Zodiac (41 page)

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Authors: Robert Graysmith

Tags: #True Crime, #Murder, #Serial Killers

BOOK: Zodiac
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Keines dieser Opfer war an dem Ort gestorben, an dem später die Leiche gefunden wurde. Wenn der Mörder die Leichen beseitigte, ließ er seinen Wagen auf der Straße stehen, und nicht daneben, um keine Reifenspuren zu hinterlassen. Der Täter hatte seine Opfer offensichtlich über Gräben und Zäune gehoben oder geworfen, was darauf schließen ließ, dass er sehr kräftig sein musste. Der Mörder war außerdem mit der Gegend vertraut.

Die Studentinnen wurden zu Tode gequält, erstochen, vergiftet, erdrosselt, ertränkt, erstickt oder durch Genickbruch getötet. Nachdem die Leichen immer wieder an den gleichen Plätzen gefunden wurden, ging die Polizei davon aus, dass alle Morde - oder zumindest die meisten davon - von ein und demselben Täter begangen worden waren. Das Erschreckendste an diesen Fällen war für mich, dass da offenbar jemand verschiedene Tötungsarten an seinen Opfern ausprobierte.

Das CI & I hatte im Juli 1974 103 Mordfälle vorliegen, die die oben erwähnten Merkmale zeigten, darunter auch Fälle in Washington und Oregon. Man war überzeugt, dass zumindest vierzehn Morde vom selben Täter verübt worden waren. Diese Information konnte ich einem geheimen Bericht des Justizministeriums Kalifornien über ungelöste Morde an Frauen in Kalifornien und dem amerikanischen Westen entnehmen. Der Bericht aus dem Jahr 1975, der unter Mithilfe vieler Polizeidienststellen ausgearbeitet worden war, hielt außerdem fest, dass der Mörder allem Anschein nach »mit okkulten Praktiken vertraut« war, »nachdem man im Mordfall Caroline Davis ein Symbol dieser Art gefunden hat, und es auch in den Fällen der vermissten Frauen in Oregon und Washington Hinweise auf okkulte Verbindungen gibt«. Der Bericht kam zu folgender Schlussfolgerung: »Die Mordserie wird wahrscheinlich weitergehen, bis der Täter identifiziert und gefasst werden kann.«

Waren das die fehlenden Zodiac-Opfer?

Was bei all diesen Fällen auffiel, war der Bezug zu Santa Rosa. Es handelte sich entweder um Studentinnen am Junior College von Santa Rosa oder um junge Frauen, die in der Stadt lebten und anderswo ermordet wurden. Die Frage war nun, ob es einen Verdächtigen im Zodiac-Fall gab, der einen Bezug zu Santa Rosa hatte.

Als ich Toschi danach fragte, antwortete er: »Ja, den Mann gibt es. Mehr kann ich aber nicht sagen, solange der Fall nicht abgeschlossen ist.«

Es gab also einen Verdächtigen, von dem ich noch nichts wusste. Andere Ermittler konnten oder wollten mir ebenfalls keine Auskunft geben. Gab es einen bestimmten Grund für diese Reserviertheit?

Währenddessen suchte ich weiter nach Don Andrews.

 

Freitag, 29. Februar 1980

 

Ich stellte mir vor, dass der Zodiac-Killer den Menschen in seiner Umgebung als ruhiger, beherrschter und vernünftiger Mensch erscheinen würde. Er war bestimmt ein Einzelgänger, der nur wenig Kontakt zu seinen Mitmenschen hatte. Dafür hatte er sich wohl umso tiefer in eine Traumwelt versenkt, in der seine dunklen Fantasien herrschten.

In einem geheimen Gutachten über den Mörder von Cheri Jo Bates, das der Chefpsychologe des Patton State Hospital im Juli 1967 für den Bezirksstaatsanwalt von Riverside schrieb, wurde der Mörder folgendermaßen beschrieben: Er ist »so überempfindlich (…) dass er jede Kleinigkeit als etwas Gravierendes auffassen kann, das keinerlei Bezug mehr zur Realität hat. Er ist besessen von einem abgrundtiefen Hass gegen Frauen - und das umso mehr, je attraktiver ihm eine junge Frau erscheint. Aufgrund seiner unbewussten Minderwertigkeitsgefühle wird er seine Gefühle und Bedürfnisse kaum jemals in Form einer sexuellen Beziehung ausleben, sondern nur in seiner Fantasie stattfinden lassen, die dann auch in einen gewalttätigen Akt münden kann, wie der Mord an Cheri Jo Bates zeigt.«

Der Bericht endet mit der Warnung: »Ich möchte in aller Deutlichkeit darauf hinweisen, dass durchaus die Möglichkeit besteht, dass er weitere Morde begeht.«

 

Freitag, 29. Februar 1980

 

Ich saß einem der führenden Experten in Sachen Massenmord, Dr. Donald T. Lunde, gegenüber, seines Zeichens Professor für Psychiatrie und Dozent für Rechtswissenschaften an der Stanford University. Der jugendlich aussehende blonde Doktor untersuchte im Zusammenhang mit dem Prozess um den »Hillside Strangler« gerade Kenneth Bianchi, der insgesamt fünf Morde gestand. Wir trafen uns in Lundes geschmackvoll eingerichtetem Büro im ersten Stock der juristischen Fakultät von Stanford.

»Dr. Lunde«, begann ich, »Sie sprechen von zwei grundsätzlichen Typen von Serienmördern - dem Sexualsadisten und dem häufiger auftretenden paranoiden Schizophrenen.« An dieser Stelle sei erklärend hinzugefügt, dass ein paranoider Schizophrener von äußeren Faktoren angetrieben wird, zum Beispiel von Stimmen, die ihm sagen, was er tun soll. Wenn solche Personen Frauen töten, liegt das an einer verwirrten sexuellen Identität. Weitere Charakteristika sind ein wirres Denken, Halluzinationen, Verfolgungswahn und Größenwahn. Umwelteinflüsse und Vererbung spielen bei der Entwicklung einer solchen Persönlichkeitsstruktur ebenso eine Rolle wie Drogen, beispielsweise LSD oder PCP. Mit Mitte dreißig kann die ständige innere Wut, die den paranoiden Schizophrenen beherrscht, verrauchen oder allmählich abklingen.

»Nachdem Sie nun Kopien von allen Zodiac-Briefen gesehen haben - würden Sie Zodiac als Sexualsadisten einschätzen?«, fragte ich den Experten.

»Das ist aus meiner Sicht wohl die wahrscheinlichste Variante«, antwortete Lunde. »Im Gegensatz zum paranoiden Schizophrenen leidet der sadistische soziopathische Mörder nicht an Halluzinationen. Er sucht seine Opfer nach dem Kriterium aus, dass sie ihm das Ausleben seiner sadistischen Triebe ermöglichen. Sexuelle Befriedigung erlangt dieser Täter beispielsweise dadurch, dass er bestimmte Körperteile des Opfers verstümmelt.

Ich habe den Eindruck gewonnen, dass es heute mehr von diesen Leuten gibt als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Als ich mich mit [Edmund Emil] Kemper beschäftigte« (der acht Frauen in Santa Cruz ermordet hatte, zuletzt auch noch seine Mutter), »da sah ich die Literatur durch und fand nur wenige solcher Fälle, ungefähr einen in jedem Jahrzehnt. Ich hielt das deshalb für ein recht seltenes Phänomen und glaubte, nicht noch einmal mit einem derartigen Menschen zu tun zu haben.

Aber allein im vergangenen Jahr habe ich mehrere solcher Fälle gesehen, und es ist verblüffend, wie viele Gemeinsamkeiten sie zeigen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts sind bis vor kurzem offenbar nur wenige sadistische Täter registriert worden. Aber allein in den Siebzigerjahren tauchten plötzlich jede Menge auf!

Nachdem ich jetzt einige dieser Fälle persönlich studieren konnte, habe ich große Ähnlichkeiten festgestellt. Bianchi hat bei psychologischen Tests fast wortwörtlich die gleichen Antworten gegeben wie Kemper. Immer wieder geht es um den Anblick von zerfleischten Tieren, von Blut und Tierherzen und so weiter.«

Das psychologische Profil eines Sexualsadisten - und damit aller Wahrscheinlichkeit nach des Zodiac-Killers - würde sich in etwa so lesen:

Er ist immer männlich, meist unter fünfunddreißig, intelligent, unauffällig und kräftig. Er hat einen passiven, grausamen oder gänzlich abwesenden Vater und eine attraktive, dominante Mutter, die ihrem Sohn völlig willkürlich mit Zuneigung und Abweisung begegnet. Der Sexualsadist will sich an seiner Mutter rächen, fantasiert von ihrem Tod, hegt aber gleichzeitig eine perverse Liebe zu ihr. Sex mit anderen Frauen ist ihm unmöglich. In den meisten Fällen hat er kaum soziale oder sexuelle Kontakte und auch keinerlei Erfahrungen mit normalem Geschlechtsverkehr. Mord ist für ihn die einzige Möglichkeit einer befriedigenden sexuellen Beziehung mit einer Frau. Seine Opfer sind immer nur ein Ersatz für das eigentliche Ziel seiner Aggressionen - seine Mutter, die oft das letzte Opfer in der Serie ist.

Er hat in seiner Jugend oft Tiere gequält. Richard Trenton Chase, der »Vampir-Killer von Sacramento«, hat beispielsweise Menschenblut getrunken und Nieren und Leber von Tieren im Gefrierschrank aufbewahrt. Als Jugendlicher kann ein solcher Mensch als Ersatz für menschliche Opfer seine Haustiere erdrosseln oder vergiften.

Aus unbekannten Gründen entsteht bei solchen sadistischen Persönlichkeiten in der frühen Kindheit eine Verflechtung zwischen sexuellen und aggressiven Impulsen, die sich schließlich in Form von sexueller Grausamkeit und sadistischen Morden ausdrücken.

Der Sadist tötet, um sexuelle Befriedigung zu erlangen. Der Akt des Tötens ruft eine starke sexuelle Erregung hervor, eine Lust, die ihm als Ersatz für eine sexuelle Beziehung dient. Möglicherweise masturbiert er, wenn er an seine Verbrechen zurückdenkt.

Der Sexualsadist schreibt oft höhnische Briefe an die Polizei, macht dabei absichtliche Rechtschreibfehler und weicht unter Stress stark von seiner üblichen Handschrift ab. Das Vergnügen, das es ihm bereitet, die Polizei zu provozieren und zu verhöhnen, kann irgendwann zum stärksten Motiv für seine Taten werden, und obwohl er sich sehr bemüht, ganz normal zu wirken, macht er sich oft durch ein bestimmtes Verhalten verdächtig.

Der Sadist hat einen starken Drang zur Selbstverstümmelung. Als Kind kann er sich im Spiel selbst exekutieren und schließlich tatsächlich zum Selbstmörder werden.

Er kann eine Faszination für die Polizei und Polizisten entwickeln und so tun, als wäre er selbst einer. Er sammelt oft Waffen und Folterwerkzeuge und lernt, sehr geschickt damit umzugehen.

Der Sexualsadist strebt die Entmenschlichung seiner Opfer an; er will sie zu Objekten degradieren, die sich ihm nicht entziehen können und über die er absolute Macht hat. Er ist unheilbar, verspürt keine Reue angesichts der Grausamkeiten, die er anderen zufügt, und wird seine Verbrechen höchstwahrscheinlich wiederholen.

Er sucht sich Opfer mit ganz bestimmten Merkmalen aus, wie etwa Studentinnen oder Anhalterinnen. Der Sadist kann seine Verbrechen in allen Einzelheiten beschreiben. Wenn er als Mörder in einem einzigen Fall überführt wird, bereitet es ihm geradezu Vergnügen, alle anderen Verbrechen zu gestehen, um die Polizei zu schockieren.

Der Sadist kann durchaus intelligent genug sein, um seine seelische Störung vor seiner Umgebung verborgen zu halten.

»Warum gibt es gerade heute so viele davon?«, wollte ich wissen.

»Eine mögliche Erklärung ist, dass diese Leute dadurch auffielen, dass sie zum Beispiel Tiere quälten und zerstückelten und die einzelnen Körperteile in den Kühlschrank steckten«, antwortete Lunde, »und unter den früheren Gesetzen reichte so etwas aus, um in eine psychiatrische Klinik zu kommen - aber heute ist das anders.

Ich schätze, früher wurden gar nicht so wenige Leute lebenslang weggesperrt, die sich vielleicht auch zu Serienmördern entwickelt hätten. Aber heute leben wir in einer Zeit, wo man niemanden für länger als neunzig Tage gegen seinen Willen in eine Nervenklinik stecken kann. Bis 1969 war es möglich, dass jemand auch ohne gewichtige Gründe für den Rest seines Lebens in eine Anstalt wandern konnte. Aber das hat sich mittlerweile ins Gegenteil verkehrt; heute muss man schon handfeste Beweise vorlegen können, dass der Betreffende entweder akut selbstmordgefährdet ist oder eine Gefahr für andere darstellt.«

»Wie oft«, fragte ich, »haben Sie selbst einen solchen Sadisten gesehen? Mit wie vielen haben Sie gesprochen?«

»Mit einem Dutzend«, antwortete Lunde. »Das ist eine ganz schöne Anzahl - aber nichts im Vergleich zu den tausenden von paranoiden Schizophrenen. Es ist irgendwie fast unheimlich, wie ähnlich sich diese Sadisten sind.«

»Ist es denkbar«, fragte ich weiter, »dass ein solcher Sadist auch Kinder sexuell missbraucht?«

»Durchaus. Was diese Leute gemeinsam haben, ist ein abnormales Verhältnis zu Frauen. Sie sind nur sehr eingeschränkt oder überhaupt nicht in der Lage, eine normale sexuelle Beziehung einzugehen. Sie suchen sich irgendwelche Alternativen. Eine davon ist Sex mit Leichen oder das Töten um der sexuellen Befriedigung willen. Eine andere Möglichkeit ist Sex mit Kindern.

Eine weitere Gemeinsamkeit dieser Leute ist der Drang, Macht über das sexuelle Objekt zu erlangen, was man durch körperliche Gewalt oder durch Fesselung des Opfers erreicht - oder eben, indem man sich Kinder als Opfer aussucht. Immer aber strebt so jemand Macht über das Objekt seiner sexuellen Begierden an.«

Ich erinnere mich noch gut an das, was Kemper, dieser absolut typische Sexualsadist, im Prozess über seine Morde gesagt hat: »Es war eine Art Triumph, so wie es für einen Jäger sein muss, wenn er das Geweih eines mächtigen Hirsches erlangt. Ich war der Jäger, und sie waren meine Beute.«

 

Sonntag, 2. März 1980

 

Ich hatte irgendwie immer damit gerechnet, dass das gewaltige Ego des Zodiac-Killers ihn eines Tages verleiten würde, Toschi einen Brief unter seinem richtigen Namen zu schreiben. Ich fragte den Inspektor, ob er je einen Brief von einem der Verdächtigen erhalten hatte.

»Nun, eigentlich nur von einem«, antwortete er, »ein Student namens Starr aus Vallejo.« (Name geändert) »Wenn ich mich recht erinnere, hat er geschrieben: ›Falls ich Ihnen in irgendeiner Weise behilflich sein kann, lassen Sie es mich wissen. Tut mir Leid, dass ich nicht der war, den Sie gesucht haben.‹<

Nach dem Zodiac-Brief vom April 1978 teilte mir ein Mann namens Jim Silver vom Justizministerium Kalifornien mit: ›Wissen Sie, Starr ist seit ungefähr einem halben Jahr wieder auf freiem Fuß. Und Sie haben da jetzt diesen neuen Brief, der als echt gilt.‹

Ich sagte zu ihm: ›Ja, ich weiß. Ich habe vor ungefähr einem halben Jahr einen Brief von Starr bekommen. Er hat mir geschrieben, dass er wieder frei sei, und das kam mir damals ziemlich ungewöhnlich vor.

›Mein Gott‹, sagte Silver, ›der Typ ist mir wirklich suspekt. Ich würde sagen, er ist absolut verdächtig, und wir sollten ihn ständig im Auge behalten.‹«

Ich fragte Toschi, wie der Brief adressiert war.

»Na ja, er war nur an mich adressiert, nicht an Armstrong. Er hat meinen vollen Namen auf den Umschlag geschrieben - Inspektor David Toschi.«

»Ich wette, er hat ihn mit der Maschine geschrieben.«

»So ist es«, bestätigte Toschi.

 

Montag, 3. März 1980

 

Ich hatte mir diesen Tag freigenommen, um mit Lieutenant Husted vom Police Department Vallejo zu sprechen. Ich hatte so ein Gefühl, dass Starr einen Bezug zu Santa Rosa haben könnte, und ich wollte sehen, ob Husted mir diese Vermutung bestätigen konnte.

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