Meat (35 page)

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Authors: Joseph D'Lacey

Tags: #Fiction, #Horror, #Thrillers, #Suspense, #Science Fiction, #General, #General Fiction

BOOK: Meat
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»KEINE.«

Er riss es los, hob es an, hämmerte auf ihn ein. »BESCHISSENEN.«

Und wieder.

»INKOMPETENTEN.«

Hoch. Runter.

»VERSAGER.«

Worte. Beleidigungen. Fliegende Fleischfetzen. Metall auf Knochen.

Und weiter.

Und.

Weiter.

Deshalb schnappte Magnus nach Luft, als er über Bernards Körper stand.

 

19

 

Gelegentlich sah Bruno sich seine Hände an und überprüfte, ob sie zitterten. Jetzt gerade, als er draußen vor Magnus' Badezimmer stand, tat er es wieder. Er war sicher, ein Vibrieren zu erkennen, zumindest in den äußersten Spitzen seiner Finger. Aber er wusste auch, dass er sich das genauso gut einbilden konnte ― dass es bloß eine krankhafte Projektion seiner Ängste war. Viele in der Stadt litten dieser Tage unter
Dem Zittern.
Wenn seine Fantasie ihm keinen Streich spielte, dann war es besser, nicht daran zu denken.

Aus dem Badezimmer hörte er Wasser spritzen und zwischen Magnus' Flüchen immer wieder das Kieksen und die Schmerzensschreie der beiden Hausmädchen. Magnus hatte sich ins Bad begeben, um sich das verkrustete Blut von den Händen zu waschen. Dort hatte er aber offensichtlich andere Dinge gefunden, um sich zu beschäftigen.

Bruno stand bereits seit geraumer Zeit hier. Er war heraufgekommen, um einen wichtigen Besucher zu melden ― der immer noch unten im Salon wartete ―, und Magnus hatte erwidert, dass er noch einen Augenblick bräuchte. Früher hatte es Bruno nie gestört, zu warten, aber inzwischen fiel es ihm zunehmend schwerer, herumzustehen oder zu sitzen, während Magnus hinter verschlossenen Türen was auch immer tat. Ein Wandel stand bevor. Bruno konnte ihn spüren in allem, was gerade vor sich ging.

Magnus' Gegrunze schien sich dem Ende zuneigen. Bruno klopfte erneut an die Türe.

»Sir, er wartet immer noch.«

»Ist ja gut, Bruno. Ich komme.«

Die Tür wurde von innen entriegelt, und die beiden Hausmädchen schlüpften heraus. Sie vermieden es, Bruno anzusehen, und eine von ihnen weinte noch. Einige Momente später erschien Magnus in Morgenmantel und Hausschuhen, das lange Haar dunkel und tropfnass. Er hatte sich ein Handtuch über die Schultern gelegt, um die Nässe aufzufangen.

Magnus schlurfte den Flur entlang, und Bruno folgte ihm. Von hinten hatte Bruno die Gelegenheit, seinen Herrn einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen. Falls er es sich nicht einbildete, war der Mann geschrumpft. Er wirkte ein wenig wackelig auf den Beinen, und Bruno war sich sicher, dass das nicht seinen Badevergnügungen zuzuschreiben war.

»Was will er denn überhaupt?«, fragte Magnus.

»Ich weiß es nicht, Sir. Er sagte, es sei wichtig. Und, dass Sie das, was er Ihnen zu sagen hätte, unbedingt wissen sollten.«

Während er die Treppe herabstieg, suchte Magnus Halt am Geländer. Bruno hatte noch nie zuvor gesehen, dass er das tat. Bruno folgte ihm, bis sie unten in der Halle waren.

»Brauchen Sie mich jetzt noch, Sir?«

»Nein, Bruno. Hau ruhig ab und spiel Karten oder was auch immer. Ich rufe, wenn ich dich brauche.«

Bruno wandte sich ab, um zu gehen. Als er hörte, dass sich die Tür des Salons hinter Magnus geschlossen hatte, schlich er zurück und legte sein Ohr an das Holz. Magnus war dem Doktor gegenüber nicht höflicher, als er es gegenüber jedem anderen war.

»Was ist so verdammt wichtig, dass es nicht bis morgen warten kann, Fellows?«

Es blieb einen Augenblick lang still. Bruno stellte sich vor, wie Fellows Magnus inspizierte und eine vorläufige Diagnose stellte. Ihm würde auffallen, dass es unnötig war, sich über Magnus' Benehmen zu echauffieren, da der ohnehin in Kürze auf seine Dienste ― und zwar die ärztlichen ―angewiesen sein würde. Jetzt ging es erst einmal um jene, die nicht medizinischer Natur waren.

»So einiges, Magnus. Ich wüsste kaum etwas, was weniger bis morgen warten könnte.«

»Das glaube ich erst dann, wenn ich es gehört habe.« Der Doktor räusperte sich. Zögern? Verlegenheit? »Ich verlange den dreifachen Lohn dafür.«

Magnus musste aufrichtig lachen.

»Das Dreifache? Für die Gerüchte eines Quacksalbers?« »Ich möchte, dass sie mir noch heute Nacht in meine Gemächer gebracht werden.«

Jemand ließ sich so schwer auf einen Stuhl fallen, dass es knirschte. Bruno nahm an, es sei Magnus, den seine Beine im Stich ließen.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Torrance erfreut darüber sein wird, drei Ochsen an einem einzigen Tag zu verlieren, Doc.«

»Ganz, wie Sie wünschen, Magnus. Diese Information kann Sie retten oder vernichten. Es hängt davon ab, ob Sie sie hören wollen oder nicht.«

»Sag mir, was mich davon abhalten sollte, dich nach unten zu bringen und aus dir herauszuschneiden, was ich wissen muss?«

»Weil es das letzte Mal wäre, dass Sie Ihren Nutzen aus mir ziehen, und ich ganz genau weiß, dass Sie niemanden sonst in einer so vertrauensvollen Position haben.«

Bruno konnte das leichte Zittern in der Stimme des Doktors hören. Er musste etwas Schwerwiegendes in der Hand
haben, wenn er es riskierte, derart mit Magnus zu schachern. Oder aber, er hatte tatsächlich Magnus' Schwäche bemerkt. Seinen bevorstehenden Niedergang. Er hörte Magnus seufzen.

»Also gut, Doc, Sie bekommen Ihre Spielzeuge. Aber nur, wenn ich am Ende dieses Gesprächs davon überzeugt bin, dass es das auch wert ist.«

Bruno hörte, wie der andere Mann Platz nahm.

»Ich musste jemanden pflegen, drüben in der Kathedrale.« In Magnus' rascher Antwort lag aufgeregte Neugierde. »Den Großbischof?«

»Nein, Magnus, nicht ihn. Geben Sie mir eine Chance auszureden. Da ist ein Pastor, auf den er augenscheinlich große Stücke hält.«

»Tatsächlich? Männlich oder weiblich?«

»Weiblich.«

»Hmmm. Das ist in der Tat eine Überraschung.«

»Sie hat
Das Zittern
und
Die Aphte.
Im fortgeschrittenen Stadium. Lange wird sie es nicht mehr machen. Jedenfalls ließ der Großbischof speziell nach mir rufen und instruierte mich, bei der Behandlung ihrer Krankheit keine Kosten zu scheuen. Wie sich herausstellte, war sie mit einer Ermittlung beschäftigt und dabei ist sie auf Unregelmäßigkeiten gestoßen. Das Protokoll irgendeines Vorgangs ist aus dem Archiv verschwunden. Wenn man sie so reden hörte, schien es ein schwerwiegendes Vergehen zu sein.«

Bruno hörte, wie ein Zigarillo angezündet wurde. Ein deutliches Zeichen dafür war, dass Magnus anfing, die Geduld mit dem Doktor und seiner Geschichte zu verlieren. Es konnte passieren, dass Magnus sich bald veranlasst sah, ein zweites Bad zu nehmen.

»Ich hoffe, dass Ihr Geschwafel bald auf den Punkt kommt, Doc.«

»Selbstverständlich, Mr. Magnus. Das Individuum, gegen das der Pastor ermittelt, ist einer Ihrer Spitzenleute: Richard Shanti, Eispickel Rick. Eigentlich steht seine gesamte Familie unter Verdacht ― und zwar über Generationen.«

»Sie sind eine Sippe herausragender Fleischhauer. Was kann mit ihnen schon nicht stimmen?«

»Wer auch immer dafür gesorgt hat, dass dieser Bericht aus der Akte von Shantis' Vater verschwand, dieser Jemand verschleiert ein Verbrechen ― oder den Hinweis auf ein Verbrechen. Ein Verbrechen, das so gravierend ist, dass niemand je davon erfahren durfte. Diese Angelegenheit ist für die Fürsorge von derartiger Bedeutung, dass sie Shanti zur Vernehmung abholen lassen.«

»Das können sie nicht tun. Er ist mein bester Schlächter. Jetzt, wo wir keinen Strom mehr haben, brauchen wir ihn dringender denn je.«

»Magnus.«

»Was?«

»Sie bringen ihn mit dem Propheten John in Verbindung. John Col...«

»Scheiße noch mal, ich weiß, von wem du sprichst«, brüllte Magnus.

»Wie genau sieht diese Verbindung aus?«

»Das weiß ich nicht. Aber sie wissen es ebenso wenig. Welche Informationen Shanti auch immer besitzt, Sie müssen sie vor der Fürsorge bekommen. Und sie kommen leichter an ihn heran, also dürfte es Ihnen nicht allzu schwerfallen.«

Im Raum herrschte nun eine Stille, die Bruno nicht zu deuten wusste. Er erwog einen Augenblick lang, sich von der Tür und in sein Quartier zurückzuziehen, aber schließlich siegte seine Neugierde.

»Ich bin mir nicht wirklich sicher, ob das drei Ochsen wert ist, Doc.«

»Ich bin noch nicht fertig. Das Beste kommt noch.«
»Dann
raus damit.«

»Der Großbischof lässt jeden Pastor, den er entbehren kann, nach John Collins suchen. Er versucht, ihn vor Ihnen in die Hände zu bekommen und ein Exempel an ihm zu statuieren. Ein religiöses Exempel, wenn Sie wissen, was ich meine. Er will die Vernichtung des Propheten John dazu nutzen, die religiöse Kontrolle über die Stadt wiederherzustellen. Sein Ziel ist es, Sie und die zukünftigen Fleischbarone zu Schoßhündchen der Fürsorge zu degradieren. So wie es früher einmal war.«

Bruno hatte genug gehört, um zu wissen, dass Magnus jeden Moment explodieren und halb wahnsinnig vor Wut aus dem Raum stürzen würde. Er schlich durch den Flur davon.

Hinter sich hörte er das Gebrüll seines Herrn. Der Mann klang von Tag zu Tag mehr wie ein Tier.

 

Pastorin Mary Simonson war sich bewusst darüber, dass sie im Sterben lag.

In dem engen Krankenzimmer saß sie auf ihrer Pritsche und lehnte den Kopf gegen die geweißte Wand. Der Großbischof hatte sich ausgesprochen zuvorkommend gezeigt. Zwar war ihr letztendlich klargeworden, dass die Gründe dafür eher in seinen Schuldgefühlen als seiner Anteilnahme zu finden waren. Nichtsdestotrotz war sie ihm dankbar für seine mildtätige Hilfsbereitschaft.

Doktor Fellows hatte mindestens zweimal täglich nach ihr gesehen, und sie hatte seine Arzneien eingenommen, ohne zu klagen, auch wenn ihr dadurch übel wurde. Sie wusste, dass der Doktor es gut mit ihr meinte. Sie wusste aber auch, dass es längst außerhalb seiner Kräfte lag, sie zu heilen. Sie hätte gelassen hier liegen ― gelassen, wären
da nicht die Schmerzen in ihrem Unterleib und das
Zittern,
das inzwischen ihre Knochen schlottern ließ ― und auf den Tod warten können, aber sie wollte nicht, dass es so zu Ende ging. Ein letztes Mal noch wollte sie nach draußen. Ganz gleich, wohin in der Stadt, sie wollte bloß nicht in diesem Raum bleiben.

Sie hatte viel Zeit zum Grübeln gehabt, während sie hier gelegen, geschlafen, geträumt, sich ihren Fantasien hingegeben hatte. Sie hatte viel über Shenandoah Pilkins nachgedacht. Darüber, was für ein Mensch er wohl gewesen war. Und auch darüber, was sie herausgefunden hatte. Etwas, das so gefährlich, schändlich oder geheim war, dass es aus den Archiven entfernt werden musste. Aber da sie keinen Zugang zu Berichten, Zeugen oder irgendeiner anderen Informationsquelle hatte, lag sie bloß still da und machte sich ihre Gedanken.

Ihr Verstand ging dorthin, wo ihr Körper nicht hinkonnte. Ihre Fantasie spielte den Kundschafter für sie. Im Geist flog sie über eine Landschaft ― eine Region, die zusammengesetzt aus all ihrem Wissen war ― und spähte nach Mustern am Boden. Sie schoss auf und ab durch die Artefakte ihrer Erinnerung. Im Angesicht ihres eigenen Sterbens gedachte sie dem Sterben anderer, jeglichem Sterben. Ihre inneren Wanderungen führten sie zu unerwarteten Grotten des Friedens und in Höhlen des Terrors. Zum ersten Mal dachte sie über die Natur der Wahrheit nach und war überwältigt davon, wie wenig sie doch wusste.

Nun war es an der Zeit, eine letzte Reise anzutreten. Diesmal in der wirklichen Welt. Sie würde über die Straßen von Abyrne laufen, und wo auch immer ihre Füße sie hinführten, würde sie ihr Leben beenden. Sie war sich sicher, dass sie da draußen noch eine winzige Wahrheit finden konnte, die es ihr erleichtern würde, ihren Weg zu gehen.

Sie schwang die Beine aus dem Bett.

Es war hart. Härter, als sie es erwartet hatte. Einen Augenblick lang dachte sie daran, sich wieder hinzulegen, all diesen Nonsens in ihrem Kopf, diesen kranken Wahnsinn, zu vergessen und ihr Leben zu Ende zu schlafen. Aber der Moment verstrich, und ihre Füße berührten den kalten, rauen Steinboden. Sie betrachtete ihre Beine. Sie waren dürr und eingefallen. Wie ihre Arme. Aber ihr Magen war prall und aufgedunsen. Sie war schwanger vom Siechtum. Kaum auf den Beinen, streckte sie beide Hände zur Wand aus, um sich abzustützen und stand einige Minuten nur so da. Dann hörte die Welt auf, um sie herumzuwirbeln, und der milchige Film vor ihren Augen begann, sich zu verflüchtigen.

Schließlich fand sie ihre Roben und den Umhang in dem kleinen wurmstichigen Schränkchen und kleidete sich an. Sie zog ihre Pastorenstiefel an, schnürte sie lose, da ihre Kraft zu mehr nicht reichte, und verschwand anschließend aus dem Zimmer und aus der Kathedrale. Ihre kleinen Schritte führten sie weg vom Zentrum der Stadt, weg von ihren schmutzigen, dürren Bürgern.

Sie war auf dem Weg zu Richard Shantis Haus.

 

Busse brachten die Männer wie gewöhnlich zur Arbeit. Aber als sie dort ankamen, herrschte Chaos. Auch ohne Strom gab es noch reichlich zu tun, aber kein Mensch war sich sicher, wie man es organisieren sollte. In der Stadt fiel gelegentlich der Strom aus, aber niemals geschah das bei MFP.

Selbst Torrance war perplex. Er war von besorgten Männern umringt.

»Ich nehme an, wir könnten die Schlachtkörper manuell von Station zu Station ziehen. Aber mit dem Häuten ist das nicht so einfach.«

»Beschissene Untertreibung«, sagte einer der Enthäutet »Was sagt Magnus dazu?«, fragte jemand anders.

»Er sagt exakt zwei Worte«, sagte Torrance. »Arbeitet.

Weiter.«

»Und wie sollen wir sie betäuben?«, fragte Haynes.

»Richtig«, sagte ein anderer. »Wir können sie nicht einfach hochziehen und ihnen die Kehle durchschneiden. Das ist gegen die Lehren des Buches.«

Dazu hatte sich Torrance bereits etwas überlegt.

»Wir machen es von Hand. Vorschlaghammer und Stahl-

zapfen. Ist ganz genau derselbe Effekt. Braucht nur etwas

mehr Muskelschmalz.«

Es gab vereinzeltes Achselzucken in der Gruppe. Die meisten der Männer waren keine Schlächter, also konnte es ihnen egal sein.

Dann ging das Getratsche und Geschnatter los.

»Habt ihr die Explosionen gesehen?«

»Nein. Aber ich hab sie gehört.«

»Sie sagen, der Schaden sei irreparabel.«

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