Zodiac (37 page)

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Authors: Robert Graysmith

Tags: #True Crime, #Murder, #Serial Killers

BOOK: Zodiac
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Morrill holte das Foto, das Penny ihm als Probe von Don Andrews’ Handschrift überlassen hatte. Es zeigte ein Filmplakat, das mit schwarzem Filzstift angefertigt war.

»Das ist schön«, stellte ich fest.

»Manche Dinge passen nicht ganz, aber die Übereinstimmung ist doch so groß, dass man sich so seine Gedanken macht.«

Ich fragte Morrill, ob er schon eine Theorie dazu habe.

»Ja. Haben Sie eigentlich schon mal überlegt, ob wir es nicht vielleicht mit mehr als einem Täter zu tun haben könnten? Also, ich habe Wallace Penny und Don Andrews im Auge. Penny kommt vom Körperbau her ganz bestimmt infrage - er ist gut einsneunzig groß und wiegt sicher über hundert Kilo. Es wäre ja denkbar, dass einer das Schriftliche erledigt und der andere die Morde ausführt.

Was für Hinweise hat die Polizei noch außer den Briefen? Sie greifen nach jedem Strohhalm, der sich irgendwo zeigt. Nachdem Wallace Penny bei mir zu Hause war, sprach ich nachher noch mit meiner Frau Rose über den Zodiac-Fall. Erst nachdem er weg war, fiel mir auf, dass er eigentlich zu viel über Dinge wusste, die die Polizei geheim gehalten hat. Da kam mir auf einmal der Gedanke, ob ich nicht den Zodiac persönlich hier bei mir im Wohnzimmer hatte, ohne es zu wissen.«

»Ich wollte ihn schon einige Male in seiner Tischlerei besuchen«, warf ich ein, »aber ich habe es dann doch jedes Mal bleiben lassen. Ich habe einfach ein komisches Gefühl, wenn ich mir vorstelle, dass ich ihn besuche.«

»Robert, Sie sollten wirklich gut Acht geben«, warnte mich Morrill. »Ich mache mir keine Sorgen, dass er mir etwas tun könnte - aber es scheint mir nicht ausgeschlossen, dass Sie in Gefahr sind. An Ihrer Stelle würde ich nicht allein zu ihm hingehen.«

»Penny hat eine Theorie, die ziemlich unglaublich klingt«, sagte ich. »Er glaubt, dass Andrews einen seiner Morde gefilmt hat und das Material in einer Dose aufbewahrt, die mit einem Sprengsatz versehen ist, der hochgeht, sobald sie jemand öffnet.«

»Ha! So was habe ich ja noch nie gehört! Mir wäre jedenfalls sehr geholfen, wenn Sie mir Handschriftenproben von Don Andrews, von Penny und von Andrews’ Freund Bernell besorgen könnten.«

»Ja, wir müssen sie alle überprüfen.«

»Vor allem natürlich Don Andrews.«

»Ich würde wirklich gern wissen, wie Armstrong zu dem Schluss gekommen ist, dass Andrews doch nicht als Täter infrage kommt.«

»Keine Ahnung«, antwortete Morrill. »Ich habe Armstrong immer für ziemlich intelligent gehalten. Er und Toschi waren ein tolles Team.«

»Ich habe gehört, dass Ken Narlow nach dem letzten Zodiac-Brief mit Andrews gesprochen hat. Daraufhin hat Andrews sofort sein Telefon abgemeldet. Eine wirklich starke Reaktion. Narlow hat sich einmal sechs Stunden mit ihm unterhalten, und hinterher schwirrte ihm der Kopf.«

 
 

Als ich nach San Francisco zurückkam, hatte ich einen Brief von Marvin Bernell im Briefkasten, in dem er mich für den Dreizehnten zu sich nach Hause einlud.

Als ich Bernells Handschrift sah, war mir sofort klar, dass er es war, der das Filmplakat angefertigt hatte, das Morrill als Probe von Dons Handschrift bekommen hatte.

 

Mittwoch, 13. September 1978

 

Ich traf am Abend in Bernells Haus in der Nähe von Riverside ein. Er führte mich in sein großes, altmodisch eingerichtetes Wohnzimmer. Irgendwie musste Bernell geahnt haben, dass ich nicht nur über seine Stummfilmsammlung mit ihm sprechen wollte. Vielleicht hatte Don Andrews aus irgendwelchen Zeitungsartikeln erfahren, dass ich an einem Buch über Zodiac arbeitete, und seinen alten Kumpel Bernell davor gewarnt, mir zu viel zu erzählen.

Der Kinobesitzer setzte sich auf die Couch zu meiner Rechten und ich stellte ihm ein paar Fragen über die seltsame Verbindung, die möglicherweise zwischen Zodiac, ihm selbst und Filmen bestand.

»Um ganz ehrlich zu sein«, sagte ich, »als ich Ihren Brief aus L. A. bekam und Ihre Handschrift sah, bekam ich einen richtigen Schreck. Ihre Schrift hat eine verblüffende Ähnlichkeit mit der Handschrift der Zodiac-Briefe.« Ich musterte ihn aufmerksam und wartete auf irgendeine Reaktion - doch sein Gesicht blieb völlig ausdruckslos und er sagte kein Wort, sodass ich schließlich das Thema wechselte.

»Zodiac hat in seinen Briefen mehrmals Anspielungen auf irgendwelche Filme gemacht. So hat er zum Beispiel den Film ›The Most Dangerous Game‹ erwähnt. Ist der Film jemals in Ihrem Kino gelaufen?«

»Oh Gott, ja«, antwortete Bernell. »Ich weiß gar nicht, wie oft.«

»Haben Sie ihn auch so um 1968 und 1969 gezeigt?«

»Ich habe das Kino 1969 übernommen«, antwortete er, »und ›Dangerous Game‹ kann durchaus damals gelaufen sein. Aber wir haben ihn immer wieder gezeigt, weil er ein Klassiker seiner Art ist.«

»Marvin, Zodiac hat ›The Most Dangerous Game‹ in seinem dreiteiligen Geheimtext erwähnt und danach zwei junge Leute am Lake Berryessa angegriffen. Er hat dabei ein Kostüm mit einer Kapuze getragen und war mit einem Messer bewaffnet, wie es Graf Zaroff in dem Film hatte. Ich glaube, dass sich Zodiac von dem Film hat inspirieren lassen. In einem anderen Brief spricht er von einem ›roten Phantom‹. Ich habe erst kürzlich erfahren, dass es einen Stummfilm mit dem Titel ›El Spectre Rojo‹ gibt.« (ein früher Pathe-Frères-Film)

»Den habe ich auch hier«, räumte Bernell etwas zurückhaltend ein. »Zodiac hat den Film erwähnt?«

»Er hat es als Pseudonym verwendet.«

Bernell lachte nervös und hielt sich dabei die Hand vor den Mund. »Das ist schon komisch - wir hatten nämlich in unserem alten Kino in L.A. den Tierkreis, also den Zodiakus, an die Decke gemalt. Den meisten fällt so was gar nicht auf - sie schauen nur nach vorn auf die Leinwand.« Er hielt kurz inne und überlegte. »Also, ›El Spectre Rojo‹ ist ein Stummfilm, aber ich kann mir nicht vorstellen, wie er von ihm gewusst haben soll. Der Film galt als verloren, bis irgendjemand von Thunderbird Films das Original gefunden hat. Ich weiß nicht mehr genau, wann er zum ersten Mal in der Öffentlichkeit erwähnt wurde … Ich könnte ja mal nachsehen.«

»Zodiac hat ihn 1974 in einem Brief erwähnt«, warf ich ein.

»Ja, das könnte passen. Ich habe den Film damals zum ersten Mal gesehen und beschloss, eine 16-Millimeter-Kopie zu kaufen, als er beim Jahrestreffen der Filmsammler in Kanada gezeigt wurde.«

Ich erzählte ihm, dass in einem der Briefe des Mörders auch der »Klavierspieler« erwähnt wurde. Bernell hatte früher Stummfilme am Klavier begleitet. »Und dann ist da noch sein Symbol«, fuhr ich fort, »der Kreis mit dem Kreuz. Kommt dieses Zeichen nicht beim Count-down auf dem Filmvorspann vor?«

»Ja, das Symbol ist auf dem Vorspann drauf.«

»Die Polizei hat natürlich immer an das Fadenkreuz eines Gewehrs gedacht«, fügte ich hinzu.

»Nein, als ich das Symbol in der Zeitung sah, war mir gleich klar, dass es sich um das Filmsymbol handelt. Um mein Kino zu erhalten, zeige ich auch Werbefilme und neue Filme, nicht nur die alten Klassiker. Auf diese Weise kommen wir so einigermaßen über die Runden. Ich mache alles selbst, auch die Plakate, aber die aufwändigeren Stücke lasse ich nicht beim Kino hängen. Dort könnten sie zu leicht beschädigt werden. Aber diese einfacheren Plakate da …« Bernell zeigte auf die Vergrößerung des Plakates, das Morrill von Wallace Penny als Probe der Handschrift von Don Andrews bekommen hatte. »Solche Dinger werfe ich nach der letzten Vorstellung weg.«

»Dann haben Sie also den Text auf diesem Plakat geschrieben? Wir waren davon ausgegangen, dass es von einem Mann namens Don Andrews …« Ich hielt kurz inne und musterte ihn. »Er hat einmal für Sie gearbeitet, glaube ich.«

»Ja, das hat er«, bestätigte Bernell etwas reserviert.

»Die Polizei hat ihn als möglichen Verdächtigen im Zodiac-Fall überprüft und angenommen, die Plakate wären von ihm.«

Ich zeigte Bernell fotografische Vergrößerungen der Briefe und wies auf bestimmte Stellen hin, wo die Handschrift große Ähnlichkeit mit dem Plakat aufwies. »Haben Sie irgendwo eine Probe von Dons Handschrift?«, fragte ich.

»Ich habe keine Briefe von ihm«, erwiderte er leise. »Wir schreiben uns eigentlich nicht.«

»Meine Vermutung ist, dass Zodiac sich von der Handschrift auf den Filmplakaten inspirieren hat lassen«, fuhr ich fort. »Ich glaube, er hat Ihre Plakate gesehen und fotografiert und die Buchstaben dann für seine Briefe nachgemalt.«

Bernell wurde sichtlich nervös. Aber nachdem er seine Aufzeichnungen geholt hatte, sahen wir bei Kaffee und Schokoladekuchen nach, wann »The Most Dangerous Game« zum letzten Mal gelaufen war; es stellte sich heraus, dass die letzte Vorführung im Mai 1969 stattgefunden hatte.

Bernell war ein freundlicher Mann, der absolut nichts Bedrohliches an sich hatte, doch ich spürte, dass er mir so manches verschwieg. Als ich so allein mit ihm in dem alten Haus saß, hatte ich das Gefühl, dass jeden Augenblick ein stämmiger Mann mit einer schwarzen Kapuze und einer Pistole in der Hand hereinkommen könnte. Immerhin wusste niemand, wo sich Don Andrews aufhielt.

Schließlich ging ich zusammen mit Bernell in den Keller, um mir seine beeindruckende Filmsammlung anzusehen. Die Filme bedeckten eine ganze Wand und einen Teil einer zweiten. Ich sah mir all die Dosen an und fragte mich, ob das, was mir Wallace Penny erzählt hatte, wirklich stimmte: dass Zodiac Beweisstücke von seinen Morden und einen Film von dem Doppelmord in der Lake Herman Road in einer 35-Milimeter-Filmdose mit der Aufschrift »Nicht öffnen - Nitratfilm - Gefährlich!« verborgen hatte und dass er die Dose Bernell zur Aufbewahrung gegeben hatte - für den Fall, dass die Polizei eines Tages seine Wohnung durchsuchen würde.

Als Bernell bemerkte, wie aufmerksam ich die Filmdosen begutachtete, führte er mich zu dem Platz hinüber, wo er seine Filmplakate anfertigte. Die Schrift auf den Plakaten wirkte wie eine Vergrößerung der Handschrift des Zodiac.

Wenn es tatsächlich eine Filmdose gab, die mit einem Sprengsatz gesichert war, so konnte man sich leicht vorstellen, was eine Explosion in Bernells altem Holzhaus anrichten würde. Zerfallender Nitratfilm war schließlich extrem feuergefährlich.

Erneut versicherte mir Bernell, dass wir allein im Haus waren. Doch ich konnte im Stockwerk über uns schwache, aber deutliche Schritte hören. Ich tat so, als bemerkte ich nichts. Allzu große Sorgen machte ich mir deswegen nicht; schließlich wussten meine Freunde, wo ich war, und ich hatte alle Informationen, die ich über Andrews gesammelt hatte, an Lieutenant Husted in Vallejo weitergegeben.

 
 

Ich traf mich noch ein zweites Mal mit Bernell, um über eine eventuelle Verbindung seines Freundes mit dem Zodiac-Fall zu sprechen. »Ich habe gehört, dass Zodiac möglicherweise Beweismaterial in einer Filmdose versteckt hat, die explodiert, sobald sie geöffnet wird«, sagte ich. »Und er soll sie einem nichts ahnenden Freund zur Aufbewahrung gegeben haben.«

Bernells breites Lächeln verschwand augenblicklich und er errötete. Schließlich zwang er sich zu einem Lächeln, das jedoch nicht verbergen konnte, wie peinlich ihm die Sache war. Ich dachte mir, dass ihn sein Freund vielleicht tatsächlich irgendwann gebeten hatte, eine solche Dose aufzubewahren, und dass er nun das Gefühl hatte, benutzt worden zu sein. Ich beschrieb ihm die Aufschrift, mit der die Dose angeblich markiert war.

»Don hat mir einmal eine solche Dose gegeben«, bestätigte er.

Wallace Penny hatte also die Wahrheit gesagt! Es gab tatsächlich eine solche Filmdose. Ich bemühte mich, ruhig zu bleiben, obwohl mein Puls zu galoppieren begann. »Wissen Sie, wo sie steht?«, fragte ich.

»Er hat sie wieder mitgenommen. Ich glaube, es war 1972.«

»Verdammt!« Wenn Don Andrews tatsächlich der Zodiac-Killer war, so würde die Dose nie wieder auftauchen.

Bernell blickte auf den Boden hinunter. Er war überaus beunruhigt über die Ähnlichkeit seiner Handschrift mit der der Zodiac-Briefe.

»Sind Sie eigentlich beidhändig?«, fragte ich.

»Nein«, antwortete er, »ich bin Rechtshänder.«

»Dann brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Zodiac ist beidhändig.«

Bernell machte ein Gesicht, als hätte man ihm mit dem Hammer auf den Kopf geschlagen.

»Don nimmt immer die linke Hand, wenn er Filme schneidet«, sagte er. »Aber er schreibt mit der rechten. Ich glaube, er ist beidhändig.«

Diese Tatsache war mir bereits bekannt gewesen, bevor ich nach Riverside gekommen war. Bernells Gesichtsausdruck überzeugte mich, dass er absolut nichts davon gewusst hatte, dass sein Freund möglicherweise etwas mit den Morden zu tun haben könnte.

Bernell erzählte mir, dass Don Andrews im Jahr 1975 San Francisco verlassen hatte und bis 1978 nicht mehr in Kalifornien war. Dies mochte die lange Pause zwischen den Briefen erklären, und auch den Satz: »Ich bin wieder bei euch …«

Ich fragte Bernell, ob Andrews wieder in San Francisco sei. Er überlegte einen Augenblick, schritt quer durch den Raum und blieb mit dem Rücken zu mir vor dem Kamin stehen. Schließlich sagte er, er wisse es nicht genau.

 

Dienstag, 19. September 1978

 

Ich hatte schon seit einiger Zeit seltsame Anrufe bekommen, in denen ich nichts anderes zu hören bekam als das Atmen des Anrufers. Meistens passierte es so gegen halb elf am Vormittag.

An diesem Abend rief ich Bernell in seinem Haus in Riverside an, um ihm noch ein paar Fragen über seinen Freund zu stellen.

»Marvin, ich habe Don noch nie gesehen«, begann ich, »wenn ich Ihnen die folgende Beschreibung vorlese - könnten Sie mir sagen, welche Details nicht stimmen?«

»Na ja …«

»Ich fange einfach mal an, okay? Er ist weiß, stämmig gebaut und knapp einen Meter achtzig groß. Er hat einen Rundrücken und einen leichten Bauchansatz. 1969 hatte er einen militärischen Bürstenschnitt und leicht gewelltes rötlich braunes Haar. Er ist etwa fünfunddreißig Jahre alt und trägt eine Brille mit einer dicken schwarzen Fassung, die mit einem dünnen elastischen Band fixiert ist. Er ist ziemlich korpulent, aber recht kräftig.«

»Na ja, stämmig ist er schon, das stimmt«, bestätigte Bernell. »An seiner Brille hat er wirklich ein Gummiband dran, glaube ich. Und seine Haare sind wohl auch ein wenig gewellt.«

»Ich habe gehört, er hätte ein volles Gesicht. Ist sein Gesicht …?«

»Es passt zum Körper. Es ist genauso rund und voll«, sagte er.

Bernell hatte vor, sich mit Don geschäftlich zusammenzutun. Andrews war gerade dabei, seine Rückkehr in die Bay Area in die Wege zu leiten. Es wollte mir nicht einleuchten, dass Bernell als eventueller Geschäftspartner die neue Adresse seines Freundes nicht kannte.

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