Read Sebastian Online

Authors: Anne Bishop

Tags: #Fiction, #Fantasy, #General

Sebastian (3 page)

BOOK: Sebastian
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»Nicht so schlimm … bis auf die letzte Schülerin.«
»Was hat sie denn angestellt?«
»Sie hat den Namen ausgesprochen, den jeder Lehrer dieser Schule fürchtet.«
Gregor versteifte sich. »Belladonna.«
Lukene nickte. »Sie hat mich gebrochen, Gregor. Ich habe Angst gezeigt.«
»Und das mit gutem Grund, wenn mehr dahinter steckt, als eine verklärte Schulmädchenvorstellung von einer Landschafferin, die die Gemeinschaft verlassen hat.«
»Eher ein neuer Versuch, die Lehrerschaft durch Manipulation dazu zu bewegen, ihr einen Status zuzugestehen, den sie nicht verdient hat.« Sie lehnte sich weit genug zurück, um den Mann anzusehen, der Oberster Lehrer der Brückenbauer war - und ihr Liebhaber. »Und wie war dein Tag?«
»Besser als deiner. Jungen Männern mit der Fähigkeit, eine Verbindung zwischen den Landschaften zu erschaffen, etwas beizubringen, ist nicht annähernd so anstrengend, wie die jungen Frauen zu unterrichten, die diese Landschaften einmal kontrollieren werden.« Er sah sie an, und an seinen dunklen Augen konnte sie ablesen, wie besorgt er um sie war. »Warum besuchst du nicht für ein, zwei Tage die Heiligen Stätten?«
»Vielleicht werde ich das wirklich. Aber ich glaube, dass ich jetzt hier sein sollte, falls die anderen Lehrer …«
Sie brach den Satz ab, bekam die Worte nicht über die Lippen.
»Falls die anderen Lehrer zu dem Schluss kommen, dass dieses Mädchen zu gefährlich ist und eingeschlossen werden muss«, vollendete Gregor düster. Als Lukene nickte, fragte er: »
Ist
sie so gefährlich?
Könnte
sie eine neue Belladonna sein?«
Lukene dachte einen Moment nach und schüttelte dann den Kopf. »Sie trägt genug Wut und … seelischen Unrat … in sich, um die Resonanz dunkler Landschaften zu treffen, aber sie wird nie sein wie Belladonna. Sie hat nicht ihre Macht - oder ihren Mut.«
 
Nigelle funkelte jeden Schüler, dessen Weg sie kreuzte, wütend an, als sie den breiten, mit weißen Steinplatten ausgelegten Weg entlanglief, der sie zu ihrem von Mauern umgebenen Garten führen würde. Sie hätte von dem Augenblick an wissen müssen, dass die Lehrer gegen sie waren, in dem sie gesehen hatte, wie weit ihr Übungsplatz von den Hauptgebäuden der Schule entfernt lag.
Andere
Schüler hatten Übungsplätze, die man von den Klassenzimmern zu Fuß in fünf Minuten erreichen konnte. Zugegeben, es gab nicht viele Schüler, denen ein Platz in den von Mauern eingefassten Gärten der Lehrerschaft gewährt wurde, aber es gab ein paar, und
sie
hätte eine von ihnen sein sollen.
»Elende, kaltherzige Schlampe«, murmelte sie. Abrupt schlug sie einen anderen Weg ein, der zurück zur Schule führte. Einen Weg, der, obwohl er genauso gepflegt war, wie die anderen, immer ein wenig staubig und unbenutzt wirkte. Einen Weg, den Schüler nicht bis zum Ende gehen durften, wenn sie nicht in Begleitung eines Lehrers waren. Vielleicht faszinierte er sie gerade deswegen so sehr. Ein paar Mal im Jahr riskierte sie es, ihn entlangzuschleichen, um über das Rätsel am Ende des Weges nachzudenken.
Der Weg endete in einem Torbogen, der die einzige Lücke in der hohen Steinmauer darstellte. In der Mitte des Gartens lag ein weiterer Garten, umgeben von einer hohen Mauer, in die ein verschlossenes schmiedeeisernes Tor eingelassen war. Das einzige, was zwischen den Mauern des inneren und des äußeren Gartens wuchs, waren große, aufgedunsene Pilze und Dornenbüsche, die Früchte von der Farbe einer eitrigen Wunde trugen.
Unter den Schülern gab es das Gerücht, dass sich die Wächter der Dunkelheit zur Mondfinsternis auf das Schulgelände schlichen, die Pilze und Früchte ernteten und aus ihnen mit den Herzen der Menschen, die sie in ihre dunklen Landschaften gelockt hatten, eine Mahlzeit zubereiteten.
Sie mochte diese Geschichte. Manche Nacht hatte sie damit verbracht, sich vorzustellen, wie einer der Wächter der Dunkelheit in die Schule gelangte und all die eingebildeten Lehrerschlampen in die Finger bekam, die zwar
sagten
, sie würden versuchen, ihr den Umgang mit ihren Kräften beizubringen, aber in Wirklichkeit alles daransetzten, sie scheitern zu lassen.
Sie würde gerne sehen, wie jemand wie Lukene einem Wächter der Dunkelheit begegnete. Das eingebildete Luder würde sich bestimmt in die Hose machen, wenn sie etwas
wahrhaft
Dunklem gegenübertreten müsste. Aber
sie
hätte keine Angst.
Ja
, flüsterte ihr eine Stimme zu.
Du hast von der Dunkelheit nichts zu befürchten. Es liegt Macht in der Dunkelheit, Macht, die darauf wartet, dass du sie dir zu eigen machst.
Vielleicht war das der zweite Grund, aus dem sie so oft im Torbogen stand und den Ort betrachtete, bei dessen Erwähnung alle Lehrer erblassten.
Nachts erzählten sich die älteren Schüler leise Geschichten über den Garten, erzählten von seinen verborgenen Landschaften - Landschaften, die so schrecklich
waren, dass man sie aus der Welt genommen hatte, um die Menschen vor den Dingen zu schützen, die an solchen Orten lebten.
Aber als sie im Torbogen stand, war alles, was sie hinter dem schmiedeeisernen Tor sehen konnte, eine niedrige Steinmauer auf einem Stück harter, unfruchtbarer Erde. Oh, es gab eine dunkle Resonanz in diesem Garten. Man konnte sie spüren, sobald man in den Torbogen trat. Aber wenn dort etwas
wirklich
Böses hauste, warum sagte man den Schülern nicht, was es war, anstatt ein Geheimnis daraus zu machen?
Die Lehrerschaft machte immer aus allem ein Geheimnis. Ja, diese Schule war gut darin, den Schülern Wissen vorzuenthalten, die etwas damit anfangen konnten.
Wut stieg in ihr auf, die alle anderen Gefühle verdrängte.
Nigelle sah sich um und entdeckte auf dem Boden einen faustgroßen Stein. Sie hob ihn auf, holte aus und warf den Stein gegen das Schloss am schmiedeeisernen Tor. Sie rechnete nicht damit, etwas zu erreichen; sie wollte nur ihrem Ärger darüber Luft machen,
schon wieder
aufgehalten worden zu sein.
Aber das alte, brüchige Metall zerfiel an der Stelle, an der es der Stein getroffen hatte. Das Tor und mit ihm alle Geheimnisse, die der innere Garten in sich barg, standen ihr offen.
Nigelle befeuchtete ihre trockenen Lippen und trat durch den Torbogen. Es roch leicht nach fauligem Fleisch, aber das konnten auch die Pilze oder die verrottenden Früchte sein, die den Boden um die Dornenbüsche herum bedeckten.
Rasch überquerte sie das Stück zwischen innerem und äußerem Garten, packte zwei der Eisenstangen im Tor und zog so fest sie konnte. Die eingerosteten Scharniere protestierten quietschend, aber das Tor öffnete sich gerade weit genug, dass sie hindurchschlüpfen konnte.
Nigelle hielt inne, die Hände immer noch an den Stangen, sicher, dass jemand kommen würde, um herauszufinden, was diesen Lärm verursacht hatte. Aber die Luft war schwer und ruhig und erstickte jedes Geräusch.
Sie zählte bis hundert, bereit, sofort loszurennen, um nicht an diesem verbotenen Ort erwischt zu werden. Aber als niemand kam, entspannte sie sich genug, um den öden Erdboden auf der anderen Seite des Tors zu betrachten.
Sie sagen, dass sogar Belladonna diesen Ort fürchtete, dass sie sich nicht einmal in seiner Nähe aufhalten wollte. Aber ich habe keine Angst. Ich werde nachsehen, was in diesen Mauern festgehalten wird.
Aber sie wollte nicht unvorsichtig sein. Sie ging zurück zum nächsten Dornenbusch. Viel altes Laub und faulige Früchte, aber nichts Brauchbares, also ging sie von Busch zu Busch und suchte den Boden ab, bis sie einen Stock fand, der genau die richtige Länge hatte, um Dinge erst einmal anstupsen zu können, ohne ihnen gleich zu nahe kommen zu müssen.
Aufgeregt eilte sie zurück zum Tor, schlüpfte durch den Spalt und näherte sich der niedrigen Steinmauer. Nur eine alte, hüfthohe Umfassung von kaum zwei Körperlängen. Mörtel füllte alle Steinzwischenräume aus, was bedeutete, dass jemand diese Mauer mit Sorgfalt gebaut hatte.
Sie sah sich um. Da war nichts im inneren Garten. Überhaupt nichts. Das würde bedeuten, dass es die Mauer selbst war, die bewacht wurde. Aber warum sollte man denn eine Mauer bewachen?
Vielleicht stellte die Mauer einen Zugang zu einer Landschaft dar, die die Lehrerschaft versteckt halten wollte - eine Landschaft, die der Ursprung der dunklen Resonanz war, die den verbotenen Garten durchdrang.
Sie ging die Mauer der Länge nach ab und sah sie sich
genau an. Alte Steine. Alter, rissiger Mörtel. Sie stocherte hier und da in der Wand herum, aber die Aufregung darüber, in dem geheimnisvollen Garten zu sein, ebbte ab, und sie war schon fast davon überzeugt, dass eine alte Mauer nicht wirklich ein Zugangspunkt zu einer interessanten Landschaft sein konnte. Dann löste sich beim Stochern mit dem dünnen Ende des Stocks ein Stück Mörtel und legte ein Loch zwischen den Steinen frei, das so groß war wie der Kreis, den sie mit Daumen und Zeigefinger formen konnte.
Ein Loch, groß genug, um hindurchblicken zu können, wenn sie es bis zur anderen Seite durchstoßen konnte. Wieder und wieder rammte sie den Stock in das Loch und kratzte den lockeren Mörtel heraus, um Platz zu schaffen. Endlich, als ihre Hände bereits wund waren, und ihre Muskeln schmerzten, brach sie zur anderen Seite durch. Sie warf den Stock weg, fiel auf die Knie und spähte in die Öffnung.
Ein schmaler Streifen rostfarbenen Sandes führte zu einer dunklen, ruhigen Wasserfläche. Einige Minuten später lehnte Nigelle sich zurück. Das sollte es sein? Sand und Wasser?
Das
war die Furcht erregende, verbotene Landschaft, die alle Lehrer in Alarmbereitschaft versetzte, wenn ein Schüler danach fragte?
Angeekelt stand Nigelle auf und klopfte sich den Dreck von der Hose. »Ich hätte wissen sollen, dass der verbotene Garten nur eine Ausrede der Lehrer ist, um all jene zu bestrafen, deren Landschaften zu gut sind, um wahr zu sein.«
Sie schlüpfte durch das Tor und eilte zurück zum Torbogen. Dann hielt sie inne, um nach dem Sonnenstand zu sehen.
Zu spät, um noch in ihren eigenen Garten zu gehen. Wenn sie nicht rechtzeitig zum Abendessen auftauchte, würde sie wieder Ärger bekommen. Also würde sie sich bemühen, pünktlich zu sein und den Unterricht zu besuchen
und für die Lehrer eine gute Miene aufzusetzen - selbst wenn es sie umbrachte.
Obwohl sie es vorziehen würde, wenn es die
anderen
umbrachte.
 
Angelockt von der Resonanz eines dunklen Herzens stieg Er der Oberfläche entgegen, wobei das dunkle, tiefe Wasser um Ihn herum beinah völlig still blieb. Er war vollkommen alleine, und so streckte Er einen Tentakel aus und berührte vorsichtig die Stelle, an der das Wasser auf den Sand traf - die Grenze zwischen zwei Seiner Landschaften. Aber die Resonanz im Sand reichte aus, um Ihn wissen zu lassen, dass Er sich nahe der verhassten Steine befand, die so lange sein Gefängnis gewesen waren.
Und trotzdem …
Seine Tentakel bewegten sich über den Sand. Sie änderten so schnell die Farbe vom dunklen Grau der Höhlen tief unter der Wasseroberfläche zum rostigen Farbton des Sandes, dass sie auf ihrem Weg zur Steinmauer unsichtbar wurden.
Noch bevor der erste Tentakel den Stein berührte, wusste Er, dass etwas anders war. Etwas hatte sich verändert. Es lag etwas Neues in der Luft, ein Hauch der Resonanz eines dunklen Herzens, genau … hier.
Seine Tentakel streckten sich, wurden zu dünnen Fäden aus Fleisch und Blut, die sich durch die kleine Öffnung zwischen den Steinen schlängelten. Stück für Stück bewegte sich der große Körper fließend über den Sand und durch die Öffnung, bis die Spitze des letzten Fangarms die Außenseite der alten Steinmauer berührte.
Frei.
Er hatte die Macht Seines Feindes nicht verstanden, hatte nicht gewusst, dass Er und die Landschaften, die Er geschaffen hatte, eingeschlossen werden konnten. Aber nicht vollständig. Niemals vollständig. Er war nicht in der Lage gewesen, in die wirkliche Welt außerhalb Seiner
eigenen Landschaften zu gelangen, aber stets hatte Er die Fähigkeit besessen, die wirklich dunklen Herzen zu erreichen, und Seine Resonanz gleich einem Flüstern durch das Zwielicht zwischen Schlaf und Erwachen zu schicken. Und die Dunklen, die Ihn vor so langer Zeit erschaffen hatten, hatten oft genug einen Weg gefunden, Menschen in Seine Landschaften zu schicken, um Ihn bei Laune zu halten - und um Ihm und Seinen Kreaturen das Überleben zu sichern. Aber jetzt war Er frei von der Magie der Steinmauer, die Ihn gefangen gehalten hatte; jetzt konnte Er seine Landschaften wieder zu einem Teil der Welt werden lassen. Jetzt konnte Er die Dunklen finden, die Ihm helfen würden, die Welt zu dem zu machen, was
Er
in ihr sah. Jetzt …
Schritte näherten sich.
Die Tentakel zogen sich zusammen und formten acht Beine. Der Körper veränderte sich, bis seine Form zu den Beinen passte. Er kletterte über die Mauer des inneren Gartens und rannte geduckt zum Torbogen, so dass Sein Bauch die aufgedunsenen Kappen der Pilze berührte. Dann kletterte er auf die Mauer neben dem Torbogen. Sofort verschmolz der große Körper perfekt mit den Steinen, Er ahmte sogar die Schatten der Dornenbüsche nach.
Hier wartete Er und labte sich an dem Gefühl, wieder auf der Jagd zu sein.
 
Mit verschränkten Armen starrte Lukene auf das verschlossene und versiegelte Tor. Eine hölzerne Tür auf der anderen Seite des Tors verhinderte, dass jemand sehen konnte, was hinter den steinernen Mauern verborgen lag.
»Belladonna«, flüsterte Lukene.
Ein Fehler, der fünfzehn Jahre zurücklag und der nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte. Und doch gab es immer noch Zeiten, in denen sie dachte, sie hätte etwas tun können, hätte etwas tun
müssen
, um die Geschehnisse aufzuhalten.
Sie selbst war erst vierundzwanzig gewesen und hatte gerade angefangen, zu unterrichten, in dem Jahr, als die fünfzehnjährige Glorianna an die Schule gekommen war, ein intelligentes, wissbegieriges Mädchen. Und so talentiert.
Erst nach einem halben Jahr hatten sie begriffen,
wie
talentiert sie war - als die Lehrerin, der Lukene assistierte, den Schülerinnen die Aufgabe stellte, einen Zugangspunkt zu »einer Heimat« zu schaffen. Da Schüler in diesem Alter, wenn überhaupt, nur geringfügige Kontrolle über die Macht hatten, die ihnen innewohnte, würde der Zugangspunkt die Verbindung zu der Landschaft werden, die
ihre
Heimat darstellte. Das war, was die Lehrerin erwartete, das war das Ziel des Unterrichts.
BOOK: Sebastian
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