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Authors: Anne Bishop

Tags: #Fiction, #Fantasy, #General

Sebastian (58 page)

BOOK: Sebastian
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»Glorianna … es ist eine Falle. Deshalb wollten sie Sebastian.«
»Es ist eine Falle«, stimmte sie zu. »Aber Sebastian ist nicht der Köder.«
Kapitel Vierundzwanzig
Glorianna sah zu, wie Lee zum Dank die Hand hob, als die Dämonenräder zurück in den Pfuhl rasten.
»Gut«, sagte er, »das hat sich Sebastian wirklich schlau ausgedacht, die Dämonenräder zu bitten, in dieser Landschaft zu warten, um uns zu zeigen, wo die Brücke liegt.«
Sie rümpfte die Nase, denn irgendwie erschien es ihr angebracht, ungehalten zu sein. »Ich bin mir sicher, er hat ihnen nicht gesagt, dass es in Ordnung ist, die Wasserpferde zu jagen.«
»Die Kleinen haben sie nicht gejagt. Das haben sie dir ausdrücklich noch einmal gesagt.«
»Oh. Aha. Das ändert natürlich alles. Oder?« Letzteres fragte sie, weil Lee sie angrinste.
»Wir zanken uns.«
»Tun wir nicht.«
»Tun wir doch.«
»Tun wir -« Sie brach ab. Sie fühlte sich immer, als sei sie zehn Jahre alt, wenn sie eine solche Streiterei begannen. »Vielleicht. Und was, wenn?«
»Wir zanken nur, wenn etwas Schlimmes geschehen ist und wir wissen, dass alles wieder gut wird. Also ist deine Idee vielleicht doch gar nicht so verrückt.«
»Sie ist nicht verrückt.« Riskant, sicher. Und gefährlich, wenn es nicht so lief, wie sie es sich gedacht hatte. Aber nicht verrückt. »Warum hast du den Dämonenrädern gesagt, sie könnten uns hier alleine lassen?« Mit einer ausladenden Geste deutete sie auf die Baumgruppe.
»Weil ich die Brücke spüren kann.« Lee wandte sich in westliche Richtung und sprach über die Schulter weiter. »Und ich habe mir gedacht, du bekommst ein besseres Gefühl für das Land, wenn wir zu Fuß weitergehen, und dass du uns früher warnen kannst, sollte der Weltenfresser ein paar unangenehme Überraschungen in dieser Landschaft hinterlassen haben.«
Da sie den versteckten Ankerpunkt des Weltenfressers in der Landschaft der Wasserpferde nicht gefunden hatten und unangenehme Überraschungen recht wahrscheinlich waren, beeilte sie sich, zu Lee aufzuschließen und sich bei ihm einzuhaken - sowohl als Zeichen schwesterlicher Zuneigung als auch weil sie sich beide, wenn Gefahr drohte, in einem Wimpernschlag in ihre Gärten versetzen konnte, solange sie ihn berührte.
»Weißt du noch, als Mutter einmal eine ganze Woche krank war?«, fragte Glorianna.
»Ich erinnere mich.« Lee lächelte. »Ich war ungefähr neun und du warst elf.«
Sie nickte. »Die Nachbarn brachten ihr Suppe und Fleischbrühe, aber wir haben uns so ziemlich alleine durchgeschlagen - und mit meinen Kochkünsten überlebt.«
»Du bist zum Metzger und zum Lebensmittelhändler gegangen, um etwas zu essen zu kaufen -«
»- und du hast den Schlitten gezogen, weil zu viel Schnee lag, um irgendetwas anderes zu benutzen.«
»Der Händler war beeindruckt, weil wir Gemüse gekauft haben und keine Süßigkeiten.«
»Und Orangen, weißt du noch? Sie kamen aus dem Süden und waren durch ein Dutzend Landschaften gereist, bevor sie nach Aurora gekommen sind, und jede einzelne kostete mehr, als das Haushaltsgeld, das Mutter mir für eine Woche gegeben hatte.«
»Du hast sechs Stück gekauft«, sagte Lee leise. »Und jeden Tag hast du eine geschält und in drei Teile geteilt,
weil du der Meinung warst, dass wir uns dann nicht anstecken und es Mutter dabei hilft, gesund zu werden.«
»Während der ganzen Zeit haben wir kein einziges Mal gezankt«, sagte Glorianna leise.
»Wir hatten Angst, sie würde sterben. Es war ein harter Winter. Im Dorf waren schon mehrere Leute an Grippe oder an Lungenentzündung gestorben. Wir waren halb erwachsen und hatten solche Angst. Sie war nie zuvor so krank gewesen.«
»Also haben wir nicht gezankt. Wir haben das Haus in Ordnung gehalten und die Lektionen gelernt, die unsere Lehrer uns gebracht haben, damit wir in der Schule nicht in Rückstand geraten … und haben uns nicht gestritten.«
»Bis es Mutter wieder gut ging.« Lee lachte. »Und dann haben wir sie beinahe in den Wahnsinn getrieben, weil wir uns wegen jeder Kleinigkeit in die Haare geraten sind.«
»Ja.«
Sie liefen eine Weile schweigend nebeneinander her. Dann sagte Glorianna: »Ich liebe dich, Lee.«
»Nicht.« Seine Stimme wurde scharf. »Die Leute fangen an, so etwas zu sagen, wenn sie glauben, sie haben vielleicht keine andere Gelegenheit mehr, es auszusprechen.«
»Das ist es nicht. Ich habe nur … einen sentimentalen Moment.«
»Oh, in dem Fall liebe ich dich auch. Ich -« Er versteifte sich, als sie stehen blieb. »Was ist?«
»Eine Dissonanz. Vor uns. Da ist etwas, das nicht in diese Landschaft gehört.«
»Die Brücke liegt auch vor uns.«
Vorsichtig liefen sie weiter, Lee suchte mit den Augen die Umgebung ab und hielt Ausschau nach Anzeichen irgendwelcher Kreaturen, während Glorianna den Blick
auf den Boden gerichtet hielt und nach verräterischen Spuren suchte, die sie davor warnten, dass sie kurz davor waren, in eine andere Landschaft überzutreten.
Klein. Viel kleiner als der Teich. Die Dissonanz im Teich hatte sie in ihren Gärten auf der Insel im Nebel spüren können, aber diese Veränderung der Landschaft war ihr entgangen, bis sie ihr ganz nah war.
Lee führte sie zur Brücke und hielt dann zwei Körperlängen davor an. »An der linken Seite der Brücke ist der Boden aufgewühlt. Sieht aus, als hätte dort ein Kampf stattgefunden.«
Glorianna nickte. »Aber Ephemera hat die Gräser und Wildblumen um diesen Kreis aus totem Gras als Reaktion auf das, was hier geschehen ist, ausgerissen. Und der Kreis scheint etwas höher zu liegen als der Rest des Bodens.«
»Ein Zugangspunkt zu einer unterirdischen Höhle?«, fragte Lee.
Als sie an die Kreaturen dachte, die Sebastian in der Schule gesehen hatte, fiel es ihr ein. »Eine Röhrenspinne. Das ist ihr Versteck. Aber … die Dissonanz fühlt sich nicht stark genug an. Ich glaube nicht, dass die Kreatur des Weltenfressers noch hier ist.« Sie verlangsamte ihren Atem, wartete darauf, dass ihr Herzschlag sich wieder beruhigte. Überall um sich herum konnte sie spüren, wie Ephemeras Macht sich danach sehnte, einem Herzen zu antworten - und zögerte, in so unmittelbarer Nähe eines Ortes aus den Landschaften des Weltenfressers darauf einzugehen. Niemand konnte sagen, was die Welt ohne Führung ins Leben rufen würde.
Sie umkreiste das Versteck der Röhrenspinne, stets bedacht eine Handbreit Abstand von der kargen Erde zu halten.
Höre mich an, Ephemera,
rief sie, während sie im Kreis lief.
Höre auf mein Herz.
Sie griff nach den Strömungen des Lichts und nach einem Faden der Dunkelheit, veränderte
die Landschaft und versetzte das Versteck der Röhrenspinne an den Ort der Steine, der bereits von ihr aus der Welt genommen worden war, als sie den Versuch des Weltenfressers vereitelt hatte, die Landschaft der Knochenschäler mit dem Pfuhl zu verbinden.
Das Versteck der Spinne und der nackte Boden, der es umgab, verschwanden und hinterließen ein tiefes Loch - ein Loch, das die Welt füllen wollte.
Höre mich an. Höre auf mein Herz.
Ephemera erkannte sie. Sie war wie die Alten, die gewusst hatten, wann man mit dem Licht spielen musste und wann mit der Dunkelheit.
Erde,
dachte Glorianna, konzentrierte sich auf die Aufgabe und ließ in ihrem Herzschlag das Versprechen von Freude mitschwingen.
Fruchtbarer Boden, um dieses Loch zu füllen. Boden, welcher der Erde hier gleichkommt.
Ephemera zögerte und ließ dann den Wunsch des Herzens Wirklichkeit werden. Freude erfüllte das Herz - und das andere Herz in der Nähe. Die Strömungen der Macht begannen, sich zu entwirren. War da noch etwas, mit dem man spielen konnte?
Stein,
gebot das Herz.
Nicht der Stein des Zornes, der Stein der Stärke.
Ephemera nahm die Resonanz des Herzens auf, nahm die Resonanz des Landes auf, um den Stein zu finden, den das Herz sich wünschte.
Stein legte sich um die hintere Hälfte des Kreises, grau und stark. Nicht hoch. Nicht breit. Ephemera hörte auf, als das Herz »genug« sagte.
Kleinere Steine, um eine Grenzlinie zu schaffen. Und ein Kreis aus Steinen, wo das Böse Wesen Sich ein Zuhause geschaffen hatte.
Blumen,
sagte das Herz.
Der Atem lebender Dinge.
Also schuf Ephemera Blumen, die von sich aus gerne an diesem Ort wuchsen.
Und noch etwas. Dieses Mal war die Resonanz des
Herzens so stark, dass Ephemera keine Wahl hatte, als genau das zu schaffen, was das Herz wollte. Aber es kannte die Pflanze. Sie war aus den Herzen der Alten geboren, um zu helfen, die Welt zu heilen. Wo auch immer sie wuchs, konnte das Böse Wesen die Welt nicht in bloßes Grauen verwandeln, weil die Herzen, welche die Resonanz der Pflanze spürten, immer etwas Licht in sich tragen würden.
Glorianna seufzte und trat von dem Kreis zurück. Lee stellte sich hinter sie und legte ihr die Hände auf die Schultern.
Hüfthoch formte der Granit einen Halbkreis aus Stein, noch trug er die scharfen Kanten, die Zeit und Regen auswaschen würden. Veilchen, Waldiris und Pflanzen mit weißen, glockenförmigen Blüten wuchsen in der neu geschaffenen Erde. In der Mitte, wo das Versteck der Röhrenspinne gewesen war, blühte Herzenshoffnung.
»Es ist wunderschön«, sagte Lee leise.
Sie fühlte, wie der Griff um ihre Schultern fester wurde.
»Aber du hast die Landschaft dieses Mal nicht verändert, oder?«, fragte er. »Du hast die Steine und diese Blumen nicht gesucht und sie an diesen Ort versetzt.«
»Nein. Das hier ist neu.«
Er drehte sie zu sich um.
»Das ist es, was dich anders macht, habe ich recht?«, fragte er langsam, als füge er gerade die letzten Teile eines Puzzles zusammen. »Es ist nicht nur, dass du stärker bist als andere Landschafferinnen, nicht nur, dass du Landschaften verändern und Stücke verschiedener Teile der Welt aneinanderfügen kannst. Es ist das hier - die Fähigkeit, dich so mit Ephemera zu verbinden, dass du Landschaften
schaffen
kannst. Das ist es, habe ich recht?«
»Ja, das ist es.«
Er sah sie an, als hätte er sie noch nie zuvor gesehen.
»Du bist wirklich wie die Alten aus den Geschichten. Die Wächter des Herzens.«
»Eine Wächterin, ja. Aber weil ich vielleicht die Einzige bin, die noch am Leben ist, bin ich wohl auf gewisse Weise Ephemeras Herz.« Immer noch sah er sie an wie eine Fremde.
»Wie lange weißt du das schon?«
»Nicht lange. Mutter hat mir erst vor kurzer Zeit einige Dinge über unsere Familie erzählt. Erst dann ist mir klar geworden, warum ich so bin, wie ich bin.« Sie zögerte. »Macht es dir etwas aus, zu wissen, was ich wirklich bin?«
Er betrachtete sie noch einen Moment und lächelte. »Nein. Wir werden uns trotzdem noch zanken.« Dann zog er nachdenklich die Brauen zusammen. »Hast du noch etwas anderes erschaffen?«
»Die Insel im Nebel.«
Ihm fiel die Kinnlade herunter. »Die ganze Insel?«
»Es sind nur ein paar Morgen.«
»Aber … eine Insel?« Er dachte einen Moment lang nach. »Das Haus auch?«
»Nein, das Haus nicht. Ephemera kann Steinbrüche schaffen, aber selbst kein Haus bauen. Oder Rohre verlegen.«
»Oder einen Schraubenschlüssel benutzen, um ein Stück Rohr auseinanderzunehmen, das verstopft ist.«
»Dafür gibt es Brüder.«
»Wie aufmerksam von Mutter, dass sie dich mit einem ausgestattet hat.«
»Ich weiß. Deshalb schenke ich ihr jedes Jahr an deinem Geburtstag Blumen.«
Er grinste. »Ich glaube, zwischen uns ist alles in Ordnung. Wir zanken schon wieder.«
Sie lächelte. »Ich glaube, das tun wir - und dann ist wirklich alles in Ordnung.«
»Dann bin ich jetzt dran.« Er ließ sie los und lief hinüber
zu den zwei hölzernen Planken, die über einem schmalen Bach lagen. »Ich werde die Brücke abreißen, damit nichts aus der Stadt der Zauberer diese Landschaft erreichen kann. Dann -« Er ging vor den Holzplanken in die Hocke. »Ich mag den Teil nicht, der danach kommt. Das sag ich dir ganz offen, Glorianna.«
»Wenn du ein Hornissennest aufscheuchen willst, benutze einen großen Stock.«
»Lass uns einfach aufpassen, dass niemand von uns gestochen wird.«
 
Der junge Zauberer eilte über das offene Land, erleichtert, dass seine Schicht auf dem Turm vorbei war, bevor die Sonne unterging. Es lag etwas … Seltsames … über der Stadt, wenn die Sonne verschwunden war, selbst hier bei der Halle.
Schlitternd kam er zum Stehen und unterdrückte einen Aufschrei, als plötzlich eine Frau aus dem Nichts auftauchte und auf ihn zuging. Sie trug die Art Männerkleidung, die keine ehrbare Frau in der Stadt der Zauberer tragen würde, und ihr schwarzes, offenes Haar floss ihren Rücken hinunter und breitete sich im leichten Wind, der stets auf der Spitze des Hügels wehte, gleich einem Fächer aus. Einen Moment lang dachte er - hoffte er -, sie sei eine Frau niederer Moral, die bereit sein würde, ein paar unanständige Dinge mit ihm zu treiben, im Austausch dafür, dass er sie nicht den Wachen übergab.
Aber sie hatte die kältesten grünen Augen, die er jemals gesehen hatte, und sein Herz erzitterte, als sie ihn ansah.
BOOK: Sebastian
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