Read Sebastian Online

Authors: Anne Bishop

Tags: #Fiction, #Fantasy, #General

Sebastian (57 page)

BOOK: Sebastian
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Obwohl sie wusste, dass die Brücke im Wald von dieser Seite nur in Nadias Heimatdorf führte, konnte sie nicht leugnen, dass Teaser einen Grund hatte, sich Sorgen zu machen.
Aber sie konnten nicht einfach hierbleiben.
»Warum begleitest du mich?«, fragte sie.
»Weil du nicht alleine gehen kannst.«
Dieser Gedanke war offenbar in Stein gemeißelt. »Und?«
»Weil ich, wenn wir eine Familie sind, Sebastian helfen sollte.«
»Und?«
Er seufzte. »Weil es das Richtige ist?«
»Ja. Weil es das Richtige ist.« Sie hob die Garntasche auf, die jetzt ein paar Kleider zum Wechseln, ein paar Münzen und den Brief an Belladonna enthielt, und streckte ihre Hand aus. »Ich glaube nicht, dass Ephemera uns daran hindern wird, das Richtige zu tun.«
Er warf sich sein Bündel über die Schulter, hob die Laterne auf und packte ihre Hand mit einem Griff, der sie zusammenzucken ließ. »Ich bin bereit.«
Wir müssen Nadia finden,
dachte Lynnea, als sie den Pfad entlangeilten.
Wir müssen Glorianna finden. Wir müssen Sebastian retten. Nadia ist der erste Schritt auf der Reise. Wir gehen zu Nadia. Reise leichten Herzens, reise leichten Herzens. Wir gehen zu Nadia und -
»Tageslicht!« Teaser senkte den Kopf, um seine Augen vor dem Sonnenlicht zu schützen, das durch die Bäume fiel.
»Wir haben es geschafft!« Lynnea sah zurück. Es musste irgendwo eine Markierung geben, etwas, das fest und stabil genug war, die Magie einer Brücke zu enthalten, aber sie konnte nichts entdecken. Trotzdem konnte sie nicht abstreiten, dass sie den Pfuhl hinter sich gelassen hatten. Das Tageslicht war Beweis genug.
Sie entzog ihre Hand Teasers Griff und rieb sich die Finger, bis das Gefühl darin zurückkehrte, während sie darauf wartete, dass er die Kerze in der Laterne ausblies. Dann lief sie mit schnellen Schritten den Pfad entlang.
»Daran erinnere ich mich«, sagte sie nach ein paar Minuten und wurde langsamer. »Wir haben den Pfad genommen, der um diesen großen Stein herumführt, um zurück in den Pfuhl zu kommen, also«, sie deutete in eine Richtung - »muss Nadias Haus dort drüben liegen.«
Nach ein paar Minuten, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, erreichten sie das hölzerne Tor in dem Teil der Steinmauer, der Nadias persönliche Gärten einfasste. In Windeseile war sie durch das Tor und über den Rasen gelaufen und hatte die Fliegengittertür geöffnet, so dass sie mit der Faust gegen die geschlossene Küchentür hämmern konnte.
»Nadia?«, rief sie. »Nadia! Ich bin es, Lynnea! Wir müssen mit dir sprechen!« Sie ließ den Blick über den Garten schweifen und versuchte, etwas Ungewöhnliches zu entdecken, einen Hinweis darauf, dass das Böse auch diesen Ort erreicht hatte. Nichts schien ihr fehl am Platz, also begann sie wieder, an die Tür zu hämmern.
»Gib ihr eine Minute Zeit«, sagte Teaser.
»Warum antwortet sie nicht?«, rief Lynnea und fühlte, wie die Enttäuschung sie überwältigte. »Wo könnte sie sein?«
»Vielleicht ist sie … beschäftigt. Du weißt schon.«
Mit erhobener Faust hielt Lynnea inne und starrte ihn an. »Du denkst, sie macht die Tür nicht auf, weil sie gerade Sex hat?« Sie hieb noch kräftiger auf das Holz ein. »Nadia!«
»Nicht Sex. Ich habe nicht Sex gesagt. Tageslicht, Lynnea. Du sprichst von Sebastians Tante. Ich meinte nur … Frauen brauchen länger, um dem Ruf der Natur zu folgen.«
Sie brauchte einen Moment, um das zu verstehen. Teaser wurde immer prüder. Warum konnte er nicht einfach sagen, was er meinte? »Na, und warum sitzt sie auf der Toilette, wenn sie uns die Tür aufmachen muss?«
»Es ist ja nicht so, als wusste sie, dass wir kommen.« Er trat einen Schritt zurück und betrachtete das Haus. »Außerdem glaube ich nicht, dass sie da ist. Bei dem Aufruhr, den du hier veranstaltest, hätte sie mittlerweile aufgemacht, egal womit sie gerade beschäftigt ist.«
Lynnea lehnte sich einen Moment lang gegen die Tür, dann trat sie zurück, um die Fliegengittertür zufallen zu lassen. »Du hast recht. Sie ist nicht da.«
Was sollte sie jetzt tun? Über die Möglichkeit, dass sie Nadia nicht finden könnten, hatte sie nicht nachgedacht. Ihr Blick fiel auf den eingestürzten Teil der Mauer, den Teil, den Sebastian und sie überquert hatten, als sie hierher gekommen waren, nachdem …
»Wir gehen in die Heiligen Stätten. Die Leute dort kennen Lee, also wissen sie vielleicht, wie man Glorianna finden kann.«
Teaser wich zurück. »Nein. Ich gehe nicht in die Heiligen Stätten. Ich
kann
nicht in die Heiligen Stätten gehen. Ich bin ein Inkubus.«
»Das ist Sebastian auch«, fuhr Lynnea ihn an. »Wenn er dorthin konnte, kannst du es auch.«
»Aber -«
»Dann bleib hier. Oder geh zurück in den Pfuhl, wenn du willst. Aber hör auf, weiter Zeit zu verschwenden!«
Sie presste sich die Hand auf den Mund und starrte ihn an. Sie fühlte sich, als hätte sie gerade einen Blick auf die Person erhascht, die sie vielleicht geworden wäre, hätte sie noch länger bei Mutter und Vater auf dem Hof gelebt. Mutters Tonfall. Mutters Härte. Mutters Art, jemanden mit Worten zu verletzen, auch wenn sie ihren Vorwurf nicht noch mit einem Hieb unterstrichen hatte. Teasers Angst war real - genauso wie ihre eigenen Ängste, als sie noch ein Kind gewesen war. Und harte Worte, die jemandem Unzulänglichkeit unterstellten, wenn man sie nicht gleich offen aussprach, hatten noch nie etwas dazu beigetragen, Ängste zu besiegen.
»Teaser … es tut mir leid. Das war nicht nett.«
Einen Moment lang blitzten seine Augen wie die eines Raubtieres wütend auf und erinnerten sie daran, dass er, egal wie weit er sich von den Wurzeln seiner Art entfernt hatte, noch immer von einer Rasse abstammte, die jemanden mit den eigenen Emotionen töten konnte.
Dann wandte er den Blick ab und war wieder der Teaser, den sie kannte.
»Macht nichts«, murmelte er.
»Doch, das tut es.« Sie trat an ihn heran und nahm seine Hand. »Meine … die Frau, die mich großgezogen hat … das waren ihre Worte. Sie hätte solche Dinge gesagt. Ich will nicht so werden wie sie. Ich will die Welt nicht auf diese Weise verderben.«
Freundschaftlich drückte er ihre Hand und ließ sie los. »Du hast Angst. Genauso wie ich. Also benehmen wir uns beide, als müssten wir uns ein halbes Gehirn teilen. Die Zeit läuft uns davon. Wenn wir das wirklich tun wollen, sollten wir es jetzt tun.«
Als sie die Lichtung erreichten, auf der die Brücke stand, spürte sie den Unterschied. Dies hier war eine Resonanzbrücke. Ihre Chance, die Heiligen Stätten zu erreichen, war genauso groß, wie die, auf dem Mond zu tanzen.
Teaser atmete tief durch. »Wir machen das für Sebastian, ja?«
»Ja.«
»Und wenn wir in einer schlangenverseuchten Sumpflandschaft enden, dann war es deine Schuld, weil du gemein zu mir warst, ja?«
Sie seufzte und nahm seine Hand. »Ja.«
Nachdem das geklärt war, näherten sie sich dem Ort auf der Lichtung, der sie hinüberbringen würde, in …
 
Mit dem Rücken an die Wand unter dem zerbrochenen Fenster gelehnt, saß Sebastian auf dem Boden. Bei geschlossenen Fensterläden kam nicht viel Luft durch das faustgroße Loch im Glas, aber er redete sich ein, sie sei in diesem Teil des Raumes frischer.
Er konnte die Stimmen nicht aussperren, konnte nichts gegen das unerbittliche Flüstern tun.
Niemand wird kommen, um dir zu helfen. Niemand liebt dich. Niemand hat dich je geliebt. Du verdienst es nicht, geliebt zu werden. Du träumst vom Tageslicht, Inkubus? Für jemanden wie dich gibt es kein Tageslicht. Es steckt kein Tageslicht
in
jemandem wir dir. Dein Herz besteht aus Stein und toter Erde. Das ist alles, was du bist. Alles, was du je sein kannst. Alles, was du verdienst. Ein hartes Leben. Ein einsames Leben. Ein kaltes Leben.
Das ist alles, was du bist, Sebastian. Alles, was du jemals sein wirst. Niemand wird kommen, um dir zu helfen. Niemand liebt dich. Niemand hat dich je geliebt.
So viele Stimmen, und alle flüsterten das Gleiche. Einige waren erfüllt von grausamer Freude, und diese
allein hätte er vielleicht bekämpfen können. Doch es waren die sanften Stimmen, die traurigen Stimmen, die ihn mit denselben Worten zermürbten, an seinem Herzen rieben und die Gedanken abschliffen, welche die Worte als Lügen erkannt hätten.
Es
war
dunkel. Er
war
einsam. Ihm
war
kalt.
Er konnte sich den erbarmungslosen, flüsternden Stimmen nicht entziehen. Also nahm er all seine Kraft zusammen, um den warmen Glanz zu verstecken, den sein Herz im tiefsten Innern verbarg.
 
Friede.
Lynnea atmete ein und fühlte, wie sich ihr Körper entspannte. Trotz der Wärme des Tages, lag etwas Herbstliches in der Hitze. Warme Tage, kühlere Nächte. Wechselten die Blätter in den Heiligen Stätten die Farbe und fielen zu Boden? Liefen die Menschen durch Gärten, die schlafend unter einer Schneedecke lagen? Order war es hier immer Sommer? Nein, es war nicht immer Sommer. Diese Landschaft in die Grautöne des Winters gekleidet zu sehen, würde eine ganz andere Art des Friedens mit sich bringen.
»Wir sind da«, sagte sie leise. Sie blickte Teaser an, der die Augen zusammengekniffen hatte. »Wir haben es in die Heiligen Stätten geschafft.«
Seine Augen öffneten sich weit genug, um blinzelnd die Gärten zu betrachten, die sich um sie herum erstreckten. Dann öffneten sich seine Augen plötzlich ganz, als ein Mann, der durch die Gärten wanderte, sie erblickte und sich ihnen zuwandte.
»Alles in Ordnung«, sagte Lynnea zu Teaser, als sie dem Mann entgegengingen. »Ich kenne ihn vom letzten Mal. Seid gegrüßt, Yoshani«, fügte sie mit erhobener Stimme hinzu.
»Hey-a«, erwiderte Yoshani lächelnd. »Ihr seid zurückgekehrt. Und Ihr habt einen Freund mitgebracht.« Seine
braunen Augen, so sanft und dunkel und voller Weisheit, musterten Teaser.
Lynnea versuchte, die Anspannung zu ignorieren, die sich in Teaser aufbaute und trat gerade weit genug nach vorne, um Yoshanis Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
»Wir müssen Glorianna finden«, sagte sie. »Etwas Schreckliches ist geschehen. Sie muss davon erfahren.«
Yoshani musterte sie beide und nickte. »Hat man Sorge gekostet, schätzt man den Frieden höher. Kommt mit mir. Glorianna wird nicht schwer zu finden sein.«
Und das war sie nicht. Mit einer Handvoll Männer und Frauen jätete Glorianna die Blumenbeete in einem Teil des Gartens. Das Begrüßungslächeln, das ihr zuerst auf den Lippen lag, erlosch, als sie ihnen in die Augen sah. Und als sie die Nachricht des Rates der Zauberer gelesen hatte, die Lynnea ihr überreichte, strahlten ihre Augen wie kaltes, grünes Eis.
»Yoshani wird euch zum Gästehaus bringen«, sagte Belladonna, als sie die Nachricht wieder zusammenfaltete. »Ich muss nachdenken.«
Zum ersten Mal, seit sie in den Heiligen Stätten angekommen waren, sprach Teaser. »Sebastian würde nicht wollen, dass Ihr in die Stadt der Zauberer geht.«
»Ich weiß«, sagte sie leise. Dann ging sie davon.
Bevor Lynnea protestieren konnte, legte Yoshani ihr eine Hand auf den Arm.
»Sie braucht Zeit zum Nachdenken«, sagte er sanft. »Und Ihr braucht Zeit zum Ruhen.«
»Was geschieht jetzt?«, fragte Lynnea.
»Was immer geschehen muss«, erwiderte er. »Hätten sie ihre Herzen nicht verschlossen, so hätten die anderen Landschafferinnen viel von Glorianna Belladonna lernen können. Es ist so leicht, so verführerisch, zu denken, das Licht sei immer die richtige Wahl. Aber manchmal ist es das nicht. Sie hat nie den einfachen Weg gewählt. Sie wird tun, was getan werden muss … koste es, was es wolle.«
Du bist Nichts, Sebastian. Niemand, der es wert ist, sich an ihn zu erinnern, ihn zu lieben. Dunkel. Verlassen. Ohne jedes Licht. Grausamkeit hat dich zur Welt gebracht. Elend hat dich großgezogen. Das ist alles, was du erwarten kannst. Alles, was jemals sein kann.
Stunde um Stunde schändeten sie sein Herz, entrissen ihm jede Erinnerung an Wärme und Zärtlichkeit.
Nicht fähig, den flüsternden Stimmen Einhalt zu gebieten, legte er sich schützend um den geheimen Ort in seinem Herzen, hielt den warmen Glanz verborgen. Er würde niemals zulassen, dass sie ihn erreichten. Niemals.
 
Glorianna saß auf der Bank neben dem Koi-Teich. Die Reiher waren am Morgen hier gewesen, und die Fische versteckten sich noch immer unter den Wasserpflanzen. Die Nachricht des Rates lag auf ihrem Schoß. Sie hielt sie gerade fest genug, dass der leichte Lufthauch sie ihr nicht entreißen konnte. Es wäre verführerisch, das Schriftstück dem Wind zu überlassen, damit er die höhnische Botschaft an einen anderen Ort trug. An irgendeinen anderen Ort.
Als sie Schritte auf die Bank zukommen hörte, löste sie den Blick nicht von Teich. Sie wartete, bis Lee sich neben ihr auf die Bank gesetzt hatte, dann reichte sie ihm die Nachricht.
»Sebastian würde nicht wollen, dass du ihn rettest, nicht, wenn es bedeutet, dich in Reichweite des Rates zu bringen«, sagte Lee, nachdem er die Botschaft gelesen hatte.
»Das ist nicht Sebastians Entscheidung.«
»Es ist eine Falle. Er ist der Köder. Das weißt du.«
»Ich weiß.« Könnte sie es tun? War sie stark genug? Worüber sie nachdachte, war noch nie versucht worden, also hätten die Zauberer keinen Anlass, es für möglich zu halten, geschweige denn, zu glauben, es könnte eine Gefahr
für sie darstellen. Es würde auch bedeuten, die Dinge in Bewegung zu setzen und Sebastians Leben dann in die Hände einer anderen zu legen, aber die Stärke und der Mut waren vorhanden, vorausgesetzt Lynneas Entschluss geriet nicht ins Wanken, wenn es soweit war. Und Lynnea würde die Entscheidung treffen müssen. Jeder Schritt auf dieser Reise würde Lynneas Entscheidung sein müssen. Aber sie könnte es schaffen und ihr somit die Freiheit geben, Gerechtigkeit für die Herzen anderer zu suchen - und sich um die Zauberer zu kümmern.
Sie sah ihren Bruder an. »Wirst du uns helfen, Lee?«
Er legte eine Hand auf ihre. »Immer.«
»Dann haben wir einiges zu erledigen. Sprich mit Teaser. Finde heraus was du kannst, darüber, wo Sebastian hingegangen ist, als er den Pfuhl mit dem Zauberer verlassen hat. Wir müssen die Brücke finden, die meine Landschaften mit der Stadt der Zauberer verbindet. Und dann müssen wir den Zauberern eine Nachricht zukommen lassen.«
BOOK: Sebastian
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