Starr war nicht im Geschäft, als ich vorbeischaute, um ihn zu beobachten, also stieg ich wieder in meinen Wagen und fuhr an seinem Haus vorbei. Alle seine Autos standen da. Da war ein grauer Skylark, ein blau-weißer Corvair und ein VW Karmann Ghia, eine nahezu exakte Kopie von Bryan Hartnells Wagen zur Zeit des Verbrechens vom Lake Berryessa. Starr besaß außerdem zwei Segelboote sowie drei Wohnwagen, die jedoch woanders standen.
Ich nahm an, dass er eine verspätete Mittagspause eingelegt hatte. Um drei Uhr fuhr ich zum Geschäft zurück - doch er war immer noch nirgends zu sehen. Ich beschloss, mir noch einmal das Plakat im Laden anzusehen, dessen Handschrift der des Zodiac so ähnlich war. Wie ich befürchtet hatte, war das Plakat weg. Als ich mich abwandte, fiel mir jedoch etwas anderes auf.
Knapp über Augenhöhe hingen da sechs Klemmbretter mit verschiedenen Notizen. Auf einem der Zettel stand etwas mit Filzstift geschrieben, das eine verblüffende Ähnlichkeit mit der Handschrift der Zodiac-Briefe aufwies. Die Notiz war von Starr signiert.
Im Police Department von Vallejo hatte man mir gesagt, dass man keine Handschriftenproben von Starr besitze (wenngleich ich in den Polizeiakten Briefe gesehen hatte, die Starr aus der Anstalt geschrieben hatte); sie meinten, dass er nun nur noch mit der Maschine schreibe.
Das Geschäft war ziemlich voll, und ich wusste, dass es kaum möglich war, ein Foto zu machen, ohne dass es auffiel. Außerdem konnte Starr jeden Augenblick zurückkommen - und ich wollte ihm lieber nicht in die Quere kommen. Etwas später ging ich noch einmal mit einem Freund in den Laden, um ein paar Kleinigkeiten zu kaufen. Wir gingen in den hinteren Bereich des Geschäfts, und ich tat so, als würde ich ein Foto von meinem Freund knipsen. Was ich wirklich fotografierte, war die Handschrift auf dem Klemmbrett. Wir alberten herum, um das Ganze möglichst echt aussehen zu lassen, was uns auch gelang.
Jetzt musste ich das Foto entwickeln und vergrößern lassen, und ich beschloss, den besten Fotografen, den ich kannte, mit der Sache zu betrauen, damit ich Morrill etwas vorlegen konnte, mit dem er etwas anfangen konnte.
Ich überlegte, ob ich für den Fall, dass das Foto nicht gut genug ausfallen würde, nicht vielleicht mit Filzstift eine Kopie der Notiz anfertigen und sie an ein braunes Klemmbrett stecken konnte, das genauso aussah wie das an Starrs Arbeitsplatz. Damit würde ich ins Geschäft zurückkehren und das Original gegen meine Kopie austauschen. Ich wusste, dass ich mein Handwerk als Zeichner gut genug beherrschte, um eine Kopie hervorzubringen, die nicht einmal Starr selbst vom Original würde unterscheiden können.
Montag, 28. April 1980
Gary Fong entwickelte den Film für mich.
»Es wird ein bisschen körnig ausfallen«, meinte er.
»Das ist nicht so schlimm«, erwiderte ich. »Ich bin schon froh, wenn ich etwas einigermaßen Brauchbares nach Sacramento schicken kann.«
Irgendwann im Laufe des Nachmittags hatte Gary das Bild so weit vergrößert, dass er mit dem Ergebnis zufrieden war. Ich bekam von ihm ein scharfes, klares Schwarz-Weiß-Bild, das ich um 16.30 Uhr per Eilpost an Morrill nach Sacramento sandte. Die Leute im Postamt versicherten mir, dass er es schon am nächsten Morgen haben würde.
Dienstag, 29. April 1980
Um 10.17 Uhr rief mich Morrill an und teilte mir mit, dass er mein Foto bekommen habe und dass er sich die Handschrift zusammen mit seinem Kollegen Dave DeGarmo angesehen habe.
»Aufgrund der Probe, die Sie mir geschickt haben, kann ich nicht ausschließen, dass es sich um die Handschrift des Zodiac-Killers handelt«, stellte Morrill fest. »Das sieht wirklich gut aus. Könnten Sie uns noch mehr Proben besorgen?«
Ich versprach ihm, noch mehr Material zu liefern.
Und diesmal würde ich den direkten Zugang suchen.
Donnerstag, 1. Mai 1980
Um 20.30 Uhr rief ich Starrs Chef zu Hause an. Ich erklärte ihm, dass ich in einer dringenden und streng vertraulichen Angelegenheit seine Hilfe bräuchte - und zwar in Form von Handschriftenproben von einem seiner Angestellten. Ich betonte, dass es mir nicht um den Inhalt des Geschriebenen ginge, sondern nur um die Schrift selbst. Ich erwähnte nicht einmal Starrs Namen, weil er zu dem Zeitpunkt lediglich ein Verdächtiger unter anderen war, und nicht mehr. Und ich sagte auch nichts davon, dass es um einen Mordfall ging.
»Moment mal! Wollen Sie damit andeuten, dass einer meiner Angestellten ein Krimineller sein könnte?«, wandte Starrs Chef ein. »Sir, ich beschäftige keine Kriminellen!«
»Nein, es geht um Drohbriefe, die jemand in den vergangenen zehn Jahren bekommen hat«, erläuterte ich.
»Ich muss es mir überlegen«, sagte der Chef. »Ich glaube nicht, dass es mir gefallen würde, wenn jemand auf diese Art hinter mir herschnüffeln würde.«
Im Laufe der nächsten Wochen änderte der Mann seine Meinung mehrmals, doch schließlich weigerte er sich, mir Einblick in irgendwelche Unterlagen zu gewähren, die seine Mitarbeiter geschrieben hatten.
Nachdem bereits im Jahr 1971 ein Haussuchungsbefehl gegen Starr vollstreckt worden war, zögerte man im Police Department von Vallejo, einen neuerlichen Durchsuchungsbefehl zu erwirken - vor allem, nachdem Starr jetzt in einem anderen Bezirk lebte. Ich konnte mir gut vorstellen, dass Husted, der ohnehin genug andere Fälle am Hals hatte, nichts dagegen hätte, wenn ein außen Stehender Handschriftenproben sammeln würde. Und Morrill war gern bereit, alle Proben, die ich ihm liefern konnte, zu untersuchen.
Donnerstag, 7. August 1980
Um weitere Handschriftenproben von Starr zu bekommen, ersuchte ich nun Freunde von mir, irgendetwas bei ihm zu kaufen.
»Wissen Sie, ich war einmal Lehrer«, erzählte Starr einer Freundin von mir. »Ich hatte eine achte Klasse, aber am meisten Spaß hat mir der Unterricht in der Grundschule gemacht. Meine Kinder waren wirklich gut - ich hatte da ein Mädchen in der dritten Klasse, das am Ende des Schuljahrs in Mathematik das Niveau der zehnten Schulstufe hatte. Meine ganze Klasse hatte im Lesen das Niveau einer siebten Klasse. Es hat wirklich Spaß gemacht, mit den Kindern zu arbeiten.«
»Ja, das ist ein tolles Alter«, pflichtete ihm meine Freundin bei.
»Ich hatte eigentlich gedacht, dass mein Beruf Zukunft hätte - aber heute bekomme ich nirgends mehr einen Job als Lehrer - darum stehe ich jetzt hier im Geschäft, sechs Tage die Woche für fünf Dollar zweiunddreißig die Stunde. Mein einziger freier Tag ist der Freitag.«
»Arbeiten Sie immer sechs Tage die Woche? Das muss ziemlich hart sein.«
»Ja, nur einmal habe ich ein paar Tage unbezahlt freibekommen, aber das war ohnehin schwer genug«, antwortete Starr.
»Na ja, heutzutage ist es wirklich schwer, in Kalifornien einen Job als Lehrer zu bekommen.«
»Genau, aber morgen Abend werde ich mich um eine Stelle in der Erwachsenenbildung bewerben - zwanzig Wochenstunden zu zehn Dollar die Stunde. Das ist sicher besser als das, was ich hier mache. Obwohl der Job selbst in Ordnung ist. Ich habe gerne mit Menschen zu tun«, fügte er hinzu und blickte dabei förmlich durch sie hindurch.
1
Zodiac
Dienstag, 12. August 1980
Ich fuhr nach Napa, um Ken Narlow zu fragen, ob der Zodiac-Killer seiner Ansicht nach für die Morde in Santa Rosa verantwortlich war.
Der stämmige Polizist mit dem breiten Gesicht zögerte keine Sekunde mit der Antwort. »Das glaube ich eigentlich nicht. Wir haben einige der Fälle in Erwägung gezogen, aber die Details stimmen nicht ganz überein. Naja, wir haben alle unsere Favoriten. Toschi und Armstrong tippen unbedingt auf Starr - ich habe eher Andrews im Visier. Aber das sind alles nur Vermutungen.«
Zusammen mit Narlow sah ich mir die Akte von Andrews an und verglich sie mit den Informationen, die wir über Starr hatten.
»Hier steht, dass Don Andrews früher Motoren repariert hat«, sagte Narlow. »Ich weiß allerdings nicht, ob er das wirklich getan hat. Sein Vater war Oscar Andrews (Name geändert), die Mutter war Betty Moran (Name geändert). Am 11. Januar 1945 wurde er unter dem Namen Walt Hansen (Name geändert) registriert. Als Beruf ist hier Sänger angegeben. Nun, ich sage Ihnen eines«, fügte Narlow hinzu, »wenn Andrews nicht der Zodiac ist, dann ist es jemand, der ganz genauso ist.«
Ein Foto des Mannes aus dem Jahr 1969 zeigte eine große Ähnlichkeit mit dem Zodiac-Phantombild, als Narlow die beiden Aufnahmen nebeneinander legte.
»Sehen Sie, hier gibt er als Beruf Maschinenbauer an«, fuhr der Kriminalbeamte fort. »Walt Hansen und Don Andrews - das ist ein und derselbe Mann. Kathleen Johns hat angegeben, dass Zodiac seine Brille mit einem Band fixiert hatte. Nun, Andrews macht es genauso.
In Napa gab es 1969 drei Morde innerhalb von zehn Tagen, was unser kleines Department natürlich hoffnungslos überfordert hat. Wir hatten nicht annähernd genug Leute, um die Ermittlungen so durchzuführen, wie es sich gehört hätte - darum forderte ich einen Ermittlungsbeamten vom Justizministerium an, als ich hörte, dass der Fall etwas mit den Morden in Vallejo und im Solano County zu tun hatte. Wir bekamen Mel Nicolai, einen engen Freund von mir, zugewiesen.
Mithilfe des Justizministeriums legten wir detaillierte Tabellen und Diagramme der Zodiac-Verbrechen an, damit die beteiligten Ermittler jederzeit über das gesamte Beweismaterial und die entsprechenden Zeitabläufe im Bilde waren. Das machen wir immer so, wenn es sich um größere Fälle handelt, an denen verschiedene Behörden und Polizeidienststellen beteiligt sind. Alle Handflächenabdrücke, die wir in Napa gesammelt haben, wurden mit denen der Verdächtigen verglichen. San Francisco wiederum hat Fingerabdrücke - einen sogar in Blut.«
Ich fragte Narlow nach der Geschichte über Bob Hall Starr und die beiden Jäger, als er im Jahr 1966 vorhersagte, dass er einmal Menschen töten und sich »Zodiac« nennen würde.
»Die Geschichte ist so eigenartig, dass ich nicht weiß, ob man sie glauben darf. Manchmal erfinden Leute auch solche Sachen, aus welchen Gründen auch immer. Aber eines steht fest: Wenn er das wirklich gesagt hat, dann würde das so haargenau zu dem Fall passen, dass er ganz einfach der Zodiac sein muss.« Später erfuhr ich übrigens, dass es damals Streit zwischen Starr und einem der Jäger gegeben hatte, was natürlich auch ein Grund für die spätere Aussage gegen ihn sein könnte.
»Es wäre mittlerweile sehr problematisch«, fuhr Narlow fort, »wenn jemand daherkommen und gestehen würde, der Zodiac zu sein. Es wäre ziemlich mühsam, herauszufinden, ob das, was der Betreffende uns auftischt, nicht vielleicht aus irgendwelchen Zeitungsartikeln oder Interviews stammt. Allerdings gibt es natürlich auch ein paar Kleinigkeiten, die wir nicht in die Öffentlichkeit gebracht haben.«
Samstag, 25. Oktober 1980
Im Laufe der Jahre hatte ich immer deutlicher erkannt, dass die einzelnen Police Departments ihre wertvollsten Informationen über den Zodiac-Fall nicht untereinander austauschten. Ich weiß noch, wie Toschi einmal zu mir sagte: »Narlow könnte nie herausfinden, welchen Bezug Don (Andrews) genau zur Gegend von Riverside hat, aber wir schon. Trotzdem wissen wir immer noch nicht, wie lange er wirklich in Riverside war.«
Nach einem Besuch bei Husted in Vallejo rief ich Toschi an.
»Dieser Andy Todd Walker«, begann ich, »von dem man angenommen hat, dass er der Kerl war, der damals in dem Restaurant Darlene belästigt hat … also, Bobbie Ramos ist sicher, dass er es nicht war. Da war tatsächlich ein Kerl, der in Darlene Ferrins Leben herumgeschnüffelt hat. Ich glaube aber auch nicht, dass das Walker war. Sie sagen alle, sie hätten einen Mann in einer weißen Limousine mit kalifornischen Nummernschildern gesehen. Bobby erinnert sich an einen stämmigen Mann mit gewelltem Haar - Sie wissen schon. Eine Menge Leute haben diesen Mann gesehen«, fügte ich hinzu.
»Also, wenn ich mir all die Informationen ansehe, die Sie da zusammengetragen haben«, sagte Toschi, »dann deutet für mich vieles darauf hin, dass es jemand aus Vallejo war, oder jemand, der Darlene irgendwie nahe stand.«
Samstag, 8. November 1980
Nachdem ich Darlenes Schwester Linda einen Brief geschrieben hatte, rief sie mich schließlich an. Seit Darlenes Tod war ihr Leben ziemlich chaotisch verlaufen, und sie rief mich nun aus der Umgebung von Stockton an.
Ich hatte im Moment nur eine Frage: »Linda, ist Darlene manchmal an den Lake Berryessa gefahren?«
»Ja«, antwortete sie, »ihr hat es dort gefallen. Und darum glaube ich auch - dass sie Cecelia Shepard gekannt hat.«
Samstag, 20. Dezember 1980
Meine Versuche, Starr zu folgen, blieben weiterhin erfolglos. Der Mann war offensichtlich sehr vorsichtig. Dafür bekam ich einige Stellenbewerbungen in die Hand, die er in letzter Zeit geschrieben hatte. Ich fuhr nach Sacramento und kam kurz vor acht Uhr abends bei Sherwood Morrill an.
Der Handschriftenexperte studierte die Proben, die ich ihm vorlegte, und blickte nach fünf Minuten auf. »Also, eins steht fest: Starr schreibt das
k
anders als Zodiac. Und sehen Sie sich mal Zodiacs
n
an; es sieht entweder aus wie ein Häkchen oder wie ein Höcker. Starrs
n
ist eher rund, und sein
y
ist auch ganz anders. Aber abgesehen davon ist die Ähnlichkeit durchaus groß genug, dass ich gern mehr von ihm sehen würde.«
Sherwood Morrill vermutete, dass sich Starr, nachdem er aus dem Gefängnis entlassen worden war, bewusst eine etwas andere Handschrift zugelegt hatte.
Montag, 12. Januar 1981
Ich rief Jack Mulanax an, jenen Polizisten, der Lynch und Rust bei den Ermittlungen im Mordfall Ferrin-Mageau abgelöst hatte, um ein Treffen mit ihm zu vereinbaren. Er arbeitete jetzt als Privatdetektiv, doch er nahm keinen Fall an, bei dem er das Gefühl hatte, dass der Klient schuldig war.
»Ich habe gehört«, begann ich, »dass Sie ganz besonders einen Verdächtigen im Visier hatten. Hieß dieser Verdächtige zufällig Starr?«
»Ja. Starr war der Einzige, bei dem ich wirklich das Gefühl hatte, dass er es sein könnte«, bestätigte Mulanax.