Read Meat Online

Authors: Joseph D'Lacey

Tags: #Fiction, #Horror, #Thrillers, #Suspense, #Science Fiction, #General, #General Fiction

Meat (37 page)

BOOK: Meat
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Er lächelte.

»Jetzt tun Sie es.« Er wies auf eines der Sofas. »Machen Sie es sich bequem, Mrs. Shanti. Oder darf ich Sie Maya nennen?« Er wartete weder ihre Antwort noch den Moment ab, bis sie Platz genommen hatte, sondern setzte sich in seinen Lehnstuhl und legte die Füße hoch. Der seidene Morgenrock verrutschte ein wenig und entblößte einen feisten, baumstammdicken Schenkel. Er bemühte sich nicht, seine Blöße wieder zu bedecken. »Ich nehme an, Sie wissen, weshalb Sie hier sind?« Warum nicht gleich testen, woran er bei ihr war? Schließlich war ihrer aller Zeit knapp bemessen.

Er betrachtete sie. Groß, dunkel, glattes Haar, eine schöne weibliche Figur ― nur geringfügig durch die Schwangerschaft in Mitleidenschaft gezogen. Besser als die meisten in der Stadt. Auch wenn das Gesicht eine Nuance zu kantig und ihre Augen etwas zu stechend waren. Sie machte den Eindruck einer Frau, die manipulieren konnte ohne wirklich intelligent zu sein. Er spürte eine unterschwellige
Anspannung bei ihr. Eine Frustration, die nicht zu wissen schien, gegen wen sie sich genau richten sollte.

»Nein, das weiß ich nicht«, sagte sie. »Ich weiß überhaupt nichts.«

Ihr sofortiger, heftiger Widerspruch wirkte überreizt, und ihre Worte bestätigten seine Einschätzung.

»Aber Sie können es sich doch sicherlich denken. Ist es nicht offensichtlich?«

»Mr. Magnus, wir sind eine gottesfürchtige Familie. Wir halten uns an die Gesetze der Stadt. Ich habe keine Ahnung, warum Sie uns hierhergebracht haben.«

Zeit, diese Scharade zu beenden.

»Ihr Ehegatte, Maya, Richard. Wir denken, dass er nicht ganz der Mann ist, der er vorgibt zu sein. Hat er sich zu Hause in letzter Zeit merkwürdig benommen? Haben Sie irgendwelche ... Veränderungen in seinem Verhalten bemerkt?«

Ihr Griff um das Kristallglas festigte sich, gerade genug, damit ihre Knöchel weiß hervortraten. Ihr anfangs noch fester Blick schweifte unruhig über die Gegenstände im Raum. Ihre Wangen erröteten leicht, dann erblasste sie. Sehr gut. Da hatte jemand etwas zu verbergen.

»Er hat ... sehr hart gearbeitet. Zu hart.«

Das Wodkaglas in Magnus' Hand begann zu zittern. Er stellte es auf seinem Oberschenkel ab, nahm es dann mit der anderen Hand wieder auf und trank.

»Ich denke nicht, dass er tatsächlich so engagiert ist, wie Sie vielleicht glauben. Erzählen Sie mir, haben Sie jemals mitbekommen, dass er woanders hingegangen ist, als zur Arbeit? Hat er Freunde? Hat er schon mal bei Dinos etwas getrunken?«

»Richard ist nicht die Sorte Mann, die trinkt. Er ist kein geselliger Typ, Mr. Magnus. Soweit ich weiß, hat er nie et
was anderes getan, als nach der Arbeit nach Hause zu kommen und erschöpft zusammenzubrechen.«

Ah, das war es also. Shanti konnte die Bedürfnisse seiner Frau nicht erfüllen. Er war einer dieser raren, geschlechtslosen Automaten, die nichts taten, außer zu schlafen und zu arbeiten. Gut für MFP. Nutzlos für sein Weib. Oh, ja, Magnus sah, wie sich ihre Halsmuskeln vor Erregung spannten, spürte das Verlangen in ihrem Schritt. Sie würde es hart und gemein wollen. Sie würde den Schmerz willkommen heißen. Ein Gefallen, den er ihr mit Freuden zu erweisen beabsichtigte.

Wenn sie das Geschäftliche erledigt hätten. Selbstverständlich keinen Augenblick früher.

 

Shanti besuchte den Melkhof und beobachtete, wie die Melker sich abmühten, einige wenige Kühe von Hand zu melken. Dem Blick der Kühe war deutlich zu entnehmen, dass dieser Prozess für sie wesentlich schmerzhafter war als das maschinelle Melken. Die Kühe, die bereits gemolken waren, hatten rote Euter, auf denen bereits überall fingergroße Blutergüsse prangten. Er sah sich nach WEISS-047 um, aber sie war nicht da.

Hinter dem Melkstand hatte man den Rest der Milchkuhherde gemeinsam mit ihren Kälbern eingepfercht. Indem man ihnen erlaubte, sie zu säugen, wurde verhindert, dass ihre Euter zu sehr anschwollen. Er entdeckte WEISS-047 im hinteren Bereich der Herde. Sie lehnte an der rissigen Ziegelmauer. Es war unmöglich, zu ihr zu gelangen, ohne dass andere Tiere in der Herde es bemerkten. Zwei Viehtreiber schlenderten umher und warteten darauf, die nächste Gruppe Kühe in den Melkstand zu treiben. Die gesamte Fabrik befand sich in einer Art unfreiwilligem Bummelstreik.

Shanti steckte seine Hände in die Overalltaschen, wäh
rend er sich mit gesenktem Kopf auf den Weg zu den Bullenstallungen machte. Obwohl es eigentlich egal war, ob ihn jemand erkannte, bevorzugte er die Anonymität. Im Stall hielt sich kein einziger Arbeiter auf. Alle Pferche waren verschlossen und, da jede Hand woanders benötigt wurde, waren die Bullen zeitweise unbeaufsichtigt. Er ging die Reihen entlang, bis er durch die Stäbe eines Gatters die vertraute massige Gestalt von BLAU-792 erblickte. Mit seinen Fingerspitzen begann er, wie er es tausendfach geübt hatte, wenn er unbeobachtet war, sanft gegen die Stahlverschalung zu klopfen und zischend die geheime Sprache der Auserwählten zu sprechen.

Diesmal erhielt er, als er fertig war, eine lange Antwort.

 

Dass im Haus kein Licht schien, wenn er abends nach Hause kam, war ungewöhnlich. Er war gewohnt, zumindest den Schein des Feuers oder der Kerzen durch das Fenster zu sehen. Da es jetzt keinen Strom gab, würde Maya versuchen, mit dem zu haushalten, was ihr zur Verfügung stand. Das bedeutete, sie würde jeden Talgstumpen und jeden Reisigzweig so lange wie möglich aufsparen.

Als er am Küchenfenster vorbeiging, erwartete er zumindest einen einzelnen brennenden Docht flackern zu sehen. Aber da war gar nichts. Es war noch zu früh für die Mädchen, um im Bett zu sein. Sogar zu früh für das Abendessen.

Er hielt an der Hintertür und lauschte. Von drinnen war kein Laut zu hören.

Nichts.

Stattdessen hörte er seinen eigenen Herzschlag und realisierte, dass er Angst hatte.

Lautlos öffnete er die Tür. Er wusste genau, wie er den Knauf drehen und die Tür gegen die Angeln drücken
musste, um jedes Geräusch zu vermeiden. Als er die Tür schließlich aufstieß, fiel genug vom letzten schwachen Widerschein der gerade untergegangen Sonne hinein, um zu offenbaren, dass Küche und Wohnzimmer verlassen waren. Lange stand er einfach nur im Türrahmen und horchte, ob er jemanden atmen hörte. Er spähte ins Dämmerlicht, ob sich irgendwo etwas bewegte. Aber da war nichts.

Als er überzeugt davon war, dass sich im Erdgeschoss niemand aufhielt, überprüfte er das Obergeschoss. Das Haus war leer.

Sie hatte sie ihm also weggenommen. Ganz so, wie sie es angekündigt hatte.

Er biss die Zähne zusammen, während der Zorn in ihm wuchs. Dieses verdorbene Weibsbild hatte sich tatsächlich seiner geliebten Mädchen bemächtigt.

Im Dunkel schimmerte etwas hell auf dem Esstisch. Ein weißes, leuchtendes Rechteck. Ein Brief.

Er griff danach, aber es war zu düster, um die Schrift darauf erkennen zu können.

In der Küche tastete er nach Streichhölzern, entzündete eine Talgkerze.

Es war noch schlimmer als erwartet:

 

Mr. Rory Magnus ersucht höflichst darum, dass Sie Ihrer Familie auf seinem Anwesen Gesellschaft leisten, sobald Sie irgend abkömmlich sind. Säumigkeit wird als Unhöflichkeit angesehen und nicht toleriert.

 

Seine Hände bebten. Geschmolzenes Fett tropfte von dem Talgstumpen auf den Tisch.

Seine Pupillen verengten sich im Licht der Flamme. Da war ein Geräusch an der Hintertür. Der Luftzug löschte die Flamme. Er konnte keine Gesichter erkennen, aber Silhou
etten, Gestalten, die schnell und zielsicher in den Raum einfielen. Er ließ den Brief fallen.

Sie nahmen Richard Shanti mit.

 

Die Hintertür stand offen, und sie trat ein, ohne vorher zu klopfen oder zu rufen. Es war offensichtlich, dass sich hier niemand aufhielt. Im Haus der Shantis herrschte Grabesstille. Sie schien die Stille förmlich hören zu können.

Sie fand Magnus' Nachricht vom Vorabend und war zu erschöpft, um zu verzweifeln. Was kümmerte es sie jetzt noch, dass Magnus Shanti vor der Fürsorge erwischt hatte? Was kümmerte es sie, dass die Stadt in die Hände des Fleischbarons oder sogar dieses geisteskranken John Collins fiel?

Ihre Gleichgültigkeit erstaunte sie. All diese Jahre der frommen Hingabe, all diese Jahre des Dienens. Wo war Gott jetzt, in der Stunde ihres Todes? Wo war Gott, während die Wahnsinnigen Abyrne übernahmen? Sie lauschte. Sollte Gott ihre Fragen gehört haben, so gab er keine Antwort.

Entkräftet saß sie an jenem Tisch, an dem sie am Abend ihres Besuches gegessen hatten. Die Kinder hatten in ihrem Essen herumgestochert. Shanti selbst hatte das seine nicht einmal angetastet. Nur Maya hatte mit Appetit gegessen. Hatte Shanti an diesem Abend sein Essen überhaupt noch angerührt? Sie bezweifelte es, sie war sich sogar relativ sicher, dass er seit geraumer Zeit überhaupt kein Fleisch der Auserwählten mehr gegessen hatte. Er war dünn, sicher, aber er sah fitter und gesünder aus, als die meisten anderen in der Stadt. Sollte das wirklich ausschließlich auf seine bizarren Laufgewohnheiten zurückzuführen sein? Oder steckte mehr dahinter? Folgte man dem Buch des Gebens, dann war jemand, der die Gabe der Auserwählten verschmähte, überhaupt nicht in der Lage zu überleben. Doch
längst gab es in der Stadt immer mehr Leute, die genau das taten. Collins und seine Akolythen. Shanti tat es ihnen womöglich gleich. Wie wollte Gott ihr das erklären?

Gott erklärte es ihr nicht.

Wenn sie so darüber nachdachte ― hatte Gott jemals wirklich zu ihr gesprochen? Hatte er nur auf ein einziges ihrer Gebete geantwortet? Hatte er sich ihr durch Zeichen oder Omen offenbart? Hatte er sich ihr in der Form der Wolken gezeigt? Hatte ihr seine Gegenwart in all den Jahren, die sie ihre Nächte keusch und einsam verbrachte, jemals Trost gespendet?

Geliebter Vater, ganz sicher ist dies nicht die Zeit, an dir zu zweifeln. Nicht, wenn ich an der Schwelle zur nächsten Welt stehe. Nicht, wenn meine Seele kurz davorsteht, zu dir aufzusteigen.
Vielleicht versuchte der Herr, sie noch einmal auf die Probe und vor die letzte große Prüfung ihres Glaubens zu stellen. Vielleicht musste jeder sich dieser Herausforderung stellen, wenn es zu Ende ging.

Sie fühlte eine Leere in ihrem Inneren, von der sie immer geglaubt hatte, dass sie vom göttlichen Licht der Herrlichkeit des Herrn erfüllt sein müsste. Sie hatte diesen kalten Ort für ihn reserviert, seit sie der Fürsorge als Novizin beigetreten war. Die Feuerstelle war gefegt, das Holz lag darin bereit, und der Kamin war gereinigt.

Erfülle mich mit deiner Flamme, Herr, denn ich brauche keine andere Nahrung mehr. Entzünde dein wärmendes Feuer in mir.

Die Stunden verstrichen, während Pastorin Mary Simonson mit gefalteten Händen ins Gebet versunken war. Das trübe Licht, das durch die Wolken drang, wanderte noch durch die Küche, aber sie spürte bereits die anbrechende Dämmerung. In ihrem Inneren herrschte völlige Leere. Es glomm nicht ein Funke der Präsenz Gottes.

Stattdessen schien sich das Geschwür in ihren Gedärmen gleich einem Fötus zu bewegen, als wäre ihr Magen eine Gebärmutter. Er entfaltete sich ― so fühlte es sich zumindest an. Sein dorniger, scharfkantiger Körper riss von innen Wunden in ihr Fleisch. Sie hatte ein Baby aus Knochensplittern und Glasscherben geschluckt. Das Baby wuchs und versuchte, herauszukommen. Die peitschenden, expandierenden Schmerzen in ihrem Unterleib wurden begleitet von zunehmend heftigeren Übelkeitsattacken. Das Zittern kehrte zurück, ergriff Besitz von jedem einzelnen Teil ihres Körpers. Da sie saß, war sie nicht einmal in der Lage, ihren Kopf daran zu hindern von einer Seite zur anderen zu wackeln.

War das dann also die Antwort? Die Abwesenheit Gottes?

Oder war es sogar schlimmer als das? War der Gott ihrer Stadt ein grausamer Gott? Ein Gott, dessen Mission darin bestand, seinen Geschöpfen Schmerzen zuzufügen?

Sie hielt es nicht mehr länger aus stillzusitzen. Vor Einbruch der Dunkelheit wollte sie weitergezogen sein. Es gab noch einen letzten Ort, an dem sie nach Antworten suchen wollte. Dann würde sie sich zur Ruhe begeben.

 

Seit der Zerstörung des Gaswerks war es auf den Straßen sehr still geworden. Auf die geringen verbliebenen Gasreserven durfte ausschließlich in Notfällen zurückgegriffen werden. Keine Lastwagen brummten mehr zwischen der Stadt und der Fleischfabrik hin und her.

Aber der Wind blies hier draußen immer noch. So viel näher an der Fabrik und den Futtergründen der Auserwählten, als sie ihnen normalerweise kam, war der Geruch besonders streng. Vielfältige Gerüche verbanden sich in der kalten Luft. Sie versuchte, sie voneinander zu isolieren. Am dominantesten waren die Fäkalien. Sie rochen kaum anders als der Gestank, der aus den Abwässerkanälen der
Stadt aufstieg. Beinahe genauso stark war der Geruch von Fäulnis und Verwesung, der Geruch von sich auflösendem Fleisch, der Geruch von Tod. Aber sie roch auch Leben: den Schweiß der Auserwählten, dem Geruch einer Gruppe Arbeiter an einem heißen Tag nicht unähnlich. Unter allem lag das Aroma frischen Blutes und der süßlichen Ausdünstungen eines Metzgerladens: von Koteletts und Braten, Steaks und rohen Würsten. Es waren Gerüche, die ihr einst das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen hatten: die Düfte ihrer Mahlzeiten. Ihres täglichen, ergebenen Dienstes.

Jetzt verursachten sie ihr nur noch unerträgliche Übelkeit.

Ungeachtet ihrer wackeligen Knie und den Krämpfen in ihren Beinen schritt sie voran. Gleich einer halb verhungerten Frau, die inmitten eines Orkans einen steilen Hügel erklimmt, kämpfte sie mit gebeugtem Kopf und leicht nach vorne gelehnt gegen die Schmerzen an wie gegen einen starken Wind. Sie glaubte nicht daran, dass es von dieser Reise eine Rückkehr geben würde.

Die Straße war kaputt ― die dornigen Weißdornhecken drohten sie zu überwuchern. Hin und wieder verhakte sich ein Zweig in ihrer Robe, zerrte am Stoff ihres Mantels: Mehr brauchte es nicht, sie zum Stehen zu bringen. Den Marsch wieder aufzunehmen, wurde von Mal zu Mal härter. Da es ausgesprochen unwahrscheinlich war, dass sie ein Lastwagen überfahren würde, wechselte sie schließlich in die Mitte der Straße. Hier musste sie nur noch auf Risse und Löcher im Asphalt achten.

 

Sie erreichte die Tore in der Abenddämmerung.

Das Wachhäuschen war nicht, wie gewohnt, mit einem, sondern mit drei Männern besetzt. Dem Pförtner hatte man zwei von Magnus' persönlichen Wachen zur Seite gestellt.

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