Read Sebastian Online

Authors: Anne Bishop

Tags: #Fiction, #Fantasy, #General

Sebastian (59 page)

BOOK: Sebastian
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»Der Rat der Zauberer hat das Urteil des Herzens gefordert«, sagte sie. »Teile ihnen mit, dass die Landschafferin sie morgen bei Sonnenuntergang vor den Mauern der Stadt erwartet, und das Urteil des Herzens vollstreckt werden wird.«
Sie wandte sich um und ging.
»Und wer, soll ich sagen, hat mir die Nachricht überbracht?«, fragte er, erschüttert von der unverschämten Art, in der sie dem Rat Befehle erteilte.
»Sie werden es wissen.«
»Wie sollen sie wissen, welche Landschafferin du bist?«
Sie blieb stehen und blickte zu ihm zurück. Ihre kalten grünen Augen durchbohrten ihn - und er fühlte sich, als könne sie jedes Geheimnis seines Herzens sehen.
»Ich bin die Einzige, die noch am Leben ist.« Sie ging noch einen Schritt weiter … und verschwand.
 
Glorianna stand am Rande der kleinen Insel, aus der Lees Landschaft bestand, der Teil Ephemeras, den er nach Belieben an einen anderen Ort versetzen konnte. Amüsiert betrachtete sie, wie der junge Zauberer in Richtung der Halle rannte.
»Na ja«, sagte Lee, »du hast das Hornissennest getroffen.«
Sie nickte und widerstand dem Aufruhr der Gefühle, der ihr eigenes Herz bestürmte.
Lee betrachtete sie einen Augenblick und sagte dann leise: »Wir könnten jetzt versuchen, Sebastian zu finden und ihn dort herauszuholen.«
Die Versuchung, zuzustimmen war groß. Das war es, was
sie
wollte. Aber … Gelegenheit und Entscheidung. Etwas in Sebastian hatte sich verändert - oder war verändert worden. Sie konnte die Resonanz seines Herzens kaum wahrnehmen, und was sie spüren konnte, war anders, fremd. Niemals würde sein Herz in einer ihrer Landschaften zu Hause sein. Aber tief im Inneren, mit aller Macht beschützt, war er noch immer der Cousin, den sie kannte und liebte.
»Nein«, sagte sie bedauernd. »Auf dieser Reise muss er seine eigenen Entscheidungen treffen.«
Und wenn er dem
warmen Glanz nicht folgt, den ich noch immer in seinem Herzen spüren kann, werden wir ihn für immer verlieren.
Lee seufzte. »Die Brücke zwischen dieser und der Landschaft der Wasserpferde ist zerstört, und die Zauberer wissen, dass du kommst. Es ist an der Zeit, dass wir in die Heiligen Stätten zurückkehren und uns so gut wie möglich ausruhen.«
»Noch nicht.« Sie dachte an jenen warmen Glanz. »Eines gibt es noch zu tun.«
 
Die Stimmen hörten auf zu flüstern. Etwas hatte die Zauberer aufgeschreckt und sie so sehr abgelenkt, dass sie davon abließen, ihn zu foltern.
Sebastian öffnete die Augen und fand sich auf dem Fußboden wieder. Er lag in zusammengekrümmter Haltung da und barg mit seinem Körper den Krug mit dem letzten Schluck Wasser. Er streckte seine steifen Glieder und kämpfte sich in eine aufrechte Position, bis er mit dem Rücken an die Wand gelehnt dasaß.
Sein Kopf schmerzte noch immer, aber sein Verstand schien zum ersten Mal, seit er die Brücke überquert hatte, klar. Vielleicht sogar seit Koltak in den Pfuhl gestolpert war.
Er hatte die gleichen Kräfte wie die anderen Zauberer. Zumindest einen Teil davon. Könnte er sie einsetzen, um die Tür zu öffnen und zu fliehen? Vielleicht. Aber er glaubte nicht, dass er aus der Stadt der Zauberer entkommen und die Brücke überqueren könnte, bevor sie ihn erwischen würden, egal was sie gerade ablenkte. Und seine Macht war ungeschult. Seine Macht war nichts, das er gegen so viele ausgebildete Zauberer erproben wollte.
Aber es
gab
eine Macht, die er zu benutzen wusste - eine Macht, die den Menschen helfen könnte, gegen den Weltenfresser zu kämpfen. Aber welche Landschaften konnte er von hier erreichen?
Wen
konnte er von hier erreichen?
Frauen. Es würden Frauen sein müssen.
Er dachte daran, dass Koltak in der Landschaft der Wasserpferde Brücken überquert hatte. In Orten namens Dunberry und Foggy Downs gelandet war. Orte, von denen er noch nie gehört hatte. Orte, die in einem anderen Teil Ephemeras liegen mussten - aber trotz allem mit einer der Landschaften Gloriannas verbunden waren.
Für ihn bestand keine Hoffnung, aber vielleicht könnte er den Menschen helfen, die er liebte. Glorianna brauchte Freunde, brauchte Verbündete, brauchte Hilfe in ihrem Kampf gegen den Weltenfresser. Vielleicht könnte er ihr ein paar dieser Dinge beschaffen. Und Glorianna zu helfen, bedeutete auch die Rettung von -
Er würde ihren Namen nicht denken. Nicht hier.
Er rief die Macht der Inkuben, bis sie ihn ganz erfüllte. Dann sandte er diese Macht durch das Zwielicht des Halbschlafes, auf der Suche nach Herzen, die ihm antworten würden.
Er spürte sie, viele von ihnen, die sich seines Eindringens bewusst wurden, Herzen mit starkem Willen und einem Geist, den sie im nächsten Moment vor ihm verschließen würden.
Hört mich an,
ließ er seine Worte durch das Zwielicht hallen.
Bitte hört mich an. Der Weltenfresser ist wieder auf der Jagd.
Angst schlug zu ihm zurück. Scharf, schneidend.
Dann sind wir verloren,
flüsterten einige der Stimmen.
Dieses Mal wird das Licht vernichtet werden.
Nein,
erwiderte er und legte all seine Überzeugung in den Gedanken.
Die Hoffnung des Herzens liegt in Belladonna. Denkt daran. Die Hoffnung des Herzens liegt in Belladonna.
Er fühlte das Kratzen am Rande seines Geistes. Einige seiner Folterer waren zurückgekehrt.
Er kappte die Verbindung zu den anderen Herzen und
zog die Macht in sich zurück, so schnell er es vermochte. Bevor die Zauberer wieder in seinen Geist eindringen konnten, um herauszufinden, was er gerade getan hatte, hatte er das Geheimnis mit aller Kraft, die ihm noch blieb, verborgen.
Die ganze quälende Nacht hindurch, während sie flüsterten und flüsterten und flüsterten, hielt er sich an diesem Geheimnis fest - und an jenem warmen Glanz.
Kapitel Fünfundzwanzig
Schulter an Schulter mit Lee sah Glorianna zu, wie die Sonne sich langsam auf den westlichen Horizont der Heiligen Stätten herabsenkte.
»Es ist fast soweit«, sagte Lee.
Sie nickte. »Du wirst im Auge des Sturmes gefangen sein. Kannst du deine Insel über der Landschaft der Zauberer halten?«
»Ich kann. Du musst nur sichergehen, dass du in Reichweite bleibst. Wenn die Zauberer lange genug standhalten können, um den Blitz heraufzubeschwören... du bist nicht unverwundbar, Glorianna.«
»Ich weiß. Aber wenn die Dinge erst einmal in Bewegung geraten sind, wenn das Urteil des Herzens erst einmal gesprochen ist, werden sie nicht versuchen, etwas zu unternehmen, bis die Macht freigesetzt wurde. Wenn sie bemerken, was ich getan habe, wird es zu spät für sie sein, um mich anzugreifen.«
»Ich hoffe, du hast recht.«
Das hoffe ich auch.
Sie spürte, wie Lynnea sich ihnen näherte und die Ruhe der Heiligen Stätten erschütterte. Angst und Hoffnung. Unsicherheit und Mut. Der Katalysator, dessen Anwesenheit den Pfuhl verändert hatte. Der Gelegenheiten und Entscheidungen mit sich gebracht hatte.
Jetzt, im Angesicht dessen, was ihr bevorstand, hoffte sie, dass Lynnea es schaffen würde, an dem neu erwachten Mut festzuhalten, den die junge Frau gerade erst in ihrem Innern entdeckt hatte.
Sie berührte Lees Arm, um seine Aufmerksamkeit zu wecken. Dann wandten sie sich beide um und warteten darauf, dass Lynnea sie erreichte.
»Ich gehe mit euch«, sagte Lynnea. In ihrer Stimme lag eine Mischung aus Angst und Trotz. »Sebastian braucht mich.«
Ja, das tut er,
dachte Glorianna.
Mehr als du ahnst.
»Lynnea -«, begann Lee.
»Sie kann uns begleiten«, fiel Glorianna ihrem Bruder und seiner gut gemeinten Ablehnung ins Wort.
Teaser schloss sich ihnen an, gefolgt von Yoshani. Der Inkubus blickte erst Lynnea an, dann sie. »Ich komme auch mit.«
»Nein.« Erst überraschte sie der verletzte Blick in Teasers Augen, dann freute sie sich darüber. Dem jungen Inkubus, den sie vor fünfzehn Jahren im Pfuhl getroffen hatte, hätte keine andere Person genug bedeutet, um ihr seine Hilfe anzubieten, geschweige denn, um enttäuscht zu sein, wenn sein Angebot abgelehnt wurde.
Bevor er sich wieder so weit gesammelt hatte, dass er mit ihr diskutieren konnte, fügte sie hinzu: »Du musst für mich in den Pfuhl zurückkehren, Teaser.«
»Aber -«
»Ich
brauche
dich dort.«
Yoshani trat neben ihn. »Wenn Teaser zurück in den Pfuhl reist, würde es eine Dissonanz hervorrufen, wenn ich mit ihm ginge? Seit vielen Jahren hege ich den Wunsch, diesen Ort einmal zu besuchen.«
Yoshani
hatte
diesen Wunsch tatsächlich früher schon geäußert, aber stets hatte sie mit »Noch nicht« geantwortet, weil seine Anwesenheit
wirklich
eine Dissonanz verursacht und vielleicht eine Veränderung herbeigeführt hätte, bevor die Herzen, welche die Resonanz des Pfuhls teilten, bereit waren sich zu ändern. Doch die Dinge im Pfuhl hatten sich bereits gewandelt, und Yoshanis ruhiges
Herz würde für Teasers eher sprunghaften Geist einen Ausgleich schaffen.
»Ein hervorragender Vorschlag, Ehrenwerter Yoshani«, sagte Glorianna.
Teaser stammelte etwas. Yoshani lächelte.
Lee blickte über die Schulter, um den Sonnenstand zu messen. »Wir sollten jetzt besser gehen.«
Glorianna nickte. »Ich möchte vor dem Rat da sein, damit ich das Terrain wählen kann.«
Yoshani hob eine Hand. »Mögen die Wahrer des Lichts über Euch wachen.«
Teaser blickte zu Lynnea, dann zu Lee und letztendlich zu Glorianna. »Reist leichten Herzens.«
Sie drehte sich um und folgte dem Pfad, der sie auf Lees kleine Insel bringen würde.
Reist leichten Herzens.
Sie hoffte, dass sie das tun würde. Sie hoffte, dass sie dazu in der Lage war.
Alles hing davon ab.
 
Teaser sah ihnen nach und fragte sich, wie es dazu gekommen war, dass er Aufpasser für einen heiligen Mann spielen durfte, anstatt etwas zu tun, um Sebastian zu helfen.
»Ich habe meine Tasche auf der Bank dort drüben abgestellt«, sagte Yoshani. »Ich denke, es ist das Beste, wenn wir den Pfuhl erreichen, bevor die Sonne untergeht.«
»Die Sonne scheint im Pfuhl nicht«, murmelte Teaser.
»Dann bevor sie hier untergeht.«
Da ihm kein Grund einfiel, noch länger zu warten, folgte er Yoshani zur Bank und dann zur Brücke, über die Lynnea und er die Heiligen Stätten erreicht hatten. Dann versuchte er, ihn umzustimmen.
»Ihr solltet wirklich nicht in den Pfuhl reisen«, sagte er.
»Warum nicht?«, fragte Yoshani mild.
»Weil Ihr hier lebt, und der Pfuhl eben der Sündenpfuhl ist. Die Leute trinken und spielen.« Als Yoshani nur lächelte, fühlte er wilde Panik in sich aufsteigen. »Und sie treiben Unzucht. Schreckliche Unzucht. Und … es gibt erotische Statuen. In der Öffentlichkeit!«
»Das klingt nach einem faszinierenden Ort. Sollen wir gehen?«
Teaser starrte Yoshani an. Der Mann sollte entrüstet sein, empört!
»Euch ist etwas entgangen, mein Freund.« Yoshani stellte seine Tasche auf den Boden und streckte die Hände weit auseinander. »Ihr seht die Heiligen Stätten und den Pfuhl als zwei Orte, die weit voneinander entfernt sind, zu ungleich, um auf irgendeine Art verbunden zu sein.«
»Das sind sie auch«, beharrte Teaser.
Yoshani schüttelte den Kopf. »Sie sind so.« Er hielt eine Hand nach oben und strich mit einem Finger erst über die Handfläche, dann über den Handrücken. »Sie sind nur zwei Seiten desselben Herzens, zwei Facetten von Glorianna Belladonna.«
Darauf konnte Teaser nichts erwidern, also hielt er seinen Blick starr auf die Brücke gerichtet.
Yoshani hob seine Tasche auf und legte Teaser eine Hand auf die Schulter. »Und wenn es Euer Herz erleichtert, so will ich Euch etwas sagen.« Er grinste. »Ich war nicht immer ein heiliger Mann.«
 
»Ihr müsst diese Anstrengung nicht auf Euch nehmen«, sagte Harland. »Ich verspreche Euch, es wird Gerechtigkeit geübt werden.«
Auf Krücken balancierend ignorierte Koltak den Schmerz in seinem dick bandagierten linken Fuß oder was davon übrig geblieben war, und sah dem Vorsitzenden des Rates der Zauberer in die Augen. »Ich will dabei
sein, wenn Recht gesprochen wird. Ich will sehen, dass der Bastard bekommt, was er verdient. Und ich will
ihre
Vernichtung erleben.«
Harland musterte Koltak einen Moment lang und lächelte dann. »Ich dachte mir, dass Ihr so antworten würdet, also habe ich Euch einen Ponywagen und einen Kutscher bestellt.«
Als Koltak sich langsam zur Tür schleppte, sagte Harland: »Ja, Koltak, dieser Tag wird die Welt verändern. Bevor er endet, werden wir ein Ziel erreichen, auf das Generationen von Zauberern hingearbeitet haben. Wir werden den letzten Feind besiegen, und die Welt wird uns gehören. Uns allein.«
 
Fließend bewegte Er Sich durch die Landschaften, ein wellenförmiger Schatten. Die niederen Feinde, die es geschafft hatten, sich Seinem Angriff auf die Schule zu entziehen, konnten Ihm nichts anhaben. Nicht mehr. Sie waren gefangen in den Landschaften, in die sie geflohen waren, nicht in der Lage, die anderen Orte zu erreichen, die in ihren Gärten verankert waren. An diesen verlassenen Orten schwand ihre Macht. Bald würde ihre Resonanz verhallen, und Ephemera würde ohne Führung sein. Aber Er würde da sein, durch die Landschaften treiben und leise zur dunklen Seite des menschlichen Herzens flüstern, bis Ephemera sich veränderte, um sich der Resonanz dieser Herzen anzupassen und zu einem dunklen, schrecklichen Ort wurde. Doch ein paar Strahlen des Lichts würde Er diesen neu gestalteten Landschaften lassen. Schließlich konnte Er keine Hoffnung zerschlagen, wenn es keine gab. Er konnte keine Güte verschlingen, wenn keine Güte mehr geblieben war. Er konnte keine Liebe vernichten, wenn keine Liebe mehr aufblühte. Ja, Er würde ein Rinnsal des Lichts durch Seine dunklen Landschaften fließen lassen, damit seine Beute ihm weiterhin ein köstliches Festmahl bot. Aber die Orte des
Lichts, diese Leuchtfeuer der Macht …
Sie
mussten zerstört werden.
BOOK: Sebastian
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