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Authors: Anne Bishop

Tags: #Fiction, #Fantasy, #General

Sebastian (62 page)

BOOK: Sebastian
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»Peter?«, stammelte Koltak. »Was hat Peter damit zu tun?«
»Indem sich die Dunkle Macht mit dem Licht paarte, hat er dazu beigetragen, ein Kind zu schaffen, das beide Strömungen in sich trägt! Niemand sonst hätte offenbaren können, was wir sind! Niemand sonst könnte eine echte Bedrohung für den Weltenfresser darstellen!«
Ich muss hier weg,
dachte Koltak.
Ich muss raus aus dieser Stadt. Ich muss … irgendjemanden warnen.
Harland blickte an Koltak vorbei. »Ich glaube, es ist an der Zeit, dass Zauberer Koltak in den Rat eingeführt wird.«
»Nein«, sagte Koltak. »Nein, ich -«
Ein rascher Fußtritt schlug ihm die Krücken aus der Hand. Hände packten ihn, bevor er fiel.
Er könnte den Blitz heraufbeschwören. Er könnte kämpfen, fliehen. Er könnte -
Deinen Ehrgeiz vergessen, Koltak?,
flüsterten Stimmen in seinem Geist.
Wenn du dich uns jetzt widersetzt, wirst du nie erhalten, wonach du dich am meisten sehnst. Hast du nicht aus diesem Grund darum gekämpft, in dieser Landschaft zu bleiben? Weil hier der einzige Ort ist, an dem dein Ehrgeiz Früchte tragen kann?
Er kämpfte nicht, setzte sich nicht zur Wehr. Er versuchte nur, nicht mit dem verletzten Fuß den Boden zu berühren, als die Mitglieder des Rates - kaum als die Männer zu erkennen, die sie vorgegeben hatten zu sein - ein Paneel in der Wand öffneten und ihn Treppenfluchten hinunter und durch geheime Korridore schleppten.
Schließlich blieben sie vor einer schweren Holztür stehen.
Harland zog die Riegel zurück, öffnete die Tür und verschloss sie wieder hinter ihnen, nachdem die Wächter der Dunkelheit Koltak an den Rand einer vergitterten Empore gezerrt hatten, von der aus man in eine schwach erleuchtete Grube hinuntersehen konnte.
Koltak hielt sich an den Gitterstäben fest, um aufrecht stehen zu können und starrte in die Grube hinab. Bewegte sich dort unten etwas? Ja. Etwas kroch aus dem Schatten.
Das Weibchen - da es nackt war, bestand kein Zweifel darüber, dass es weiblich war - starrte zu ihnen auf. Dann schrie es - ein Geräusch, das Koltak die Nackenhaare zu Berge stehen ließ.
»Das ist der Grund, aus dem Ihr niemals Teil des Rates sein werdet, Koltak«, sagte Harland.
»Ich … ich verstehe nicht.«
Harland lächelte, als er das Weibchen betrachtete, das sich jetzt über die Brüste strich und stöhnte. »Das sind unsere Zuchtweibchen. Sie waren nie in der Lage, ihre Erscheinung zu verändern, um sich als Menschen auszugeben, also mussten sie versteckt und gut beschützt werden. Sie verfügen über eine wilde Intelligenz, und sie sind ziemlich bösartig. Wenn die Paarungszeit kommt, und sie sich verzweifelt danach sehnen, bestiegen zu werden, müssen wir sie zurückhalten, damit sie nicht über die Männer herfallen.« Er wandte den Kopf und sah Koltak an. »Der Rat besteht aus Reinblütern. Bestand schon immer aus Reinblütern. Euer Ehrgeiz macht Euch zu einem nützlichen Werkzeug, aber Ihr seid zu menschlich, um einer von uns zu sein.«
»Warum … warum erzählt Ihr mir das?«
»Damit Ihr versteht.«
»Aber...« In Koltaks Kopf drehte sich alles, als die Dinge, an die er geglaubt hatte, sich zu einem neuen Muster
verschoben. »Aber wenn es das ist, was Ihr seid, warum wart Ihr dann Sebastian so feindlich gesinnt?«
»Das waren wir nicht«, erwiderte Harland. »Wir konnten nicht wissen, wie es um das Potential des Jungen bestellt war, aber indem wir uns die Schande, die Ihr darin saht, ein Kind mit einem Sukkubus gezeugt zu haben, zunutze machten, wurdet Ihr zu einem hilfreichen Werkzeug. Und der Junge …« Er seufzte. »Die Inkuben und Sukkuben sind zwei Zweige, die derselben Wurzel entsprungen sind, wie die Wächter der Dunkelheit. Wie wir haben sie die Macht, durch das Zwielicht des Halbschlafes in den Geist anderer Menschen einzudringen. Wie einer von uns wäre Sebastian ein mächtigerer Zauberer geworden, als Ihr es Euch je erträumen könntet. Aber als Feind und Verbündeter Belladonnas …« Er lächelte. »Doch wieder einmal habt Ihr Euch als nützlich erwiesen, indem Ihr geholfen habt, ihn zu vernichten.«
Sebastian.
Tränen brannten in Koltaks Augen. All die Jahre hätte er einen Sohn haben können, hätte dem Jungen beibringen können, wie man die Macht einsetzt, die er in sich trug. Vielleicht hätten sie zusammen arbeiten können … als Rechtsbringer.
Harland sah zu, wie die Weibchen sich versammelten, um die Männer anzustarren, die sie nicht erreichen konnten. »Sie können nicht unter Menschen gehen, also brauchen sie Spielzeuge, mit denen sie sich beschäftigen können. Das macht sie umgänglicher, wenn es an der Zeit ist, uns mit ihnen zu paaren.«
»Spielzeuge?«, stammelte Koltak und wurde sich der Gefahr, die ihm von allen Seiten drohte, wieder bewusst. Was für Spielzeuge … Plötzlich begriff er. »Die Menschen, die verschwinden, von denen man glaubt, sie hätten sich in einer anderen Landschaft verirrt.«
Harland nickte. »Es ist sehr günstig, dass einige Menschen
wirklich
in andere Landschaften übertreten und nicht in der Lage sind, zurückzukehren. Denn so vermutet
niemand, dass ihnen etwas anderes zugestoßen sein könnte.« Er hielt inne. »Bis auf Peter. Als ein wahrer Rechtsbringer ist er dort umhergewandert, wo er nicht hätte sein sollen, während er einem Schäferjungen geholfen hat, ein paar Schafe zusammenzutreiben. Er hat eine der vergitterten Öffnungen entdeckt, die diese Kammer mit Licht und Luft versorgen. Als wir erkannten, dass er unser Geheimnis gesehen hatte, musste er verschwinden.«
Koltak hielt die Gitterstäbe umklammert und starrte Harland an.
»Euer Bruder war ein starker Mann«, sagte Harland. »Er hat zwei Wochen durchgehalten, bevor die Weibchen ihn brachen, Körper und Geist. Ich frage mich, ob Ihr es auch nur halb so lange aushalten werdet.« Er holte aus und trat gegen Koltaks verletzten Fuß.
Koltak schrie, als der Schmerz ihn durchfuhr. Er konnte nicht kämpfen, konnte sich kaum wehren, als zwei Ratsmitglieder ihn die Treppen hinunter und durch einen Tunnel schleppten, der in die steinernen Wände der Grube eingelassen worden war. Dann öffneten sie eine Tür, stießen ihn hindurch und schlossen schnell wieder hinter sich ab.
Er keuchte vor Schmerz auf und konnte nicht stehen, also kauerte er sich an der Tür zusammen und sah zu, wie die Weibchen auf ihn zukamen.
»Harland!«, schrie er. »Harland! Ich kann Euch immer noch von Nutzen sein!«
Aber Harland und die anderen Männer hatten die Empore bereits verlassen.
Als er spürte, wie etwas am Rande seines Geistes entlangstrich, wurde ihm bewusst, dass die Misshandlung seines Geistes alles übertreffen würde, was sie seinem Körper antun konnten. Es gab keine Aussicht auf Rettung. Er würde hier sterben. Und plötzlich erkannte er eine weitere schmerzliche Wahrheit.
Sebastian hatte Recht gehabt. Belladonna war Ephemeras einzige Hoffnung.
 
Dalton schluckte die Übelkeit hinunter, die ihm sein aufgewühlter Magen verursachte, hob den Kopf und schlug die Augen auf.
Dunkel.
Wahrer des Lichts und Wächter des Herzens, wo waren sie?
Er saß noch immer auf dem Wagen, hielt noch immer den Arm seiner Frau umklammert. »Aldys?«
»D-Dalton?«
»Lally? Dale?« Er stieß seine Kinder an. »Ist jemand verletzt?«
»Hey-a!«, rief eine Stimme.
Eine Laterne, die im Rhythmus schneller Schritte auf und ab schaukelte, kam die Straße hinunter auf sie zu.
Dalton ließ seine Familie los und umfasste mit der linken Hand die Schwertscheide. Die rechte Hand schloss sich um den Schwertgriff.
»Alles in Ordnung bei Euch?«, fragte der Mann.
»Es geht uns gut«, antwortete Dalton vorsichtig. Er entspannte sich ein wenig, als der Mann näher kam und die Laterne hoch genug hielt, dass sie sein Gesicht erkennen konnten. Es war das ehrliche Gesicht eines älteren Mannes. Seine starken Arme verrieten, dass er an harte Arbeit gewöhnt war.
»Wo seid Ihr hergekommen?«
»Aus der Stadt der Zauberer.« Als er sah, dass der freundliche Gesichtsausdruck des Mannes erlosch, fügte er hinzu: »Das Urteil des Herzens hat uns hierher gebracht.« Wo auch immer »hier« war. »Ist dies eine von Belladonnas Landschaften?«
»Wünscht Ihr euch das?«
»Ja.«
Der Mann entspannte sich. »Nun denn, bei einem Herzen liegt Glorianna niemals falsch.«
»Also
ist
es eine von Belladonnas Landschaften?«
»Na ja, sie ist es, und sie ist es nicht. Gloriannas Mutter, Nadia, kümmert sich um diese Landschaft. Das Dorf Aurora liegt nur ein Stück die Straße hinunter, aber unser Haus ist näher.« Der Mann blickte zum Himmel. »In ein oder zwei Stunden bricht der Morgen an. Ihr findet den Weg ins Dorf leichter, wenn die Sonne erst einmal aufgegangen ist. Kommt mit mir zum Haus. Ich glaube, die Kleinen könnten ein Glas warme Milch vertragen und Ihr einen Happen zu essen.«
»Wir möchten uns nicht aufdrängen«, sagte Aldys nervös.
»Darum macht Euch mal keine Sorgen«, sagte der Mann mit einem Lächeln. »Heute Nacht geht ohnehin alles drunter und drüber, also steht Nadia schon in der Küche.« Er wollte sich umdrehen, wandte sich ihnen dann aber wieder zu. »Ich bin übrigens Jeb.«
Erleichterung darüber, dass sie einen sicheren Ort gefunden hatten, ließ Dalton unvorsichtig werden, aber als er die Fahrleinen und die Bremse löste, kam ihm etwas in den Sinn.
»Jeb? Was macht Ihr zu dieser Zeit hier auf der Stra ße?«
»Ich habe Ausschau nach Besuch gehalten, den wir erwarten. Sie sind noch nicht aufgetaucht, aber das werden sie. Das werden sie.«
Ein guter Mensch, dachte Dalton, als sie Jeb zurück zum Haus der Landschafferin folgten. Fürsorgliche Leute.
Er hoffte inständig, dass ihr Besuch es bis hierher schaffen mochte.
 
Der Weltenfresser schrie auf vor Wut und Angst. Der Wahre Feind hatte die Wächter der Dunkelheit und ihre
Stadt aus der Welt genommen. Sie waren nun so unerreichbar, dass Er nicht mehr die
geringste
Resonanz wahrnahm. Selbst als Er gefangen gewesen war, hatte Er vermocht, die Resonanz der Wächter zu spüren. Wie konnte
sie
einen Ort beherrschen, der so viel ihrer Dunklen Macht enthielt?
Wie?
Und wie konnte sie die Wächter der Dunkelheit besiegen? Es gab so viele von ihnen in der Stadt! Wenn sie mächtig genug war, sie
alle
einzuschließen …
Er musste sich verstecken. Er musste einen Ort fern von diesen Landschaften finden, einen Ort, an dem sie nicht nach Ihm suchen würde.
Als Er zurück in die Schule flüchtete, überdachte Er alle Landschaften, die Er durch die Gärten erreichen konnte. Aber von diesen Orten würde sie wissen.
Das Meer. Er könnte sich im Meer verstecken. Im Meer jagen. Bis Ihm einfiel, wie Er den Wahren Feind vernichten konnte.
Er bewegte sich durch die Gärten, floss unter den Pfaden hindurch, die jetzt voller Risse und von giftigem Unkraut überwuchert waren, bis Er zu dem Garten kam, in dem die Steine lagen, die Er aus einem Bach genommen hatte, der sich in der Landschaft der vierfüßigen Dämonen befand, und gleichzeitig auch nicht dort war.
Er hatte die Resonanz eines Zauberers erkannt, und dank der dunklen Gefühle in dessen Herzen war das Land um die Brücke herum für Seinen Einfluss empfänglich geworden.
Jetzt bewegte Er sich fließend über diese Steine, in diese Steine … und hinaus in den Bach. Einen Augenblick lang lag Er am Grunde des Baches, schwärzer als der schwärzeste Schatten. Dann floss Er das Ufer hinauf und unter das Land, fühlte die Strömungen des Lichts und der Dunkelheit - und eine Macht, eine Stärke des Geistes und des Herzens, die die Resonanz dieser Strömungen teilte. Aber es war nicht
sie.
Als er an die Oberfläche stieg, veränderte er seine Gestalt.
Ein gut gekleideter Mann mittleren Alters ging die Stra ße entlang, die zum Dorf Dunberry führte.
 
»Tageslicht«, sagte Teaser und stieß seinen Stuhl zurück.
»Was ist?«, fragte Yoshani und sah sich um.
»Besucher. Und keine, die wir hier gerne sehen.«
»Teaser -«
Aber er hatte Philos Innenhof schon verlassen und trat auf die Straße, um zwei Männer aufzuhalten, die auf ihn zuritten.
»’n Abend«, sagte der ältere Mann und zügelte sein Pferd, bevor es Teaser erreichte.
Teaser musterte die beiden Männer. Keine Abzeichen, aber er erkannte die Jacke eines Wachmannes, wenn er eine sah. »Kehrt dorthin zurück, wo ihr hergekommen seid.«
»Können wir nicht. Und würden es auch nicht wollen, selbst wenn wir könnten.« Er sah sich um und warf Teaser ein trauriges, aber hoffnungsvolles Lächeln zu. »Sieht nach einem netten Ort aus.«
»Das hier ist der Sündenpfuhl.«
»Der …« Beide Männer sahen überrascht aus. Der ältere pfiff leise. »Eine von Belladonnas Landschaften.«
Teaser richtete sich drohend auf. Das Letzte, was sie hier brauchten, waren Wachen, die sich für Belladonna interessierten. »Ihr seid hier nicht will -«
Eine starke Hand auf seiner Schulter ließ ihn innehalten. Er blickte Yoshani an, der die Wachen musterte.
»Das Urteil des Herzens?«, fragte Yoshani sanft.
Der ältere Mann nickte. »Ich bin Addison. Das ist Henley.«
»Teaser«, sagte Yoshani. »Wenn dies der Ort ist, an dem sie gelandet sind, ist dies auch der Ort, an den sie gehören. Jedenfalls für diesen Abschnitt ihrer Reise.«
»Sie könnten lügen.«
»Kein Herz kann Glorianna Belladonna belügen.«
Er war trotzig. Er fürchtete sich. Endlose Stunden waren vergangen, seit er Yoshani in den Pfuhl gebracht hatte.
»In Ordnung«, sagte er. »Wir suchen einen Platz, an dem ihr bleiben könnt, bis der Rechtsbringer zurückkommt. Wenn er da ist, wird er entscheiden, ob ihr gehen müsst oder bleiben könnt.«
Die Wachen sahen beunruhigt aus. »Ihr habt einen Zauberer hier?«
»Einen
Rechtsbringer.«
»Herrschaften«, sagte Yoshani. »Warum nehmt Ihr nicht im Hof Platz und esst etwas?«
Während die Wachen ihre Pferde anbanden und sich im Hof niederließen, blickte Teaser starr die Straße hinauf zu den Leuten, die in den Tavernen und Spielhöllen ein- und ausgingen.
BOOK: Sebastian
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