Telefonhörer von der Gabel und legte ihn neben den Apparat.
Als sie am Montag nach Hause kam, fand sie einen Brief, der an sie adressiert war. Schon am Umschlag erkannte die Lehrerin, dass der Brief von jemandem kommen musste, der sie nicht sehr gut kannte. »Da stand nur der Anfangsbuchstabe meines Vornamens und der Nachname, so wie auf meinem Briefkasten«, berichtete sie der Polizei viel später. Der Brief hatte folgenden Wortlaut:
Ich beobachte dich oft und rufe dich oft an. Ich habe dich auch in der Silveyville Road in Dixon gesehen. Ich bin ziemlich sauer, weil du nachts das Telefon nicht abhebst.
Es wird etwas Schlimmes passieren, wenn du nicht abhebst.
Die junge Lehrerin wollte nicht glauben, was sie da las. Der Schreiber schien jeden ihrer Schritte zu verfolgen.
In ihrer Angst setzte sich die Frau in ihren Wagen und fuhr nach El Sobrante zu ihren Eltern. Mitten in der Nacht klingelte dort das Telefon. Vom anderen Ende der Leitung kam wieder nur dieses säuselnde Geräusch, das sie schon so oft gehört hatte.
Samstag, 11. Mai 1974
Den nächsten anonymen Brief bekam die Lehrerin an die Adresse ihrer Eltern geschickt. Er lautete folgendermaßen:
Es ist schwer, dich zu beobachten und dich anzurufen, wenn du nicht im Telefonbuch stehst. Das mag ich gar nicht.
Der Schreiber hatte den Brief zuerst zerknüllt und dann mit Erfolg so geglättet, dass keine Fingerabdrücke mehr übrig blieben. Das CI&I in Sacramento meinte, der Schreiber hätte absichtlich in einem etwas primitiven Stil geschrieben, der an einen Schüler der achten oder neunten Klasse erinnerte.