Read Sebastian Online

Authors: Anne Bishop

Tags: #Fiction, #Fantasy, #General

Sebastian (7 page)

BOOK: Sebastian
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Die Räder fehlten. Ebenso der Motor und was auch immer das Rad sonst noch angetrieben hatte. Die Dämonen, die die Räder behausten, brauchten solche Dinge nicht.
Der Dämon, der diesem Rad innewohnte, starrte ihn mit roten Augen an. Sein eingedrücktes Gesicht und die mit Federbüschen versehenen Ohren verliehen ihm ein komisches Aussehen - jedenfalls wenn man die rasiermesserscharfen Zähne, den kräftigen Torso, die muskulösen Arme und die Finger ignorieren konnte, die in gebogenen Klauen endeten.
Zufrieden, dass der andere Reisende die versprochene Person war und keine potentielle Mahlzeit, zog sich der Dämon wieder in den hohlen Bauch des Gefährtes zurück,
bis nur noch sein Kopf aus dem Loch herausschaute, in dem sich ursprünglich ein Licht befunden hatte.
Sebastian rückte die Riemen seines Bündels zurecht, so dass es bequem an seinem Rücken anlag und bestieg hinter Teaser das Rad.
Die Dämonen besaßen die Fähigkeit, die Räder über dem Boden schweben zu lassen, und sie brauchten eigentlich keine Straßen, aber ihr Rad folgte dem Weg vom Cottage zurück auf die Hauptstraße des Pfuhls, dann weiter bis hinter die überfüllten Häuser und in die offene Landschaft hinaus.
Etwa eine Meile hinter dem Pfuhl hielten sie an einer Holzbrücke, die einen Fluss überspannte.
Es gab zwei Sorten von Brücken. Feste Brücken verbanden eine oder mehrere ausgewählte Landschaften miteinander und boten normalerweise einen zuverlässigen Weg, um von einer Landschaft in eine andere zu gelangen. Resonanzbrücken erlaubten es einer Person, in eine Landschaft überzugehen, die der Resonanz des Herzens entsprach. Meist reichte es aus, sich zu konzentrieren, um eine bestimmte Landschaft zu erreichen. Aber es gab auch Zeiten, zu denen eine Resonanzbrücke den Willen außer Acht ließ und allein dem Herzen lauschte - und so konnte man in einer Landschaft enden, die nicht im Entferntesten etwas mit dem Ort zu tun hatte, an den man eigentlich hatte gelangen wollte. Aus diesem Grund ähnelte das Reisen in Ephemera eher einem Glücksspiel.
Die Brücke an der sie nun standen, war eine Resonanzbrücke.
Teaser warf einen Blick über die Schulter. »Reicht dir das?«
Sebastian nahm einen tiefen Atemzug und atmete langsam wieder aus. »Es reicht.« Er hatte ja doch keine Wahl. Es gab keine festen Brücken, die Belladonnas Landschaften mit der Landschaft verbanden, in der die Stadt der Zauberer lag.
Er stieg vom Dämonenrad ab und ging bis an den Rand der Brücke. Er versuchte, seinen Geist von allem zu lösen, bis auf den Wunsch, die Stadt der Zauberer zu erreichen.
»Sebastian?«
Er sah zurück.
Teaser zog die Schultern zusammen und sah ihn verlegen an.
»Reise leichten Herzens.«
Der Segen des Herzens. Es füllte ihn mit Freude, diese Worte zu hören. »Ich bin bald zurück.« Zumindest hoffte er das.
Die Stadt der Zauberer.
Die Stadt der Zauberer
. Andere Bilder versuchten, sich in den Vordergrund zu drängen - das Gefühl von Sand unter seinen Füßen - aber gebetsgleich murmelte er die Worte »Die Stadt der Zauberer«, während er die Brücke überquerte.
Das Land sah hier nicht anders aus, aber der Himmel war jetzt von jenem Grauton, den er oft unmittelbar vor der Morgendämmerung oder im schwindenden Licht des Abends zeigte. Als er über den Fluss zurückblickte, konnte er Teaser oder das Dämonenrad nicht mehr entdecken.
So. Er war auf der anderen Seite. Jetzt konnte er nur noch hoffen, dass er in der richtigen Landschaft angekommen war.
Ein von Fuhrwerken ausgefahrener Pfad führte von der Brücke ins Land. Er richtete die Riemen seines Beutels und folgte dem Pfad, wohin auch immer er ihn führen mochte.
 
Glorianna lief die Gasse hinunter, blieb stehen und öffnete die Blende der Laterne, um so gut wie möglich den Boden zu beleuchten. Ein vorsichtiger Schritt, dann noch einer. Die Aufmerksamkeit ständig auf den Boden, die Wände und die Schatten gerichtet. Als das Licht auf die
Knochen und den rostfarbenen Sand traf, blieb sie stehen. Sie ging in die Hocke, berührte den Boden mit einer Fingerspitze und betrachtete die Sandkörner, die an ihrer Haut klebten. Es gab mehrere Landschaften mit Sand von dieser Farbe, aber in Verbindung mit sauberen Knochen … nur eine.
Dies war also die Quelle der Dissonanz, die sie gefühlt hatte, als sie durch ihren privaten Garten geschritten war, um nach ihren Landschaften zu sehen. Vor ein paar Tagen war sie plötzlich von einer Welle von Unbehagen erfasst worden und hatte sich vorgenommen, in den Pfuhl zu reisen, um mit Sebastian zu sprechen, hatte dann aber in zwei anderen Landschaften noch stärkere Dissonanzen gespürt. Sie hatte die beiden Landschaften aufgesucht, um den Störungen dort nachzugehen, aber da sie nichts Außergewöhnliches entdeckt hatte, für sich beschlossen, dass ein Zauberer durch diese Orte gereist sein musste, weil deren Anwesenheit in ihren Landschaften immer eine Dissonanz hervorrief. Als sie nach Hause zurückgekehrt war, war die Dissonanz, die den Pfuhl gestört hatte, verschwunden.
Bis vor kurzem.
Sie rieb Daumen und Zeigefinger aneinander, bis sie ganz sicher war, dass kein einziges Sandkorn mehr an ihren Fingern klebte. Dann erhob sie sich und trat vorsichtig zurück.
Glorianna, in den letzten Nächten hatte ich Träume, erfüllt von beunruhigenden Bildern und dem … Gefühl …, dass sich etwas Altes, etwas Böses unter der Erdoberfläche regt.
Ich weiß, Mutter. Ich hatte dieselben Träume.
Sie ging zurück zum Anfang der Gasse, öffnete das Bündel, das sie dort abgelegt hatte, und entnahm ihm einen kantigen Stein. Dann lief sie den Weg wieder zurück und sah sich den Boden auf der Suche nach dem Sandkorn, das am weitesten von den Knochen entfernt
lag, noch einmal genau an. Sie legte den Stein auf das letzte Sandkorn und rief die Welt an.
Ephemera, höre mich.
Die Strömungen der Macht, die den Pfuhl durchströmten, mischten sich mit den Strömungen aus Licht und Dunkel in ihrem Inneren, während sie darauf wartete, dass die Welt ihren Willen Wirklichkeit werden ließ.
Nimm den Sand zu meinen Füßen und schicke ihn tief in den Ort der Steine. Lass den Sand die Knochen in sich aufnehmen. Sie sind jetzt Teil dieser Landschaft. Lass nichts hier zurück, das nicht aus meinem Herzen kommt.
Sie fühlte, wie eine dunkle Strömung zusammen mit einer Welle des Lichts die Gasse erfüllte. Sie sah zu, wie Sand und Knochen verschwanden, ebenso wie der Stein, der als Ankerpunkt die Verbindung zwischen dem Ort der Steine und der Landschaft der Knochenschäler herstellen würde.
Sie sah zu, wie Ephemera ihren Willen erfüllte, wie die Welt ihr so gehorchte, wie sie es bei keiner anderen Landschafferin tat.
Die Gasse war jetzt wieder von ihrer Resonanz erfüllt. Aber ein Rest der Angst war geblieben, dort, wo das Blut in den Boden gesickert war, und diese Angst würde fortbestehen und das Herz eines jeden verdunkeln, der den Durchgang betrat.
Verspielt zog die Lichte Strömung an ihrem Geist. Bevor sie reagieren und ihren Willen durchsetzen konnte, sprossen aus dem festgetretenen Boden saftige, dunkelgrüne Blätter. Nach nur einer Minute war der blutgetränkte Boden von lebendigem Grün bedeckt.
Es war ein ungewöhnlicher Ort für eine Pflanze, um es vorsichtig auszudrücken.
Es gibt hier kein Licht. Noch nicht einmal das Mondlicht wird diese Pflanzen erreichen. Sie können hier nicht überleben.
Die Strömung würde ihnen geben, was sie brauchten.
Und sie anzusehen, würde Herzen mit Glück erfüllen. Ja, das würde es.
Ephemera lebte, aber es hatte keine eigene Intelligenz. Zumindest dachte es nicht auf eine Art, welche die Menschen als intelligent bezeichnen würden. Aber vor langer Zeit hatte Ephemera sich an die Herzen der Menschen gebunden, und so formte es sich ständig neu und veränderte sich, um das Innerste der Herzen Gestalt werden zu lassen. Da die Verbindung zu ihrem Herzen stärker war als zu allen anderen Lebewesen der Welt, mussten die Pflanzen Ephemeras Antwort auf ihren Wunsch sein, irgendwie die Gewalt zu schwächen, welche die Gasse erfüllt hatte.
Sie seufzte, aber auf ihren Lippen lag ein Lächeln - und sie fragte sich, was die Bewohner des Pfuhls wohl sagen würden, wenn sie das Grün entdeckten.
Sie trat aus der Gasse, nahm ihr Bündel auf und blickte sich um. Ein, zwei Stunden hatte sie noch Zeit. Da konnte sie genauso gut ein wenig über die Hauptstraße schlendern und den Herzen der Bewohner des Pfuhls lauschen, bevor sie sich auf die Suche nach Sebastian begab.
 
Lynnea schlüpfte in die dunkle Küche. Aber gerade, als sie erleichtert aufatmete, hörte sie das schlurfende Geräusch eines Hausschuhs und spürte die Bewegung in der Luft, noch bevor der schwere Lederriemen ihren Rücken traf.
Sie schrie nur leise, weil sie wusste, dass die Strafe nur härter werden würde, wenn sie ein Geräusch machte, das laut genug war, um Vater oder Ewan aufzuwecken.
Eine von Mutters starken Händen packte sie an den Haaren und zerrte ihren Kopf nach unten, um sie festzuhalten, während die andere Hand den Riemen mit brutaler Gewalt auf ihren Rücken, ihren Po und ihre Oberschenkel niederfahren ließ.
»Flittchen«, zischte Mutters Stimme. »Schlampe. Hure. Denkst du, ich weiß nicht, was du vorhast?«
»Ich habe nichts Schlimmes getan. Ich habe nur einen Spaziergang gemacht.«
»Ich weiß, was für Spaziergänge Mädchen machen, wenn sie sich nachts aus dem Haus stehlen. Ich habe dich nicht hier aufgenommen und großgezogen, damit du heimlich verschwinden und irgendeinem Mann den Haushalt führen kannst. Als ob jemand wie du einen Mann und Kinder verdient hätte. Du bist nichts als Dreck, den jemand am Straßenrand liegen gelassen hat. Nichts als Dreck, den ich in meiner Herzensgüte aufgenommen habe, in der Hoffnung, ich könnte dich zu einem anständigen Menschen erziehen. Aber du bist im Schmutz geboren und du wirst immer im Schmutz bleiben. Ich hätte dich sterben lassen sollen. Das hätte ich tun sollen.«
»Ich habe nur einen Spaziergang gemacht!«
Der Protest änderte gar nichts. Der Strom der Worte und Schläge hielt an, bis Mutter gesagt hatte, was sie sagen wollte. Bis Lynneas Rücken vom Riemen unerträglich schmerzte, und die Worte ihr Herz blutig gescheuert hatten.
Dann brachte das Quietschen einer Diele im oberen Stock Mutter dazu, Lynnea ein letztes Mal gewaltsam an den Haaren zu ziehen, bevor sie einen Schritt zurücktrat.
»Der Mann ist wach. Geh raus in den Hühnerstall und hol die Eier.«
Gebückt lief Lynnea zur hölzernen Anrichte neben dem Spülbecken. Ihre Hände zitterten so stark, dass sie die Streichhölzer über die ganze Anrichte verteilte, als sie die Schachtel öffnete, um die Lampe anzuzünden.
Leise fluchend riss Mutter ihr die Streichholzschachtel aus der Hand und entzündete die Kerze in der Laterne.
»Nutzlos. Das ist alles, was du bist. Zeit- und Geldverschwendung. Raus jetzt. Raus.«
Lynnea griff nach der Laterne und stöhnte auf, als sie sich bückte, um den Eierkorb aufzuheben.
»Und hör auf zu winseln und zu jammern«, sagte Mutter harsch. »Du hast weniger gekriegt, als du verdienst, und das weißt du auch.«
Wieder quietschte eine Diele.
So schnell sie konnte, verließ Lynnea die Küche. Wenn Vater herunterkam und bemerkte, dass etwas passiert war, würde alles nur noch schlimmer werden. Viel, viel schlimmer.
Aber als sie im Hühnerstall war und die Lampe an den Holzpflock neben der Tür gehängt hatte, stand sie einfach nur da und starrte die verschlafenen Hennen an.
Dies war ihr Leben. Nur dies.
Sie konnte sich nicht an das Leben erinnern, das sie geführt hatte, bevor sie auf den Hof gekommen war. Hatte keine eigene Erinnerung daran, wie es dazu gekommen war, dass sie bei Mutter, Vater und Ewan lebte, nur Mutters Geschichte darüber, wie sie ein kleines verlassenes Mädchen am Straßenrand gefunden hatte.
Ich habe dich am Straßenrand gefunden, und ich kann dich genauso leicht wieder vor die Tür setzen, vergiss das nicht, Fräulein. Du verdienst deinen Lebensunterhalt, oder du gehst zurück auf die Straße, mit nichts als den Kleidern, die du am Leib trägst - genauso, wie ich dich gefunden habe.
Mutter war nie freundlich zu ihr gewesen. Sie schien Ewan und Vater auf eine kaltherzige Weise zu lieben, aber nicht einmal diese kalte Liebe hatte sie dem kleinen Mädchen gegenüber an den Tag gelegt, das sie bei sich aufgenommen hatte. Vielleicht hatte sie sich nach einer eigenen Tochter gesehnt und deshalb an jenem Tag angehalten, um ein zurückgelassenes Kind mitzunehmen.
Das Warum spielte keine Rolle mehr. Jeder Fehler - und ein Kind konnte so viele Fehler machen - wurde mit der Drohung vergolten, sie wieder am Straßenrand auszusetzen.
Sie hatte sich nie sicher gefühlt, hatte ständig in der Angst gelebt, dass heute der Tag sein könnte, an dem sie den einen Fehler begehen würde, wegen dem man sie wie einen dreckigen Putzlumpen vor die Tür werfen würde.
Und trotzdem hatte sie diesen Tag anders in Erinnerung, wenn sie selbst versuchte, ihn sich ins Gedächtnis zu rufen. Sie konnte sich daran erinnern, ein glückliches kleines Mädchen gewesen zu sein, das voller Vorfreude die Ränder einer Lichtung erkundete und dann einem Pfad in den Wald hinein folgte, während sie Blumen für ihre Mama pflückte. Als sie aus dem Wald heraustrat, stand sie am Rand einer Straße, mit Blumen in beiden Händen. Sie hatte ihre Mama verloren.
Dann kam die Frau, Mutter, mit dem Pferd und dem kleinen Karren vorbei. Sie starrte Lynnea an, die versuchte, tapfer zu sein und nicht zu weinen, weil sie ihre Mama verloren hatte.
Du bist die Erfüllung eines Wunsches, sagte Mutter, als sie vom Karren stieg. Wie heißt du, Kind?
Lynnea. Ich habe Blumen für meine Mama gepflückt, aber ich weiß nicht, wo sie ist.
Ich bin jetzt deine Mama.
Mutter hob sie auf und setzte sie auf den Karren. Nicht auf den Sitz, sondern auf die Ladefläche. Dann stieg sie selbst auf und schlug nach dem Pferd, damit es ganz schnell lief.
Lynnea wischte sich mit ihrem Ärmel die Tränen ab. Sie wusste nicht, ob es eine wahre Erinnerung war oder ob nur der Wunsch, dass es sich so zugetragen hatte, Mutters Geschichte verändert hatte, damit sie leichter zu ertragen war. Genauso wenig, wie sie wusste, ob sie sich wirklich an einen Mann und eine Frau erinnerte, die wieder und wieder ihren Namen riefen, als ob sie nach ihr suchten.
BOOK: Sebastian
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